home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[158][<<][>>]

Die Redaktion dokumentiert im Folgenden den Text „Islam is lame!“ der Gruppe Hedonistische Mitte – Brigade Mondän. Der Text erscheint in zwei Teilen (Teil I in CEE IEH #157) und wurde in Zusammenarbeit mit den Autoren redaktionell gekürzt. Er wurde ausgewählt, da er in unseren Augen einen wertvollen Beitrag zur Diskussion um die „Ausformungen des Patriachats in nah und fern“ darstellt, die die Gruppe MFG in den Ausgaben #155 und 156 angestoßen hat. Dabei wollen wir nicht verschweigen, dass wir die Analyse des Verhältnisses von Entblößung und Verhüllung, „Westen“ und „Islam“, bei der Hedonistischen Mitte treffender finden.
dokumentation, 1.1k

Islam is lame!

Teil II: Das Kopftuchverbot für Schülerinnen als feministische und antirassistische Konsequenz einer Kritik des konservativen Alltagsislam gegen Kulturrelativisten, Traditionslinke und antideutsche Softies verteidigt

2. Das Kopftuchverbot für Schülerinnen als feministische und antirassistische Konsequenz der Kritik des konservativen Alltagsislam


Gartenzwerg, 132.1k

Dorfatheismus, christlicher Selbsthass und Pseudolaizismus prägten die in der BRD geführte Debatte um die Einführung eines Kopftuchverbots für Lehrerinnen noch in ihren „fortschrittlichsten“ Diskursbeiträgen.(1) Da verweist man auf die christlichen Kreuze in bayrischen Schulen und bemängelt, dass der BRD-Staat aufgrund der Privilegierung des Christentums in den Schulverfassungen einiger Länder selbst nicht konsequent laizistisch sei, um entweder (die reaktionäre Variante:) das Kopftuch-tragen von Lehrerinnen und die Abmeldung moslemischer Kinder vom Sexualkunde- wie gemischtgeschlechtlichen Schwimm- und Sportunterricht zu verteidigen oder (die „progressive“ Variante:) in einer Gleichsetzung von Kippa, Kreuz und Kopftuch den konsequenten Ausschluss jeglicher religiöser Symbolik aus den Schulen zu fordern. In beiden Fällen hat man vom Laizismus bzw. vom Wesen der bürgerlichen Gesellschaft (der „politischen Emanzipation“, wie Marx sagt) nichts begriffen und geht der konservativ-islamischen bzw. islamistischen Ideologie auf den Leim.

Zum Wesen des Laizismus bzw. der politischen Emanzipation

Politische Emanzipation heißt neben polit-ökonomischen Befreiungen (z.B. der Arbeit, des Kapitals, des Rechts) von feudalen Zwängen und Einschränkungen die konsequente Befreiung des Staates von der Religion. Nach Marx besteht die menschliche Emanzipation (der Kommunismus) demgegenüber in der Emanzipation des Bürgers zum Menschen, i.e. die Befreiung des Menschen von Kapital, Arbeit und Religion.(2) Obgleich Marx den Gewaltcharakter der bürgerlichen Gesellschaft, d.h. der politischen Ökonomie, des bürgerlichen Staates und des bürgerlichen Rechts offen legt, fordert er politisch ihre konsequente Verwirklichung und kritisiert daher Ausschlüsse wie den der Juden von bürgerlichen Rechten. Darüber hinaus bezeichnet er die politische Emanzipation, deren Gradmesser für Marx die Emanzipation der Juden ist, als Voraussetzung der menschlichen Emanzipation und als unter den gegebenen Umständen die einzig und best mögliche.(3) Als vorbildlich für das reaktionäre Deutschland werden in diesem Sinne die Verhältnisse in den USA konstatiert. Dass die gegebenen Umstände für eine menschliche Emanzipation (Kommunismus) heute (in Deutschland wie der Welt) günstiger sind als 1843/44, wagen wir zu bezweifeln.
Politische Emanzipation und Befreiung des Staates von der Religion (Laizismus) bedeuten konkret: die Entchristianisierung der europäischen Staaten, die strikte Trennung von öffentlichem Raum und Privatsphäre, die Spaltung des Menschen in citoyen und bourgeois, den Schutz der Privatsphäre vor Zugriffen des Staates, die Garantie der Religionsfreiheit, d.h. das Recht der Privatmenschen, eine Religion frei zu wählen („Privatschrulle“) oder areligiös zu sein, was eine Gleichbehandlung aller Religionen seitens des Staates impliziert. Gleichzeitig bedeuten Schutz der Privatsphäre und Laizismus aber eben nicht das Recht und die Freiheit, Menschen-, Bürger-, Persönlichkeits- und Kinderrechte anderer zu verletzen. Die strafrechtliche Verfolgung von Sekten z.B. zeigt schon an, dass Aberglaubensgemeinschaften Bedingungen zu erfüllen haben, um als Religionsgemeinschaft, die unterm staatlichen Schutz der Religionsfreiheit steht, anerkannt zu werden.
Bei allen Differenzen der Techniken des Jungfrauenkäfigs hinsichtlich ihrer Drastik und der Vielfalt ihrer Kombinationsmöglichkeiten: jede einzelne verletzt die Rechte von Mädchen und Frauen. Das Kopftuch ist ein bzw. das Symbol spezifisch islamischer Menschenrechtsverletzung. Was immer man also von christlichen Kreuzen in Klassenräumen oder als Kettenanhänger auch nicht-christlicher Subkulturen hält, was auch immer einen die Kopfbedeckungen von Juden angehen: die Gleichsetzung und Gleichbehandlung von Kreuz, Kippa und Kopftuch verbietet sich. Noch mal: Kreuz und Kippa sind heute abstrakte Symbole von Religionen, die mit den Menschenrechten nicht auf dem Kriegsfuß stehen. Das Kopftuch dagegen ist konkretes Symbol und Unterdrückungstechnik des konservativ-orthodoxen Islam bzw. Islamismus, also von kriminellen Vereinigungen, deren Ziel nicht nur die rigorose Drangsalierung von Frauen ist. Deren juristische Taktik besteht darin, dass Kopftuch als abstraktes Symbol einer friedfertigen Religion zu verkaufen, die unterm Schutz von Religionsfreiheit steht. Darauf sollte man nicht hereinfallen.

Zur Notwendigkeit islamischer Regime- und westlicher Paradigmenwechsel

Die Lebensverhältnisse migrantisch-islamischer Frauen im Westen unterscheiden sich von denjenigen moslemischer Frauen in islamischen Staaten. Die Lage letzterer ist ziemlich aussichtslos. Menschenrechte allgemein zählen dort oft nicht viel und es gibt in ihrer unmittelbaren Nähe keine Frauen, die nicht in derselben Art und Weise unterdrückt würden wie sie selbst. Zur Besserung ihrer Situation bedarf es eines Regimewechsels. Statt Liberalisierungs- sind meistens jedoch eher Islamisierungstendenzen islamischer Staaten festzustellen. Die Möglichkeit eines von außen bewirkten Regime change hängt von anderen Faktoren und Interessen als einer Befreiung von Frauen ab. Davon ist die Erfahrungswelt migrantisch-islamischer Frauen im Westen grundsätzlich unterschieden. Sie leben in Staaten, in denen die Menschenrechte nicht nur hochgehalten werden, sondern in der Regel für Bürger und Menschen mit legalem Aufenthaltsstatus auch gelten. Von allen Frauen, die als Staatsbürger oder Menschen mit legalem Aufenthaltstatus in dem jeweiligen Territorium leben, sind sie nahezu die einzigen, deren elementare Rechte systematisch beschnitten werden. Zu ihrer Emanzipation (und das sollte nicht zuletzt oberstes Anliegen auch eines redlichen Feminismus sein) ist kein Regime change nötig, sondern lediglich ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel – vom rassistischen Gastarbeiter- bzw. nicht weniger rassistischen Multikultidispositiv zum antirassistischen Einwanderungs- bzw. Integrationsdispositiv – also: die Verwirklichung politischer Emanzipation. Das heißt in anderen Worten: von einer „Integration“ von Kollektiven (i.e. die Akzeptanz von Parallelgesellschaften und kultureller Differenz) zu einer Integration von Individuen (i.e. Rechtsschutz individueller Differenz vorm repressiven Zugriff „kultureller“ Kollektive).

Sinn und Zweck eines Kopftuchverbots für Schülerinnen

Aus all dem folgt: effektiv, kurzfristig und allgemein (d.h. über den Einzelfall hinausgehend) hängt die Emanzipation moslemischer Frauen davon ab, den überholten islamischen Ehrbegriff, die dazugehörige Gruppendynamik und die Fixierung auf weibliche Jungfräulichkeit wirksam zu zerstören. Das heißt, eben nicht auf Maßnahmen zu vertrauen, welche ausschließlich von der einzelnen Frau oder dem einzelnen moderateren Moslem erwarten, sich gegen die Community zu stellen, sondern auf Maßnahmen gegen den Clan und seine Ideologie zu setzen, hinter denen sich dann einzelne fortschrittliche Moslems verstecken können und zu denen konservative Moslems gezwungen werden, so dass der Verlust der spezifisch islamischen Ehre ein kollektiver ist. Eine solche effektive, realistisch durchführbare und juristisch einwandfreie Maßnahme wäre die Durchsetzung eines Kopftuchverbots für Schülerinnen staatlich anerkannter Schulen; flankiert von einer auch Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft gegenüber repressiven Wahrung der Schulpflicht und einem Verbot, Schüler und Schülerinnen aus „religiösen“ oder „kulturellen“ Gründen von Sexualkunde, Sport- und Schwimmunterricht sowie Klassenfahrten abzumelden.
Dieser Vorschlag klingt radikal und man hört linke und antideutsche Softies schon weinen (doch dazu später). Der Witz ist, dass dieser Vorschlag deshalb nur radikal erscheinen kann, weil Schule und bürgerlicher Staat ihre antirassistische, laizistische, feministische Pflicht bisher vernachlässigt haben.
Im bürgerlichen Selbstverständnis ist neben der Wissensvermittlung die Hauptaufgabe von Schule: die Schüler und Schülerinnen im Sinnes des GG ohne Ansehen von Klasse, Rasse, Religion und Geschlecht zu Staatbürgersubjekten zu erziehen, die im Rahmen bürgerlicher Gesetze ihre egoistisch-individuellen ökonomischen, politischen, symbolischen, sexuellen Interessen vertreten können.(4) Dieser Erziehungsauftrag wird von streng religiösen islamischen Familien zurzeit erfolgreich unterwandert und konterkariert. Wenn es neben mehrheitsgesellschaftlich vorhandenem Rassismus einen spezifisch religiös bedingten (was die linke Rede von Islamophobie meint) sowie einen antifeministischen Rollback gibt, dann dort, wo Staat und Schule die Diskriminierung von als „migrantisch-religiös-islamisch“ stigmatisierten Mädchen dulden.(5) Alle machen, was Spaß macht: Klassenfahrten, schwimmen, Sport; sie nicht. Alle erfahren sexuelle Aufklärung als Voraussetzung eines selbstbestimmten Sexuallebens; sie nicht. Von Beeinträchtigungen des Hörvermögens durch bestimmte Arten von Kopftüchern, d.h. einer unnötigen Schwierigkeit, dem Unterricht zu folgen, gar nicht zu sprechen.
Die Vorteile dieser Maßnahmen liegen auf der Hand:
1) Sie setzen bei den Mädchen von klein auf an und schaffen Räume und Zeitabschnitte, in denen ihre Rechte gewahrt und die Vorraussetzungen weiblicher Subjektivität gelernt werden können.
2) Dies wird innerhalb dieser Raum- und Zeitfenster nicht ohne Lerneffekt für die entsprechenden Jungen, Brüder bleiben. Es sei denn, sie wähnen sich komplett von Huren umgeben.
3) Dies ist überhaupt erst Voraussetzung des apostrophierten freiwilligen Anlegens eines Kopftuchs, wofür das Familienleben und die Freizeit ja Raum und Zeit böten; seine repressive Bedeutung aber notwendig an Kraft verlöre.
4) Alle moslemischen Väter (und Mütter) haben dies gleichermaßen zu akzeptieren. Sie erleben daher einen kollektiven Ehrverlust, was den Begriff der Ehre gewissermaßen obsolet werden lässt bzw. ad absurdum führt. Auf jeden Fall haben sie es schwieriger, sich gegenseitig unter den Druck zu setzen, die Ehre gegenüber den jeweiligen Töchtern durchzusetzen – die gemäßigten Moslems und Atheisten, die einzelnen Väter migrantisch-islamischen Hintergrundes wären gegenüber dem Clan entlastet.
5) Die sogenannten gemäßigten oder fortschrittlichen offiziellen Vertreter moslemischer Gemeinden und Vereine wären gezwungen, sich entweder explizit auf den Boden des Grundgesetzes zu stellen, d.h. eine Version des Islam für Moslems denk- und lebbar zu machen, die (ebenso wie Christen- und Judentum) vereinbar mit dem politischen Liberalismus ist, oder ihr konservativ-islamisches bzw. islamistisches Gesicht offen zu zeigen. Die Zeit der Lippenbekenntnisse, des feigen Herumeierns und der Ausnutzung der liberalen Demokratie für die Aufrechterhaltung prämodern-, patriarchalischer und drastischer Geschlechterverhältnisse wäre am Ende.

Zusammenfassung

Eine breite zivilgesellschaftliche Kampagne zur Einführung und Durchsetzung des Kopftuchverbots würde also ein zentrales sichtbares Symbol und Herrschaftsmittel des orthodox-konservativen Islam wie Islamismus angreifen, „Wissen“ über das System Islam in der Öffentlichkeit verbreitern, Sensibilität für die Lage von moslemischen Mädchen und Frauen schaffen und reformerische Veränderungen der „islamischen Gemeinschaft“ anstoßen und gleichzeitig den dringend gebotenen Paradigmenwechsel der Mehrheitsgesellschaft, i.e. ihre politische Emanzipation verwirklichen.
Obwohl also nichts gegen eine solche antirassistische und feministische Kampagne spräche, würde sich gerade auch aus dem Lager der Traditionslinken und poststrukturalistischen, vulgärmarxistischen, antideutschen Softies Widerstand gegen sie rekrutieren. Im folgenden werden daher nicht nur die zentralen Einwände und Vorwürfe zurückgewiesen, sondern zugleich zu erklären versucht, woher der sich als Feminismus und Antirassismus gerierende Aufklärungsverrat dieser Linken rührt.

3.Verteidigung des Kopftuchverbots für Schülerinnen gegen linke Komplexe und Denkblockaden

Vorauszusehen ist, dass die Stärke der vorgeschlagenen Kampagne ihr von solchen Linken als ihre Schwäche ausgelegt würde: nämlich an eine Emanzipation von außen und von oben zu appellieren. Ersteres führt dann zum Paternalismusvorwurf, letzteres zum Vorwurf einer Staatsaffirmation. Für beide Vorwürfe sind wiederum jeweils zwei Komplexe bzw. Denkblockaden zentral. Zum einen die Ersetzung gebotener Empathie mit den Opfern einer repressiven Sexualmoral und Fragen ihrer wirksamen Emanzipation durch die Sorge um die Reinhaltung des eigenen linken „antirassistischen“ oder „staatskritischen“ Selbstbildes, und zum anderen mangelndes Differenzierungsvermögen bzw. schlicht Verwechslung von politischer und menschlicher Emanzipation. Beide Komplexe und Denkblockaden stärken und bestätigen sich wechselseitig.

Paternalismusvorwurf I – Der Spivak-Fanon-Komplex oder: Wer hat Angst vorm weißen Mann? –

In seiner dümmsten und reaktionärsten Form hantiert der Paternalismusvorwurf mit dem Leitmotiv des Poststrukturalismus: White men saving brown women from brown men – diesen nicht lobend sondern kritisch gemeinten Satz schuf Gayatri Chakravorti Spivak mit Bezug auf das Verbot der Witwenverbrennung in Indien durch die britische Kolonialmacht. So habe das Verbrechen der Briten darin bestanden, die Frauen vor dem Verbot nicht gefragt (i.e. als Subjekte wahrgenommen) zu haben, was sie denn als indische Frauen so von der Witwenverbrennung halten. Ähnlich rücksichtslos, folgt man dieser Logik, handelten die weißen Truppen Abraham Lincolns bei der Befreiung der schwarzen Sklaven und Sklavinnen der Südstaaten. Die Propagierung des klassisch romantisch-identitären Ideals, dass brown women sich gefälligst ohne Einmischung von außen selbst zu befreien hätten, bedeutet nicht nur im übertragenen, „unbewussten“ Sinne, dass der Kampf gegen z.B. Antisemitismus Sache der Juden (als tatsächlichen und potentiellen Opfern) sei, sondern auch im Bewusstsein des linken Selbstverständnisses, dass man den „Verdammten dieser Erde“ in Ausrichtung ihres Kampfes und Wahl der Mittel nicht von außen hineinreden dürfe. Dann nämlich erscheinen die Selbstrassifizierungen von Migranten oder kolonisierten Bevölkerungen und die Selbstislamisierungen der Menschen moslemischer Staaten, die fast immer auf den Rücken von Frauen und häufig Juden ausgetragen werden, als mögliche Reaktionen auf den Rassismus der Mehrheitsgesellschaft bzw. die Ausläufer der Kolonialgeschichte. Statt in Franz Fanon einen Vordenker dieser reaktionären Dialektik der wechselseitigen Bestimmung kolonialistischer und antikolonialistischer Identitätsbilder, Fremd- und Selbstzuschreibungen, zu sehen und folglich mit entsprechend inspirierten konformistischen Rebellionen zu brechen, sucht man sich in die Tradition solcher Befreiungskämpfe zu stellen und ein Werk sich kritisch anzueignen, dass u.a. eine Fetischisierung der Violenz betreibt und die algerische Frau mittels Kopftuchzwang vor den Zugriffen der Kolonisatoren und ihrer Damenhüte retten will. Solch kritische Aneignung, die aus der theoretischen Durchdringung von Entstehungskontexten politischer „Fehler“ – d.h. anti-emanzipatorischer Aufstände – eine Werbung für deren sozialpädagogisches Verständnis macht, offenbart am Rande gesagt den eigenen Paternalismus den „Verdammten dieser Erde“ gegenüber.(6)
Nehmen wir ein paar exemplarische Textblüten, zu denen es dieses Milieu bzgl. der Situation moslemischer Frauen in der BRD ganz „antisexistisch“, „antirassistisch“ und „antikolonialistisch“ treibt, etwas genauer unter die Lupe(7):

Ich finde es wichtig, in dem Falle feministische Kritik an patriarchaler Sexualmoral zu üben, wobei es völlig egal ist, ob sie von Muslim/as oder sonst wem vertreten wird, ohne nach einem repressiven Staat zu rufen. Ich finde es auch wichtig, dass der Staat Zwangsehen, Genitalverstümmelung, Morde an Frauen, häusliche und sexualisierte Gewalt verfolgt. Debatten darum, dass Verbrechen an Frauen schlicht und ergreifend Verbrechen sind, bei denen die Frage nach „kultureller Differenz“ oder „Tradition“ zweitrangig ist, sind in postkolonialen Kontexten schon in den 80er Jahren gelaufen. Anstelle das Rad neu zu erfinden, könnte da auch auf Erfahrungen und Wissen zurückgegriffen werden.

Von der anklingenden „Staatskritik“, auf die wir weiter unten eingehen werden, abgesehen – es kann doch nicht so schwer sein, das Einfachste zu begreifen, zu dem das Rad nicht neu erfunden, allerdings die Sichtblende „postkolonialer Kontexte“ abgelegt werden müsste: Für die Frage nach der Wahrscheinlichkeit, mit der eine in der BRD lebende Frau Opfer z.B. einer Zwangsehe wird, ist „kulturelle Differenz“ oder „Tradition“ keineswegs zweit-, sondern erstrangig. Das gilt sogar für das Lieblingsthema der Antipat-Linken: die Vergewaltigung. Sie ist die Regel im islamischen Patriarchat. Und auch dort, wo sie nicht die Regel ist, wenn etwa der Onkel die Nichte vergewaltigt, gebietet die Ehre getreu dem arabischen Sprichwort, dass „eine verborgene Schande“ usw., das großfamiliäre Schweigen über diesen Vorgang (siehe oben).

Vielleicht ist das auch noch mal ein Argument, die bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften in ihrer Gesamtheit mit etwas kritischer Distanz zu betrachten, anstelle die „bürgerlichen Glücksversprechen“ von kapitalistisch-patriarchalisch-rassistischer Realität und kolonialer Geschichte zu lösen und abzufeiern.

Hier wird zurückgewiesen, was niemand verlangt. Es würde reichen, die „bürgerlichen Glücksversprechen“ gegen Aspekte bürgerlicher Realität und Vergangenheit zu wenden und folglich die Ambivalenz der bürgerlichen Gesellschaft in Historie wie Gegenwart wenigstens gegen z.B. die orthodox islamische Negation jeder Ambivalenz und jeden Anspruchs auf individuelles, diesseitiges Glück zu verteidigen. Dann könnte man auch über Kommunismus ins Gespräch kommen oder irgendwelche fiesen heterosexuellen Zwangsmatrizen glaubwürdig kritisieren.
„Es bringt nichts, beides gegenüberzustellen“ – solch Behauptung leitet dann die antipatriarchalische, antirassistische Gleichmacherei des islamischen Patriarchats und der bürgerlichen Gleichstellung von Mann und Frau ein. Und das ist noch nicht alles, was dieses Milieu zu bieten hat:

Es ist doch ein schlechter Witz, die „Spezifik des gegenwärtigen islamischen Patriarchats“ über archaische Clanstrukturen erklären zu wollen, anstelle z.B. zu fragen, wie „islamische“ Vorstellungen von Ehre und Schande und Übersexualisierug von Frauen bei gleichzeitiger Beschränkung weiblicher subjektiver Sexualität Elemente des modernen Sexismus übernommen haben und Geschlechterrollen nicht mehr nur religiös, sondern auch „natürlich“ begründet werden (der Zauber liegt dann in der wunderbaren Übereinstimmung).

„Ein schlechter Witz“ ist dagegen vielmehr, einem nicht verstandenen Erklärungsansatz die skurrile Behauptung entgegenzustellen, dass der Westen (oder sein „Sexismus“ oder die Moderne) jetzt auch noch für 1400 Jahre alte spezifisch islamische Vorstellungen von Ehre und Schande, von einer Übersexualisierung des Frauenkörpers, die seine Zerstörung legitimiert, verantwortlich sind!
Aus diesem Blödsinn, der dem (mit Antiimperialisten verglichen) eigentlich intelligenterem Teil der Linken entspringt, spricht nicht das gedankliche Durchdringen einer Sachproblematik, sondern zum Einen offensichtlich das schlechte Gewissen eines weißen Antisexismus und die Sorge ums antirassistische Selbstbild, zum Anderen etwas weniger offensichtlich die Verwechslung politischer und menschlicher Emanzipation. Nur, weil die Frauen der bürgerlichen Gesellschaft noch nicht vollständig politisch (und ökonomisch, symbolisch) und wie alle Bürger noch nicht menschlich emanzipiert sind, können von einem Standpunkt der menschlichen Emanzipation, der sich einen Dreck um die politische schert, moslemische wie westliche Frauen als gleiche Opfer ein und desselben Patriarchats oder Herrschaftsverhältnisses erscheinen. Es handelt sich um die antiwestliche Sklavenmoral weißer Antisexistinnen, die für migrantisch-islamische Frauen folgende Botschaft haben: ‚Was wollt ihr mit unseren Rechten? Wir werden doch auch unterdrückt!’

Paternalismusvorwurf II – Täter, Opfer und Subjektivierungsbedingungen –

Etwas intelligenter gelagert kommt der zweite Paternalismusvorwurf daher. Eine Emanzipation von außen und oben zu fordern, das nehme ja die zu Emanzipierenden irgendwie vor allem als Opfer wahr und nicht auch als Täterinnen bzw. als politische Subjekte ernst. Tun wir uns ein weiteres Mal den poststrukturalistischen O-Ton an:

Frauen als Subjekte zu begreifen impliziert auch, davon Abstand zu nehmen die edle Unschuld als tapferer weisser Ritter vor den bösen Patriarchen retten zu wollen. Frauen, die als Handelnde und nicht nur als „Opfer“ angenommen werden, müssen selbst kritisiert werden, wenn sie Herrschaftsverhältnisse reproduzieren, wie eben durch das Tragen des Kopftuchs, das die patriarchalische (patriarchalische, nicht spezifisch muslimische!) Unterscheidung von ehrbaren Frauen und Huren / Schlampen ermöglicht und damit nicht nur seine Trägerin sondern auch die Nicht-Trägerinnen beleidigt. […] Dann müssten aus einer aktuell-feministischen Perspektive Frauen – ob nun muslimisch oder nicht – als handelnde Subjekte begriffen, und ihnen auch so begegnet werden. Das heißt einerseits anzuerkennen, dass sich Muslimas im Rahmen der ihnen erscheinenden Möglichkeiten Wege suchen, zurechtzukommen und sich Freiräume erkämpfen. Das Kopftuch ist eine dieser Möglichkeiten. Während es in muslimisch geprägten Gesellschaften Ehrbarkeit demonstriert und damit gleichzeitig den Zugang zum öffentlichen Raum, zu Job und Uni eröffnet, ist es in Europa mit Widerstand gegen die Anpassung und Demütigung der eigenen Eltern und der Schaffung einer positiven Identität als Muslima verbunden; und auch wenn das Kopftuch hier den Trägerinnen Chancen verbaut, kann es dennoch eine Möglichkeit sein, von der Familie größere Bewegungsfreiheit zugestanden zu bekommen oder, wie in der banlieue, sich vor gewalttätigen Übergriffen junger Männer zu schützen. […] Das Kopftuch ist zu einer Form von accomodative resistance geworden. Insofern können Kopftuchverbote die Wirkung haben, den Trägerinnen erkämpfte Freiräume und Möglichkeiten des Zurechtkommens wegzunehmen – da nämlich das Kopftuchverbot an ihren Lebensumständen grundsätzlich nichts verbessern kann.

Sehen wir davon ab, dass diesen Passagen nicht mal innere Konsistenz zugesprochen werden kann – schließlich heißt moslemische Frauen ‚anti-paternalistisch als Subjekte wahrnehmen’ am Ende soviel, als vor dem islamischen Patriarchat kapitulierend das Kopftuch ganz paternalistisch als Ausdruck vieler Möglichkeiten junger Frauen zur Erkämpfung von Freiräumen zu verstehen, oder gar als Protest gegen die „Anpassung und [sic!] Demütigung der eigenen Eltern“ – dieser Assimili-Kümmels! – „und [sic!] der Schaffung einer positiven Identität als Muslima“, während zu Beginn gefordert wurde, Kopftuchträgerinnen zu kritisieren – die hier in Geschwätz verwandelte Rede von „Handelnden“ und „Subjekten“ hat nämlich einen vernünftigen Ursprung, der zwar aufgerufen wird, aber wenn er verstanden und beherzigt würde, den ganzen Blödsinn von wegen „patriarchalische, nicht spezifisch muslimische!“ als solchen offenbar werden ließe. Der sogenannte Täterinnenbegriff wie die Subjektivierungsproblematik wurden in den 1980er Jahren in die feministische Theorie getragen, um der faktischen Abschaffung des Patriarchats in der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft Rechnung zu tragen.(8) Sortieren wir also:
Das Begriffspaar „Täter/Opfer“ ist unproblematisch, d.h. adäquat in Bezug auf einseitig ausgeübte bzw. überlegene physisch-körperverletzende Gewalt von Menschen gegen Menschen, weil, bzw. insofern das Opfer an seiner Unterdrückung selbst nicht aktiv beteiligt ist. Diese Ausübung von Zwang hat die bürgerliche Gesellschaft im Staat monopolisiert und auf die Ausnahme beschränkt. In der Öffentlichkeit wie im Privatraum stellt jede Form der physischen Gewaltanwendung nicht-staatlich-legitimierter Akteure gegen Menschen in der Regel das Gewaltmonopol des Staates in Frage und steht unter Strafe. Für „westliche“ Frauen in „westlichen“ Gesellschaft gilt daher, dass sie zwar (innerkapitalistisch betrachtet) nicht vollständig politisch/ökonomisch/symbolisch und (kapitalismuskritisch betrachtet) wie alle Bürger nicht menschlich emanzipiert sind, dennoch der Begriff „Opfer“ ihre gesellschaftliche Stellung nicht (mehr) adäquat zum Ausdruck bringt. Frauen werden (in der Regel) zu nichts geschlechtsspezifischem physisch-körperlich gezwungen und partizipieren an bürgerlicher Rechtssubjektivität. Im „Ausnahmefall“ physisch-körperlicher Gewaltanwendung gegen westliche Frauen gebietet Empathie, diese als Opfer zu bezeichnen; gleiches gilt umgekehrt, wenn Frauen zu Tätern an Schwächeren (Alten und Kindern, viel seltener Männern) werden. Die Abschaffung des Patriarchats de jure bedeutet natürlich auch nicht, dass Männer wie Frauen von heute auf morgen mit sämtlichen habituell eingeübten traditionellen politisch-ökonomisch-symbolischen Strukturen brechen. Der feministische Täterinnen-Begriff wollte nun denkbar machen, dass Frauen an der Reproduktion bestimmter geschlechtsspezifischer Herrschaftsverhältnisse auch aktiv, tätig beteiligt sind.
Für die Stellung der Frau in streng islamischen Staaten oder den Islam orthodox praktizierenden Familien wo auch immer ist aber das entscheidende, dass der Frau nicht nur der rechtliche Subjektstatus, sondern Subjektivität schlechthin abgesprochen wird. Sie ist daher im engen Sinn des Wortes zunächst „Opfer“ von an ihr ausgelebter oder ihr angedrohter physisch-verletzender Gewalt bis hin zur Tötung. Die „Muslima“ als Subjekt wahrnehmen zu wollen, mag nett gemeint sein, dieser fromme Wunsch allein produziert aber aus sich heraus noch lange keine wirklichen Subjekte. Daher gehen auch die bisherige bürgerliche Integrationspolitik, der Rechtstaat und die zivilgesellschaftliche bzw. öffentliche Angebotspolitik konsequent an der Sache vorbei. Desgleichen wurde gezeigt, dass auch Mädchen/Frauen aus streng islamischen Familien, die sich – nicht selten ohne Bruch mit der Familie – selbst (allerdings nicht ohne jede fremde Hilfe) aus ihrer Unterdrückung befreit und dies überlebt haben, nicht plötzlich einfach nur „Subjekte“ geworden sind, da zum gewöhnlichen Subjekt-Sein im bürgerlichen Sinne schließlich kein Heldenmut gehört, solcher aber eben gerade jene Frauen und Mädchen zwangsläufig auszeichnet. Für die moslemischen Männer gilt, dass sie einerseits Täter an ihren Frauen und Töchtern sind, andererseits selbst unter dem gruppendynamischen Druck des Clans stehen, was sie natürlich nicht zu Opfern macht, aber bedeutet, dass eine Verbesserung der Stellung moslemischer Frauen im allgemeinen (nicht nur im Einzelfall) erst dann effektiv möglich ist, wenn eine emanzipatorische Politik den Ehrbegriff samt Gruppendynamik aufbricht, das heißt den realexistierenden Clanstrukturen an die Eier geht. Sind moslemische Frauen also zunächst in der Regel Opfer, so werden sie auch zu Täterinnen an ihren (Schwieger-) Töchtern. Ebenso wie sie an der symbolischen Beschimpfung der Nicht-Trägerinnen von Kopftüchern (migrantischen oder mehrheitsgesellschaftlichen Hintergrundes) als Hure teilhaben. Eine Wahl haben sie natürlich im Grad der Rigorosität, mit der sie agieren. Trotzdem handelt es sich hierbei um keine unbewusste Teilhabe an bzw. Reproduktion der eigenen Unterwerfungsbedingungen, sondern um Taten, die im Sinne des klassischen „Täter/ Opfer“ Begriffspaares zu fassen sind und unter Gewaltandrohung erzwungen werden.
Bevor man also mit einem jeglichen Inhalts entkleideten abstrakten Paternalismusvorwurf in die Volks-Suppen-Küche geht, und dabei mit begrifflichen Zutaten wie Täter, Opfer, Subjekt und Subjektivierung jongliert, sollte man die unterschiedlichen Ebenen auseinander halten lernen, die diese Begriffe eben unterschiedlich funktionieren lassen: (unbewusste oder bewusste) Alltagspraktiken oder (intentionale) Interessenpolitiken jeweilig im Rahmen des (islamischen) Patriarchats oder der bürgerlichen Gesellschaft. Andernfalls produziert man eine ungenießbare Soße, von der obiges Zitat Zeugnis ablegt.
Wenn also den Verfassern dieses und ähnlicher Texte darüber hinaus ganz gegensexistisch, gegenrassistisch und elendskitschig ihr männliches Geschlecht, ihre weiße Hautfarbe und ihre vermeintlich soziale Stellung (warum eigentlich nicht noch ihr Ketterauchen und ihr Alkoholproblem?) zum Vorwurf gemacht oder ihre Verteidigungen der rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau und des Rechts von Frauen auf selbstbestimmte Sexualität als Ausdruck von Mackertum denunziert werden(9), geht es weder um Empathie für die Opfer des islamischen Patriarchats, noch um die Thematisierungen der Täterschaft von Frauen oder die Wahrnehmung politischer Frauen als politischer Subjekte, also um die Sache, sondern lediglich um die sklavenmoralische Verteidigung linksfeministischer Befindlichkeiten und das Übertünchen begrifflicher Defizite.

Zum Vorwurf der Staatsaffirmation – Kritik der Staatskritik –

Zweifelsfrei appelliert die vorgeschlagene Kampagne nicht nur an eine Emanzipation von außen, sondern sogar an eine von oben. Wir haben in den obigen Zitaten schon ein Unbehagen mit der Anrufung des Staates feststellen können. Gewitzte Vulgärmarxisten argumentieren im Allgemeinen etwa so: aus herrschaftskritischer Perspektive kann doch unmöglich der Staat in seiner herrschaftlichen Verfasstheit als Akteur zur Durchsetzung herrschaftskritischer, emanzipatorischer Projekte aufgefordert werden. Oder in der „antideutschen“ Variante: sollen ausgerechnet Deutsche, man denke an Auschwitz oder die rassistischen Pogrome der 1990er Jahre, Migranten erziehen? In der Tat birgt ja jede Anrufung des Staates, und erst recht eine, die auch auf Repressionen setzt, Risiken. In unserem Fall z.B. wäre die Befürchtung durchaus nicht unberechtigt, dass staatliche Repressionen gegen bestimmte Migranten in den Staatsorganen oder der Mehrheitsbevölkerung Rassismus Vorschub leisten könnten. Die Konsequenz dieser Einwände wäre, sich die Mühe materialistischen Abwägens zu machen, d.h. sich auf die Widersprüche der Wirklichkeit einzulassen, derart, dass die Frage gestellt wird, ob das, was die Kampagne positiv erreichen soll und kann, es rechtfertigt, das Risiko möglicher negativer Begleiterscheinungen einzugehen. Solch materialistisches, an der Sache orientiertes und von Empathie mit den Opfern des islamischen Patriarchats geleitetes Abwägen wird jedoch von Vulgärmarxisten und antideutschen Softies prinzipialistisch, idealistisch und moralistisch abgewehrt. Auch hier wieder bilden Hasenfüßigkeit und der Wille zur widerspruchsfreien Selbstidentität des staatskritischen, staatsfeindlichen oder antideutschen Linken Hauptmotive der jeweiligen Einwände gegen die Kampagne.
Abschließend bleibt noch auseinander zu legen, dass die Kampagne aus einer herrschaftskritischen Sicht, die sich auf Marx bezieht, nur konsequent wäre, bzw. der linken Staatskritik hier wieder die Verwechslung von politischer und menschlicher Emanzipation zugrunde liegt: da die menschliche Emanzipation aus Bürgern Menschen macht und sie vom (bürgerlichen) Staat befreit, wäre es tatsächlich ein Widerspruch der Sache (statt des linken Selbstbildes), riefe man den (bürgerlichen) Staat als Akteur seiner Überwindung, Aufhebung an. Da die politische Emanzipation aber u.a. die Befreiung des bürgerlichen Staates von feudalen und religiösen Fesseln und Emanzipation der Untertanen zu Bürgern ist, stellt es keinen Widerspruch der Sache dar, wenn der Staat hier als Akteur dieser (also seiner eigenen) und jener Emanzipation auftritt.

Zusammenfassung

Die Kampagne fordert von bürgerlichem Staat und Öffentlichkeit nichts anderes als die Verwirklichung der politischen Emanzipation. Für Mädchen/ Frauen in konservativ islamischen Familien böte sie die Chance einer Partizipation an jenen elementaren Menschen-, Bürger-, Persönlichkeits- und Kinderrechten, die für alle anderen Bürger und Menschen mit legalem Aufenthaltsstatus in der BRD selbstverständlich sind. Und „die freie Entwicklung eines jeden“, sagen Marx/ Engels, ist „die Bedingung für die freie Entwicklung aller.“(10) Dass einer solchen freien Entfaltung auf dem Boden des Kapitalismus Grenzen gesetzt sind, mit für Menschen unterschiedlichen Konsequenzen entlang der Achsen Zentrum/ Peripherie, Klasse und weniger zwingend Rasse, Geschlecht, usw. ist Grund genug, an der Perspektive menschlicher Emanzipation festzuhalten. Dennoch bzw. deshalb stellt die zu verwirklichende Teilhabe an dieser eingeschränkten freien Entfaltungsmöglichkeit der eigenen Person (die das GG in Artikel 2, Abs.1 verbürgt) für Mädchen und Frauen konservativ islamischer Familien einen Fortschritt ums Ganze dar.
Die herrschende Politik und die bürgerliche Öffentlichkeit der BRD sind hegemonial augenblicklich noch multikulturalistisch und kulturrelativistisch verfasst. Diese Ideologien legitimieren innenpolitisch Techniken der Elendsverwaltung (im Karneval der Kulturen feiern zumeist sozial Benachteiligte ihre „kulturelle Differenz“ oder die Deprivierten verköstigen sich bei Volksküchensuppenfesten gegenseitig mit den „nationalen Spezialitäten“, usw.); außenpolitisch bilden sie die Begleitmusik für einen „Dialog der Kulturen“, was Appeasement mit den Mullahs jeder Couleur meint (die Heinrich-Böll-Stiftung will bei einem solchen „Dialog der Kulturen“ mit iranischen Mullahs nicht von (exil-)iranischen Oppositionellen gestört werden, die Friedrich-Ebert-Stiftung pflegt ihn mit der Hisbollah, usw.). Den Motiven der Politik linksintellektueller und -radikaler Antisexisten, Antirassisten und Antikapitalisten (ob vulgärmarxistisch, poststrukturalistisch, differenztheoretisch oder antideutsch-light inspiriert) sind wir bereits ausführlich nachgegangen. Beide Politiken bedeuten (ob gewollt oder nicht) im Ergebnis die Förderung oder Duldung jener „parallelgesellschaftlicher“ Strukturen, die auf Stigmatisierung und Apartheid setzen, d.h. die Diskriminierung als „migrantisch, religiös, weiblich“ markierter Menschen. Dieser Aufklärungsverrat wird nicht dadurch besser, dass er sich als probates Mittel des notwendigen Kampfes gegen tatsächlich existierende waschechte Rassisten verkauft.

Hedonistische Mitte – Brigade Mondän

Anmerkungen

(1) Vgl. die islamapologetische Darstellung der Debatte in Heide Oestreich, Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam, Frankfurt am Main 2005 sowie die Sammlung von Diskussionsbeiträgen in: Frigga Haug u. Katrin Reimer (Hg.), Politik ums Kopftuch, Hamburg 2005.

(2) Vgl. hier und im folgenden Karl Marx, Zur Judenfrage, MEW 1, S. 347-377.

(3) In Reflexion auf den christlichen Antijudaismus und den Antisemitismus des frühen 20. Jahrhunderts (Dreyfus-Affaire in Frankreich, Pogrome in Osteuropa) aber unter Abstraktion von Auschwitz wäre Israel als politische Emanzipation der Juden die Antwort auf das Versagen der bürgerlichen Gesellschaften hinsichtlich der Judenemanzipation. In Reflexion auf Auschwitz ist Israel aber grundlegenderes als die politische Emanzipation, nämlich Lebensversicherung der Juden weltweit.

(4) Zur Erinnerung: „(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. […]“ (Artikel 2 des GG) und „(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ (Artikel 3 des GG)

(5) „Islamophobie“ ist ursprünglich ein islamistischer Kampfbegriff. Khomeini richtete den Vorwurf zuerst gegen Frauen, die sich der mit der islamischer Revolution im Iran einsetzenden Zwangsverschleierung widersetzten. Später adressierten britische Islamisten den Vorwurf an westliche Kritiker der Todesfatwa gegen Salman Rushdie. Linke und Postmoderne haben sich diesen Begriff inzwischen angeeignet, um damit eine spezielle Form von „Rassismus“ zu bezeichnen und Islamkritik zu denunzieren. Sie begreifen nicht, dass Moslems als Ausländer und nicht als Religionsangehörige angegriffen werden. Sie sind blind für die im Gegenteil die BRD-Stimmung auszeichnende Islamophilie. Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamliebe widersprechen sich nicht; sie passen zum infantil-autoritären Charakter, der eine Voraussetzung bildet, für das in der BRD grassierende Phänomen des Konvertitentums. Vgl. zur Begriffsgeschichte von „Islamophobie“: Berliner Bündnis gegen IG Farben/ Gruppe offene Rechnungen Berlin, Kampfbegriff „Islamophobie“. Abwehr westlicher Zumutungen, im Reader „Wo Multikultis das Land regieren“, April 2005, Berlin; zur islamophilen Stimmung in der BRD z.B. Horst Pankow, Zwei Entführungen. Einmal Islamisten, einmal CIA – dreimal dürfen Sie raten, von wem die Deutschen sich eher bedroht fühlen, in KONKRET 1/06.

(6) Die Inhaltslosigkeit der Fanonschen Gewaltverherrlichung kritisierte Jean Améry bereits 1969. Vgl. dazu „Die Geburt des Menschen aus dem Geiste der Violenz“ und wichtiger „Im Warteraum des Todes“; beide Texte in: Widersprüche, Ff/M/ Berlin/ Wien 1980. Eine Kritik am Gesamtwerk Fanons, die dessen kritisch-universale Aspekte gegen den dominanten Partikularismus liest, dessen Opfer Fanon selbst wurde, leistet Udo Wolter, Frantz Fanon – Antikolonialismus und Postkolonialismus (Vortrag, Internationalismus-Woche, Bochum, 30.11.2002; www.rote-ruhr-uni.org/texte/wolter_fanon.shtml).

(7) Wir zitieren im Folgenden jeweils aus Alex Winter, Dass die Orientalen nicht aufhören können, ihre Weiber zu unterdrücken: Bemerkungen zu Islamismuskritik, Orientalismus und Eurozentrismus, Nov/Dez 2005. Er (Der Text) entstammt dem politischen Umfeld des Berliner Antisexismusbündnisses.

(8) In der BRD als Täter-Opfer-Debatte bekannt, ging es darum, weibliche Unterwerfungshaltungen in Frauengruppen zu erforschen und zu verändern. Die Franzosen führten die Debatte unterm Stichwort „Komplizenschaft“, die Briten unter „collussion“ (heimliches Einverständnis). Vgl. Gisela Heinrich, Stichwort „Frauenemanzipation“ im Historisch Kritischen Wörterbuch des Marxismus, Bd. 4, S. 864. Wenn Sigrid Metz-Göckel unterm Stichwort „Feminismus“ desselben Bandes (S. 302) schreibt, dass frühe feministische Untersuchungen „Geschlechterbeziehungen als patriarchale Herrschaftsverhältnisse“ rekonstruieren, diese „jedoch je nach historischen und gesellschaftlichen Kontexten auf sehr variable Ausprägungen“ stoßen, „so dass der Begriff „Patriarchat“ in den 90ern mehr und mehr durch die zuerst von Friedrich Engels verwendete Kategorie Geschlechterverhältnis ersetzt wird“, trifft sie unbewusst die Sache, dass die seit den 1970ern in der BRD sich nahezu vollständig vollziehende rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau (i.e. weibliche Rechtssubjektivität) erst die Bedingung eines „heimlichen Einverständnisses“, einer „freiwilligen Unterwerfung“ schafft, und damit die „Benachteiligung“ von Frauen in der spätkapitalistischen Gesellschaft von radikal anderem Charakter ist, als ihre Unterdrückung in vor- und frühkapitalistischen Patriarchaten.

(9) Beispiele aus dem Text: „Wenn Patriarchatskritik dazu benutzt wird, ein bürgerlich-zivilisiert-aufgeklärtes Abendland gegenüber einem „islamischen Patriarchat“ stark zu machen, dann ist das nicht nur politisch ungeschickt, sondern dummes Macker-Selbstbestätigungsgehabe und gehört selbst feministisch kritisiert.“ Oder: „Aus einer nicht-eurozentrischen Perspektive erscheint es lächerlich, mackerhaft und provinziell, die eigenen politischen Maßstäbe und Ideen von Emanzipation für „universal“ oder „universell“ zu halten.“

(10) Karl Marx/ Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 482.

home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[158][<<][>>][top]

last modified: 21.9.2008