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Glanzstück der Verlogenheit

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Das „Magazin für Popkultur“ – die Spex – wurde aufgekauft. Kein Grund zur Panik.

„Die heutige Zusammengewürfeltheit von Szene ist eher Ausdruck von allem, was von der Consumerism-Welt ein bisschen marginalisiert wird. Das findet sich jetzt in denselben Randzonen wieder. Denen ist gemeinsam, dass sie randständig sind und sonst nichts. Und dieser Umstand ist begrifflich noch nicht aufgearbeitet.“
Oh je, oh je. Dieses Zitat stammt tatsächlich vom scheidenden Chefredakteur der Spex, dem seit geraumer Zeit selbsternannten „Magazin für Popkultur“. Richtig analysiert hat da der Dietmar Dath. Auch wenn er nicht begreift, dass diesen „Umstand“, den er da beklagt, keine ernstzunehmende Sau heutzutage noch „aufarbeiten“ will. Diese Art Messen wurden tatsächlich von Anfang bis Ende der 90er gesungen – allerdings ohne Dietmar Dath oder der Restredaktion, bestehend aus Uwe Viehmann, Anett Busch, Uh-Young Kim.
Es ist schon mehr als eine bodenlose Frechheit, wenn sich jemand trotz dieses besseren Wissens um die Realitäten nicht zu schade ist für den Vorsteher-Posten eines Blattes, dass so fatalerweise um die einzig richtige Antwort auf die Entwicklungen in Jugend- und Popularkultur der 90er gebracht wurde – dem sang- und klanglosen aber jähen Ende nämlich.
Es soll ja Leute geben, die sich ernsthaft darüber echauffieren, dass die Spex von den bisherigen Herausgebern mit Indie-Status in einen zeitgemässen Zustand der grossen Verlagseignerin – in diesem Falle an die Münchner Piranha Media AG – überführt wurde. Klar ist, dass die Spex mit diesem Schritt quasi den kulturindurstriellen Realitäten hinterherchelt. Mit folgender Einschränkung: diese Zeit braucht dieses Blatt nicht (mehr)!
Es waren andere Zeiten – und eben auch im Gegensatz zu heute die unseren –, als sich eine Redakteurs-Clique der ehemaligen Zeitschrift Sounds Anfang der 80er zur Spex-Gründung entschloss. „Musik zur Zeit“ prangte im Untertitel und stand für nicht weniger, als mit dem Blatt die Soundtracks zum Untergang des (unmittelbar bestehenden) Systems schriftlich und fanmässig zu begleiten – ohne nur Punkrock oder Hardcore zu sein. Fortan war das Lesen des Blattes nicht nur ein kleiner Schritt für einen Musikliebhaber, sondern in vielen Fällen der Beginn einer symbolischen Systemgegnerschaft, von der viele von damals heute zwar nichts mehr wissen wollen, aber dank der kompakten ethisch-moralischen Sozialisation ausreichend profitieren, um in Kulturindustrie und Business fett Karierre zu machen.
Es war die Zeit der popkulturellen Gegenmacht, die sich mit eigenen Strukturen, konsequent entstanden aus den Erfahrungen des Punkrock, automatisch in Opposition zum gesellschaftlichen Kulturestablishment setzen mußte. Es ging, wenn auch oft nicht selbstgewählt, sondern mangels gesellschaftlicher Akzeptanz, um Hedonismus gegen das System, um Dissidenz gegen das System, um Subversion des Systems.
Alles Dinge, die heutzutage längst erledigt sind. Und die Helden von einst sind zu Dinosauriern von heute mutiert. Insofern sie überlebt haben, gelten sie teilweise als anerkanntes offizielles Weltkulturerbe. Und so ist auch die Spex als „ein später Überlebender der 80er Jahre“ (M. Terkessidis) zu sehen.
Es gibt faktisch seit den 90ern keine ernstzunehmende Pop- oder Jugendkultur mehr, die sich auch nur annähernd – auf der symbolischen Ebene – ausdrücklich antikapitalistisch definiert. Techno, Hip Hop und Nirvana haben die gesamte Jugend und den Pop vorreiterhaft ohne grösseren Widerstand, der sonst jeder Jugend- oder Popkultur eigen war, in die Arme der kapitalistischen Totalvermarktung getrieben. Es gibt faktisch keine Wertetransparenz mehr, die nicht die individuelle Selbstverwirklichung mit dem kapitalistischen Diktum vom Fressen und Gefressen-Werden der Konkurrenzgesellschaft deckungsgleich gesetzt hat. Ebensowenig kommt Utopie als diffus-formulierter Gesellschaftsentwurf vor.
Spex-Titel von 1989, 27.8k

„Diktat des Kapitals als Selbstzweck auf dem Markt“ – Ausgabe vom Dezember 1989
Treffend schreibt Mark Terkessidis, einer der lezten politischen Autoren im Impressum der Spex, zum, wie er formuliert, „definitiven Ende“ des Blattes: „Popkultur ist heute eine der kostspieligen ‘affirmativen Kulturen’ des Neo-Bürgertums geworden. Dabei dient Kultur nicht mehr der aufklärerischen Befreiuung von Unmündigkeit, sondern der individuellen Unterscheidung.“
Diese Entwicklung hat auch vor einem Magazin wie Spex nicht halt gemacht. Schon seit Jahren kennzeichnet das Blatt politische Unbedarftheit, die insbesondere von der Schar junger Autoren eingeschleppt wurde, die es gemäss ihres Anspruches in den meisten Fällen gar nicht besser wissen können: wenn sie Kultur sagen, meinen sie Namedropping und keine Analyse – eine Notwendigkeit zu letzterem wird gar nicht gesehen, warum auch. Der scheidende Chefredakteur Dath selbst ist mit seinen Aussagen exemplarischer Beleg für ein gewöhnlich-kapitalistisches Selbtverständnis von Spex, das den Überlebenswillen um des Überlebens willen offenbart. Auf die Frage, warum der Verkauf des Blattes der Leserschaft quasi verschwiegen wurde, meint er: „Ich glaubte, dass die Leser das wichtigste Kapital eines solchen Projekts sind und eine appellative Vorgehensweise das Beste gewesen wäre. Aber die moralische und numerische Mehrheit in Redaktion und Verlag hat sich gegen solch taz-artige Aktionen („taz-artig“, so so – weiter reicht der Horizont bezeichnenderweise also nicht – R.) ausgesprochen, und im Nachhinein leuchtet mir das auch ein. Denn die Verunsicherung auf Seiten der Anzeigenpartner hätte so etwas ohnehin verunmöglicht.“ Was Dath hier sagt, gibt die Reinform der Korrumpierbarkeit preis, die Spex schon seit vielen Jahren zu einem publizistischen Glanzstück der Verlogenheit gemacht hat: Das Blatt unterliegt vollkommen dem Diktat des Kapitals und der Existenzkampf ist somit zum reinen Selbstzweck des Daseins auf dem Markt verkommen!
Der Chef der Piranha Media AG, Alex Lacher, kündigte vorsorglich schon mal an, wofür Spex in Zukunft zu stehen hat: „Mehr Musik, bessere Optik, weniger Blei“. Diese Aussage veranlaßte die taz zu der angstvollen Frage, ob das Blatt jetzt nur noch ein „Spex ultra light“ sein solle. Dabei sind doch angstvolle Fragen eher anders zu stellen: Tatsächlich? Noch mehr Musik, noch mehr bessere Optik, noch mehr weniger Blei? Nun, das scheint wirklich nicht Strafe genug. Schließlich geht nichts über die Symbolkraft des endgültigen Untergangs. Hätten die Spexer noch ein bißchen Verantwortung, sie würden der folgenden Aufforderung schleunigst nachkommen: Macht den Laden dicht! Endgültig! Für immer! Oder seichter mit den Worten Terkessidis’ formuliert: „Man sollte (das) Verschwinden (von Spex) als Symptom für gesellschaftliche Veränderungen lesen“ können dürfen.
Ralf


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last modified: 28.3.2007