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long fin killie, 1.4k mehr als guter geschmack, 1.0k

Es ist schon ein komisches Gefühl, sich mit einer Band auseinanderzusetzen, die in mehrer Hinsicht in einem Kontext agiert, der den eigenen Sozialisationsweg als stinkenden Scheißhaufen zu entlarfen droht. Warum sich Ulle trotzdem anmaßt, auf das Long Fin Killie-Konzert aufmerksam zu machen, bei dem sexuelle Politiken; Machismo, Sexismus und Homophobie aus einem Indie-Band-Zusammenhang heraus thematisiert werden, hängt unter anderem damit zusammen, Musik und die von ihr oftmals erst sichtbar gemachten Themenparks, nicht nur als risikofreies und unproblematisches Freizeitvergnügen zu begreifen, sondern auch als wohlbegründeten Fußtritt in Richrung persönlicher Schuldverstrickung wahrzunehmen. Und natürlich damit, daß Obsessionen, Zorn und narrative Lyrics musikalisch selten so konsensfähig mit einem „traditionellen“ Band-Konzept dargeboten werden, wie bei den vier Schotten vom phänomenalen Too Pure-Label.

long fin killie, 8.6k Worte, welche Hörempfindungen beschreiben sollen, bergen das Problem in sich, daß sie nur für einen involviereten Kreis eindeutig nachvollziehbae sind, der zumindestens annähernd die gleichen Hörgewohnheiten teilt und somit in den semantischen Spielereien jeweils die eigenen Gefühlsregungen bestätigt findet. Gerade in bezug auf Long Fin Killie ist die Basis der Hörgewohnheiten eines potentiellen Publikums jedoch schwer bestimmbar. Die Leute, die früher straighte Indie-Fans waren, dürften sich mittlerweile auf die innovativeren Herausforderungen wie Hip Hop, Jungle, Elektronic Listening etc. mehr oder weniger eingestellt haben und das Vertreter der Techno-Generation sich nicht großartig für Rock-Bands interessieren, ist nicht verwunderlich. Und trotzdem taucht ab und zu ein ein Projekt auf, welches zumindestens in Kritikerkreisen auf breite Zustimmung stößt, weil es etwas „altes“, z.B. den Anspruch Independent oder „handgemachte“ Musik, Live-Intensität etc. mit etwas „neuem“, besser gesagt zeitgemäßerem konfrontiert, den Seitenblick auf den Entwicklungsstand elektronischer Musik nicht scheut und damit letztendlich ein Ergebnis produziert, welches sich gut und unnostalgisch anhört. Was hier für Tortoise im Großen gilt, kann in einem etwas anderem Maßstab sicherlich auch für Long Fin Killie beansprucht werden. Stellt der akustische Raum, der Sound anderer, schon älterer Too Pure-Signings ein relatives Neuland dar, so zwängt sich beim unvoreingenommenen oder eher unwissenden Hören der Long Fin Killie-Alben „Houdini“ (95) und „Valentino“ (96) der Eindruck auf, Mitendecker einer neuen Sound- und Rhythmus-Ästhetik zu sein. Das Erlebnis unkonventioneller Rhythmen, die miteinander konkurrieren, nebeneinander stehen, sich dann mit fast technoider Perfektion ineinander verspinnen; der Verzicht auf die Variationsmöglichkeiten herkömmlicher und historischer Instrumente (Gitarre, Bass, Schlagzeug meets Mandoline, Geige, Flöte u.v.m.), deren Beharren auf immer wiederkehrenden Tönen, die sich erst kurz bevor es langweilig werden könnte, in einen neuen Melodielauf fügen, macht die beiden Veröffentlichungen wirklich zu etwas, wie einem erweiterten Horizont von Rockmusik. Die Beschreibung der Songs als „ein psychoakustisches extrem sensitives Zusammenspiel jenseits des Popsongs und diesseits freier Improvisation“ (Spex), was auch einer Tortoise-Charakterisierung nahe kommen könnte, muß aber gerade wegen des möglichen Vergleichs um einige Essentials erweitert werden. Nicht nur eine andersartige Instrumentierung und verschiedene Tempi- und Rythmuspraktiken, sondern vor allem das Festhalten, ja extravagante Betonen von Long Fin Killie an Lyrics und die durch sie transportierten sozialen Bezüge machen den großen Unterschied aus. Dieser Schritt bleibt dann zwar auch in einer anderen musikalischen Vergangenheit verankert, läßt aber demzufolge die Band weniger „künstlerisch“ (als Tortoise) und „technisch“ (als z.B. die Label-Kollegen Mouse on Mars) erscheinen. Mit einer teilweise extrem wütenden Kopfstimme, die anderenfalls genauso die Ohren mit lieblichen spoken words umsäuseln kann, erzählt der Sänger (Luke Shaterland) Geschichten, die mehr als einmal vom Schwulsein handeln. Doch es folgen keine eindeutigen Anklagen, keine Kampfansagen oder zukunftsorientierten Entwürfe.

Too Pure

Schon im Februar ‘94 fand sich im Spex ein Feature über das britische Label, weil es die „Indie-Rock-Ethik mit den Errungenschaften von Ambient, Krautrock und Techno kurzschließen könnte“. Neben Long Fin Killie und Mouse on Mars, den derzeit wohl bekanntesten Too Pure-Acts befinden sich unter den Fittichen der Label-Macher zum Beispiel noch Laika, Pram, Minxus, um nur einige zu nennen. Das Geld für die Label-Gründung bekamen Paul und Richard logischerweise nur durch ihr besonderes musikalisches Gespühr zusammen, in dem sie sich nämlich für eine der ersten PJ Harvey- und too pur logo, 0.8k Stereolab-Veröffentlichungen verantwortlich zeigten, die dann auch promt in die Indie-Charts einstiegen und die nötigen Finanzen herbeischaffte. Theoretischer Ausgangspunkt ihrer Label-Politik ist die Frage, ob Rockmusik in Europa überleben kann. Das heißt aber nicht, daß hier realitätsblinde Nostalgiger am Werk sind, vielmehr gehören sie zu den wenigen, die noch innovative Indie-Veröffentlichungen herausbringen und erst vor einiger Zeit mit dem signing von Mouse on Mars zeigten, daß sie die Erweiterung von musikalischen Horizonten akzeptieren und unterstützten. Eine offene Feindschaft zur Dance-Szene kann ihnen ebenfalls nicht vorgeworfen werden. Im Gegenteil, gewissen Dance-Labels wird als eine Art „funktionierende Indie-Labels“ Respekt gezollt und das schnelle Auf- und Abtauchen von Dance-Acts finden sie auch irgendwie „Indie“: Bloß das Herz, „wenn es um die Musik geht, ist einfach nicht dabei“. Es liegt bei ihnen nach eigenen Angaben irgendwo in den späten Siebzigern, frühen Achzigern. Ihrem Anspruch an eine gute Platte - „Sie sollte etwas von dir verlangen, dich verändern wollen, dich zwingen zuzuhören.“ - kann jedenfalls (abgesehen von eins, zwei hedonistischen Aspekten) nicht mehr viel zugefügt werden.


In dem er sich in Opfer- und Täterrollen versetzt, von verschiedenen Handlungs- und Empfindungsinstanzen aus spricht, stellt er auf filigrane Art und Weise - nicht aber ohne eine immerwährende Abstinenz von Leidenschaft und Zorn - Homophobie und Sexismus bloß. Blöde wird es für die Rezipienten dann, wenn die eigene Rolle bei der Verbreitung von Stereotypen (Schwule als „sensitive boys“) und Schlimmeres gewahr wird. Die spezielle Art der Thematisierung macht es aber fast zu leicht, mit der erzeugten Betroffenheit incl. Schuldeingeständnis umzugehen und es bietet sich regelrecht an jenes Konzept als pädagogisch clever zu loben, um sich somit auch gleich wieder ein bißchen vor persönlichen Konsequenzen zu drücken. Noch viel grundlegender ist aber die Frage, mit welcher Legitimation hier überhaupt Wertungen vorgenommen werden können, fehlt doch - abgesehen von einer kleinen Debatte um schwulen Sex im Klaro Fix - der Rahmen für einen offenen und produktiven Diskurs. So bleibt der Besuch eines Long Fin Killie-Konzerts neben einer geschmacksspezifischen Entscheidung nicht mehr und auch nicht weniger als ein politisches Statement, welches zumindestens signalisieren kann, nicht zum Großteil der Ignoranten zu gehören.

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last modified: 28.3.2007