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Aufruf:

Die Goerdeler-Ehrung
in Leipzig stören!

Einer für alle –
alle für einen!
Carl-Friedrich Goerdeler:
Antisemit, Nationalsozialist, Monarchist,Militarist

Am Mittwoch, den 8. September 1999 soll es soweit sein. Dem ehemaligen Bürgermeister Leipzigs und „Verschwörer des 20. Juli 1944“ soll ein Denkmal direkt vor dem Neuen Rathaus in Leipzig gesetzt werden. Dagegen richtet sich zwar marginaler aber vehementer linksradikaler Widerstand. Wir, Einzelpersonen aus verschiedenen linken und antifaschistischen Gruppen Leipzigs rufen trotz und gerade wegen der fast geschlossenen Befürwortung der Ehrung Goerdelers dazu auf, die Denkmalseinweihung entsprechend zu stören.
Mit dem Denkmal für Carl Friedrich Goerdeler wird von den Stadtoberen jetzt auch in Leipzig klar gemacht, welches Verständnis sich die neue „Berliner Republik” vom Nationalsozialismus zu machen hat. Die Art von Vergangenheitsbewältigung, für die das Denkmal des Antisemiten, Nationalsozialisten und Monarchisten Goerdeler steht, verkehrt so in praxi Theodor W. Adornos Diktum, daß alles Tun und Handeln darauf gerichtet sein müsse, „daß Auschwitz sich nicht wiederhole”, nichts ähnliches geschehe.
Auschwitz als Synonym für die Shoah wird zum Argument für den ersten deutschen Krieg seit der Zerschlagung des Nazireiches. Goerdelerdenkmal und Kriegsbegründungsformel stehen für ein zum nationalen Pflichtprogramm gewordenes Bekenntnis zur Scham von „Hitlers willing executioners” (Hitlers willigen Vollstreckern). Denn, so das neue Dogma, zu Schuldgefühl ist die Enkelgeneration der Täter der Shoah nicht mehr verpflichtet. Die Enkel sind so normal und demokratisch geläutert, daß Auschwitz nicht mehr geleugnet oder verschwiegen werden muß, sondern utilitaristisch und instrumentalisiert angewandt werden kann. Wenn der Entdecker serbischer „KZ’s”, Kriegsminister Rudolf Scharping, in Meinungumfragen zum zweitbeliebtesten Politiker der Bundesrepublik emporsteigen kann, ist dies nicht nur Kennzeichen dafür, daß womöglich die, die ihn dort sehen, noch dümmer sind, sondern auch dafür, daß die Mechanismen spezifisch deutscher Vergangenheitsbewältigung, Opfer sein zu wollen statt Täter, noch und immer wieder funktionieren. Schließlich sind andere genauso schlimm (noch schlimmer), wie wir es waren.

Der Antisemit Goerdeler und das Bewußtsein des deutschen Kollektivs

Das konstitutive Element des Nationalsozialismus war der Antisemitismus – fußend auf dem dualen Weltbild von der guten „schaffenden“ deutschen Wert-Arbeit contra der schlechten parasitären „raffenden“. Dieser Dualismus, der den Deutschen schon immer als Basis ihres Welterklärungsmodells – insbesondere des vom Kapitalismus – diente, brauchte die Personifizierung. Historisch kamen dafür nur Jüdinnen und Juden in Frage, weil sie, hervorgerufen durch die Diaspora, als dem völkischen Wesen von Blut und Boden am meisten „entfremdet“ galten. Spätestens mit der Biologisierung, dem ausschließlichem Denken in Rassekategorien, entbrannte in den Deutschen der Vernichtungswille, der implizierte, daß Deutschland nur leben könne, wenn die Jüdinnen und Juden sterben würden – sie vernichtet wären.
Carl Friedrich Goerdeler war einer der unzähligen willigen Vollstrecker dieser antisemitischen deutschen Volksweisheit, die geradewegs nach Auschwitz führte. Gleichzeitig steht er durch seine Zeit als Kommunalpolitiker in Leipzig für das Charakteristikum des Nationalsozialismus schlechthin: Das System funktionierte weniger von oben denn von unten!
Die Befugnisse, die z.B. der Kommunalpolitik im Nationalsozialismus oblagen, führen Totalitarismutheoretiker wie auch den Glauben deutscher Antifaschisten an ein unterdrücktes deutsches Volk ad absurdum: Seit Jahren wollen sie der Welt immer wieder Glauben machen, es hätte keine individuelle Entscheidungsfreiheit im Nationalsozialismus gegeben und die Schuldfähigkeit der deutschen Normalbevölkerung sei quasi unmöglich. Dafür wurde mit der Zeit ein Anti-Kollekivschuld-These-Reflex kultiviert, der hinter jeder Kritik an den normaldeutschen Systemträgern eine Kollektivschuldthese vermutet und darauf mit einer wahnwitzigen Abwehr reagiert. Auf Goerdeler bezogen heißt das für jeden guten Deutschen von heute: ‘Wer ihn als einen der Besten von uns angreift, greift uns alle an!’
Schizophrenerweise wird zur Entlastung eines Antisemiten wie Goerdeler das historische Wissen zugrunde gelegt, daß er, als Vertreter seiner Zeit, auch nicht weniger antisemitisch sein konnte, als es der Zeitgeist von damals gewesen sei. Wer genau hinhört, stellt fest, daß solche Erklärungsmuster Eingeständnis sind, wie bekannt doch ist, welche Rolle und Umfang der Antisemtismus in Deutschland gesellschaftlich einnahm bzw. besaß. Es ist eine Art sekundärer Affirmation der Täterinnen und Täter von damals. Denn, explizit und offiziell wird jeder gute Deutsche von heute, der aus Auschwitz „gelernt“ haben will, Goerdeler zugute halten, daß er ‘Antifaschist’ war.
Festzuhalten bleibt, daß Goerdeler mit dem Machtantritt Hitlers in Amt und Würde blieb – er somit weder einer Säuberung von oben noch einer Denunziation von unten zum Opfer fiel. Goerdeler war festes Glied im sogenannten deutschen Volkskörper. In der Zeit von 1933 bis 1935 unternahm Goerdeler Maßnahmen gegen „nichtarische“ Ärzte und Anwälte. Noch vor dem 5. September 1935, dem Datum, als die „Nürnberger Gesetze“ in Kraft traten, verfügte Goerdeler ein Besuchsverbot der Leipziger Hallen- und Freibäder für alle Jüdinnen und Juden. Ebenso wurde diesen in Leipzig der Besuch von kulturellen Veranstaltungen, Bibliotheken und Museen untersagt. Angesichts dieser ungeheuerlichen, von Goerdeler zu verantwortenden Maßnahmen, stellt der Leipziger Geschichtsforscher und Kabarettist Bernd Lutz Lange in dem Buch „Juden in Leipzig. Eine Dokumentation“ (Leipzig, 1989) ergänzend fest: „All dies geschah in Leipzig (...), bevor die Nazis an zentraler Stelle solche Maßnahmen für opportun hielten“. Von diesem Wahnsinn waren unter der Verantwortung von Goerdeler schätzungsweise 20 000 Menschen in Leipzig betroffen (vgl. Bernd-Lutz Lange, Jüdische Spuren in Leipzig, Leipzig, 1993).
Goerdeler war mehr als der normale deutsche Antisemit. Schon 1934 äußerte er sich in einer Denkschrift für eine „Konsolidierung der deutschen Rassepolitik“. Dort empfahl er, die Reinheit der „arischen Rasse“ „unter eiserner Disziplin und unter Vermeidung von Ausartungen und Kleinlichkeiten“ zu vollziehen. Konkreter wird er dann Ende 1940/Anfang 1941, zu einer Zeit, wo er angeblich schon zum Widerstandskämpfer konvertiert sein soll. In der unter dem Pseudonym Kaiser erschienenen Schrift namens „Ziel“ stellt Goerdeler fest, „daß es eine Binsenweisheit (sei), daß das jüdische Volk einer anderen Rasse angehört“. Deshalb sei „eine Neuordnung der Stellung der Juden“ unumgänglich. Daraus folgerte Goerdeler nur eine Perspektive: „Zur Ruhe wird die Welt aber doch nur kommen, wenn das jüdische Volk eine wirklich ausnützbare Möglichkeit erhält, einen eigenen Staat zu gründen und zu erhalten. Ein solches Gebiet läßt sich auf jeden Fall unter durchaus lebenswerten Umständen entweder in Teilen Kanadas oder Südamerikas finden“. Schließlich hätten „die Zionisten schon seit jeher einen eigenen jüdischen Staat verlangt und vorbereitet. Neben der Verfolgung dieses Ziels sollten Sofortmaßnahmen ergriffen werden, die aus außenpolitischen Gründen zur Entgiftung der öffentlichen Meinung notwendig, zur Wiederherstellung der deutschen Selbstachtung unerläßlich und aus klarem und uns vollkommen bewußtem Gerechtigkeitsgefühl geboten sind: Aufhebung der Beschränkungen für Juden, menschenwürdige Gestaltung der Ghettos in den besetzten Gebieten“. Das erkläre sich allein daraus, daß „die Frage der Rassenmischung (...) stets dem gesunden Sinn des deutschen Volkes überlassen bleiben“ müsse.
Es bedarf schon eines gehörigen Maßes typisch deutscher Loyalität, wenn einer wie Goerdeler bis zu seinem Abtritt vom Amt des Leipziger OBM Adolf Hitler als „aufgeklärten Diktator“ begreift. Seine allmonatlichen Zahlungen von 207 000,- Reichsmark an die Wachmannschaft des KZs Sachsenhausen vervollständigen da das Bild nur.
Diese Fakten jedoch ficht die heutige Chefin des Leipziger Kulturamtes, Susanne Kucharski-Huniat, nicht an. In ihrer Funktion als Verantwortliche für die Durchführung der Goerdeler-Ehrung wie auch für die Errichtung des Goerdeler-Denkmals erklärte sie am 20. Juli 1999 gegenüber dem Leipziger Studentenradio „Mephisto“, daß es sich bei den von Goerdeler gegen die Jüdinnen und Juden durchgeführten Reppressions- und Terrorverfügungen lediglich um „unpopuläre Maßnahmen“ gehandelt hätte. Eingedenk der Tatsache, daß Goerdeler mit seinen antisemitischen Verfügungen nicht etwa „nur“ vorauseilenden Gehorsam hinsichtlich der zu erwartenden Verabschiedung der Nürnberger Gesetze an den Tag legte, sondern vielmehr eigene antisemitische Kreativität walten ließ, ist die Äußerung von Frau Kucharsky-Huniat schon mächtig starker Tobak.
Die Philosophin Hannah Arendt schrieb 1963 an ihren Kollegen Karl Jaspers zur Situation im nationalsozialistischen Deutschland: „Was ich meine, ist, daß jeder, der politisch auftrat, auch wenn er dagegen war, auch wenn er im geheimen ein Attentat vorbereitete, in Wort und Tat von der Seuche angesteckt war. In diesem Sinne war die Demoralisation komplett“.
(Natürlich soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß es sich bei Antisemitismus und Nazismus nicht um eine „Seuche“ handelt. In diesem Sinne ist die Arendtsche Metaphorik etwas irreführend.)
An der Person Carl Friedrich Goerdeler läßt sich ohne Zweifel ein Geschichtsbild verfestigen, daß zur Doktrin der unheimlichen Berliner Republik gehören soll: Was in Auschwitz gipfelte, ist menschlich erklärbar und letztlich normal, zumal ja das „bessere Deutschland“ damals Widerstand geleistet hat. In diesem Sinne muß der Antisemitismus der Deutschen nicht nur kleingeredet, sondern ignoriert werden. Im Falle Goerdelers bietet sich das insbesondere an, war der doch 1936 angeblich “tief bestürzt” über den Abriß des Denkmals zu Ehren des jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy und somit tauglich als Kronzeuge dafür, wie anti-antisemitisch doch der „deutsche Widerstand“ gewesen sei.
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr – das meint: Was die Nachkriegsgeneration nicht begreift, kann die der Täterinnen und Täter von damals erst recht nicht begreifen. Diese urdeutsche Faustregel paßt hier wieder mal aufs Auge derjenigen, die der vor kurzem aus dem Amt geschiedene OBM Leipzigs, Hinrich Lehmann-Grube, anfang der 90er Jahre als „verwirrte Geister“ charakterisierte, weil sie sich nicht in die fest geschlossenen Reihen derjenigen einreihten, die Goerdeler zum verdienten Antifaschisten zurechtlogen.

Carl Friedrich Goerdeler - ein Antifaschist?

Goerdeler (1884-1945) war seit 1919 Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Er wurde 1930 Leipziger OBM und 1931 von Hindenburg zum Reichspreiskommisar ernannt. Er setzte sich seit 1932 für eine Regierungsbeteiligung der Nazis ein und riet Hindenburg 1933, Hitler mit diktatorischen Befugnissen auszustatten. Goerdeler stand also voll hinter der Machtübertragung und -übernahme an bzw. durch die Nationalsozialisten. In einem Gesetzentwurf von 1933 fordert er die Abschaffung der Tarifverträge, die er als „sinnlose Fesseln“ für die Volkswirtschaft bezeichnet. Der 8-Stunden-Tag ist für Goerdeler eine „Wahnsinnsvorstellung“, der der „natürlichen Wiederbelebung“ der Wirtschaft im Wege steht. Die Regelung der Arbeitsbedingungen soll durch den Betriebsleiter erfolgen. Goerdeler befürwortet voll und ganz die Errichtung der deutschen Arbeitsfront. 1934 wird er, diesmal von Hitler, erneut zu Reichspreiskommisar ernannt. Er sprach sich 1934 gegen den Nichtangriffspakt mit Polen aus, weil er befürchtete, die deutschen Ansprüche auf polnisches Gebiet aufgeben zu müssen. Nach der Wiederwahl als Leipziger OBM 1936 ließ er sich 1937 auf Grund von Differenzen zur NSDAP pensionieren und wurde Finanzberater bei Bosch. Vor 1939 verhandelte Goerdeler mit westlichen Vertretern, um einen Krieg mit Deutschland zu vermeiden. In einem Friedensplan von 1941 fordert er die Annerkennung der Vormachtstellung von Deutschland. In diesem Plan fordert er unter anderem die Wiederherstellung der Grenzen Deutschlands von 1914 gegenüber Polen, Frankreich und Belgien. Weiter sollten die Annexionen von Österreich, dem „Sudetenland“ und dem „Memeland“ vor dem 2.Weltkrieg anerkannt werden und die Kolonien Deutschlands zurückgegeben werden. Anfang 1941 verfaßt Goerdeler die Denkschrift „Das Ziel”. Dort kommt zum Ausdruck worin, die Differenzen zwischen Goerdeler und den herrschenden Nazis bestanden. Goerdeler warf der NSDAP vor, daß sie dem imperialen Großmachtstreben Deutschlands schadeten und er kritisierte die Methoden der Nazis nur dort, wo er meinte, daß sie die großdeutschen Interessen gefährdeten. Goerdeler formuliert im „Ziel“ unter anderen Folgendes:
• Der für die deutsche Wirtschaft in Frage kommende „Großwirtschaftsraum“ sei Europa. Dieser solle durch die „organische Zusammenfassung“ selbständiger Nationalstaaten gesichert werden. Dem deutschen Volk komme hierbei die führende Rolle im europäischem Block zu. Es sei ein „schwächlicher Verzicht“, die deutsche Leistungsfähigkeit nicht in aller Welt einzusetzen (Goerdeler und Beck sprechen hier von Eroberung, die nichts mit militärischer Eroberung zu tun hätte). Deutschland soll die kleinen europäischen Nationen neu mit „weisem Rat und weiser Hand (...) leiten“. Bei rechtzeitigem Abbruch des Krieges könne ein europäischer Staatenbund unter deutscher Führung in einigen Jahren erreicht werden.
• Mit der Sowjetunion sei keine Zusammenarbeit möglich. Die Leistungsfähigkeit des russischen Volkes sei nicht so entwickelt. Rußland solle allmählich und unter „ständige[r] Fühlung mit England, den USA, China und Japan“ in die europäische Zusammenfassung mit einbezogen, sprich in den Schoß des Kapitalismus zurückgeführt werden.
• Um das deutsche Volk nicht zu ,,demütigen“, fordern Goerdeler und Beck ein geschlossenes Kolonialgebiet in Afrika.
• Gefordert wird eine „Wirtschaftsgesinnung, die weiter nichts ist als ein Anerkenntnis harter Naturgesetze und daher auch keine Theorien verträgt“. „Streiks und Aussperrung bleiben verboten. An ihre Stelle tritt letztlich die ausgleichende Entscheidung des Staates“. Arbeiter und Angestellte sollen durch verantwortliche Mitarbeit an Wirtschaftsfragen von „vernunftwidrigen und phantastischen wirtschaftlichen und politischen Ideen und Anforderungen“ geheilt werden. Letztlich erteilen Goerdeler und Beck eine klare Absage an die ArbeiterInnenbewegung und die Gewerkschaften und erst recht an marxistische oder anarchistische Ideen und fordern eine bereitwillige Unterstützung eines ,darwinistischen’ Kapitalismus.
• Der Arbeitsdienst solle ebenfalls von einem General geführt werden und bestehen bleiben. Für Mädchen solle er aufgehoben werden. Sie hätten im Haushalt genug zu tun. Die NSDAP solle bestehen bleiben.

Als Goerdeler im März 1943 in einer Denkschrift die Notwendigkeit eines Putsches begründet, hält er an der Idee eines Großdeutschlands fest. Noch immer hält er die führende Position Deutschlands auf dem „Kontinent“ für notwendig und erreichbar. Das Problem sieht Goerdeler dabei weniger im Krieg selbst, sondern wie er geführt wird. Goerdeler bezeichnet etwa den „Raub” Südtirols durch Italien 1919 als „bevölkerungspolitische Infamie”, vor der die Deutschen sich nicht scheuen müßten, sie wieder gutzumachen. Goerdeler war weit davon entfernt, Antifaschist zu sein. Er hat die Nazis mit an die Macht gehievt und bis zum Ende gab es keine prinzipiellen Differenzen zum Nationalsozialismus. Sein Hauptvorwurf richtete sich gegen das seiner Meinung nach unvernünftige Vorgehen der Nazis, mit dem sie die großdeutsche Chance verspielen würden.

Nazi mit Fernrohr, 3.7k Goerdelers Vision:
Nazis mit Weitblick
Goerdelers Traum:
Faschismus mit menschlichem Antlitz
Nazis beim Essen, 5.4k

Die Männer des 20. Juli

Mythen umranken sie, jene Heroen, die es wagten, es zu unternehmen, den allmächtigen Hitler zu stürzen, gar ihn zu ermorden. Die Staufenberg, Witzleben, Treskow, Beck, Goerdeler z.B. sollen der Beleg eines Widerstandes gegen den Nationalsozialismus auch im Inneren Deutschlands sein. Ein Alibi gegen den Vorwurf einer vorgeblichen „Kollektivschuld” der Deutschen. Doch die Stilisierung der Männer des 20. Juli zum Widerstand per se hat noch weitere Sinnigkeiten. Ganz im Kontext antikommunistischer Geschichtsschreibung der BRD mußten sie wenigstens zu jenen Menschen dazugehören, die sich schon vor und auch während der Zeit des Nationalsozialismus dem Hitler und seinen Gefolgsleuten entgegengestellt hatten. Oftmals unter Bedrohung und Einsatz des eigenen Lebens hatten wenige Kommunisten, Sozialdemokraten, Jüdinnen und Juden sich auch im Machtbereich des Hitler der praktischen Umsetzung der menschenfeindlichen Weltanschauuung des Nationalsozialismus widersetzt. Auch aus eher bürgerlichen und religiösen Kreisen, erinnert sei hier an die „Weiße Rose” mit den Geschwistern Scholl, gab es Widerstand gegen die Nazis. Dieser aber weniger spektakulär und somit nicht zur allgemeinen Gewissensbereinigung geeignet. Flugblätter in der Münchener Uni taugen nunmal weniger fürs gute Gewissen als ein Tyrannenmord. Und selbst wenn dieser schon mal 1938 von einem einzelnen Menschen versucht wurde, gibt es heutzutage kaum Würdigung, weil der Attentäter womöglich Kommunist oder was anderes schlimmes war. Diesen werden die „Männer des 20. Juli” gleichgestellt. Aber Maßstab ist dabei nicht die Wirksamkeit des Widerstandes oder zumindest seine Zielstellung. Gerade bei letzterem käme man leicht auf eine nur geringfügige Unterscheidung zu den Zielen der Nazis. Ganz im Sinne moralisierender ApologetInnen der Totalitarismustheorie erfolgt eine indifferente Gleichsetzung von Menschen im Widerstand allein auf der Grundlage späterer Handlungsweisen. In der taz vom 20. Juli 1994 bemüht der Historiker Götz Aly einen solchen Vergleich:
Das gilt selbst noch für das Wirken mancher in der Nachkriegszeit: Fabian von Schlabrendorf, Verschwörer des 20. Juli, bescheinigte später dem Leipziger „Euthanasie“-Mörder Werner Catel mit geradezu identifikatorischer Hingabe „humane“ Motive; Rudolf Goguel Kommunist, Historiker und Komponist des Moorsoldatenliedes erlebte „den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn“ 1953, gelegentlich seiner Verpflichtung zum IM „Rudi“.
Was Aly hier nur andeutungsweise zu erkennen gibt, ist die Tatsache des unterschiedlichen Umganges mit dem Widerstand gegen Hitler in den beiden bis 1990 existierenden Staaten BRD und DDR. So hielt noch 1963 etwa jeder vierte Bundesbürger, die Verschwörer des 20. Juli und andere Widerstandskämpfer für schlichte Vaterlandsverräter. In der DDR bediente die ideologisierte Geschichtsdoktrin andere Ressentiments: Die Schlagwörter von der „Generalskaste“ oder der „reaktionär-antisowjetischen Beck-Goerdeler-Politik“ füllten dort die Erinnerung des stets umworbenen,
mittlerweile chronifizierten Mitläufers. Stalins Diktum von den Hitlers, die „kommen und gehen, das deutsche Volk aber” werde bleiben, vermittelte den „kleinen Leuten” jenes an Schamlosigkeit grenzende Bewußtsein der Freiheit von persönlicher und völkischer Schuld.
Der sogenannte Entspannungsprozeß zwischen den politisch-militärischen Blöcken NATO und Warschauer Pakt führte sowohl in der BRD als auch in der DDR zu einem pragmatischerem Umgang mit allem, was sich irgendwie als bessere Deutsche gegen Nazideutschland artikuliert hatte. Während im Osten Honecker den „bürgerlichen Antifaschismus” hervorheben konnte, gingen dem konservativen Weizsäcker sogar Formulierungen vom „Beitrag der Kommunisten” am Widerstand über die Lippen. Dies hatte aber unterschiedliche Motivationen. Im alten Westen hatten es die 68er zumindest geschafft, die Vergangenheitsbewältigung zumindest zum Diskursthema zu machen. Doch in der Konkretheit, z.B. bei der Wiedergutmachung durch Entschädigungszahlungen, hatten WiderständlerInnen noch immer hohe behördliche Hürden zu überwinden. Ehemalige Deserteure aus der Nazi-Wehrmacht konnten so erst 1999 verspätete Rehabilitation erfahren. Ihre durch Nazi-Gerichte erfolgte Verurteilung gilt nun nicht mehr als Vorstrafe.
Die SED dagegen vollzog im Rahmen der Anerkennung der DDR als völkerrechtliches Subjekt ab etwa der frühen 70er Jahre eine Politik der Subsumtion all dessen aus deutscher Geschichte, was irgendwie geeignet erschien, eine eigenständige „sozialistische Nation” zu definieren. Der Begriff vom Patrioten erlebte eine Renaissance in der DDR-Geschichtsdeutung. Und Staufenberg, aber auch utilitaristisch die anderen Verschwörer des 20. Juli, wurden zu solchen stilisiert. Zumal, und hier schließt sich ein ideologisch determinierter Kreis, es Verbindungen zwischen den Verschwörern und kommunistischem Widerstand gegeben hatte.
Zudem läßt sich mit nur kommunistischen oder nichtelitärem Widerstand im Geschichtsverständnis der kapitalistischen BRD im Ausland wenig Staat machen. Gerade in einer Zeit, da deutsche Soldaten erstmals wieder dort ihr mörderisches Handwerk erledigen, wo einst Hitlers Soldateska im bewußtem Führergehorsam (lt. Eidesformel der Nazi-Wehrmacht) gemeinsam mit kroatischen Ustascha-Faschisten und der albanischen SS-Division Skanderbeg gegen „die Serben” wütete und hundertausende umbrachte, macht es Sinn, die „Ausrottungskämpfe unter den Würdenträgern des Dritten Reiches” (Winston Churchill) zur Ehrenrettung preußisch-deutschen Militärs zu nutzen. Eine Vereidigung von Rekruten der neuen bundesdeutschen Wehrmacht im „Bendlerblock” am 20. Juli 1999 wird damit weniger Ehrung von Widerstand als Alibierung neuer deutscher Kriegslüsternheit. Wer wie Verteidigungsminister Scharping mit der „Entdeckung” serbischer „KZ’s” die Vernichtungslager der Nazis relativiert, muß konsequenterweise auch eine Motivation für den Einsatz seiner Soldaten erbringen.
Wie die Männer des 20. Juli zum Nationalsozialismus standen, läßt sich an ihrer zeitweilig ungehemmten Involvierung in seine Verbrechen ablesen. Deutlicher macht dies aber nachfolgender „Bericht”:
Sehr geehrter Parteigenosse BORMANN! Anliegend übersende ich Ihnen einen Sonderbericht über die Stellung der Verschwörer zum Nationalsozialismus und zur NSDAP. (...)
Eine große Zahl der Vernommenen erklärt, daß sie sich mit den Zielen der NSDAP im Jahre 1933 zum größten Teil einverstanden erklärt hätten. So sagt zum Beispiel Berthold Graf STAUFFENBERG: »Auf innerpolitischem Gebiet hatten wir die Grundideen des Nationalsozialismus zum größten Teil durchaus bejaht: Der Gedanke des Führertums, der selbstverantwortlichen und sachverständigen Führung, verbunden mit dem einer gesunden Rangordnung und dem der Volksgemeinschaft, der Grundsatz >Gemeinnutz geht vor Eigennutz< und der Kampf gegen die Korruption, die Betonung des Bäuerlichen und der Kampf gegen den Geist der Großstädte, der Rassegedanke und der Wille zu einer neuen, deutsch bestimmten Rechtsordnung erschien uns gesund und zukunftsträchtig.«
Ähnlich heißt es in der Vernehmung von POPITZ: »Ich bejahe in jeder Weise den nationalsozialistischen Staat und sehe in ihm die geschichtliche Notwendigkeit gegenüber dem Internationalismus und der Verjudung der Systemzeit und gegenüber den unerträglichen Krisen der parlamentarischen Parteien, das deutsche Volk in seinen gesamten nationalen Grenzen zu einen und es so zu regieren, wie es nach seiner geographischen Lage allein regiert werden kann....«(...)
Nikolaus Graf ÜXKÜLL: »Ich war nach der Machtergreifung ein ausgesprochener Anhänger des Führers und war auch der Überzeugung, daß er uns zu großen Zielen führen werde. Ich sah daher hinweg über manche Begleiterscheinungen, die ich im Dritten Reich feststellen mußte und die meiner Überzeugung nicht entsprachen. Ich sagte mir, wo Holz gefällt wird, fliegen Späne.«(...)
Die gleichen Personen behaupten vielfach, daß sie bei grundsätzlicher Zustimmung zu den Hauptzielen der NSDAP allmählich durch die praktische Durchführung in ihrer zustimmenden Haltung schwankend geworden seien. So sagt Graf HELLDORF: »Das, was sich mir heute aber als Verwirklichung des Nationalsozialismus darstellt, kann ich nicht mehr gutheißen.«(...)
GOERDELER: »Mit manchen meiner alten Mitarbeiter sah ich allmählich dunkle Flecken in einer in sich geschlossenen Weltanschauung sich entwickeln.«
GUTTENBERG: »Dem Nationalsozialismus stehe ich als Idee und Programm ohne Ablehnung gegenüber, glaube aber, daß innerhalb der Partei Strömungen und Gedankengänge vertreten werden, die es mir bis jetzt nicht möglich gemacht haben, aus voller Überzeugung der Partei beizutreten. « (...)
Bei dieser Einstellung einzelner Beteiligter ist es immer wieder auffällig, daß gewisse Grundgedanken des Nationalsozialismus von den Verschwörern ohne weiteres übernommen werden. Des öfteren wird ausdrücklich erklärt, daß es in der Entwicklung ein Zurück nicht gibt, so daß selbst die Verschwörer, die vom Gedankenkreis der Reaktion ausgehen, über die innere Notwendigkeit und Lebenskraft der nationalsozialistischen Idee nicht weiterkommen. Aus der Bejahung des Programms und der Kritik an der Durchführung des Programms ergibt sich zuweilen eine Auffassung, als müsse der wirkliche Nationalsozialismus durch die Verschwörer verteidigt werden. (...)
BECK war der Auffassung, daß die Vitalität des nationalsozialistischen Staates dazu treibe, Fragen vorzeitig und überstürzt in Angriff zu nehmen. Die gesamten innerpolitischen Maßnahmen, insbesondere in der Juden- und Kirchenfrage, seien zu jäh und übereilt durchgeführt worden.(...)
Diese Auffassung wird immer wieder deutlich in der Einstellung zur Rassenfrage. ÜXKÜLL bemerkt hierzu über die Pläne der Verschwörer: »Am Rassegedanken sollte festgehalten werden, soweit dies möglich war.«
An der Umsetzung des Rassegedankens, wie sie in der Vorkriegszeit geschah, wurde viel Kritik geübt. Man war der Meinung, daß die Enteignung der Juden in einer für Deutschland »würdigeren« Form hätte vorgenommen werden können. POPITZ sagt darüber: »In der Judenfrage war ich als recht eingehender Kenner der Zustände in der Systemzeit durchaus der Auffassung, daß die Juden aus dem Staats- und Wirtschaftsleben verschwinden müßten. In der Methode habe ich mehrfach ein etwas allmählicheres Vorgehen empfohlen, insbesondere aus Rücksichten der äußeren Politik.« ...
Graf LEHNDORFF erklärt, »er sei zwar Judengegner, habe aber trotzdem die nationalsozialistische Auffassung von der Rasse nie ganz gebilligt, insbesondere aber nicht ihre praktische Durchführung«.
Alexander Graf STAUFFENBERG äußert, »er sei der Meinung, daß die Judenfrage in weniger krasser Form hätte durchgeführt werden sollen, weil dadurch weniger Unruhe in die Bevölkerung hineingetragen worden wäre«. Ähnlich bemerkt Berthold Graf STAUFFENBERG: »Er und sein Bruder hätten die Rassengrundsätze des Nationalsozialismus an sich bejaht, hätten sie aber für überspitzt und übersteigert gehalten.«1
Ab 1990 erhielt die Wertung von Widerstand gegen die Nazis eine neue, großdeutsche Qualität. In die bisherige, schon antikommunistisch determinierte Geschichtsschreibung der BRD hielt die „Totalitarismustheorie” Einzug. Nicht nur war sie hervorragend geeignet, den Bezug der DDR auf einen begrenzten, weil nur historischen Antifaschismus zu diskreditieren und damit natürlich auch alle kommunistischen WiderständlerInnen, sondern es bot sich zudem die Möglichkeit, die Individuen aus ihrer Sozialität zu lösen, die Tat und nicht mehr ihre Motivation zu betrachten. Götz Aly sagt das im o.a. Artikel wie folgt: „Doch so verschieden die Rolle einzelner Widerständler, so vielfältig ihre Motive zum Widerstand gegen Volk und Führer gewesen sein mochten, der gewaltsame Tod hatte die Hingerichteten gleich gemacht gleich auch in ihrer Distanz zu den überlebenden Mehrheitsdeutschen.”
Völkischer Beobachter, 10.3k
Goerdelers Alptraum: Krieg ohne Endsieg

Wir tanzen aus der Reihe!

Goerdeler soll der Mehrzahl der Deutschen als willkommene Figur dienen, sich aus der Geschichte des Nationalsozialismus und der Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden zu stehlen. Und zwar soweit, wie es einer normalisierten Geschichte dienlich ist. Mit dem Goerdeler-Denkmal soll öffentlich klar gemacht werden, welches Verständnis vom Nationalsozialismus sich das wiedervereinigte Deutschland zugrunde legt. Die Lehre, die hier aus dem Nationalsozialismus gezogen wurde, heißt: Nie wieder einen Krieg verlieren. Dies ist auch die Botschaft, auf die es die Berliner Republik ankommt: Die Nation als Höchstwert – jenseits aller Wandlungen in der Art des Regierens.
Die Denkmalsetzung für Goerdeler ist Bestandteil einer von so gut wie allen Deutschen getragenen Geschichtsoffensive, die 1985 begann und mit der Wiedervereinigung enormen Auftrieb erhielt: Die deutschen Verbrechen sollen auf ein greifbares Maß reduziert werden und so ihren einmaligen Charakter verlieren, so daß das Vermächtnis – wegen Auschwitz – trivial und jederzeit erfüllbar scheint – insbesondere via außenpolitischer Großmachtpolitik und der Fortsetzung mittels militärischer Intervention.
Außerdem soll der, wenn auch äußerst marginale aber dennoch vehemente, Widerstand insbesondere der deutschen Kommunistinnen und Kommunisten dadurch geleugnet werden, daß mit den „Männern des 20. Juli“ eine Monopolisierung des „deutschen Widerstandes“ einhergeht. (In Leipzig beispielweise dadurch symbolisiert, daß das ehemalige Georgi Dimitroff-Museum wieder in Reichsgericht umbenannt wurde.)
Bei diesem Unterfangen aus der Reihe zu tanzen und dagegen Widerstand zu leisten, sehen wir als Linke, Antifaschistinnen und Antifaschisten als unsere Pflicht gegenüber den Opfern der Deutschen. Auch wenn wir in diesem Land wenige sind, müssen wir uns der Geschichtsrevision entgegenstellen, müssen wir benennen, wes Geistes Kind ein Carl Friedrich Goerdeler war. Die entscheidende Fragestellung bei der Bewertung von Goerdeler lautet für uns deshalb: WARUM hat Goerdeler selbst einen Märtyrertod bei seinen Aktivitäten mit einkalkuliert?! Goerdelers Motivation war nicht etwa eine grundlegende Kritik am Nationalsozialismus, sondern lediglich der Versuch der Abwendung einer militärischen Niederlage von Deutschland.
Als radikale Linke rufen wir alle auf, sich an den Protesten gegen die Denkmaleinweihung für Goerdeler zu beteiligen.
Stören!, 1.1k goerdeler, 3.2k

Die Männer des 20. Juli
vom Sockel stoßen!

Den Mythosvom
„deutschen Widerstand”
angreifen!

Die Goerdeler-Ehrung
am 8. September
in Leipzig stören!


Fußnote

(1) aus dem Bericht des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, Ernst Kaltenbrunner, an den Leiter der Parteikanzlei, Martin Bormann, vom 16. Oktober 1944; abgedruckt in: »Opposition gegen Hitler und der Staatsstreich vom 20. Juli 1944. Geheime Dokumente aus dem ehemaligen Reichssicherheitshauptamt«, hrsg. v. Hans-Adolf Jacobsen, Bd.I, Stuttgart 1989, S. 447ff., Konkret 07/94, S. 15


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last modified: 28.3.2007