home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[40][<<][>>]

Am sechsten Dezember vergangenen Jahres fand in Magdeburg eine von der PDS-Bundestagsgruppe ausgerichtete Jugendwerkstatt unter dem Titel „Kinder und Jugendliche in Deutschland - Plädoyer für ein widerständiges Bewußtsein“ statt.
Eingeladen wurde auch ein Vertreter des Conne Island als Referent. Sein Referat zum vorgegeben Thema „Love Parade und Street fighting – Jugendsubkultur und Politik“, das wir hier dokumentieren, entsprach dann nicht ganz den Vorstellungen der meisten anwesenden PDS-Genossen – aber das darf ja auch nicht anders sein, nicht wahr.
, 0.0k

Drum & Bass by DJ Karl Marx.

Schon immer waren Jugendrevolten und -rebellionen Ausdruck ausschließlich symbolischen Aufbegehrens. Läßt sich darüberhinaus überhaupt von „der“ Jugend sprechen? Und wieso darf Angela Marquardt als langjährige stellvertetende PDS-Bundesvorsitzende überhaupt bunte Haaare tragen?
Pop-Kultur hat links soviele Feinde wie rechts. Gegen beide muß der Hedonismus verteidigt werden.

, 0.0k
Um gleich von Anbeginn klarzustellen, wie sehr mir der Untertitel dieser Veranstaltung – „Kinder- und Jugendliche in Deutschland“ – stinkt, ein Zitat des Pop-Apologeten Diedrich Diederichsen, der anläßlich der Pogrome von Hoyerswerda, Schönau und Lichtenhagen den Anspruch auf eine per se linke Jugendkultur endgültig verabschiedete: „Wer vom Gangsta-Life träumt – aus guten Gründen oft – steht einem eben immer näher als einer, der sich irgendwas in ‘Deutschland’ vorstellen kann.“
Diejenigen, die das jetzt nicht sofort nachvollziehen konnten, und denen eher das nationale Kulturerbe der Deutschen DR auf Grund zonaler Sozialisation erinnerlich ist, bitte ich, sich Bert Brechts zu erinnern, der einstmals wußte, warum der Banküberfall allemal mehr Wert ist als die Gründung einer Bank – oder der Hungerstreik für ein Parteivermögen.
Wenn in dem Ankündigungsschreiben für diese Veranstaltung davon die Rede ist, daß „die Auswirkungen einer Politik des sozialen Abbaus (und) der knappen Kassen (...) zuerst und am folgenschwersten Kinder und Jugendliche treffen“, so ist das erstmal schlichtweg falsch. Denn an erster Stelle trifft diese Gesellschaft aufs Übelste all diejenigen, die nicht im Besitz des deutschen Passes sind, weil das deutsche biologistische Staatsbürger-Blutsrecht für diese Menschen keinen Platz vorsieht. Diese deutsche Besonderheit gilt es, erst einmal festzuhalten.
Es widerstrebt mir außerdem, hier ein Plädoyer dafür zu halten, der Jugend, wie es im Ankündigungsschreiben heißt, irgendetwas „einzuräumen“. Vielmehr gilt es, der Frage nachzugehen, inwieweit es überhaupt möglich ist, von „der“ Jugend als politisches Subjekt zu sprechen.
Vergegenwärtigt man sich die Entwicklung von westlichen Jugendrevolten bzw. -rebellionen nach dem zweiten Weltkrieg, und um andere kann es meineserachtens für das Verständnis von „Jugendsubkultur und Politik“ nicht gehen, so fällt auf, daß der traditionelle Generationskonflikt mit der jeweiligen Elterngeneration durchweg seinen Schwerpunkt auf dem Feld der Jugendkultur hatte. Charakteristisch für die Jugend einer Zeit wurden deshalb auch diejenigen, die überhaupt in irgendeiner Form rebellierten, obwohl sie in allen Fällen für die Gesamtheit der Jugend statistisch betrachtet gar nicht so repräsentativ waren, sondern vielmehr schon immer in der Minderheit. Verbindendes Element war dabei direkt oder indirekt der Bezug auf anglo-amerikanische Einflüsse. Diese ausleben zu können, war für die jeweilige Jugendgeneration Antrieb und Ziel zugleich. Wenn also die Gesellschaft als solche in Frage gestellt wurde, so enthob sich die Revolte oder der Protest niemals eines politischen Symbolismus.
Bis ende der sechziger, anfang der siebziger Jahre hielt sich der Begriff von der Jugendkultur hartnäckig. Er war Ausdruck dafür, daß sich der rebellische Teil der Jugend auf eine bestimmte kulturell codierte Form des symbolischen Protestes bezog. Ob nun die Jazz-Jugend der direkten Nachkriegsära, die Rock’n’Roll-Jugend der Fünfziger oder die Beat-Generation und Hippies der Sechziger, immer ging es doch sehr homogen zu, verstand man sich als große Bewegung, die trotzdem Unterspielarten zuließ.
Diese genannten Jugendkulturbewegungen ließen sich ohne größere Mühe von der kapitalistischen Kulturindustrie einbinden und profitabel vermarkten. Das änderte sich erst mit dem Aufkommen der Punk-Revolte um 1977 von England aus. Im Ergebnis einer radikaleren Revolte gegen das gesellschaftliche Establishment, verkörpert durch die Eltern und die Musikindustrie als symbolische Adressaten des Protestes, entwickelte sich die Begrifflichkeit von Underground und Mainstream. Mit ihr verband sich gleichzeitig der Wille, eine eigene, fern der Industrieabhängigkeit funktionierende Infrastruktur aufzubauen, was ende der Siebziger/anfang der Achtziger zu einem eigenen Network aus unabhängigen Plattenfirmen, Spielorten, Proberäumen, Magazinen und Kneipen als sozialen Orten führte.
Parallel dazu setzte sich der Begriff Subkultur durch, der vorher – in den Siebzigern – am stärksten in der Schwulen-Szene gebraucht wurde. Die Jugend-Subkultur geriet zum Ausdruck eines völlig neuen Kulturverständnisses, das in den achtziger Jahren eben durch Undergroundkreise gesellschaftlich etabliert wurde. Im Ergebnis dessen vollzog sich der Wandel von der Jugend-Gegenkultur zur Popkultur, die in sich die mitte der Achtziger entstehenden unterschiedlichen subkulterellen Szenen vereinte und Ausdruck einer Veränderung von der homogenen Jugend-Protestkultur zur heterogenen Jugend-Pop-Kultur wurde.
In den Neunzigern erleben wir den endgültigen Durchbruch der Popkultur, die jegliche Subkulturen in sich vereinigt, ohne sie aufzuheben. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist das subversive, das rebellische Moment. Die Segmentierung des Pop-Marktes, die Bedienung und Befriedigung von szenespezifischen Bedürfnissen und Nachfragen erzeugt permanent neue. So entsteht ein Geflecht, das in poptheoretischen Kreisen „Mainstream der Minderheiten“ genannt wird. Es ermöglicht den Zugang zu Szenecodes, ohne subkulturelle Wertegefüge im Ganzen übernehmen zu müssen. Also beispielsweise, daß eine ehemalige stellvertetende PDS-Vorsitzende bunte Haare hat, ohne sich gleichzeitig den anarchistischen, eigentlich Parteien-feindlichen Punk-Code anzueignen.
Festzuhalten bleibt, daß Jugendrevolten niemals die Ebene des politisch Symbolischen verließen und in der Gegenwart und Zukunft die Symbole endgültig jeglichen politischen Gehalt verloren haben, den sie vormals noch beanspruchen konnten. Die einzige Einschränkung, die es diesbezüglich geben muß, betrifft die Nazi-Jugend-Subkultur. Trotz des von Beginn an konformen konstitutiven Gehalts dieser Subkultur – sie ist die einzige, die mit dem Anspruch existiert, Avantgarde für die Wünsche der Eltern zu sein und praktisch radikal umsetzt, was ihre Eltern ihnen zu verstehen gibt – werden auf sie, mangels Alternative, Elemente von Revolte projiziert. Da ihr bis jetzt der direkte Weg zum Markt gesellschaftlich verbaut ist, eignet sich diese tatsächlich zur rebellischen Spielwiese. Dabei entsteht ein Widerspruch, der nicht so ohne weiteres zu beheben ist: Auf der einen Seite ist die Möglichkeit, die Nazi-Subkultur zur Pop-Ware zu machen, die beste Variante, sie in ihrer mörderischen Praxis zu behindern. Gleichzeitig aber ist es antifaschistisch unmöglich, diese Subkultur auf dem Weg zum Pop zu tolerieren – sie muß allenthalben vehement bekämpft werden. Schon deshalb, weil tatsächlich davon auszugehen ist, was im Ankündigungsschreiben zu dieser Veranstaltung festgehalten ist. Dort steht nämlich: „Studien belegen, daß Kinder und junge Erwachsene das beschäftigt, was auch ihre Eltern bewegt.“ Was anhand diese Beispieles auffliegt, ist die Kompaktheit eines warenfetischistischen Systems, das gerade heutzutage, wo die keynseanische Staatsnachfrage dank riesiger Haushaltsdefizite endgültig ad acta gelegt wird, nicht mehr zu reformieren ist. Das heißt, statt die partikularen Interessen von Jugend, Studenten oder sonstwem einklagen zu wollen und auf das Reförmchen zu hoffen, wird die Infragestellung des Systems zur zwingenden Notwendigkeit.
Das Wichtigste, was westliche Subkulturen bzw. Popkulturen geleistet haben und immer noch leisten, liegt weniger explizit auf dem Feld des Politischen als vielmehr im jeweiligen Wertekanon begründet. Dieses Wertegefüge wird umso wichtiger, wenn es tatsächlich mit den deutschen sogenannten Sekundärtugenden von Ordnung, Fleiß und Disziplin kollidiert. Spätestens dann muß es für eine Linke mit emanzipatorischem Anspruch zum Politikum werden. Das schließt insbesondere die Abkehr und kritische Distanz zum spezifisch deutschen Arbeitsethos ein, den weite Teile gerade der PDS dermaßen vergöttern, daß einem das kalte Grauen kommen kann, wenn diese Partei mal irgendwann – ich schätze so spätestens zur übernächsten Bundestagswahl – Koalitionsverhandlungen zwecks Regierungsbeteiligung auf Bundesebene führt.
Wer sich darüber im Klaren ist, daß der nationalistische, rassistische und antisemitische Mief der deutschen Gesellschaft direkt aus ihrer Mitte enspringt, dessen Teil die PDS so gerne sein möchte – an der Basis ist sie es ja tatsächlich fast durchweg –, und das als tatsächlich zu bekämpfendes Problem erachtet, sollte schleunigst, wenn nicht schon längst passiert, die Vorzüge hedonistischer Werte schätzen lernen. Und das trotz, oder besser: gerade wegen der Warenförmigkeit jeder Spielart von Pop-Kultur als Bestandteil der kapitalistischen Warengesellschaft. Arbeit als scheiße zu empfinden, hilft mit Sicherheit gegen nationalistischen Wahnsinn, sich bis in den Morgengrauen in der Kneipe oder auf der Party rumzudrücken hat den Effekt, das in den meisten Fällen mit Sozi- oder Arbeislosenkohle bewerkstelligen zu müssen, den Begriff des Sozialschmarotzers einfach umzudrehen und positiv zu besetzen den Vorteil, den Unterschied zwischen gesellschaftlichem Mainstream und hedonistischer Lebenslust subjektiv schätzen zu lernen.
In diesem Sinne ist Pop-Kultur gegen seine Feinde von Links ebenso zu verteidigen wie gegen die von Rechts. Und sollte tatsächlich eintreten, daß die öffentliche Wahrnehmung von „der“ gegenwärtigen Jugend, die es eh nie gab und geben wird, im Zuge des derzeitigen Sicherheitswahnes und des Standortnationalismus davon getrieben ist, mit Jugend nur noch Kriminalität und Asozialität zu assoziieren, so kann es für diese Jugend, von links betrachtet, gar nicht besser kommen. Vielleicht, wie gesagt, vielleicht führt diese Stigmatisierung ja bei einigen wenigen mehr zum Bruch mit dieser Gesellschaft. Das könnte zumindest ein neuerlicher Versuch sein, der weder ’68 konsequent gewollt war noch bei den Autonomen in den Achtzigern funktionieren konnte - geschweige denn bei der Öko- und Friedensbewegung, der solcherlei nationale Abtrünnigkeit regelrecht ein Graus war.
Die Bejammerung notwendiger Individualisierung, die innerhalb des Kapitalismus im Bereich der Reproduktion durchaus möglich ist, kann nicht die Intention eines emanzipatorischen linken Politkansatzes sein. Dafür sollte jeweils die eigene Biografie als Beweis dienen. Allerdings setzt das voraus, daß Marxlesen genauso viel Spaß macht, wie der Besuch einer Drum&Bass-Party. So verzwickt ist das nunmal mit den Verhältnissen – und einfacher geht’s deshalb nicht.


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[40][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007