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Interessanterweise existiert ein Text aus dem Jahr 1978, der die damalige Hochschulreform der Siebziger in einer Weise kontextualisert, die für die heutigen Studentenproteste von ungebrochener Aktualität ist. Es ist erschreckend, wie zeitlos Texte dieser Art sein müssen. Erschreckend zumindest für jene Linken, die den anderen Linken bei der Agitation während der heutigen Studentenproteste zuschauen müssen und dabei feststellen, daß der Großteil der linken Reste wirklich die Schotten dicht macht, kurzerhand durchdreht und einfach nicht dazulernen will.
Der Text von Reinhard Mohr ist dem Buch-Sampler „Küss den Boden der Freiheit“ (Edition ID-Archiv,1992) entnommen. Er vereint Texte vergangener Jahre, die in der Frankfurter Studentenzeitschrift diskus erschienen. Getreu der einstmaligen Bedeutung der inzwischen längst eingegangenen Zeitung trägt der Sampler den Untertitel „Texte der Neuen Linken“. Allen, die sich mit der Neuen Linken intensiver beschäftigen wollen oder dies bereits tun, sei dieser Text-Band wärmstens empfohlen.
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Reinhard Mohr:

Zerschlagt die Universität.

(...) Von Anfang an erstaunt der beschränkte Ansatz der Kritik der technokratischen Hochschulreform. Es wird unwillkürlich der Eindruck erweckt, als sei erst jetzt der Versuch unternommen worden, die Hochschulen in das kapitalistische Verwertungssystem zu integrieren, als sei die „Autonomie“ der Universität je Realität gewesen.
Gleichzeitig wird die reale gesellschaftliche Situation der Hochschulen außer acht gelassen. Diese ist gekennzeichnet u.a. durch einen massenhaften Ausbildungsbetrieb mit inhaltlicher und formaler Reglementierung der Studiengänge, durch fehlende berufliche Perspektiven und psychischen Streß/Isolation, aber auch durch teils latente, teils offene Unruhe, im neudeutschen Sprachgebrauch oft als „Sumpf“ bezeichnet.
Gerade unter diesem Aspekt sind Ordnungsrecht, Aushöhlung der Verfaßten Studentenschaft und Regelstudienzeit keine Randerscheinungen, sondern konstitutive Elemente der repressiv-technokratischen Formierung der Hochschulen.
Doch wozu dient diese Hochschulreform, auf welchem gesellschaftlichen Hintergrund ist sie entstanden, und welche Interessen haben wir? Bis Ende der sechziger Jahre waren die sozialen Selektionsmechanismen im Bildungssystem noch derart im Einklang mit den sozialökonomischen Verhältnissen, daß Studieren automatisch hieß, die soziale Stufenleiter emporklettern, einen akademischen Abschluß erwerben gleichbedeutend war mit der realistischen Aussicht, eine qualifizierte, sozial adäquate Berufsposition zu erhalten. Damit war zugleich die ständige Reproduktion einer gesellschaftlich funktionsfähigen Elite gesichert. Selbstverständlich konnte auch zu dieser Zeit von einer, „Autonomie“ der Universität keine Rede sein. Gegen was hat wohl die Studentenbewegung von 1968 rebelliert!?
Der politische Charakter von Wissenschaft und Ausbildung in den Hochschulen war durch die kapitalistische Gesellschaft schon immer ebenso bestimmt wie konkrete Studieninhalte, deren universitäre Vermittlungsformen und ihre einzelnen repressiven Ausformungen. Auf diesem Hintergrund entsprach die Forderung, „Marx an die Uni“ dem Willen vieler Studenten, sich nicht länger als Elite für das kapitalistische System produzieren zu lassen. Daß der Protest auch in seinen scheinbaren Teilerfolgen letztlich mißlang, lag gerade an der gesellschaftlichen und politischen Durchdringung der Hochschulen. Deshalb hieß es ja auch „Kampf der bürgerlichen Universität“, „Kampf der bürgerlichen Gesellschaft“.
Einzig die Formen der gesellschaftlichen Durchdringung der Hochschulen ändern sich mit der sozialökonomischen Entwicklung des spätkapitalistischen Systems (Modifizierung der Subsumtion unter das Verwertungssystem). Wenn „Autonomie“ jedoch nur der Begriff für bestimmte begrenzte wissenschaftliche und institutionelle Freiräume ist, dann muß gesagt werden, daß diese, „Autonomie“ ihre gesellschaftlich-politischen Funktionen hatte, die heute weitgehend zu Dysfunktionen geworden sind. (...)
Daß Quantität in Qualität umschlagen kann, wird nirgends deutlicher als an der Misere des kapitalistischen Bildungssystems. Nicht nur werden die ideologischen Begriffe wie Freiheit der Wissenschaft, Chancengleichheit, sozialer Aufstieg etc. durch die Realität der Hochschulen für viele auf zynische Weise inhaltsleer, auch das quantitative Problem des akademischen Arbeitsmarktes wird zunehmend unlösbar.
In dieser Situation hat die technokratische Hochschulreform u.a. qua Studienreformkommission die Aufgabe, bestimmte Lehrinhalte und Forschungsgegenstände zu eliminieren, dafür andere festzuschreiben, Selektionsmechanismen funktionaler zu gestalten, noch gezielter sozial angepaßte Fachidioten zu produzieren, die Flexibilität akademischer Arbeitskräfte zu erhöhen usw.
Jeder einzelne Zweck, und es gibt noch viel mehr, für den diese Hochschulreform von ihren Urhebern konzipiert ist, läßt die immanente Widersprüchlichkeit schon erkennen, wie sie in ihren Auswirkungen zutage treten wird.
Einzelwirkungen mit repressiver Tendenz werden kollidieren mit den gesellschaftlichen und universitären Verhältnissen, die gerade auch durch staatliche Maßnahmen mit hervorgerufen bzw. verschärft werden. So werden z.B. angepaßte Fachidioten mit bundeseinheitlichem Prüfungswissen sicher keine strahlenden Berufsperspektiven haben, sondern allenfalls eine gut strukturierte Reservearmee dequalifizierter akademischer Arbeitskräfte bilden (jederzeit austauschbar). Desgleichen stößt die genormte „Flexibilität“ dieser Arbeitskräfte an die Grenze der Erfordernisse auch kapitalistischer Berufsqualifikationen, die auf bestimmter Ebene mehr verlangen als Paukwissen (siehe z.B. „Kreativität“, „Kontaktfreude“, „Menschenkenntnis“, „Innovationsfähigkeit“, „Anpassungsvermögen an neue soziale Bedingungen“, bed. Selbständigkeit etc.). Der Prozeß der Rationalisierung wird auch vor dem akademischen Fachidioten nicht haltmachen. Ein quintärer Sektor, auf den unsere Schmalspurstudniks dann ausweichen und Krupps(1) Rat zufolge sich neue Arbeitsplätze erkämpfen könnten, ist leider nicht in Sicht. Auch die Spekulation mit der „repressiven Befriedung“ könnte sich längerfristig als Schuß nach hinten erweisen. Denn frustrierte Massenstudenten, die mit dem Diplom in der Hand vor dem Arbeitsamt Schlange stehen, könnten sich ja unter gewissen Umständen motzig gebärden und nicht bereit sein, auf den nächsten Pillenknick zu warten.
Doch weder quantitativ-ökonomistische Argumentationen (Studentenlawine, Unis zu teuer etc.) noch scheinbar qualitative wie „Verbesserung der Berufschancen“ bilden den entscheidenden politischen Hintergrund der gegenwärtigen Hochschulreform.
Auch die spätkapitalistischen Massenuniversitäten verkörpern im Bewußtsein großer Teile der Bevölkerung – u.a. aus der Tradition der bürgerlichen Bildungsideologie heraus – eine gesellschaftliche Utopie.
Die Utopie von der Beschäftigung mit interessanten Dingen ohne Stechuhr im Rücken, die Utopie von befreiender Muße, ja die Utopie vom alltäglichen Faulenzen. Gerade das Geschimpfe von Passanten bei Studentendemonstrationen – „Geht erst mal was schaffen, Gesindel, faules!“ – zeigt die Projektion eigener Wünsche nach interessantem Müßiggang, nach einem Leben in täglicher wirklicher Freiheit. Dabei wird die reale Existenzweise der Studenten zwar verzerrt wahrgenommen und reaktionär interpretiert, aber die Bedürfnisse sind offensichtlich. Und gefährlich. Denn seitdem die Arbeiter- und Kleinbürgerkinder an die Unis strömen, der gesellschaftliche Wert der Diplome sinkt, das Sozialprestige von Akademikem entsprechend abnimmt und auch Hochschulabsolventen arbeitslos werden, wird das Universitätsstudium nicht mehr in demselben Maß wie früher als Privileg einer kleinen sozialen Elite angesehen.
Wenn immer mehr studieren, auch wenn sie nicht versprechen, Einsteins, Hegels und sonstige Genies zu werden, rückt die (real verzerrte) Utopie näher. (...)
Um nicht gefährlich konkrete Fragen zur gesellschaftlichen Arbeitsteilung (Hand- und Kopfarbeit), zur Verteilung der Arbeit insgesamt und deren gesellschaftlichen Nutzen massenhaft aufkommen zu lassen, muß darauf geachtet werden, daß Lernen und Studieren in den Hochschulen nicht interessanter aussieht als kapitalistische Durchschnittsarbeit.
Daher ist die Vernichtung der konkreten gesellschaftlichen Utopie die conterstragie des Staates. Daher die Bestrebungen, die Hochschulen den Mechanismen des Fabriksystems anzunähern. Der dauernd öffentlich aufgetischte hirnrissige Vergleich von „Studienplätzen“ mit Arbeitsplätzen ist eine propagandistische Variante in dieser Richtung.
In dieser Situation zu sagen, die Linken müßten die „Autonomie“ der Hochschule wollen, „weil gute politische und wissenschaftliche Arbeit nur am Arbeitsplatz(!) in der Hochschule selbst stattfinden kann“, ist zwar kühn, mutet aber durch und durch mittelalterlich an. Die Bauernkriege liegen hinter uns.
An diesem Punkt offenbart sich ein weiteres Mal die Beschränktheit der Argumentation in diesem Artikel.
Was heißt hier „gute politische und wissenschaftliche Arbeit an der Uni“!?
Und welcher Student wird sich praktisch gegen die technokratische Hochschulreform engagieren, um eine fiktive, „Autonomie“ der Universität wiederherzustellen? (...)
Die inhaltlichen und institutionellen Errungenschaften der Studentenbewegung (Politökonomie, Imperialismustheorie etc., Tutorien, Arbeitsgruppen, Studienkollektive etc., Gremien“mitbestimmung“ etc.) sind durch die gesellschaftliche Entwicklung und die universitäre Praxis (...) derart desavouiert und integriert worden, daß viele linke Studenten entweder dem „linken“ Seminarbetrieb (gilt vor allem für die Geisteswissenschaften) den Rücken gekehrt oder ein total instrumentelles und damit entpolitisiertes Verhältnis zur universitären Theoriebildung und -vermittlung entwickelt haben. Dazwischen schwimmt eine Masse von politisierten Studenten, die, von dem akademischen Wissenschaftsbetrieb angewidert, aber ohne alternative Lebens- und Arbeitsperspektive, auf diffuse Weise ihren trotz aller Desillusionierung verbliebenen Interessen und Ansprüchen hinterherjagen.
Die Masse der nichtlinken Studenten hat seit eh und je ein instrumentelles Verhältnis zur Uni gehabt, das durch die Berufserwartung und die damit verbundene soziale Position in der Gesellschaft bestimmt war. Trotz der strukturellen Veränderung von Universität und Gesellschaft dürfte dieses Verhältnis zur Uni sich nur durch wachsende Unsicherheit und steigende Unzufriedenheit modifiziert haben.
Die Diskussionen innerhalb der Uni-Linken über Marxismus an der Uni, Sinnentleerung gerade auch linker Seminartheorie, Praxislosigkeit und „linke“ Berufsperspektive können hier nicht einmal skizzenhaft dargestellt werden. Wie aber auf dem Hintergrund der Erfahrungen der letzten Jahre von guter politischer und wissenschaftlicher Arbeit an der Uni die Rede sein kann, ist mir schleierhaft. Die Begründung für eine solche Behauptung fehlt auch völlig, ganz zu schweigen von irgendeiner Problematisierung.
Wenn die Hochschulen in einen widersprüchlichen Umstrukturierungsprozeß hineingetrieben werden, der als gesellschaftliche Counterstrategie soziale Utopien vernichten, fundamentaloppositionelle Gesellschaftskritik unterbinden, universitäre Massenausbildung den veränderten Kapitalverwertungsbedingungen anpassen, eine neue soziale Elite hervorbringen, wenn die Hochschulen also tendenziell den Strukturen des kapitalistischen Fabriksystems angeglichen werden sollen, dann ist das Beharren auf der „Autonomie“ der Hochschule und die daraus folgende Strategie politischen Widerstands unsinnig und falsch.
Dem gesellschaftlich widersprüchlichen Prozeß der kapitalistischen Ökonomisierung der Hochschulen müssen wir unsere eigenen Interessen und Vorstellungen entgegensetzen, wenn wir nicht den objektiven Entwicklungen hilflos hinterherlaufen und unsere Bedürfnisse und Utopien den herrschenden Technokraten opfern wollen.
Die Krise an den Hochschulen, wie sie sich seit Jahren entwickelt und verschärft, macht uns immer klarer, daß unsere Forderungen nach sozialer Praxis, nach gesellschaftlich befreiender und subjektiv befriedigender Wissenschaft in und mit dieser Universität nicht zu erfüllen sind, auch nicht durch die progressivste Reform! Solange die Hochschulen im Rahmen des kapitalistischen Bildungssystems ihre Funktion halbwegs und krisenbehaftet erfüllen, so lange werden wir an dieser Uni leiden. Mehr oder weniger. Die Unreformierbarkeit dieser Universität ist keine wissenschaftliche These, sondern massenhaft erfahrene Realität.
„Wenn alle das Recht haben zu studieren, so dürfte das Studium, da es aufhört, das Privileg einer Klasse zu sein, auch kein Recht auf irgendein anderes Privileg beinhalten. Man müßte dann akzeptieren, daß Akademiker mit der Hand arbeiten, was dazu führte, daß nun die gesellschaftliche Arbeitsteilung sowie jede Form der Hierarchisierung der Aufgaben in Frage gestellt und abgelehnt wurden ... Weder ist sie (die Universität, R.M.) funktional hinsichtlich der Forderungen der kapitalistischen Wirtschaft, noch hinsichtlich der Forderungen jener, die den Kapitalismus stürzen wollen; sie vermittelt weder eine ‘nützliche Kultur’, noch eine ‘rebellische Kultur’ ... Sie vermittelt eine ‘universitäre Kultur’, das heißt eine von jeder produktiven oder politisch aktiven Praxis entfernte Kultur ... Es kann also nicht darum gehen, daß man die Universität reformiert, man muß sie vielmehr zerstören ...“ (A. Gorz, aus: Sozialistisches Jahrbuch 3, Berlin: Wagenbach 1971)
Der Kampf gegen die technokratische Hochschulreform muß im Zusammenhang mit einem Kampf für die Zerstörung der Universität gesehen werden. Nicht die Studienreformkommissionen sind das Hauptübel, sondern die Universitäten selbst, der solche Regelungen aufgestülpt werden müssen, damit sie überhaupt noch einigermaßen „effektiv“ funktioniert.
Die Krise der Universität ist letztlich die Krise der kapitalistischen Arbeitsteilung. Deshalb kann unser Ziel nur die Aufhebung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und der sozialen Hierarchie sein, was für uns konkret heißt: die Uni zerschlagen.
Die Ökonomisierung der Massenuniversität müssen wir als gesellschaftlichen Prozeß begreifen, der punktuell und konkret die Trennung von Kopf- und Handarbeit als das offensichtlich werden läßt, was sie tatsächlich ist: Moment sozialer Herrschaft.
Deshalb ist nicht „Autonomie“ unser Ziel, sondern Öffnung der Hochschulen für jugendliche und erwachsene Arbeitslose, Frauen, Ausländer, ja, für alle.
Zerschlagt die Universität: Befreit sie von ihrer Funktion und Position innerhalb der gesellschaftlichen Organisation der Arbeitsteilung!
Das heißt: Das Chaos vorantreiben, bis diese Uni für Krupp & Co. endgültig unbrauchbar und unbeherrschbar wird.
Das heißt: Nicht vergessen, was wir wollen.
Festhalten an der konkreten Utopie einer Gesellschaft, die auf der Grundlage einer Produktion von Gebrauchswerten nur einen „Sachzwang“ kennt: Freiheit.
Es lebe die Hochschulguerilla!
Wir wollen alles.

Anmerkung:
(1) Gemeint ist Hans Jürgen Krupp, damals Wirtschaftssenator in Hamburg und vordem Universitätspräsident in Frankfurt/M.



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last modified: 28.3.2007