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Gratz, old Lady!

…dem CEE IEH zum Geburtstag

150 verschiedene Hefte in über dreizehn Jahren in selbstorganisierter Redaktion herauszugeben, welcher Kurz-Durchblätterer und welche Fünf-Minuten-Reinleserin weiß schon, was das wirklich bedeutet. Alle vier Wochen Termine planen, AutorInnen anstubsen, Veranstaltungen besuchen, interviewen, layouten, recherchieren, redigieren, kritisieren, plenieren,... – und das alles in einer Gesellschaft, die solchem Tun nicht einmal den Titel „Arbeit“ zuerkennt. Freizeit ist solch ein Projekt aber ganz sicher nicht. In unserer Redaktion hat sich deshalb die Gewohnheit eingeschlichen, auf die Frage eines vorbeischarwenzelnden, munter müßiggehenden Freizeitlers, was wir denn gerade tun, mit einem selbstironischen Lächeln zu antworten: „Wir? Wir machen Feierabend!“
Auch wenn sich dieses Bild sicher nicht ganz auf Eure redaktionelle Arbeit übertragen lässt, so zeigt es doch unser Verständnis, unsere Wertschätzung und unser Wissen darüber an, welche handfeste Arbeit hinter der schnöde jubilierenden Zahl 150 steckt. Klar ist es fraglich, ob es das CEE IEH in dieser hohen Schlagfrequenz von Monat zu Monat gäbe, wäre da nicht die Vorgabe, das Musik-Programm des Conne Island regelmäßig zu bewerben. Und fraglich ist auch, ob die Existenz dieses Heftes nicht gefährdet wäre, müsste die Redaktion Druck und Vertrieb nach den Notwendigkeiten und Bedürfnissen einer wankelmütigen, jeden Euro umdrehenden Leserschaft organisieren. Es steckt darin aber auch ein Stück Freiheit, die einerseits zu beneiden, andererseits zu besonderer Verantwortung am Inhalt drängt. Denn: 150 Hefte allein sind keine Garantie für eine wirkmächtige Rolle im Diskurs. Im Gegenteil, die lange Zeit ist eine stetig wachsende Hypothek darauf, die eigenen Positionen flexibel und beweglich zu halten, um nicht stecken zu bleiben, zu verhärten und letztlich ideologisch zu dogmatisieren. Es irren die, die meinen, nur von einer starren Position aus ließe sich wirksam überzeugen.
Fernab solcher Schwierigkeiten aber ist die langjährige Selbstorganisation unabhängiger, kontinuierlicher redaktioneller Arbeit eine Leistung, für die sich jede und jeder Involvierte letztlich nur selbst, im Blick zurück auf das Geschaffene, entlohnen kann. Hier sind die Unschärfen auch erlaubt. Deshalb könnt Ihr Euch heute guten Gewissens zurücklehnen, durchatmen und über die Bäuche streicheln, denn das CEE IEH ist wegen der Kontinuität und Regelmäßigkeit, der Stringenz und Konsequenz, allein schon wegen des langen Atems und dem Mut zur veröffentlichten Meinung aus dem engen Zwingkreis der freien politischen Bildung in Leipzig nicht wegzudenken. Und wenn man sich umsieht im Leipziger Blätterwald, ist es in den letzten Jahren noch trauriger geworden. Ob dies allein an den digitalen Wechselbädern der Medienlandschaft liegt, darf mensch getrost bezweifeln. Viel eher ausschlaggebend sind wohl das allgemeine politische Desinteresse und die immer weiter fortschreitende Bildungsarmut in fast allen Bevölkerungsschichten. Um so wichtiger ist eine publizistische Bildungsarbeit im Politischen, die sich den allgemeinen nationalistischen Trends, dem militaristischen Gebaren und Kriegstreiben der Staaten, der liberalen Sektiererei und der Enthistorisierung inhaltlichen Denkens entgegenstellt. Um so wichtiger ist die wahrnehmbare Öffentlichkeit einer Perspektive, die aus der Reflexion auf das Vergangene und auf dem Horizont der Gegenwart, das Mögliche skizziert: aufzeigend, anregend, provozierend und nach vorn weisend. Sicher, es gibt keine feste Pacht auf diesen progressiven Blick, eine jede Redaktion ist fehlbar darin, den entscheidenden Trend zu übersehen, Gegenstände schattenreich zu lassen, wo die Aktualität mehr Licht verlangt, falsche Wege einzuschlagen. Die Orientierung an den Begehrlichkeiten der Leserschaft ist deshalb genauso wichtig, wie die Verpflichtung gegenüber den Inhalten. Und die Unterschiede zwischen den Redaktionen sind hier so zahlreich wie die Differenzen. Dennoch zählt der vehement durchgehaltene Anspruch Kritik zu üben, Politik zu machen, Widerstand zu leisten – neu zu denken, Trends zu setzen, Leute aufzurütteln, anzuspornen. Darin, so denken wir, sind „CEE IEH“ und „Feierabend!“ über den breiten Graben der verschiedene Ansätze zwischen „marxistischem Materialismus“ und „anarchistischem Idealismus“, über den klaffenden Spalt differierender Richtungen zwischen „kritischer Theorie“ und „politischer Praxis“ und über die schmerzlichen Unzulänglichkeiten persönlicher Vorurteile zwischen „bleischwerem Theorieheft“ und „chaotischer Anarchopostille“ hinweg, doch in einem Punkt einig.
Das ist für uns hier und heute Grund genug, die Pfähle der Solidarität mit unseren druckgeschwärzten Händen in Euer weißes Papier einzurammen und die drängende Kritik für den Moment zurück zu stellen: Liebes CEE IEH, bitte denkt immer daran, wir wollen und werden Euch lesen! In diesem Sinne, Leute, tut es uns gleich, lest mehr CEE IEH, denn es lohnt und ist wichtig, sich politisch vielstimmig weiter zu bilden! Und meldet Euch, schickt Eure Vorschläge, Kritiken, nehmt Einfluss, damit die Redaktion weiß, worauf sie bauen und woran sie arbeiten muss. Denn nichts ist einschläfernder und letztlich frustrierender, als eine politische Zeitung oder ein Politik-Heft zu machen, ohne zu wissen, was die Leserschaft über die Arbeit, die Inhalte und die Präsentation der Themen nun letztlich denkt.
In diesem Sinne wünschen wir der gesamten Redaktion des CEE IEH viel Glück, Geschick und Mut für die Herausgabe der nächsten 150 Hefte

Euer Feierabend!
libertäres Monatsheft aus Leipzig


Kulturdisplace, 33.5k

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last modified: 24.12.2007