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Nicht wie, sondern warum.

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Wozu ein linkes Geschichtsbild? Einige Thesen im Zusammenhang mit der Ehrung der „Männer des 20. Juli“
Von Ralf

Es gibt kein Geschichtsbild, das nicht unmittelbar den Interessen derer dient, die dieses Bild jeweils haben entstehen lassen b.z.w. für seine jeweilige Entstehung sorgten. Insofern ist auch das demokratisch durchgesetzte Geschichstbild über die „Männer des 20. Juli“, die Hitler 1944 für Deutschland in preußischer Pflichterfüllung opfern wollten, in der Bundesrepublik alleiniger Ausdruck von Herrschaft über die Vergangenheit, um die Zukunft entsprechend bestimmen zu können. Eine radikale Linke täte – in ihrem Sinne – nichts anderes, wenn sie in die Verlegenheit käme, Defintionsmacht über die Geschichte zu besitzen. Über den zu erwartenden Inhalt ist damit noch gar nichts gesagt. Schon eher, wenn das vorabstehende Fragepronomen genügend Verweis auf die Zielstellung der Frage offenbart. Ein Wie also bestimmt wesentlich anderes als eine Frage nach dem Warum des Handelns der „Männer des 20. Juli“. Wer nach dem Wie der Tat fragt, öffnet der Vereinnahmung durch die, die nach der Definitionsmacht lüstern, Tür und Tor. Selbst das dadurch unterschwellig implizierte Streben nach Wertneutralität der Fragestellung bleibt nichts weiter als bloßes Wunschdenken.
In diesem oben beschriebenen Sinne plädiert der Autor für das Entstehen eines Geschichtsbildes, das auf der Basis fußt, die Frage nach dem Warum jeweiligen Handelns an die erste Stelle zu rücken, um so von vornherein die Herstellung eines Zusammenhanges mit dem jeweiligen Wertesystem der Fragenden zu ermöglichen.
Wer da jetzt einwenden möge, dieses Plädoyer knüpfe an die unsägliche monopolisierende Geschichtsschreibung insbesondere der SED an, dem sei erwidert, daß der Autor als Grundlage für das individuelle Geschichtsbild eines Subjektes folgendes voraussetzt: Nicht etwa erst ein Geschichtsbild führt in der Gegenwart zu einer bewußten Sozialisation in einem betimmten, bewußt wahrgenommenen Zusammenhang, sondern umgedreht: erst die Sozialisation in der Gegenwart mit ihren real wahrgenommenen Werten als vorrangiges Bezugssystem ermöglicht die Bewußtwerdung eines historischen Kontextes, in dem man stehen möchte, sollte oder könnte.
Fragen wir uns nach diesen einführenden Worten einmal, warum es ein linkes Gechichtsverständnis geben sollte. Links-Sein bedeutet, grundlegend an der perspektivischen Emanzipationsfähigkeit des Individuums oder -abstrakter - an der des Subjektes festzuhalten. Wer diese Grundfeste aufgibt, kann eigentlich kaum mehr behaupten, links zu sein. Vielmehr ist diese Person oder Personengruppe irgendwas, was der Kapitalismus möglich gemacht hat oder zuläßt – sei es nun Nischen- oder Mainstreamdenken.(1) Wichtig ist aber bei dieser Grundlage etwas anderes: Wer an der Emanzipationsfähigkeit des Individuums oder des Subjektes festhält, muß auch gleichzeitig dazu bereit sein, die Schuldfähigkeit der genannten in Kauf nehmen zu können. Denn beides läßt der Kapitalismus zu - trotz des herrschenden Warenfetischismus, der Tatsache, das alles und jedes zur Ware gemacht wird, sei es nun Produkt oder Mensch oder sonstwas.
Eine deutsche Linke kann ihr kompaktes Geschichtsbild insbesondere nur über ein bestimmtes Verständnis vom Nationalsozialismus entwickeln - alles andere, was den NS ausblendet oder nicht genügend würdigt, ist, kurz gesagt, Quark.
Wenn ein linkes Geschichtsbild über die „Männer des 20. Juli“ entstehen soll, dann setzt das voraus zu begreifen, was der Nationalsozialismus als singuläre, spezifisch deutsche Erscheinung war: eine Gesellschaftsformation, deren weltanschaulicher Kitt der Antisemitismus darstellte und die, darauf basierend, ein geschlossenes Gemeinschaftsmodell individueller Schuldfähigkeit der freiweilligen Gleichschaltung hervorbrachte, das tatsächlich antikapitalistische Züge im Sinne eines geschlossenenen antisemitischen Weltbildes in sich trug.
Dieses o.g. linke Verständnis vom NS und seinem historischen Entstehen bedeutet gleichzeitig ein Abrücken von der Position, es machte Sinn, explizit für ein „besseres“ oder „anderes“ Deutschland zu kämpfen, wie es beispielsweise jahrzehntelange KPD-Politik war, und die durch ihre nationale Politik bewiesen hat, daß ein Kampf für Deutschland nicht lohnt.
Um überhaupt gegen die nationale Mythisierung, Instrumentalisierung und Bejahung der Motive der damaligen „Männer des 20. Juli“ in der Gegenwart von links entprechend argumentieren und reagieren zu können, ist ein antinationales Grundverständnis unumgänglich. Dieses bietet die Voraussetzung dafür, die Nation als höchstes bürgerliches Gut nicht als Realität zu akzeptieren, sondern als Konstruktion von Herrschaftsgeschichte, und damit entgegen der bürgerlichen Sichtweise nicht als naturgegeben, zu begreifen. Praktischerseits lautet demzufolge die Message: es lohnt sich nicht die Bohne, für Nationen überhaupt nur einen Finger krumm zu machen.
Trotzdem darf dieses Grundverständnis nicht dazu führen, die Zivilgesellschaft als Mittel und Ergebnis der Aufklärung, basierend auf den Werten der bürgerlichen Revolution von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit gegenüber dem Völkischen nicht zu verteidigen! Und so stellt sich die Gegnerschaft gegen die Ehrung der „Männer des 20. Juli“, die explizit als Verteter des Deutsch-Völkischen gelten, gleichzeitig auch als Kampf gegen die Verharmlosung des Völkischen dar, das den Antisemitismus immer als einen der entscheidenenden Werte mitliefert.
Eine Linke muß die Errungenschaften der Menscheit, die die bügerliche Revolution ohne Zweifel darstellt, gegen die Blut- und Bodenideologie verteidigen. Sie darf aber dabei keineswegs aus dem Blick verlieren, daß auf dem Boden des bürgerlichen Humanismus der Kapitalismus und Imperialismus gedeiht.
Aus einer radikal-linken politischen Praxis in der Öffenlichkeit ergibt sich in vielen Fällen eine unangenehme, selten beabsichtigte Wirkung: das Intervenieren auf politischem Teilgebiet und im gesellschaflichen Raum liefert blöderweise auch immer ungewollt die Forderung nach einem besseren Deutschland mit. Daß es darum den Intervenierenden nicht gehen sollte, muß während einer Aktion gegen dieses und jenes oft genug betont werden. Die Ganzheitlichkeit der Kritik darf dabei keinesewegs hintanstehen. Doch konkret am Beispiel: Das Intervernieren gegen die Ehrung von Carl-Friedrich Goerdeler in Leipzig, wo einem der federführenden „Männer des 20. Juli“ wegen seiner Bürgermeistertätigkeit und seiner späteren Aktivitäten zur Rettung von Großdeutschland gedacht wird, liefert durch die radikal-linke Intervention ungewollt die Forderung mit, deutsches Gedenken solle solchen Leuten wie Goerdeler nicht anheimfallen, dann klappte es auch mit einer vernünftigen Geschichtsverantwortung. Wie gesagt, indirekt wird hier in diesem Fall für ein gutes, besseres Deutschland plädiert, obwohl dies absolut nicht im Sinne der linken Gegner der Ehrung ist. Um trotz dieser Konstellation dafür eine Legitimation aus linksradikaler Sicht anzuführen, sei an dieser Stelle auf die weiter oben ausgeführten Notwendigkeiten verwiesen, sich gegen die Blut- und Bodenideologie, ihre Repräsentanten oder deren Rehabilitierung zu stellen. Schlußendlich läßt sich an dem hier angeführten Beispiel zeigen, daß es sich tatsächlich um das weiter oben beschriebene Plädoyer zur Verteidigung des bürgerlichen Humanismus vor dem Völkischen handelt.
Kommen wir nun auf die moralische Ebene zu sprechen, wenn es um die Verteidigung eines linken Geschichtsbildes geht oder um die Intervention gegen ein bestimmtes Geschichtsbild. Eine Linke sollte selbstredend - bei aller Kritik - den kommunistischen Widerstand während der NS-Zeit gegen den angeblichen Widerstand der „Männer des 20. Juli“ verteidigen. Gerade die moralische Legitimation des kommunistischen Widerstandes, dessen Motiv das Begreifen eines Zusammenhanges zwischen kapitalistischer Warenproduktion und dem NS war, müßte von einer Linken verteidigt werden, weil daran – trotz des immanenten teilweisen antikapitalistischen Charakters des NS – das Problem mit dem Kapitalismus deutlich wird. Denn schließlich, und das darf eine Linke nie vergessen, liefert der Kapitalismus das „faschistische Ticket“ (Adorno) zwar nicht frei Haus, aber er hält es stets präsent.
Wenn eine Linke sich also aus der Verteidigung des kommunistischen Widerstandes verabschiedet, verabschiedet sie sich auch von der Verteidigung fundamentalen Widerstandes gegen ein System, das ohne Kapitalismus nicht entstanden wäre.
Wozu das Instrumentarium Geschichte taugt, offenbart ein anderes Beispiel: Insbesondere die antinationale Linke der Gegenwart steht vor einem Problem. Ihr jahrelanges Diktum, symbolhaft in dem Spruch „Deutschland denken, heißt Auschwitz denken“ (nach Günter Grass) zum Ausdruck gebracht, sieht sich damit konfrontiert, daß dieses Diktum in einem instrumentellen Sinne zur amtlichen deutschen Regierungspolitik geworden ist. Mit dieser Begründung plädierte beispielsweise die deutsche Regierung für den Überfall auf Jugoslawien. Ausschließlich die deutsche Armee stünde in der Verantwortung von Auschwitz und müßte deshalb wieder überall auf der Welt morden und bomben. Während eines öffentlichen Gelöbnisses von Bundeswehrrekruten in Berlin formulierte Bundeskanzler Schröder höchstselbst, was die Deutschen und ihre Armee zu den wieder Besten der Welt macht: Auschwitz nämlich. Schröder betonte, daß keine Armee der Welt, außer die deutsche, ob ihrer Vergangenheit so eindeutig nachgewiesen hätte, wie demokratisch sie sei.
Eine Linke muß sich diesem neuen alten deutschen Imperialismus wegen Auschwitz in den Weg stellen. Selbstgewählte (!) Pflicht sollte es sein, im Sinne der tatsächlichen Opfer des NS keine Geschichtsklitterung zuzulassen, die in jedem Fall einzig und allein für Deutschland die langersehnte Normalisierung bringen soll und auf der dann noch weitergehend wieder in aller Ruhe eine deutsche Sonderrolle – diesmal wegen Auschwitz – aufgebaut werden kann. Es gilt zu verhindern, daß Deutschland im Angesicht von Auschwitz sich eine besonders weiße Weste anlegt und mit dieser weltweit schalten, walten und wüten kann, wie es in den Kram paßt. Beispielsweise verbindet sich dies auch mit der erwähnten Intervention gegen die Ehrung von Goerdeler in Leipzig. Es gilt, alles zu tun, damit Deutschland nicht noch gestärkter aus seiner Vergangenheit und Rechtsnachfolgeschaft des NS hervorgeht, als es ohnehin schon der Fall ist. Das sollte die derzeit angesagte linke Minmalforderung sein.

(1) Damit ist auch gesagt, daß der Mensch innerhalb des Kapitalismus grundsätzlich zur kritischen Reflexion fähig ist. Der Autor meint, daß gegen die Verblödung im Kapitalismus – der Unfähigkeit des Subjektes oder des Individuums, zwischen Wesen und Escheinung überhaupt unterscheiden zu können – nur Ideologie hilft. Linke Ideologie aber muß sich, viel viel mehr noch als früher, insbesondere in der postmodernen Gesellschaft, der möglichen und unmöglichen Fusion von allen und allem in eine kunterbunte Angebotspalette aus Esoterik, Religion und sonstigem Scheiß einreihen, die durch ihre angebliche Vielfalt als das absolute Maß individueller Freiheit verstanden wird. That’s the Hauptproblem inna Postmoderne übrigens.

  • Aufruf: Die Goerdeler-Ehrung in Leipzig stören, in diesem Heft

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last modified: 28.3.2007