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Nicht erst seit dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ist bekannt, dass Sachsen zu den braunsten Regionen Deutschlands gehört. Morde durch Nazis hat es auch außerhalb des NSU gegeben und in den ländlichen Regionen Sachsens herrscht ganz einfach seit 20 Jahren eine rechte Hegemonie. Nur wenige Initiativen und Projekte versuchen mühevoll, eine Gegenkultur zu Nazis zu bilden. Ihre Erfolgsaussichten sind gering, besonders weil die sächsische Staatsregierung entschlossenen Antifaschismus verunmöglicht und kriminalisiert. Aus diesem Grund hat das Conne Island eine Stellungnahme zum hanebüchenen Umgang der sächsischen Staatsregierung mit Nazi-Problemen und zur zunehmenden Kriminalisierung von Antifaschismus formuliert. Kommentare und Reaktionen sind erwünscht.
Im Zuge der aufgekommenen Diskussion um einen angemessenen Umgang mit Nazis muss
nun selbst das konservative Lager eingestehen, dass Nazi-Terror kein
Hirngespenst linksradikaler Jugendlicher ist. Was antifaschistische Projekte
sowie hier und da linke PolitikerInnen über Jahre hinweg versucht haben in
den öffentlichen Diskurs zu tragen, bedurfte erst einer Mordserie von
militanten Nazis. Der jahrelange psychische Terror, gewalttätige
Übergriffe auf MigrantInnen und Andersdenkende sowie NS-Verharmlosung und
NS-Propagierung reichten nicht aus, um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit
nationalsozialistischer Ideologie in der Gesellschaft zu entfachen. Es brauchte
dazu erst eine Mordserie, die zugleich doch auch nur die Kumulation
ihrer Vorstufen ist. Die Form, in der nun besonders in Sachsen die staatlichen
Reaktionen auf das Bekanntwerden des NSU ausfielen, ist heuchlerisch,
unangemessen und falsch.
Sachsens Innenminister Ulbig (CDU) forderte per Video-Ansprache die
sächsische Bevölkerung zu mehr Mut und Zivilcourage im Kampf gegen
Rechtsextremismus auf. Sein Geheimnis bleibt dabei, wen, außer ein paar
liberalen GroßstädterInnen, er damit ernsthaft zu erreichen glaubt.
Seine Gutgläubigkeit könnte man ihm verzeihen, wenn es bei dieser
bliebe. Absolut untragbar ist hingegen das Fazit seiner Ansprache:
Antifaschismus ist nicht die richtige Antwort [auf Nazis], sondern
Demokratie.(1) Wie kann ein Innenminister, der aus dem Land der
Holocaust-TäterInnen kommt, der aus dem Land kommt, in dem Hoyerswerda,
Solingen, Mölln, Mügeln und Zwickau liegen, aus dem Land kommt, in
welchem seit 1990 ca. 200 Menschen von Nazis ermordet wurden, einen solchen
Satz herausbringen? Antifaschismus sei keine Lösung. Es gab schon
PolitikerInnen, die wegen deutlich weniger dummen Sätzen Ihren
Rücktritt einreichen mussten.
Und was soll eigentlich das Ausschließen von Antifaschismus und
Demokratie, Herr Ulbig? Folgen Sie doch einem kleinen Exkurs in Sachen
Demokratie, Sachsen und Antifaschismus, auch wenn er für Sie peinlich
enden wird. Betrachtet man exemplarisch die nominierten und gekürten
Vereine der vergangenen Verleihungen des Sächsischen Demokratiepreises, so
ist festzustellen, dass viele Projekte und Vereine mindestens im weiteren Sinne
antifaschistisch sind.(2) Warum nur werden linke und antifaschistische Projekte
mit einem Demokratiepreis ausgezeichnet, wenn sie zugleich als die Demokratie
bedrohend angesehen werden? Mit etwas direkteren Worten gefragt: Warum
muss sich die sächsische Staatsregierung die Blöße
geben, antifaschistische Projekte mit einem Demokratiepreis zu küren? Ganz
einfach: weil es vor allem (aber nicht nur) im Osten so gut wie keine anderen
Projekte gibt, die das, was meist etwas schnörkelhaft als demokratische
Kultur bezeichnet wird, leben und praktizieren. Umso absurder ist es, dass
genau diese gesellschaftlichen Kräfte sich seit geraumer Zeit einem
präventiven Extremismusverdacht unterziehen lassen müssen und ihr
Bekenntnis zu demokratischen Werten per Unterschrift beweisen sollen. Die
Vergabe staatlicher Fördergelder für Anti-Nazi-Projekte ist seit 2010
an die Unterzeichnung einer Demokratie-Erklärung (auch Extremismus-Klausel
genannt) gekoppelt. Gegen die präventive Extremismus-Unterstellung seitens
des Staates haben nicht nur linke Projekte protestiert. Es gibt durchaus auch
JuristInnen, welche die Extremismus-Klausel als verfassungswidrig
einschätzen, einige PolitikerInnen erkennen in ihr ein politisches
Kampfmittel und kritische WissenschaftlerInnen fordern, das Extremismus-Konzept
als Instrument zur Gesellschaftsanalyse abzuschaffen. Die sächsische
Staatsregierung aber blieb bisher unbelehrbar und unterzog sich 2010 einer
einmaligen und großartigen Selbstkarikatur. Nachdem sich infolge der
Nichtannahme des Sächsischen Demokratiepreises durch das AkuBIZ Pirna
innerhalb der Jury ein Streit um die Extremismus-Klausel entfachte, zog sich
die sächsische Staatsregierung aus der Jurorenschaft zurück.
Anschließend entwarf die Regierung einen eigenen Bürgerpreis,
über den sie keinen Konsens z.B. mit der Freudenberg Stiftung und der
Antonio-Amadeu-Stiftung finden muss. Peinlicher und bezeichnender als die
Kooperation mit zwei der bekanntesten Demokratie-Initiativen Deutschlands zu
kündigen, hätte sich eine Regierung kaum verhalten können, zumal
es um einen Demokratiepreis ging. Immerhin ist ihr Handeln diesbezüglich
ehrlich: Demokratie ist in Sachsen nicht das, was erstritten, ausgehandelt und
kontrovers debattiert wird, sondern das, was per Dekret und Koalitionspapier
definiert und festgehalten ist.
Mit seiner antidemokratischen Agitation steht das Land Sachsen natürlich
nicht alleine da. Demokratie ist in Deutschland nach wie vor einerseits von der
Autoritäts- und Staatshörigkeit seiner BürgerInnen
gekennzeichnet oder aber vom Gegenteil, der gesellschaftlichen Nichtakzeptanz
demokratischer Werte. Die Deutschen wurden 1945 eben nicht über Nacht
DemokratInnen und demokratische Werte haben bis heute einen schweren Stand.
Grundprinzipien einer offenen Gesellschaft wie Partizipation, Streitkultur,
Meinungspluralismus und vor allem Menschenrechte, deren Gültigkeit sich
nicht auf die deutsche Staatszugehörigkeit beschränkt, fehlt in
Deutschland die gesellschaftliche Akzeptanz. Demokratie als staatliches Prinzip
und eine offene Gesellschaft sind und bleiben in Deutschland verschiedene Paar
Schuhe. Demokratische Werte sollten bei aller Problematisierung dennoch gegen
Nazis, und wenn es sein muss auch gegen die sächsische Staatsregierung,
verteidigt werden. Dabei geht es nicht darum, das Staatsprinzip Demokratie zu
retten, sondern Möglichkeiten politischer Intervention und Werte wie
Diskussionsfreiheit zu erhalten, da sie fundamental bedroht sind. Welche
Position zur Demokratie für Linke auch die richtige sein mag, unbestritten
dürfte sein, dass die in den neuen Bundesländern in der Breite
fehlende demokratische Kultur eine der Ursachen für das im Osten
größere Nazi-Problem ist. Aber heißt das im Umkehrschluss
wirklich auch, dass mehr demokratische Kultur das Naziproblem verkleinert?
Sicher nicht. Mindestens so lange nicht, wie im Bild von der wehrhaften
Demokratie eine gesunde politische Mitte, flankiert von extremistischen
Rändern, die es zu bekämpfen gilt, vorgesehen ist.
Zwar ist Nazi-Terror ein überwiegend gesellschaftlich geächtetes
Phänomen, viel wichtiger aber als blinde Betroffenheit und purer
Aktionismus wäre eine breite gesellschaftliche Debatte zu rechten
Einstellungsmustern. Verschiedene wissenschaftliche Studien haben wiederholt
belegt, dass Antisemitismus, Rassismus, NS-Verharmlosung und
Demokratiefeindlichkeit nicht auf die zahlenmäßig viel kleinere
NPD-Wählerklientel begrenzt sind.(3) Nicht zuletzt zeigt dieser Umstand,
dass eine Gesellschaftsanalyse auf Basis des Extremismus-Modells verkürzt
ist, denn nicht auf Schubladen kommt es an, sondern auf politische Inhalte.
Rechte Einstellungen nur im (militanten) Nazimilieu zu verorten ist ganz
einfach falsch. Ähnlich ist auch der aktionistische Schrei nach einem
NPD-Verbot zu beantworten. Sicher wäre ein NPD-Verbot eine strukturelle
Schwächung von Nazis, aber eine Problemlösung steht hinter dem
angestrebten Parteiverbot vermutlich nicht. Ein Verbot der NPD macht nur Sinn,
wenn es sich dabei nicht um eine Ersatzhandlung für die Auseinandersetzung
mit rechten Einstellungen und damit um reine Symbolpolitik handelt. Es sollte
nicht darum gehen, wer der/die aktivste DemokratIn ist, sondern wie Nazis
wirksam bekämpft werden können. Ein NPD-Verbot kann dabei einer der
Aspekte sein. Die Stärkung der demokratischen Kultur trägt ebenfalls
zu einer wirksamen Anti-Naziarbeit bei; sicher aber nur, wenn sich ihre
TrägerInnen nicht einem Gesinnungs-TÜV unterziehen lassen müssen
oder in vorauseilendem Gehorsam freiwillig unterziehen. Und ganz sicher nicht,
wenn gesamtgesellschaftlich weiterhin in den Kategorien saubere
demokratische Mitte und extremistische Ränder gedacht wird.
Welche Anti-Naziaktivitäten jetzt zu ergreifen sind? Eine klare Antwort
darauf kann es so schnell nicht geben. Klar aber ist eines: Es braucht keine
staatlich inszenierten Lichter- und Menschenketten, deren Charakter
allerhöchstens punktueller Empörung gleichkommt. Solche Symbolpolitik
hat in der Auseinandersetzung mit Nazis keinen Erfolg gehabt und wird diesen
auch nicht erreichen. Ohnehin sollten sich staatliche Institutionen in der
Diskussion um einen angemessenen Umgang mit Nazis besser zurücknehmen.
Angemessen wäre eine staatliche Zurückhaltung schon alleine aus der
Tatsache heraus, dass das staatliche Kontrollinstrument Verfassungsschutz (VS)
mindestens grob fahrlässig zu den Morden des NSU beigetragen hat, obwohl
es sein erklärtes Ziel ist, das Gegenteil zu bewirken. Kaum zu
rechtfertigen ist folglich die weitere Existenz des VS, denn entweder hat der
VS von den Morden gewusst oder er war zu blöd sie zu verhindern. Beides
stellt die Existenz des VS infrage.
Die sächsische Staatsregierung muss jetzt die Kriminalisierung von
Antifaschismus beenden. Das heißt erstens: anerkennen, dass ihr Vorgehen
gegen Nazi-GegnerInnen verhältnislos ist. Und zweitens: zu erkennen, dass
es unsinnig ist, Engagement gegen Nazis einzufordern und gleichzeitig zu
kriminalisieren. Konsequenterweise muss auch die Extremismus-Klausel
abgeschafft werden. Demokratische Werte einzunehmen und Staatstreue zu leisten,
haben in unseren Augen nichts miteinander zu tun. Sollte die sächsische
Staatsregierung das anders sehen und Antifaschismus weiterhin delegitimieren,
wird sie die Verbraunung Sachsens unterstützen und befördern. Um das
zu erkennen, braucht es wahrlich keine prophetischen Eigenschaften.
Conne Island, Februar 2012