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Lenin, Stalin und Trotzki
kommen in eine Bar...

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Martin Amis: Koba der Schreckliche – Die 20 Millionen und das Gelächter. Carl Hanser Verlag, München 2007, ISBN 3446208216, 288 Seiten, 21,50 EUR

So könnte möglicherweise ein Witz über den Bolschewismus beginnen. Ist es aber genauso vorstellbar, dass anstelle der Namen Trotzkis, Lenins und Stalins, Goebbels, Himmler und Hitler stünde? Und selbst wenn es diesen Witz gebe, würde man ihn erzählen? Es ist genau diese Fragestellung, die das gerade eben auf Deutsch erschienene Buch des britischen Romancier Martin Amis Koba der Schreckliche – Die 20 Millionen und das Gelächter durchzieht.
Schon dieser Ausgangspunkt zeigt, dass wir es hier weder mit einem faktenhuberischen, streng historischen Buch über den Stalinismus zu tun haben, noch mit einem dezidiert pro- oder antikommunistischen Machwerk, das den prall gefüllten Bibliotheken der Geschichtsschreibung über den Bolschewismus, je nach dem von welcher Seite, einen weitere Notation hinzufügen möchte. Nein, es ist der an kleinen Details des Alltags geschulte und interessierte Blick eines Schriftstellers, der die Frage, warum es sich über den Stalinismus leichter lachen lässt, als über den Nationalsozialismus, überhaupt zur Leitfragen eines Buchs über das 20.Jahrhundert machen kann. Natürlich schließt sich sofort die Frage an: Ist das denn so? Lässt sich über den Stalinismus lachen, während einem das Lachen über den Nationalsozialismus im Hals stecken bleibt? Ein Blick in das Kino- und Fernsehprogramm der letzten Jahre spricht da eine andere Sprache. Von Das Leben ist schön (1997) über Mein Führer (2007) bis zur Hitler-Parodie in Michael „Bully“ Herbigs Komödie Der Wixxer (2004), überall scheint man eher über den Faschismus, als über den Stalinismus lachen zu wollen. Und hatte sich nicht schon Charlin Chaplin in Der große Diktator (1940) über den Mann mit dem kleinen Schnauzbart lustig gemacht? Fest steht, dass ähnliche Filme über den Mann mit dem großen Schnauzbart entweder fehlen oder weit weniger bekannt sind.
Der Unterschied liegt wohl vor allem darin, dass es in den meisten der genannten Filmen – abzüglich von Das Leben ist schön welches nicht ohne Grund eine umfassende Debatte über das Problem des Verhältnisses von Komik und Darstellung im Bezug auf den Holocaust nach sich zog – nicht um das Lachen über den Nationalsozialismus handelt, sondern über das befreiende und deswegen für Deutsche als Deutsche immer funktionale Lachen über die Schrulligkeiten und Absonderlichkeiten eines Mannes mit eigentümlichen Akzent und einer Vorliebe für Stechschritt. Martin Amis geht es um etwas anderes, nämlich um die tragische und blutige Komik, die dem sozialistischen Experiment, wirft man einen genauen Blick darauf, innewohnt. Eine solche Feststellung kollidiert massiv mit Fakten: Mit den, die Ausmaße des deutschen Vernichtungswahns weit übersteigenden Opferzahlen, die Brutalität gegen die eigene Bevölkerung und der Willkür, die die kommunistischen Führer Lenin und Stalin an den Tag legten. Amis will dieser Spannung auf den Grund gehen und gleichzeitig ein Stück eigene Geschichte verarbeiten. Das Resultat dieser eigentümlichen Konstellation, sowie der besonderen Vorgehensweise machen dabei einen besonderen Reiz und schlussendlich auch einen entscheidenden Vorteil des Buches aus.

Geschichte und Erfahrung

Martin Amis ist kein Historiker und ebensowenig ist sein Buch für irgendeine wissenschaftliche Community geschrieben. Natürlich liest er Standardwerke der historischen Forschung über den Stalinismus: Er liest die monumentalen Werk des Reagan-Beraters Richard Pipes, die Bücher des ehemaligen sowjetischen Generals Dmitri Antonowitsch Wolkogonow, sowie die wichtigsten nicht-geschichtswissenschaftlichen Bücher zu dieser Materie, von Arthur Koestlers Sonnenfinsternis bis zu Wassili Grossmanns Alles fließt. Und dennoch ist es kein akademisches Buch. Ein Wissenschaftler – stereotyp gesprochen – verarbeitet, ordnet das Material, legt einen Grundriss an, bei dem eigene Wertung ohne Bedeutung ist, der vielmehr die Grundlage bieten soll für die „Interpretationen“ des Lesers. Amis tut das nicht: Amis ist wütend, Amis ist ratlos und Amis will genauso über den Stalinismus schreiben, wie er die Beharrlichkeit verstehen will mit der seine eigene Generation, aber vielmehr noch die seines Vaters, an Stalin festgehalten hat. Denn hier bricht die Biographie in die Sichtung und Interpretation historischen Materials ein. Wenn Martin Amis aus Robert Conquests Büchern zitiert, dann ist das mehr als eine Quellenangabe. Amis ist der Sohn des berühmten englischen Schriftstellers Kingsley Amis und Robert „Bob“ Conquest wiederum ein enger Freund der Familie. Martin Amis, der auf den ersten Seiten den Hintergrund seines Buches ausführlich darlegt und damit schon am Anfang die Frage nach wissenschaftlicher Objektivität umgeht, beschreibt Szenen, in denen er, sein Vater und Bob Conquest beim „faschistischen Lunch“ sitzen und angeregt über Politik diskutieren. Damals – das erklärt den missverständlichen Titel „faschistischer Lunch“ – brachte einem die Abkehr von der Solidarität mit der Sowjetunion sofort den Vorwurf des Faschismus ein. Martin Amis` Vater war 14 Jahre störrischer Anhänger Stalins und es war wohl nicht zuletzt die Auseinandersetzung mit Conquests` Büchern, die ihn davon abrücken ließ. Wenn das Buch mit einem Brief an den Geist seines berühmten Vater endet, in dem der Sohn seine Haltung, wie die des Vaters zum Stalinismus einer Prüfung unterzieht, dann geht es hier um historische Urteilskraft, wie sie sich durch die Positionen von Individuen und an ihnen selbst vollzieht, wie sie ihren Alltag, ihr Umfeld strukturiert, mehr als es das harmlose Wort „Politisierung“ jemals ausdrücken könnte. In diesem Zusammenhang wird aus der Momentaufnahme, wie sich Stalin-Anhänger und Autor der ersten Besprechung von Solschenizyns Archipel Gulag in der Redaktion einer linken Zeitschrift auf der Treppe begegnen, ein Brennglas historischer Zusammenhänge.
Kingsley Amis und Robert Conquest, das ist die eine Hälfte des biographischen Hintergrund des Buches. Die andere ist Martin Amis` eigene Generation, jene Gruppe von in den 40ern geborenen Linksliberalen, die heute in so manchem angloamerikanische Feuilleton präsent sind. Martin Amis war in den 70ern Redakteur der linken Wochenzeitung New Statesman. Die Zeitschrift wurde 1913 u.a. von John Maynard Keynes, H.G. Wells und George Bernhard Shaw gegründet und sollte ab den 30ern bis zum Abtritt seines wichtigsten Autors Kingsley Martin eines der einflussreichsten linken Organe auf der Insel sein. Die antifaschistische Zeitschrift vollzog dabei eine eigentümliche Wendung. Von vehementer Unterstützung für die Sowjetunion – symptomatisch dafür das Interview mit Stalin von H.G.Wells und die veröffentlichte Weigerung von Kingsley Martin, George Orwells Nachrichten aus dem spanischen Bürgerkrieg zu publizieren, wegen angeblich überzogener Kritik der Sowjetregierung – hin zu einem Labour-orientierten, eher antistalinistischen, im weitesten Sinne linksliberalen Blatt. In den 70ern war neben Martin Amis, Julian Barnes und James Fenton auch das enfant terrible der angloamerikanischen Kritikerszene Christopher Hitchens tätig. Besonders die Beziehung mit dem heute wegen seiner vehementen Kritik am Islam und der Befürwortung der US-amerikanischen Kriegseinsätze im Irak berüchtigten Hitchens ist die persönliche Klammer, die Amis` Auseinandersetzung mit dem Stalinismus umschließt. Zwar war Hitchens als Trotzkist kein glühender Stalin-Anhänger, eine völlige Abkehr vom „sowjetischen Experiment“ konnte er allerdings bis 1989 nicht vollziehen.

Das Gelächter und die Suche nach dem Besonderen

Schon wenn man vom „sowjetischen Experiment“ spricht, dann kommen cinematographisch Bewanderten möglicherweise die abstrusen Settings amerikanischer Science Fiction Filme in den Sinn: Ein halb-wahnsinniger Wissenschaftler – der nutty professor –, der in einem unterirdischen Labor versucht, eine neue Spezies zu schaffen oder eine Zeitmaschine zu bauen. Ganz ähnlich ist Amis Blick auf die Geschichte der Sowjetunion. Weil Komik etwas ist, das sich immer an Konkretem und Alltäglichem vollziehen muss, schaut er weniger auf die großen Zusammenhänge der sowjetischen Machtpolitik unter Lenin und Stalin (wobei letzterem mit dem Mittelkapitel der Hauptteil gewidmet ist), sondern auf die Details. Das sind einerseits Erfahrungsberichte, bestimmte Formulierungen in Verordnungen oder – was sich für jeden „seriösen“ Wissenschaftler schon aus Prinzip verbieten würde – Anekdoten. Es sind diese „Rüschen“ am Kleid der Geschichte (Walter Benjamin) über die Amis das Besondere des Stalinismus zu fassen bekommen will. Dabei hat man das Gefühl, dass Amis sich die Geschichte in genau jenem oben beschriebenen Setting vorstellt, was an sich schon einer gewissen Komik nicht entbehrt. Lenin und Stalin als die verrückten „Wissenschaftler“, die schwankend zwischen Megalomanie und völligem Verlust des Sinns für die Realität eine Terrorherrschaft etablieren, die sich neben ihrer Brutalität vor allem durch eines auszeichnet: durch ihr Scheitern. Scheitern, das Gegenteil von dem erlangen, was man wollte, das ist einer der Hauptbestandteile des Komischen: die Kontrastierung des Erwarteten, die den Gulli in den Stan Laurel fällt, bis zur Leiter, die Oliver Hardy harmlosen Passanten vor den Kopf knallt, zusammenhält. Deswegen nennt Amis den Stalinismus „negative Perfektion“ und deswegen legt er sein Augenmerk so sehr auf die Stümperhaftigkeit und Abstrusität, die in der Gewaltherrschaft liegen.
Das führt notwendig dazu, dass Amis immer drauf und dran ist, sich im Persönlichen, in den Marotten Stalins oder der geistigen Umnachtung Lenins zu verlieren. Und es bestimmt auch seine zaghafte Antwort auf die Frage, was denn nun der Unterschied sei, zwischen dem großen und dem kleinen Schnauzbart und ob der der große den kleinen nicht an Grauen übertreffe: Einerseits antwortet Amis mit Robert Conquest, ja, die stalinistischen Verbrechen sind schlimmer als der Nationalsozialismus. Und warum? „Ich empfinde das so.“ Wissend, dass es sich hier um die Empfindung eines Historikers handelt, der sich durch Kilometer von Seiten historischen Materials über den Stalinismus gekämpft hat, fragt Amis weiter. Sobald sich die Vernunft zur Empfindung gesellt, stellen sich Zweifel ein. Was trägt Amis an Unterschieden zusammen? Einerseits den von Nicolas Werth et. al. im Schwarzbuch des Kommunismus elaborierten Topos vom „Krieg gegen das eigene Volk“, der den Stalinismus mit seinen grausamen „Säuberungen“ nach Innen bis in die höchsten Etagen, vom Nationalsozialismus und der weitgehend homogenen Volksgemeinschaft unterschied. Präzision vs. Willkür ist ein anderer Faktor, die „Modernität“, das Verhältnis zur Arbeit, mithin die „Funktionalität der Lager“ ein anderer. Dann aber durchfährt es Amis: der Holocaust als die vollständige Vernichtung einer willkürlich ausgewählten und rein durch rassische Kriterien definierten Gruppe vermittelt nichts anderes als ein Gefühl von Scham. Eine Scham über die eigene Spezies, die eben gerade so tief ans anthropologische heranreicht, dass Dan Diner dafür den Begriff „Zivilisationsbruch“ prägte. Sie stellt nicht nur die Frage, wozu Menschen möglich sind, sondern sie beantwortet sie, weil es offensichtlich etwas gibt, das Menschen tun, das sogar den Drang zur Selbsterhaltung hintertreibt. In dem Moment, wo es wichtiger ist, Infrastruktur und Material zur Judenvernichtung einzusetzen, anstatt einen Krieg an der Front zu gewinnen, dort ist das Feld von Restbeständen politischer und militärischer Vernunft verlassen.
Doch um diese theorielastigen Erwägungen geht es Amis nicht. Am Ende steht die Scham und auch das ist eine Empfindung, so wie es das Gelächter ist, nämlich etwas, das sich eher in Bruchteilen von Sekunden einstellt – eben aus dem Bauch heraus –, als nach langer Reflexion. Konfrontiert man die Konstellation von historischen Versatzstücken, die Martin Amis vor allem im Hauptteil des Buches – ein Durchmarsch durch das Leben von Koba, so der Spitzname des jungen Jossif Wissarionowitsch, der sich später den viel bombastischeren Spitznamen „Stalin“ (der Stählerne) geben wird –, mit der Ausgangsfrage, nämlich warum es sich über den Stalinismus lachen lässt, dann weiß man immer noch nicht so recht, wie die Antwort nun ausfallen soll. Fest steht, dass Amis' Zugriff etliches von der unfreiwilligen Komik, die dem Stalinismus innewohnt, zutage fördert. Allerdings geht einem das Lächeln unterschiedlich leicht über die Lippen. Unbeschwert schmunzeln lässt es sich, wenn man erfährt, dass der Sowjetuntion unter Stalin nicht nur Neuschöpfungen wie Stalingrad (früher Wolgograd) beschert wurden, sondern zusätzlich noch Stalino, Stalinabad, Stalinsk, Stalinskoje, Stalinski, Staliniri, einen Berg Stalin, eine Stalin-Bucht, ein Stalin-Gebirge, sowie etliche Dörfer, die einfach Stalin hießen. Aber wer kann trotz unweigerlicher Komik noch lachen, wenn er liest, dass die Mitglieder der Behörde, die 1937 eine Volkszählung durchführen ließ, deren Ergebnis Stalin zu niedrig war, erschossen wurden wegen „verräterischer Umtriebe zur Verkleinerung der Bevölkerungszahl der UdSSR“? Weil in diesem Fall eben niemand losprustet, muss es, so Amis, einen anderen Grund geben, warum man über den Bolschewismus lachen kann und über den Nationalsozialismus nicht. Das ist für Amis unter anderem die „Asymmetrie der Nachsicht“ (Ferdinand Mount), vor allem aber die Tatsache, dass das Projekt einer befreiten Gesellschaft, die man den Oktoberrevolutionären als Intention kaum absprechen kann, in den meisten soetwas wie spontane Solidarität oder wenigstens Verständnis wachruft. Diese reicht vielleicht nicht allzu weit, aber sie verhindert die ebenso spontane Entrüstung, die einem verbietet über den Nationalsozialismus unbeschwert zu lachen, denn damit möchte nun wirklich niemand etwas zu tun haben. Für Martin Amis ist das Lachen über den Stalinismus vor allem ein Skandal, eben weil es die 20 Millionen vergisst. Vielleicht liegt die egalisierende und totalitarismustheoretische Tendenz Martin Amis' gerade in dieser unterschwelligen Intention: das weder über den Nationalsozialismus, noch über den Stalinismus gelacht werden sollte, weil beides irgendwie unmenschlich war. Aber das bleibt das Problem von jeder Reflexion, die ihren Gegenstand hauptsächlich auf der Ebene der Empfindung findet. Denn die stellt sich zwar spontan ein, wird aber sofort – wenn die Reflexion einsetzt – zweifelhaft. Insofern lässt sich das Buch von Martin Amis auch am präzisesten so beschreiben: verstörend unterhaltsam.

Walter Schrotfels


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last modified: 26.9.2007