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„Ich habe nichts gegen Fremde. Einige meiner besten Freunde sind Fremde. Aber diese Fremden sind nicht von hier.“ (Troubadix, der gallische Barde aus Asterix und Obelix als Argument zur Verteidigung der gallischen Scholle gegenüber vermeintlichen Eindringlingen)

Das antisemitische, rassistische rechtskonservative Blatt Focus nannte einmal diejenigen, die ein gestörtes Verhältnis zu ihrer „eigenen“ Nationalität offenbarten, vom „Selbsthass“ Getriebene. Jene hassten sich laut Focus selbst dafür, ihre Identität nicht im Nationalen finden zu können. Nun, Ihr haltet es in den Händen, das Machwerk derjenigen mit dieser Art Psychomeise.

„Pop ist tolerant“, so steht es auf Überklebern, die aus Protest gegen die Kritik an dem Festival mit „neuen Beiträgen zur deutschen Popkultur“ vereinzelt auftauchten.
Diese Floskel ist eine gelungene Steilvorlage für uns, denn niemals im Leben war Pop tolerant. Vielmehr haben die tausendfachen Facetten der Popkultur nur deshalb ein ästhetisches wie politisches Eigenleben führen können, weil statt auf Toleranz auf gezielte Abgrenzung und Ablehnung mittels Symbolik und Ausdrucksformen gesetzt wurde.

„Die Fragwürdigkeit des Unterfangens verdeutlicht sich so von selbst“ – junge Welt vom 10.05.2000

Unterstellen wir einmal, dass die Veranstalterinnen und Veranstalter des Festivals genau die besagte Pop-Toleranz mit ihrem Unterfangen im Schilde führen, so offenbart sich hier etwas, das uns vergegenwärtigt, wo das Popverständnis, das Begreifen von Pop als Waffe zur Abgrenzung gegenüber bestehenden Identitäten, gelandet oder angekommen ist: Pop ist heute nicht mehr als das anbiedernde Code- und Zauberwort, um Zugang zum rotierenden kapitalistischen Musikmarkt bewilligt(!) zu bekommen. Genau das ist das Desaster und die Agonie von Pop! „Tolerant“ im obigen Sinne ist Pop dann, wenn er glatt und rundgeschliffen sich anbiedert, in dem er „tolerant“ zu allem und jedem zu sein hat! Das Abgrenzende des Pop ist also seiner Toleranz gewichen.
Der Pop ist nicht national und kann es auch niemals sein! Da Pop in sich die grenzenlose Pop-ularisierung birgt, die nur durch die jeweils eigene Grenzziehung (z.B. Verweigerung oder Ablehnung), nie aber durch die Unterwerfung unter bestehende Konstrukte, halt macht. In diesem Sinne ist Pop immer Ergebnis einer spezifisch-ästhetisch und -inhaltlich fundierten Eigendynamik, die dann ihren Anspruch auf Definition einbüßt, wenn die Defintionsmacht einer anderen Macht geopfert wird oder an sie abgetreten (hier: dem Deutsch-Sein). Dann nämlich ist Pop nicht mehr Pop, sondern beispielsweise integraler Bestandteil des nationalen Heimatschutzes. Man stelle sich mal vor, die medial konstruierte sogenannte Hamburger Schule duldete in ihren Reihen nur ausgemachte Hamburger – was für ein Unfug wäre das! Nun will den Veranstalterinnen und Veranstaltern niemand unterstellen, sie würden nur Künstlerinnen und Künstler mit deutschem Pass Auftrittsgenehmigungen erteilen. Aber fest steht, dass die Auswahlkriterien einzig und allein davon bestimmt waren, explizit deutschstämmiges Kulturgut anzukarrren. Was für ein ausgemachter Blödsinn das ist, läßt sich nicht oft genug wiederholen! Es ist eine erbärmliche Fehlleistung, die sich nur über die Vorstellung einer wahnhaften Abwehr von irgendwas Fremden begreifen läßt – nach dem Motto: gegen eine verschwörerische Übermacht läßt sich nur mit nationalem Ticket bestehen. Dieses „Ticketdenken“ (Adorno/Horkheimer in: Dialektik der Aufklärung) ist die offene Kampfansage gegen die tendenziell als dekadent verunglimpfte Massenkultur, gegen die man nationale Waffen zückt. Es ist schon fast eine Perversion, Pop als DEN Ausdruck für Massenkultur national zu ummanteln, um gegen eine universelle Massenkultur tatsächlich mit einer nationalen zu Felde zu ziehen. Pfui!
Pop ist ausserdem zum Multikulti-Pendant des weltenbummelnden Bildungsbürgers und dessen sterilisierter Feuilleton-Hochkultur verkommen, das die Selbst-Inszenierung (als Künstler) als Anbiederung an die Kulturindustrie und Festschreibung von ausgrenzerischen Identitäten statt ihrer Auflösung begreift. Bei aller Kritik ist genau dort auch die einzige Stärke des heutigen Pop-Charakters zu sehen: Als Sprachrohr und Vehikel von Minderheiten, die so ihre gesellschaftliche Stigmatisierung abschwächen und sogar individuell beenden können.
Doch was passiert in Leipzig? Wo steigt denn da das Festival mit neuen Beiträgen zur Frauen-Lesben-Popkultur? Oder das Festival mit neuen Beiträgen „schwarzer“ Popkultur? Oder das mit Popkultur von Migrantinnen und Migranten?
Nichts da. Stattdessen bietet man uns an, wir sollten uns unter dem nationalen Label des Deutsch-Seins ein Plätzchen sichern, dem nationalen Popgefühl frönen und damit das Gesellschaftsreformistische ganz weit hinten abbunkern.
Es ist nur folgerichtig, in der obigen Lesart von Pop den Topos „deutsch“ als quasi reaktionär zu bezeichnen, weil er mit der Anbiederung an den nationalen Mainstream des Deutsch-Seins seine letzten progressiven Züge verliert, die ihm zur Ehrenrettung verholfen haben und eigentlich noch immer verhelfen.
Eine Kritik daran, was denn nun überhaupt so „neu“ ist an dem Dargebotenen und Geplanten während des Festivals steht uns nicht zu, weil wir niemanden der Veranstalterinnen und Veranstalter auch nur ein Mü der Inbrunst der Überzeugung von einer guten Sache absprechen wollen. Sicherlich glauben sie fest daran, etwas „neues“ zu machen. Ihnen zu erklären, dass sie hier – gewollt oder ungewollt – alten Wein in nicht mal neuen Schläuchen zu verkaufen versuchen, ist ungerecht. Und man sollte sie in diesem Glauben auch nicht unnöttig erschüttern. Es ist Sache der Rezipientinnen und Rezipienten und in erster Linie der Künstlerinnen und Künstler, ob sie sich das Etikett „neu“ anheften lassen wollen oder nicht.
Das Problematische an dieser ganzen Chose ist jedoch, dass von den beiden charakterisierenden Adjektiven des Festivals – nämlich „neu“ und „deutsch“ – bei näherer Betrachtung einzig und allein das „deutsch“ unter dem mehr als fragwürdigen Kritierium der nachweislichen Zugehörigkeit zur „eigenen“ nationalen Scholle übrigbleibt.
Man muß nicht in den Bereich der Psychoanalyse abgleiten, um darauf zu kommen, dass hinter dem „deutsch“ im Festivaltitel der alte virulente

„Man muß nicht in den Bereich der Psychoanalyse abgleiten“ – LVZ vom 08.05.2000

nationalistische Anti-Anglo-Amerikanismus hervorlugt, der sich die bedrohliche Übermächtigkeit der Massenkultur aus eben jenen Breitengraden herbeihalluziniert. Was sich durch die Veranstalterinnen und Veranstalter als Lapsus darstellt, offenbart symptomatisch die durch Naivität und Unbedarftheit beförderte Neo-Nationalisierung des Markt-Segmentes und neuen Kassenschlagers namens Deutschpop-Kultur-Gut. Nicht umsonst präsentiert der Marktführer für die Rotationen neuer nationaler Popmusik, Viva 2, genau dieses Festival: Denn das nationale Kulturgut zählt endlich wieder was und ist deshalb auch ein gewinnträchtiger Markt der Zukunft. Dafür muss man nicht erst mit Heinz-Rudolf-Kunze heulen, der vor einigen Jahren den „Genozid an der deutschen Popmusik“ herbei-demagogisierte – sozusagen als Jude von heute. Die von Kunze und Co. damals geforderte 60/40-Quotierung ist inzwischen längst in allen Medien Realität. Doch das ficht die Veranstalterinnen und Veranstalter des Festivals mit „neuen Beiträgen zur deutschen Popkultur“ kaum an. Die Fragwürdigkeit des ganzen Unterfangens verdeutlicht sich so aber einmal mehr von selbst.
Wer von den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern hier beim Festival überlegt aber gerade deshalb ernsthaft, sich dem Vermarktungswahnsinn zu entziehen? Wer wird sich wohl gegen die Mogelpackung vom „deutschen Popkulturgut“ überhaupt behaupten wollen und nicht vereinnahmen lassen? Nun, traurigerweise wohl so gut wie niemand.
Diese Realität vor Augen, geht es nicht an uns vorbei, wie sich nicht nur die Sprache ökonomisiert, sondern eben auch das Bewußtsein nationalisiert. Die Veranstalterinnen und Veranstalter sprechen ganz offen vom „Standort Deutschland“. Damit unterwerfen sie sich nicht nur freiweillig dem „Terror der Ökonomie“ (Vievienne Forrester), sondern üben jenen auch gleichzeitig im Rahmen ihrer Möglichkeiten aus. Sie schaffen den Rahmen zur Anpreisung deutscher Pop-Marken-Produkte gegen die – und das darf ja dann dank Spiegel-Halbbildung als gezeichnete Schreckgestalt auch nicht in den Niederschriften ihrer Intentionen des Festivals fehlen – na, man ahnt es schon, die „Globalisierung“. Es ist schon bezeichnend, dass sich im Gegensatz zu allen Popmetropolen – insbesondere in England und den USA – in Deutschland popkulturell statt eines Links- ein Rechtsruck konstatieren lassen muss. Was wir hier beim Festival erleben, ist eine Art freiwilliger Unterwerfung. Nennen wir diese Form einfach mal Neue Deutsche Weichheit, die die eine Seite derselben Medaille ist, auf deren anderer die unsägliche Neue Deutsche Härte prangt und als deutscher Exportschlager namens Teutonen-Rock und -Pop die Welt erorbert. (Im Zweifelsfall fragen Sie einfach das Goethe-Institut ihrer Wahl irgendwo auf der Welt.) Genau das ist offensichtlich der Preis der nationalistischen Eindeutschung des Pop, den scheinbar so gut wie alle bereitwillig zahlen, um nicht aus der nationalen Vermarktungsmaschinerie gekickt zu werden.
Es hat dem Pop in hiesigen Breiten nicht gut getan, dass die schlauen Köpfe der Achtziger und teilweise noch von Anfang der 90er, die Hardcore-Pop-Apologeten von einst nach und nach dem Popdiskurs den Rücken gekehrt haben. Linke politische Praxis und postmoderne sowie poststrukturalistische Philosophien und Theorien sind somit innerhalb der Popszenerie zur endgültigen Verwurstung preisgegeben worden. Jahrelang galt Pop in der Linken als ein heiss umstrittenes Subversionsmodell, mit dem die Gesellschaft unterminiert oder gar aufgemischt werden könnte. Dieses Modell hat die restliche verbliebene Linke längst wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. Die einstige Monopolisierung des Pop durch die Linke als eine ihrer subversiven Waffen läßt den Pop ausgehöhlt und nichtssagend zurück. In diesem entstandenen Vakuum macht sich zusehends nationale Identität als vermeintlicher Rettungsanker breit. Die Veranstalterinnen und Veranstalter des Festivals und übergroße Teile der Rezipientinnen und Rezipienten gehören gar schon zu jenen, denen das Nationale in keinster Weise anstössig oder problematisch erscheint. Dieser Realität haben wir uns zu stellen. Und wir verteidigen dagegen einen universalistischen Popbegriff, der geschichtlich westlich geprägt ist, und nirgends einen Anspruch auf Nationalisierung hat. Weder in Deutschland noch sonstwo! Und das ist uns die Kritik dieses Festivals allemal wert.
Leipzig, den 05. Mai 2000
Die Betreibercrew des Kultur- und
Jugendzentrums Conne Island



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last modified: 28.3.2007