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Die Angst
vor dem
Argument

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Ob aus Anlaß der „Ilses Erika Awards 1999“ oder des Pop-Festivals im Werk II – die Connewitzer Szene beweist, daß sie sich nicht streiten kann.
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Mittlerweile glätten sich die Wogen wieder, zwischendurch schlugen sie hoch. Auf Papier geschrieben wirkt der Grund fast banal: Es wurde Kritik geübt.
Was dies bedeutet, weiß jeder Mensch seit dem Wechsel vom Säuglingsalter in den Kleinkindstatus, der es mit sich brachte, daß das spontane Entleeren des Darminhalts mit strengen Blicken beurteilt wurde. Mit den Jahren lernen die Menschen mehr oder weniger gut damit umzugehen. Sind sie sich über die Folgen ihres Tuns einig, bei vollgekackten Schlüpfern ist das im Allgemeinen der Fall, wird das kritisierte Verhalten geändert. Besteht ein Dissenz in der Beurteilung der Tat, beginnnt der Meinungsstreit. Im Idealfall gewinnt das bessere Argument. Aus Einsicht verändern die Überzeugten ihr Handeln oder die Streitgegner schließen einen fairen Kompromiß.
Nun, spätestens seit AC/DC vom Elternhaus nicht als die Fortsetzung von Elvis Presley mit anderer Lautstärke anerkannt wurde und spätestens seit sich autoritäre Erziehungsberechtigte schon bei den Verhandlungen über das Ausgeh-Limit den Verheißungen des Anarchismus verschlossen, wissen Betroffene, daß der gleichberechtigte, offene Meinungsstreit eine Idealisierung aus dem Munde lutherischer Pastorenkinder oder von Abkömmlingen sozialliberaler Studienräte ist.
Nichtsdestotrotz bleibt die Vorstellung davon so attraktiv, daß ihre Verwirklichung immer wieder angestrebt wird. Die einen starten damit sehr ambitioniert den Einstieg in die Kleinfamilie, andere betreiben ein Kultur-Projekt und manche glauben gar, daß eine alternative Szene nach solchen Umgangsformen streben sollte. Aber ach, die Realität spricht eine andere gruselige Sprache.
Am Anfang war die Kritik von „boris“ im Cee Ieh an den Ilse-Awards. Es gab Stimmen, die meinten, sie wäre zu polemisch gewesen. Dieser Vorwurf ist so alt wie der Wald. Meist wird er gerade dann ins Feld geführt, wenn die Inhalte einer Kritik gedeckelt werden sollen. Die waren im „boris“-Text (CeeIeh, Nr. 63) schlicht und einfach unübersehbar. Sinngemäß lauteten sie ungefähr wie folgt: Mit den Ilse-Awards probte ein kultureller Mikrokosmos der Szene den Anschluß ans Establishement. Zumindest verwischte damit eine sichtbare Abgrenzung zwischen einer Szene, der es um distinguierten Geschmack, Autonomie, Unkommerzialität, vielleicht auch praktischer Kritik am Mainstream gehen sollte und einer Sphäre, in welcher Kultur nur ein Vehikel der Standortpräsentation, des Geldverdienens und der sytemimmanenten Arschkriecherei ist. Na klar, der Vorwurf klingt altbacken. Die Zeiten haben sich geändert. Heutzutage muß man erklären, warum die Kulturberichterstattung einer Zeitung, welche die NPD protegiert und Antifaschismus als Linksfaschismus beschimpft, abzulehnen ist, während die Preisverleihung an eine Redakteurin der Leipziger Springer-Presse als ahnungsfreier Normalismus zelebriert wird. Aber trotz der beschissenen Rahmenbedingungen läßt sich nicht leugnen, daß die Kritik im beschriebenen Fall ihren Inhalt hatte; sie kam argumentativ festgesattelt daher, wollte demnach nicht einfach unbegründet böse sein.
Doch wer Gespenster sehen will, der sieht sie auch. So gab es gemunkelte Stimmen, die behaupteten, „das“ Conne Island sei sowieso und überhaupt gegen „die“ Ilse. Aus Neid, weil dort jetzt Veranstaltungen laufen, die in ähnlicher Form früher im Eiskeller stattfanden. Deshalb zur Beruhigung: Das Thema „Ilse“ stand im berühmt-berüchtigten Montags-Plenum, ohne welches die Menschheit auch über den allerkleinsten Pups der Welt kein Statement des Conne Islands hören wird, noch nie zur Debatte. Über die wahre Sympathieverteilung läßt sich nur spekulieren; unwahrscheinlich scheint es, daß irgendjemand die Ilse zum kulturellen Feindobjekt auserkoren hat. Vielmehr dürfte das Verhältnis von kritischer Sympathie zur einen und zur anderen Hälfte von Desinteresse geprägt sein. Ausbaufähig, oder?
Ähnlich fern der Realität verlief die Legendenbildung beim jüngsten Streit um den Titel des Pop-Festivals im Werk II. Mit dem wollten die Organisatoren, wahrscheinlich eher unbedacht, eine deutsch-nationale Mauer um den schönen universellen Pop bauen. Wer da keine Kritik von der Southside erwartet, wo doch im C.I. eigentlich seit 8 Jahren nichts anderes geschehen ist, als praktisch, programmatisch, ja gar preisgekrönt die Weltgewandtheit des Pop gegen nationale Bornierungen einzusetzen, der oder die beweisen ihre eigene Existenz als Mars-Menschen. Das tut jetzt hoffentlich nicht weh. Das war kein Schlag, keine persönliche Beleidigung, sondern eine Metapher, die verdeutlichen soll, daß das Conne Island um den Preis der Selbstverleugnung zu einer kritischen Intervention quasi gezwungen wurde. Dieselbe ging dann übelst relaxt vonstatten. Flugblätter, Transpi und Wimpelkette; ein Beobachter frotzelte gar über den gewerkschaftsmäßigen Stil des Protests. Das Ziel wurde jedenfalls erreicht. Der Titel wurde diskutiert und wenigstens von allen Teilnehmern einer in das Festivalprogramm integrierten Podiumsdiskussion übereinstimmend abgelehnt.
Es wird sich leider nicht vermeiden lassen, daß die Moral der Geschichte, nämlich das die antinationale Kritik im Speziellen und Kritik im Allgemeinen eine gute Sache ist, dem gesamten Conne Island als Besserwisserei angelastet wird. So wie es sich wahrscheinlich nicht vermeiden ließ, daß auf die Argumente gegen den Deutsch-Pop-Titel, wüste Verdächtigungen, schließlich Beleidigungen folgten. Die Argumentationsmuster glichen dabei denen, die teilweise schon während der Ilse-Kontroverse und auch da typischerweise nur von Person zu Person, meist gar über Dritte, nie aber veröffentlicht, zu hören waren: Das Conne Island gönne dem Werk II kein Festival, sei neidisch auf den großen Event. Oder: Leute aus dem C.I. wollten das Werk II unterwandern, um es dann zu sabotieren und zur Aufgabe zu zwingen. Aus Angst vor den halluzinierten schwarzen Horden vom Club am Fluß versteckten sich gar manche, so das Gerücht, in dunklen Ecken, um ihre leibliche Unversehrtheit zu retten. So wahr wie heute das ptolemäische Weltsystem, zeitigen diese kruden Phantasien leider ihre Wirkung. Sie verhindern die Diskussion, den Abgleich der Argumente. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, als geschehe dies aus einem Schutzmechanismus heraus, weil manche der Kritisierten sich vor den vagen eigenen Ansprüchen, der kulturell und politisch diffusen Selbstverortung fürchten.
Oder ist der Osten Schuld? Widerspruch wenn, dann nur als Anweisung von oben oder als Verbesserungsvorschlag, sicher, das hat mal geprägt und nicht gerade die Diskussionskompetenz gefördert. Vielleicht rührt daher die seltsame „hopp oder topp“-Mentalität, die im Laufe der jüngsten Auseinandersetzungen ab und an aufschien.
Deshalb ist dies noch lange nicht gleich ein Loblied auf die westliche Demokratie oder ähnlichen verlogenen Quatsch. Nur ein klitzekleines Plädoyer für Kritikfähigkeit. Denn, solange es unterschiedliche Projekte in der Szene gibt, solange diese nicht alle nur alternative Job-Börse und kulturelle Selbstbeweihräucherungs-Anstalt sein wollen, wird es wieder Streit geben. Bekanntlich kann ein solcher, wird er nach den Regeln der Kunst ausgetragen, auch eingefahrene Beziehungen auflockern. In diesem Sinne: Druschba heißt Freundschaft.
ulle


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last modified: 28.3.2007