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Der ist doch sonst ganz nett...

Dies ist der erste Teil einer Auseinandersetzung mit Ausformungen des Patriarchats in nah und fern – von mehr oder weniger religiös begründeter Moralapostelei der Tugendterroristen und islamistischen Ballermänner, bis hin zu gewaltphantasierenden Freiheits-, Gleichheits- und Konkurrenz-Apologeten der durchsexualisierten europäischen Hegemonie. Sie soll nicht unpolemisch sein. Von mfg.

I. Verhüllung: Kopftuch
      „Hinter den wenigsten Kopftüchern steckt der Fundamentalismus, aber hinter jedem Islamisten steckt das Kopftuch.“
      (Judith Kessler)
Zwischen Verhüllung und Entblößung sieht Alice Schwarzer in ihrem Buch Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz(1) einen engen gesellschaftlichen, patriarchalen Zusammenhang. Beide Formen des Zugriffs implizieren die Frau als Besitz des Mannes – sie gehöre entweder allen oder einem.(2) Obwohl Frauen in der westlichen Gesellschaft größere Freiheiten haben und rechtlich abgesichert sind, ist es falsch und gefährlich, der so genannten Freizügigkeit, deren Deckmantel auch frauenverachtende Formen von Pornographie Stabpuppe, 11.5k legitimiert, und der scheinbaren sexuellen Freiheit einer westlichen Kultur einen emanzipatorischen Charakter zuzusprechen, nur weil sie das kleinere Übel von beiden darstellt. Das Gegenteil von etwas Schlechtem ist nicht automatisch gut und beide haben oft mehr miteinander zu tun, als es auf den ersten Blick erscheint.

Das Kopftuch als zentrales Symbol patriarchaler Unterdrückung und Kontrolle

Nicht nur im Islam hat das Haupthaar besonders der Frauen eine so starke sexuelle Bedeutung, auch in anderen Kulturen wurde darin eine Gefahr gesehen, die durch Verschleierung gebannt werden musste. Für Frauen bestand hierin der einzige Weg, ihren Status zu sichern oder aufzuwerten. „Unter die Haube kommen“ ist noch heute ein sprachliches Relikt früherer Zeiten, welches die europäische Domestizierungsstrategie verdeutlicht.
Im Gegensatz zu anderen Kulturen wird die Verschleierung noch immer in vielen islamischen Ländern konsequent praktiziert, auch wenn der Koran es nicht vorschreibt. Die Rechtfertigungen sehen die Frauen einmal als gefährliche Huren, als unreine, seelenlose Wesen, von denen eine Gefahr ausgeht, die man nur unter Kontrolle hält, indem man durch Verschleierung ihre Scham bedeckt. Es sind also die Männer, die vor diesen unberechenbaren Frauen, aber auch vor ihren eigenen unkontrollierbaren Begierden geschützt werden. Zum anderen ist die Frau ein hilfloses Opfer, die man durch die Verschleierung vor den verantwortungslosen, gefährlichen Tieren – den Männern – verbergen müsse (man beachte auch die hier implizierte Zuschreibung an „den Mann“). Das Kopftuch sei also ein Symbol des Schutzes und nicht der Frauenunterdrückung. Tatsächlich bewahrt es viele Frauen vor Übergriffen und bietet somit einen, wenn auch nicht garantierten, Schutz. Dies ist aber grundsätzlich auf das islamische Frauenbild zurückzuführen, welches Frauen als willenlose Objekte darstellt, auf die die Männer zugreifen können, solange nicht schon ein anderer Mann, sei es der Vater oder der Ehemann, seinen Besitz, verbildlicht durch das Kopftuch, angemeldet hat. Der Schutz durch die Verschleierung wird also zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Die islamische Version des Eva-Maria-Konflikts basiert auf einer lustfeindlichen und vordergründig entsexualisierten Gesellschaft, in der einmal die Frauen, ein anderes Mal die Männer übersexualisiert werden. Sie hat einen entscheidenden Nutzen: Egal welche Situation und welches der beiden Frauenbilder, man findet immer das richtige Argument, um die Geschlechterhierarchie aufrecht zu erhalten. Bei beiden Erklärungsansätzen gilt die Sexualmoral ausschließlich für Frauen. Sie müssten sich verhüllen und damit unsichtbar werden, um jede Annäherung von Männern zu vermeiden. Das Kopftuch ist ein Zeichen dafür, dass diese Frau sexuell nicht zur Verfügung steht. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass unverschleierte Frauen als Freiwild angesehen werden können und Mitschuld tragen an eventuellen sexuellen Übergriffen.

Moderne Reaktionäre: Flink zurück zum Kopftuchglück!

Aber auch viele muslimische Frauen finden in der Rückbesinnung auf eine reaktionäre Rolle neue Identifikation. Dabei sind Kategorien wie Stolz und freier Wille in einem repressiven Kontext wie der Tradition, ähnlich der Entscheidung der selbstbewussten Powerfrau, die schließlich doch ihre Karriere aus vermeintlich freien Stücken dem Mutterglück opfert, in Frage zu stellen. Aus dem Verhalten vieler iranischer Frauen, ihr Kopftuch entgegen der Anordnung das Schahs weiterhin zu tragen, zu schlussfolgern, dass sie es freiwillig täten, berücksichtigt diese Einbettung des Willens in ein Zwangsverhältnis nicht. Es ignoriert, dass viele iranische Frauen aus traditionellen, kulturellen und religiösen Gründen bei Strafe ihres Untergangs es nicht gewagt haben, das Kopftuch abzusetzen. Ignoranz schlägt so Frauenrechtlerinnen wie Necla Kelek, Seyran Ate_, Sonja Fatma Bläser und Serap Çileli entgegen, die die Freiwilligkeit der Verhüllung in Frage stellen.
Nun ist nicht zu leugnen, dass viele muslimische Frauen, deren Mütter und Großmütter für die weibliche Emanzipation in der islamischen Gesellschaft gekämpft und das Kopftuch abgelegt haben, sich aus eigener Entscheidung wieder verhüllen. Prominentestes Beispiel ist die in Bayern arbeitende Lehrerin Fereshta Ludin.(3) Ludin, die aus einem aufgeklärten Elternhaus kommt und deren Mutter nie ein Kopftuch getragen hat, ficht plötzlich das in Deutschland vorherrschende säkularisierte Wertesystem an, indem sie auf allen juristischen Ebenen versucht, die Erlaubnis zur Verschleierung während des Unterrichts zu erkämpfen.
Die wiederbelebte Prominenz des Kopftuchs symbolisiert dabei sowohl die Hartnäckigkeit einer religiöse Sitte als auch die politische Abgrenzung gegen die westliche Dekadenz. Das Kopftuch schafft als Reaktion auf das Scheitern der Moderne eine neue muslimische Identität und Emanzipationsmöglichkeit.
Die Rebellion gegen die westlichen Konventionen entpuppt sich jedoch letztendlich als ein Akt der Unterwerfung. Der Schleier ist ein Symbol des gesamten Lebensentwurfs, in dem die Väter die Ehemänner aussuchen und die Teilnahme an Sportunterricht, Klassenfahrten und abendlichen Vergnügungen für Mädchen verboten ist – mit der Begründung, dies sei unsittlich und münde in Unzucht.
Aber auch karriereorientierte, selbstbewusste Frauen haben Argumente bei der Hand, mit denen sie das Kopftuch rechtfertigen. In der zunehmenden gesellschaftlichen Notwendigkeit des Sich-behaupten-Müssens biete das Kopftuch einen Schutz der sexuellen Unversehrtheit, mit dessen Hilfe es gelinge, einen selbstbestimmten, z. B. akademischen Weg einzuschlagen. Eine Empörung darüber, dass dies umgekehrt bedeutet, dass Frauen ohne Kopftuch wohl als Freiwild angesehen würden, dem kein Respekt gebührte, bleibt aus.
Einige Frauen erleben die Verhüllung also mehr als einen Akt der Befreiung als eine Unterdrückung. Entlastend sei es, nicht immer schön und sexy sein zu müssen.(4) Schließlich darf auch das klassische, aber nach wie vor unhaltbare Schuluniform-Argument nicht fehlen: Frau verhülle mit dem Schleier und der entsprechenden Kleiderordnung soziale Unterschiede.
Sowohl religiöse Begründungen als auch das Argument, das Kopftuch schütze die Frauen in dieser Gesellschaft, legitimieren also die Diskriminierung der Frauen, deren Symbol das Kopftuch darstellt.
Der eigentliche Zwang, das Kopftuch zu tragen, wird gleichzeitig von diesen Frauen selber legitimiert. Diese mehr oder weniger freie Entscheidung muss wohl akzeptiert werden. Der Kampf gegen das Kopftuch muss aber ein Kampf für eine Entscheidungsmöglichkeit ohne traditionelle, sozialisationsbedingte oder ökonomische Determinierung bleiben. Hier entgegnet die durchaus umstrittene Ayaan Hirsi Ali wohl doch zu Recht den Frauen, die meinen, das Kopftuch aus freien Stücken zu tragen: „Dass du selbst entscheiden kannst, diese Kleidung zu tragen, ist schön für dich. Aber denke an deine Schwestern, die unter einem Regime schmachten, wo sie dieses Kopftuch tragen müssen, wo sie unterdrückt und misshandelt werden, wenn sie es nicht tun. Kämpfe für sie.“(5)

Wie der Islamismus das wehende Haupthaar bändigt

Der Islamismus ist eine politische Bewegung, der in radikalisierter Form auf den religiösen und kulturellen Traditionen des Islam aufbaut. Von der aufstrebenden, nicht sonderlich religiösen Mittelschicht in Ägypten ausgehend, vermittelte er nach dem Ende der Kolonialherrschaft und im Zuge der Weltwirtschaftskrise eine neue Identität und neues Selbstbewusstsein. Vom europäischen Faschismus der 30er Jahre inspiriert und von den judenfeindlichen Passagen im Koran gestützt, entwickelte sich die Idee vom „heiligen Djihad“ gegen die Zionisten in Palästina im Besonderen und die den Juden zugeschriebene westliche Dekadenz im Allgemeinen. Der Islamismus ist demnach eine antisemitische und antizionistische Ideologie, deren Demagogen nicht bloß auf eine ökonomische Zwangslage reagierten, wenn diese auch eine willkommene Argumentationsgrundlage bot.
Besonders verhängnisvoll ist die Nähe zur nationalsozialistischen Ideologie, die Gemeinschaft, Ehre und Unterordnung über die Rechte und Unverletzbarkeit des Individuums stellt. Das Individuum hat sich der Religion unterzuordnen und Gott aufzuopfern. Der galileiische Zweifel, der die Aufklärung und die westliche Welt so stark geprägt hat, ist bis heute in großen Teilen der islamischen Welt tabu und steht sofort unter dem Verdacht der Ketzerei. Seit Jahrhunderten werden Gesellschaftsstruktur, Erziehung und das Geschlechterverhältnis der göttlichen Fügung überlassen. Demnach ist auch die islamistische Gesellschaft eine hierarchische, autoritäre Struktur, in der Gruppenidentität, patriarchale Gesinnung, Ehre und repressive Scham eine wesentliche Rolle spielen. Es herrscht ein hohes Maß an sozialer Kontrolle und Misstrauen. Lügen, heimliche Abtreibung unter oft grauenvollen Voraussetzungen mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen oder die operative Wiederherstellung des Jungfernhäutchens sind unumgänglich und gehören zur Überlebensstrategie.
Es wäre zu einfach, für diese Mentalität allein den Koran verantwortlich zu machen. Auch die christliche Bibel und der Talmud(6) sind im Wesentlichen zutiefst reaktionär, frauenfeindlich, homophob und vertreten eine Sexualmoral, die der des Korans ähnelt. Jedoch hat die Kirche in der westlichen Gesellschaft den äußeren Zugriff auf das Individuum im Großen und Ganzen verloren, indem sie von den Säkularisierungsbestrebungen der westlichen Welt gewalttätig vom Thron gestoßen wurde. „Die Zahl der Wortklauber in der jüdischen und christlichen Welt ist um ein vielfaches kleiner als in der islamischen Welt. Der christliche und jüdische Gott ist gezähmt und ins private Gewissen seiner Anhänger verbannt.“(7) Anders als in der christlichen und jüdischen Welt hat sich das Moralsystem des Islam nicht ausdifferenziert und säkularisiert.
Im Zuge der Globalisierung zeichneten sich immer stärker deren Verlierer ab. Der Islamismus, als Reaktion auf die Angst vor der Rückständigkeit, ist der Hass auf den Westen im Allgemeinen und auf das westliche Demokratie- und Werteverständnis im Besonderen.
(Ökonomische Gesichtspunkte zur Erklärung des islamistischen Phänomens heranzuziehen ist notwendig, aber nicht hinreichend. So ist im Umkehrschluss nicht davon auszugehen, dass Antisemitismus und Frauenhass durch einen wirtschaftlichen Aufschwung in den betroffenen Ländern an Anziehungskraft verlören, sonst wären sie in führenden Industrienationen Vergangenheit. Ideologien sind aber sehr viel komplexer mit der gesellschaftlichen und psychologischen Struktur des kapitalistischen Systems verwoben. Auch die antisemitischen Inhalte des Korans selbst spielen bei der Erklärung der Popularität dieser Ideologie in der islamischen Welt eine wesentliche Rolle. Dies soll hier aber nicht weiterführend behandelt werden.)
Mit dem Aufbau einer kriegerischen islamistischen Internationale unter der Führung der Muslimbruderschaft begann der Kampf gegen die westliche Demokratie, für die Errichtung eines Gottesstaates auf Basis von Scharia und Koran, für die Abschaffung von Zins und Kredit, die in klassisch antisemitischer Tradition als die Ursachen allen Übels gelten, und für die Errichtung einer Arbeiterdiktatur. (Für eine genauere Betrachtung der islamistischen Bewegung ist Thomas Küntzels Djihad und Judenhass zu empfehlen).
Islamisten können dabei nicht von einer ernstzunehmenden Linken im dimitroffschen Sinn als zwar fehlgeleitete, aber eben doch als Globalisierungskritiker hofiert werden. Ihr Blut-und-Boden-Rassismus, Männerkult und in die Luft ballerndes Sich-Feiern sind nicht revolutionär antikapitalistisch, sondern europäischen Ursprungs und außerdem abstoßend, durchweg reaktionär, menschenverachtend, patriarchal – gänzlich ohne ein emanzipatorisches Moment. Sie berufen sich auf den Koran und beanspruchen für ihre Religion Weltgeltung mit dem Ziel der Vernichtung aller Ungläubigen und der Errichtung eines Gottesstaates. Sie lehnen die Trennung zwischen Religion und Politik ab und verlangen eine Entsäkularisierung.
Mit der zunehmenden Gleichstellung der Frauen in den demokratischen Ländern versuchte die Bewegung religiös begründet, die stärker werdenden Rechte der Frauen zu unterwandern und die patriarchale Dominanz in ihrem Sinne wieder herzustellen.
Die islamistische Bewegung ist eine antimoderne, reflexartige Gegenreaktion auf gesellschaftliche Neuerungen und Veränderungen und stellt keine Alternative zur Moderne dar. Von der auf der Scharia basierenden Forderung nach Ganzkörperverhüllung über das Verbot von Scheidung und Verhütung bis hin zur Steinigung als Strafmaß für Ehebruch werden Frauen mit archaischen Zwangsmaßnahmen gezüchtigt. Die Mutterrolle wird im nationalsozialistischen Sinne idealisiert. „Widerspenstige“ Frauen dürfen nach Mohammed geschlagen werden. Die Männer entscheiden, ob ihre Frauen das Haus verlassen dürfen.
Das Kopftuch ist dabei zentrales Symbol. Es ist „Wahrzeichen der Scharia und Re-Islamisierung, eines Islamismus, der mit dem Koran nichts zu tun hat, der Frauen auf ihre Sexualität reduziert, zugibt, Staaten abschaffen, Israel als Protagonisten des Westens vernichten und Weltherrschaft erringen zu wollen.“(8)

Antirassismus statt multikultureller Gleichgültigkeit!

Besonders die Gewalt gegen Frauen in vielen arabischen Ländern wird von der westlichen Welt verdrängt. Zu Recht kritisiert Alice Schwarzer die Ignoranz der westlichen Gesellschaft gegenüber der islamistischen Bewegung vor dem 11. September 2001. Hier waren ja auch noch nicht vordergründig die westlichen Staaten bedroht, sondern es ging „nur“ um Gewalt gegenüber Frauen aus den eigenen Reihen.(9) Diese Kritik trifft im gleichen Maße auf die antideutsch orientierte Linke zu, deren Kapitalismusanalyse insofern kurzsichtig bleibt, als sie gesellschaftskonstituierende Elemente wie das Patriarchat und seine unterschiedlichen Ausformungen nicht einbezieht. Der Wert als Vermittler im Tausch sei nicht männlich, weiß und westlich, sondern neutral, im Tausch würden alle gesellschaftlichen Asymmetrien nur ignoriert, nicht geschaffen. Abstrakte Gleichheit im Tausch gibt hingegen denjenigen mit den besten Voraussetzungen immer den Vortritt.
Mit der großen Sorge, unter den Verdacht des Rassismus zu geraten wird v.a. in der deutschen Gesellschaft der Fundamentalismus als Reaktion der vom Westen Unterdrückten verniedlicht und auf das Recht auf kulturelle Eigenheiten hingewiesen. Besonders verwerflich und menschenverachtend wird diese Einschätzung bei der fehlenden Verurteilung der millionenfach in mehreren arabischen Ländern ausgeübten Beschneidung und Verstümmelung der Klitoris und der Schamlippen, sowie der Ausschabung der Vagina kleiner Mädchen zum fragwürdigen Schutz ihrer Jungfräulichkeit, die enorme physische und psychische Folgen nach sich ziehen.
Dabei spielt wohl eine große Rolle, dass es sich hier um einen nicht sichtbaren Körperteil (Abrahams Reaktion auf Saras Wille, Hagar zu strafen) handelt und somit die ständige Konfrontation mit diesem Gewaltakt ausbleibt. Hirsi Ali kritisiert zurecht: Wenn „es sich hierbei um das Abschneiden der Nase oder eines Teils der Ohren dieser Kinder handelte, gäbe es keine solche Duldungspolitik“ innerhalb der westlichen Gesellschaft.(10) Nun ist die moralische Verwerflichkeit in Bezug auf die Beschneidung sicherlich eindeutiger, als wenn es um die Verhüllung in öffentlichen Räumen wie einer Schule geht. Zwischen Beschneidung, Burka und Kopftuch sind die Grenzen aber oft fließend. Die westliche Kultur hat noch keine Antwort auf die Frage nach der Grenze des Tolerierbaren. Auf die Argumentation, die einer Fereshta Ludin beispielsweise das Kopftuch während des Unterrichts gestattet, die Burka aber untersagt, wären wir gespannt.
Der Islamismus versteht sich als politische Abgrenzung gegen eine Gesellschaft der formalen Gleichberechtigung und als politische Provokation. Besonders muslimische Frauen werden leicht zur Projektionsfläche für den Fundamentalismus, da sie von der Migration am meisten profitiert und sich am schnellsten in die westliche Gesellschaft integriert haben und sich damit zwangsläufig von islamischen Traditionen abwenden mussten. Natürlich wurde auch dieses Phänomen antisemitisch aufgeladen und eine jüdische Propaganda auf sexistische Weise konstruiert, die besonders muslimische Frauen verführe, wogegen die – selbstverständlich heterosexuelle – Herrenwelt aufgrund ihrer charakterstarken Manneskraft resistenter gegen diese Einflussnahme sei. Die zunehmende Identifizierung vieler muslimischer Frauen mit den westlichen Werten und der sich damit verstärkenden feministischen Emanzipation in der arabischen Welt zu Anfang des 20. Jh.s, die sich u. a. den Kampf um den Zugang zu Unis für Frauen auf die Fahnen schrieb, ging einher mit einer stärkeren Ablehnung des Schleiers. Die Islamisten sahen hierin eine große Gefahr und eine Unterwanderung ihrer patriarchalen Ideologie. In einigen arabischen Ländern wurden daher viele Reformen und Neuerungen zurückgenommen. So verboten beispielsweise die Taliban die in ihrem Einflussgebiet erkämpften Schulen für Mädchen.
Westliche Konvertiten finden im Islam unter dem Eindruck der Haltlosigkeit der Postmoderne Bodenständigkeit und eine neue Identität. Dies bietet der Islam in einem größeren Maß als die anderen, eher weltlich orientierten großen Religionen. Männer und Frauen, die vordem mit Gott nichts am Hut hatten, wissen plötzlich, wo sie hingehören. „Der Islam ermöglicht den Männern wieder ein ehrenvolles Dasein.“(11) Er bietet angesichts des unterschiedlich verarbeiteten Herrschaftsverlustes durch die ökonomische Misslage zumindest noch eine letzte Grundfeste – die Herrschaft über die Frauen. Diese wird umso wichtiger, je stärker die wirtschaftliche Einflussnahme abnimmt. Das Ansehen eines Mannes ist aufs engste mit dem gehorsamen Verhalten seiner weiblichen Angehörigen verknüpft. Es liegt im Entscheidungsbereich der männlichen Mitglieder einer Familie, wie sie mit ihren Frauen umgehen. Als größte Ehre eines Mannes gilt es jedoch für die Erlösung der Muslime als Märtyrer im Djihad zu sterben. In den Tod treibt sie nicht eine verzweifelte ökonomische Lebenssituation und der Kampf für bessere Lebensstandards, sondern eine religiöse und antisemitische Ideologie.

Ayaan Hirsi Ali, be happy and safe.

Literatur:

Schwarzer, Alice (Hg.): Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz (2004).
Hirsi Ali, Ayaan: Ich klage an (2007).
Küntzel, Matthias: Djihad und Judenhaß (2002).
Enderwitz, Sabine: Geschichte des Kopftuchs im Orient.
Mirza, Ariana: Glauben ohne Kopftuch.
Qantara.de: Das Kopftuch im intellektuellen Diskurs.
Kessler, Judith: Contra Kopftuch.
Klenk, Florian: Im Schutz des Tuches.
Lau, Jörg: Integration und Frauenrechte.

Anmerkungen

(1) Schwarzer 2004. (Es findet jeden ersten Sonntag des Monats in der Similde (ab 16.00, girls only) das Post-Café statt, in dem es die Möglichkeit geben soll, das Thema zu diskutieren. Watch out for flyers.)

(2) Ebd., S.16.

(3) Schwarzer, Der Fall Ludin, in: Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz, S. 129 – 138.

(4) Klenk, Im Schutz des Tuches.

(5) Hirsi Ali. Ich klage an. S. 90.

(6) Selbst die Tatsache, dass ashkenasische Jüdinnen im frühen Mittelalter innerjüdisch-rechtlich gut abgesichert waren, ist wie die recht lockeren Vorstellungen von Sexualität und der Umgang mit Hexen bloß in Abgrenzung zum Christentum ein Zeichen von Emanzipation. Dass im Lecha Dodi der Schabbat feminin belegt und als solcher empfangen wird, dass die Tora als Braut Israels getragen und gefeiert wird, selbst dass die jüdische Frau seit der Tempelzerstörung die „Priesterin des Hauses“ ist – diese Zuschreibungen sind doch immer heterosexuell auf „Vereinigung“ ausgerichtet, und zwangsverpflichtend für den vollständigen Lebensverlauf. Die Aufgaben der Frau sind im Wesentlichen mit ihr als Vorbild für den Nachwuchs und mit ihrer herausgestellten Gebärfähigkeit zum Erhalt des Volkes Israel verbunden. Die Nidda – die Pflicht zur rituellen, monatlichen Reinigung im Tauchbad – heisst wörtlich „verbannt“ und „ausgestoßen“. Was Frauen in der Ordnung Nashim in der Mischna betrifft, hat ebenso ausschließlich und sehr detailliert mit ihrem Uterus zu tun, sowie mit der sogenannten Schande des Blutkontaktes. Feministisches Großschreiben der an sich coolen Lilith, Adams erster Frau, wird peinlich, sobald deren Fähigkeit, Sperma „fehl“zuleiten und daraus Dämonen hervorzubringen feixend als urfeministisches Wesen des Judentums interpretiert wird („mißgezeugt, verschüttet“ heißt shovavim tat – eine Perikopenreihe, die im Frühjahr gelesen wird). Zugespitzt formuliert – Frauen sind im Judentum entweder gerade mal unrein oder schwanger. Die Reformbewegung und die Rekonstruktionisten haben diesen Umgang sicherlich abgeschwächt, ihm aber (noch) keinen Riegel vorgeschoben.

(7) Hirsi Ali, S. 201.

(8) Kessler, Die Kopftuchdebatte.

(9) Schwarzer, Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz.

(10) Hirsi Ali, Ich klage an. S. 160.

(11) Schwarzer, Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz. S 85.


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last modified: 20.5.2008