home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[15][<<][>>]

Schwarz Rot Gold auf Mururoa

Am 5. September verlief unter „besten Bedingungen“ (P.Véricel, Direktor des Testzentrums) der 205. Atomtest Frankreichs. Beginn einer Reihe von höchstwahrscheinlich fünf Versuchen, die in den nächsten Monaten stattfinden sollen.

Kurz nachdem „Rainbow Warrior II“ und „MV Greenpeace“, die zwei Flaggschiffe des ökologisch schlechten Gewissens, von französischen Marinesoldaten aus der Protestflotte vor Mururoa herausreduziert wurden und unbeeindruckt vom Rest, der zu großem Teil wohlbegüterten Südseeabenteurer, die nicht nur ihre Pro-Umwelt-Gesinnung auf himmelblauen Wellen schaukeln, sondern sich, je nachdem, einen gehörigen PR-Schub auf der Karriereleiter erhoffen, wie z.B. die Genossen Wiezoreck-Zeul und Schulz oder aber moralisch legitimierten Adventure-Urlaub (in Erwartung von prophezeiten, dann doch ausgebliebenen, Seebeben oder zuverlässigerer Marinesoldaten?) machen, setzt die französiche Regierung eine Tradition fort, die ihren Ursprung in den seit der Regierungszeit de Gaulles formulierten „höheren französischen Interessen“ hat. Dies bedeutet nichts anderes, als das Streben bzw. die Sicherung einer unabhängigen Großmacht Frankreich, eben auch mittels atomarer Abschreckung. Im politischen Fahrwasser des ersten wuchs auch der jetzige, den gleichen Idealen verpflichtete, Staatspräsident Chirac heran, der sich nun, aufgrund seines strikten Festhaltens an den Tests, nicht nur von mehr oder weniger progressiven Umweltaktivisten, sondern auch von gleichfalls recht konservativen Politikerkollegen und Medienvertretern das „konservativ sein“ vorhalten lassen muß. Aber zurück zu den Gründen für das starre Festhalten an der „Force de frappe“. Denn neben dem eigenen Großmachtstreben ist jene Konsequenz besonders Ausdruck für die zu erhaltende militärische Überlegenheit gegenüber „dem aggressiven deutschen Nachbarn, der Frankreich in nur 80 Jahren dreimal angegriffen und vernichtent besiegt, ja mit den Nazis sogar jahrelang besetzt hatte“ (junge Welt). Selbst mit den jüngsten Partizipationsangeboten aus Paris ist jener Begründungszusammenhang nicht hinfällig. Gerade die Unbestimmtheit und nur zögernde Detaillisierung des Vorschlags für einen europäischen (kerneuropäisch?, dtsch/frz.?, EU?) Atomschild spricht für die Zweifel, die Teile der französischen Gesellschaft, nicht zu unrecht, mit solcher Art „Waffengleicheit“ zu haben scheinen und es läßt sich viel eher der Versuch vermuten, mit so wenig wie möglich gegebenen Zugeständnissen, die Protestbewegung einzudämmen. Gerade in Anbetracht der Tatsache, daß jenes latente Mißtrauen gegenüber den deutschen Nachbarn in jüngster Zeit immer wieder neue Nahrung erhielt - aus dem Fall der Mauer, der Wirtschafts-und Währungspolitik resultiert die angestrebte und teilweise schon realisierte deutsche Hegemonialrolle in Europa, deren sichtbarster Ausdruck die gegenwärtige Balkanpolitik darstellt - wird deutlich, wie die französischen (alliierten) Nachkriegsängste Realität wurden.

Inwieweit die neuerliche Versuchsreihe rein innenpolitisch zu verstehen ist, z.B. im Sinne eines Anfang-Paukenschlages des vor wenigen Monaten gewählten Präsidenten, der mit den Tests seiner rechts-konservativen Wählerklientel Tribut zollen will oder aber mit dem Ziel, soziale Probleme im Land zu überdecken, wozu sich angesichts der jüngsten Sprengstoffanschläge die Konstruktion angeblicher islamischer und östlicher Gefahren, denen mit atomarer Abschreckung begegnet wird, hervorragend eignet, bleibt spekulativ und ändert auch nichts an der Tatsache, daß es eine ganze Reihe von Gründen für die Atomversuche gibt. Dies bedeutet nicht, daß die Entwicklung und der Einsatz von Massenvernichtungswaffen grundsätzlich legitimiert oder Umweltschäden in Folge von Testreihen beschönigt werden sollen. Und trotzdem sind die Proteste dagegen nicht in jedem Falle gerechtfertigt, denn die Protestbewegung ist keine gemeinsame, prinzipiell moralisch im Recht stehende Engels-Truppe, sondern hier agieren eine Vielzahl von Gruppen von spezifischen Standpunkten aus und mit verschiedenen Motivationen und nach denen sind sie auch zu bewerten. Und auch wenn immer wieder irgendwelche „Schüler-Kreisch-Demos“ in Deutschland mit Riots in Papeete in ein und den selben Zusammenhang gebracht werden, ist dieser nur ein oberflächlicher, der auf dem Allgemeinplatz basiert Atomwaffen nicht besonders human zu finden, suggeriert aber letztendlich den Irrglauben, man befinde sich in einer Weltgesellschaft, in der es „böse“ und „gut“, „oben“ und „unten“ gibt und gemeinsam geht es jetzt dem Teufel an seine letzten drei goldenen Haare.

Die Proteste der polynesischen Insulaner haben aber ihren Hintergrund nicht nur in den Ängsten vor den umweltspezifischen Auswirkungen der Tests, sondern sind vielmehr als Widerstand gegen soziale Ungerechtigkeit und die neuerliche Bestätigung der kolonialen Bestimmung Frankreichs in Polynesien zu verstehen. Gute Arbeit bei der Konstruktion einer ökologisch reinen Weltanschauung leistet nach Abschluß ihres Marktwirtschaftskurses, die grün eingefärbte PR-Brigade von Greenpeace, die, ob beabsichtigt oder nicht, hervorragend das schlechte Gewissen der Wohlstandsnationen in sich vereint und damit, bei aller Liebe zur Natur und Geld, die Fähigkeit verliert, politische Konstellationen zu sehen.

Völlig daneben und ganz in Tradition der „Brent Spar“-Aktivitäten die Aufschreie deutscher Naturschutzkompanien. Da schicken Pädagogen ihre Schützlinge auf die Straße und gehen natürlich auch selber mit, um bei dieser Gelegenheit hier und dort ein kleines Interview zu geben, denn ein bißchen peinlich ist es ihnen schon, wenn die Jung-Engagierten mit rot angelaufenen Gesicht „Fuck Chirac“ ins Mikro stottern und die wahllos zusammengewürfelte politische Primärsymbolik der letzten 20 Jahre Friedensbewegung mit sich rumschleppen. Dafür können sie dann schon sagen, um was es geht - um die Jugend, das Morgen, die schrecklich kaputte Umwelt, die akute Gefahr für die Lebensbedingungen kommender Generationen - und hätten die Straßenkinder dieser Welt die Möglichkeit jene dahergeheulten (ganzen) Sätze mitzuerleben, sie würden ihre letzte zerrissene Gummisandale für Berlins bedrohte Zukunft spenden. (So lange dies nicht passiert - Greenpeace wird’s schon richten.)

Doch das nur eine Szene aus der reichhaltigen deutschen Protestpalette, die Chirac’s Knittergesicht ein wenig freundlicher scheinen läßt, eine der harmloseren, vergleichbar mit dem Heldenmut Leipziger Konsulat-Belagerer und Kryptonite-Schloß-Fetischisten, deren Aktion bloß eine Frage aufwirft, ob sie denn wieder jemand los gemacht hat, die diebstahlsicheren Umweltkletten, denn sonst klappern am Tor des französischen Konsulats bald nur noch hohle Knochen und Menschen werden auf Friedhöfen recyclen...

Aber so lächerlich, wie es scheint, ist diese Form von Freizeitgestaltung nicht. Denn wer sich in Deutschland an Anti-Atom-Protesten beteiligt, der/die sitzt mittendrin im schwarz-rot-gold beflaggten Dampfer gen Mururoa. An Bord eine gehörige Portion moralischen Dünkels, der zugegebenermaßen notwendig ist, um die Gefahren, welche Tahiti und Neuseeland in Folge der Versuche drohen, in deutsche Interessensphären zu wandeln. Das Reiseziel ist bis dato allerdings noch ungewiß. Holt man nun die atomare Bewaffnung über den Umweg der Proteste ins Land oder werden nur die neuerlichen Weltmachtsansprüche der Deutschen im ökologisch sauberen Gewand präsentiert? Doch unabhängig davon, der „Schuldige“ für die ganze Aufregung ist längst benannt. Und mit ein bißchen Rückgriff auf alt bekannte „Erbfeind“-Mythologien oder unter Benutzung neuerlicher nationalistischer Statements geht es den Franzosen an den Kragen. Da werden die Bewohner des Nachbarstaates als „Froschfresser“ tituliert oder im Spiegel ein bißchen sanfter „nur“ „Häßliches Frankreich“ geschrieben. Da freut sich Hobbyhistoriker Augstein, daß nicht mehr Deutschland, „sondern Frankreich als der Bösewicht dieser Welt am Pranger steht“ und liegt damit ganz auf der Welle der „Wirte gegen Chirac“, deren Sprecher so schön ehrlich bei Sat 1 verlauten ließ: „Den Franzosen muß endlich klar gemacht werden, daß nicht ihnen diese Welt gehört, sondern uns.“ Und während sich das Volk im nationalen Protest-und Boykottaumel spätestens seit „Brent Spar“ in den Armen liegt, freut sich die neurechte Geschichtsrevisionistenbande hämisch mit, daß es ihnen zusammen mit Pazifisten und grünen Aktivisten gelungen ist, die größte Schweinerei dieses Jahrhunderts-Auschwitz-vergessen zu lassen. Ob nun mit oder ohne Atomwaffen, gemeinsam gehört ihnen die Zukunft.

U.

home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[15][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007