home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[148][<<][>>]

das Erste, 0.9k

Kiezhygiene

Oder: Die spinnen, die Discounter

Verbotsschild in der Tschechischen Republik, 35.3k Das Setting ist kurios: Bei einer Diskussionsveranstaltung im Herzen von Connewitz meldet sich ein sehr alter Mann – daher sicherlich mit Nazivergangenheit. Er beklagt sich merklich erregt über die Bauvorhaben in Connewitz. Bevor man mehr Geld in neue Häuser verschwende, könne man doch lieber mal die Parks und Spielplätze sauber machen. Da sieht es nämlich – das kann er vom betreuten Wohnen aus gut sehen – katastrophal unordentlich aus. Sein Tonfall signalisiert, dass, wenn er dazu noch die Kraft hätte, wahrscheinlich seine geballte Faust beim Reden auf einen Tisch oder zumindest auf seinen Vordermann einschlagen würde. Dass nun Nazi-Opas auf Ordnung und Sauberkeit stehen, ist – zugegebenermaßen – keine umwerfende Erkenntnis, aber der Knüller kommt ja auch erst noch: Das restliche Publikum, vorwiegend Leute, die dem Äußeren nach wahrscheinlich die Verursacher der beklagten Unordnung sind, beklatschen den alten Herren frenetisch. Es liegt keine Spur Ironie in der Luft; die Stimmung ist bierernst. Punks, Autonome und andere Kiezverteidiger fordern Ordnung und Sauberkeit. Was war geschehen?

Seit ein paar Monaten ist bekannt, dass in Connewitz mehrere bauliche Veränderungen anstehen. An der Richard-Lehmann/August-Bebel-Straße wird ein Lidl entstehen, in der Bornaischen Straße kann man bereits den Rohbau eines geplanten Plus bestaunen und in der Scheffelstraße plant man ein 4400 qm großes Einkaufszentrum mit zudem 150 Parkplätzen – von vielen liebevoll „‚Kiezkiller“ oder gar „Konsumtempel“ genannt. Hierbei handelt es sich um ein so genanntes Stadtteilzentrum der Größe C. In der Theorie bedeutet das, dass aufgrund der Relevanz eines solchen Standorts bspw. auch über die Ansiedelung von Kultur- und Gastronomieangeboten nachgedacht werden sollte. In der Praxis wird es wohl die übliche langweilige Einkaufspassage mit Supermarkt, Drogerie und Blumengeschäft werden. Dieses, zum großen Teil von der TLG Immobilien forcierte Projekt wird von den Eingeborenen als Provokation, gar als „Rache für die Feinkost“1 empfunden und dementsprechend ist der Widerstand groß.
Die Speerspitze dieser Heimatschutzbewegung bildet die IG Connewitz, eine Interessengemeinschaft, welche statt neuer Einkaufspassagen eine „kiezgerechte und nachhaltige Bebauung“2 fordert und vor diesem Hintergrund zu mehreren Bürgerversammlungen lud, auf denen sich dann auch der gesamte engagierte Teil der Kiezbevölkerung blicken ließ. Gäbe es in der Satire eine Entsprechung für das Modell Stehen in der Malerei, dann wären diese Versammlungen ein Akt gewesen. Das Publikum legte sozusagen alle geistigen Klamotten ab und bediente Schlag auf Schlag beinahe jedes vorstellbare antimoderne Ressentiment.
Das als „Kleinod“ bezeichnete Connewitz wird demnach vorwiegend wegen seiner subkulturellen Vorteile bewohnt. Der Bau neuer Discounter dürfe nicht von statten gehen, „wenn die Bürger das nicht wollen“, denn „Es reicht! Es ist gut! Wir haben mittlerweile genug Einkaufsfläche! Es ist hier niemand abgemagert!“. Diese Vorstellungen teilt auch jemand, der meint, die Supermärkte werden einem „reingewürgt“ und das „irgendwie von hinten“. Schlimmer noch: „Parkplätze holen Autos in den Kiez“ und man werde hier vor „fertige Bauvorhaben gestellt“. Ein anwesender Informatiker schildert ehrlicherweise seinen Horizont, indem er sagt, er verstehe „nur 0 und 1. Und wenn ich nach Hause komme, dann will ich meine Ruhe. Deswegen lebe ich in Connewitz.“

Connewitz oder: der Traum von einem autarken Wehrdorf.

Der Kiez versteht sich also als gallisches Dorf. Hier wollen alle gleich wenig vom Leben und Veränderungen bringen nur die fiesen Römer, die nicht hier wohnen und als Fremde kein Recht haben, ein Wörtchen mitzureden. Zu dieser Konstruktion des „Wir“ passt auch sehr gut, dass die vorgebrachten Bedürfnisse älterer oder behinderter Menschen, welche sich eine günstige Einkaufsgelegenheit in der Nähe wünschen, völlig ignoriert werden. Stattdessen wiederholt man gebetsmühlenartig das „Drei Joghurtsorten reichen aus, wir haben genug, in Connewitz ist noch niemand verhungert“-Mantra. Statt eines größeren Sortiments werden so kreative Ideen wie ein „Wochenmarkt“ vorgeschlagen, auf denen dann die „Bauern, die hier in der Region auch produzieren mit ihrem Wagen kommen können und Äpfel verkaufen“.
Dieses Predigen von Verzicht inmitten des ungeheuren Überflusses von Waren ist jedoch reaktionär. Hier wird jedes diesseitige Glück verneint und sei es noch so erbärmlich, wie die Auswahl der Joghurtsorten. Weil man sich durch „die vielen Supermärkte überfordert fühlt und gar nicht mehr weiß wo man einkaufen soll“, werden dieser Vielfalt handgreifliche Werte entgegengesetzt, mit denen man zufrieden sein soll. Diese Verklärung des einfachen Lebens nannte Marcuse in seiner Analyse des Faschismus „heroischen Pauperismus“. Er wird verknüpft mit dem Verweis auf die natürlichen Bedürfnisse, die als objektiv betrachtet werden. Connewitzer, die richtig true und vor allem „von Hier“ sind, fahren Fahrrad, essen Äpfel und hier gebackenes Brot und brauchen max. Drei Joghurtsorten, klar? Demgegenüber ist einzuwenden, dass man in Connewitz nirgends Hummerfonds klauen kann, dass ein erträgliches Maß an Reichtum hier also erst noch zu etablieren ist.
Viele Kiezverteidiger bringen auch den Vorwurf, die Supermarktbetreiber wollten doch hier nur Geld verdienen und gar nichts für den Kiez tun. Diese bahnbrechende Erkenntnis könnte mit viel gutem Willen als Kritik am Kapitalismus umgedeutet werden. Es ist ja, was wahrscheinlich viele beklagen wollen, in der Tat so, dass diese „Kiezkiller“ gebaut werden, weil die TLG die Kohle hat um Grundstücke zu kaufen und weil sich Unternehmen hier einen gewissen Absatz erhoffen. Spielplätze und Parks auf den zu bebauenden Brachen kosten nur, bringen keine Steuereinnahmen und sind deswegen ja auch egal. Wäre es nun so, dass die meisten Protestler das Kapitalverhältnis beseitigen wollen, so müsste man sagen, dass es von grenzenloser Naivität zeugt, dass sie sich mit diesem revolutionäre Vorhaben bspw. an den Bauoberbürgermeister Herr Martin zur Nedden wenden. So wie man die allmächtige Mama gebeten hat, den Regen aufhören zu lassen.

Mit dem Zwang zum Arbeiten und Geld verdienen hat jedoch auf den Veranstaltungen anscheinend niemand ein Problem, sondern nur mit denen, die das erfolgreicher schaffen als die „Leute von Hier“, welche sich auf ihre ehrliche Armut einiges zugute halten. Als ein Vertreter der REWE seine Intentionen für die Erweiterung der Verkaufsfläche darlegen will, wird ihm vom Podium am 06.09. zunächst das Wort verboten, weil diese Versammlung „für Bürger“ sei. Ein, nach eigener Auskunft, Bewohner der Stöckartstraße3 bedrängte ihn daraufhin, entriss ihm mit drohendem Blick das Mikro und benutzte es selbst: „Du brauchst das nicht, ok! Wir wissen doch was ihr wollt. Ihr wollt uns ausbeuten, das ist doch klar!“ Für soviel „kreatives Engagement“ gibt's natürlich wieder viel Applaus vom Mob. Den gibt's auch für den Ausbeuter aus einem Einzelhandelsgeschäft auf der Bornaischen Straße, der weiter Geld verdienen will und deswegen vor REWE „echt Angst hat“. Auch der mittelständische Ausbeuter vom Bio-Supermarkt, der viel teurer ist als REWE, wird beklatscht und zwar für die „hohe regionale Wertschöpfung“, die ihn von der vaterlandslosen REWE-Gruppe abhebt. Seine Person (er sieht mit Vollbart und Karohemd aus wie jemand, der die Wende verpasst hat) passt besser ins Stadtbild und wird daher mit offenen Armen empfangen. Dabei besitzt er noch die Dreistigkeit, auszusprechen, dass er auch gerne die Räumlichkeiten am Kreuz gehabt hätte, aber leider nicht die organisatorischen Kapazitäten und Beziehungen der fiesen und unfairen REWE-Gruppe. Außerdem sitzt er in der Mitte vom Publikum, also im „Wir“, und nicht vorne bei den fiesen Bonzen von REWE und TLG.

Der Widerstand gegen die „Verdiscounterisierung“ besteht also zum übergroßen Teil aus Menschen, welche ein Ressentiment gegen große Unternehmen haben und lieber kleine, bodenständige Betriebe wollen. Aus anderen Menschen, die nicht mal genug Intelligenz und Souveränität haben, sich die Entscheidung zwischen mehreren Supermärkten zuzutrauen und deswegen „überfordert“ sind. Wieder anderen, welche den Umsturz des Kapitalismus als Antrag an den Oberbürgermeister stellen wollen. Dann noch denjenigen, die ein Problem mit Alten und Behinderten haben, welche unter dem wenigen Angebot in Connewitz leiden und jenen, die sauer sind, weil das Bio-Sortiment von REWE besser und billiger ist als das eigene.

Trotz dieses Widerstands prophezeien wir den Fortbestand von Plus, Lidl und vor allem von REWE. Denn, liebe Punks, Autonome und Kiezverteiger: Wo bitte kann man im Herzen von Connewitz bis 22:00 Uhr billig Alkohol kaufen?

Richtig!

Sysiphos und Johannes Knauss

Anmerkungen

1 O-Ton auf einer IG Connewitz Veranstaltung am 06.09.07. Nebenbei bemerkt, die Radio Island Sendung #40 kann mit noch mehr skurrilen Mitschnitten von besorgten und verärgerten Statements aufwarten: http://public-ip.org/sendungen-island.html
Die im Folgenden mit Anführungsstrichen gekennzeichneten Zitate entstammen entweder dieser Sendung oder einer Diskussionsmitschrift und sind, weil wir nicht so schnell schreiben können, teilweise nicht wörtlich korrekt. Inhaltlich geben sie allerdings die Aussagen wider.

2 http://connewitzerkiez.de

3 Straße mit einigen besetzten Häusern

home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[148][<<][>>][top]

last modified: 23.10.2007