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Blühende Kameradschaften

Über das Naziproblem im Osten und das Erklärungsproblem der Antifa


1. Nazis in oder Nazis aus der Gesellschaft?

Wolfgang Pohrt veröffentlichte 1991 einen Text in der Zeitschrift Konkret mit dem provokanten Titel „Stop den Mob – Die SA-Praktiken in der Zone müssen aufhören“. Der Artikel erschien in einer Zeit, in der sich rassistische Übergriffe vor allem in Ostdeutschland häuften – kurz nach dem Mord an Jorge Gomondai in Dresden –, und bevor sie letztlich zu pogromartigen Ausschreitungen wie denen in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen führten.
Zwar blieb seinerzeit die von links prophezeite „Faschisierung“, ein aus der K-Gruppen-Zeit entlehnter Begriff, der damals wieder Konjunktur machte, aus; doch unter diesem Menetekel traf Pohrt die sehr grundlegendeb Feststellungen, „daß man im neuen Deutschland mit einem Typ zu rechnen hat, welcher der straffen Organisation und der zentralen Führung gar nicht bedarf […] Die Menschen faschistisch führen und anzuleiten ist überflüssig, es reicht, daß man sie gewähren läßt.“ Denn: wer sich in die No-Go-Areas begibt, bekommt es dort vermutlich nicht mit den drei regionalen Nazikadern zu tun, sondern mit den restlichen Einwohnern, mit der Dorfjugend (soweit vorhanden), mit den Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr oder den elf Freunden des örtlichen Fußballvereins.
Diejenigen, die dort regelmäßig durch Grausamkeit in Erscheinung treten – indem sie töten, wer, wie 2002 Marinus Schöberl in Potzlow, die falschen Klamotten trägt; indem sie foltern, wer, wie im Januar dieses Jahres Kevin aus Pömmelte, sein „Verschiedensein“ nicht kaschieren kann; indem sie, wie jüngst in Parey, nach Juden fahnden und sich zumindest die verbale Gewissheit gönnen, dass sie auf die sachgerechte Selektion auch die Exekution folgen lassen könnten –, das sind nicht nur ein paar bekloppte Fanatiker. Das sind, im Gegenteil, Leute, die weit davon entfernt sind, sich politisch zu organisieren, in die NPD einzutreten, sich an Literatur aus der „Kampfzeit“ zu ergötzen, jedes Wochenende 200 Kilometer zur nächsten Demo zu reisen oder überhaupt ein fixes Weltbild oder politisches Programm vorweisen bzw. artikulieren zu können. Was sie haben, ist eine Ahnung: von der Welt, die sie kennen – und damit von denen, die nicht dazu gehören. Weil das die allermeisten betrifft und weil die rechten Communities auf dem Dorf oder im „Block“ auch nur größere Cliquen sind, stehen außerhalb die Menschen von überall, und im Inneren die Autochthonen, die dagegen ihre eigene Identität des Ihnen-Bekannten stark machen, indem sie vom Mensch-Sein (als Abstraktion) abstrahieren und gerade deswegen zu unmenschlicher Gewalt an den Fremden, die nur noch als das entgegen gesetzte Andere und nicht mehr als Menschen existieren, fähig sind.
Diese Allgemeinheit macht es freilich unmöglich, Neofaschismus und Neonazismus nur als eine Abweichung in der Statistik auszugeben, nur, weil etwa das Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, in dem die NPD 38% erhielt, kaum hundert Einwohner zählt. Weil es sich nicht um Einzelfälle handelt, weil die Täter von ihrer Umgebung positiv sanktioniert werden, weil sich auch der Rest nicht lumpen lässt, zu klatschen, wenn die Nachbarsjungen das Tagebuch der Anne Frank auf den Scheiterhaufen werfen, weil also mitnichten von marginalisierten Erscheinungen gesprochen werden kann, muss von einem gesellschaftlichen Problem ausgegangen werden. Die dabei vorkommende Gewalt gehört untrennbar zu diesem Problem, also nicht zu einer individuellen Verirrung, sondern zu einer Disposition von gesellschaftlicher Geltung.

2. Nazismus und Ideologie

Diese Disposition, also die ideelle wie praktische Möglichkeit von Ideologien wie Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus, die sich immer wieder offenbart, ist aber noch nicht ihre Realität. Die Aktualität des Problems für den Osten, wo nicht ein „mehr“ der genannten Ideologien existiert, sondern sie sich besonders handgreiflich aktualisieren und damit radikalisieren, markiert den Unterschied zwischen der reinen Möglichkeit, die aus dem allgemeinen gesellschaftlichen Zusammenhang erwächst, und den speziellen Konstellationen, die es nötig machen, auf die Besonderheiten im Osten zu reflektieren, die aus der gesellschaftlichen Option erst individuelle Praxis werden lassen. Methodisch muss daher getrennt werden zwischen den Voraussetzungen und ihrem Wirklich-Werden. Inhaltlich dagegen ist ihr Zusammenhang zu suchen, der die speziellen Konstellationen als Vermittlung einer gesellschaftlichen Allgemeinheit beschreibt, und damit sowohl davor bewahrt, Gesellschaft und gesellschaftliche Realität abstrakt – quasi ursachen- und akteursfrei – in eins zu setzen, als auch die Exterritorialisierung der Gründe in ein vor- oder außer-gesellschaftliches Feld unterbindet.
Was den Neonazismus – sei er ein konsistentes politisches Programm oder dessen mehr unbewusster Abklatsch – und neonazistische Gewalt beflügelt, ist nicht der Reiz an der Gewalt oder irgendeine Form des non-urbanen Hooliganismus. Am Anfang stehen die in der Gesellschaft vorgefundenen und allgemein akzeptierten Ideologien, die dem Alltagsverstand erst den Grund geben, Gewalt zu evozieren, und die in der Radikalisierung zu ihrer offensiven Form faschistisch wird. Die Voraussetzungen dafür ergeben sich aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem eine innere Objektivierung die adäquate, weil affirmative Reaktion auf die äußere Objektivierung der Warensubjekte ist und damit ein Maß an individueller Zurichtung anderer Menschen denkbar wird, die sie nicht mehr als Menschen, sondern als Fremde behandelt und sie gewaltsam als Objekte setzt. Das erfordert eine Anpassungsleistung an die affirmierte Gesellschaft, die unter noch zu erläuternden Umständen radikal ausfallen kann und dabei, indem der Staatsbürger zur konformistischen Revolte schreitet, die „Volksfremden“ nicht nur durch ihren kontinuierlichen Ausschluss von Staats wegen (Abschiebung, Wohnheime, Aufenthaltsbeschränkungen) in Mitleidenschaft gezogen, sondern die Subalternen als die Unanpassbaren und die Gewalt gegen sie zum eigentlichen Ziel und Gegenstand xenophober Aggression werden.
Das dem vorausgesetzte Set von Ideologien wird durch ihre Träger nicht erzeugt, sondern reproduziert. Es handelt sich um verschiedene Sorten falschen Bewusstseins, die, wie die Nützlichkeitssortierung von Menschen nach Maßstäben des Vorankommens der eigenen Nation, den unmittelbaren gesellschaftliche Verhältnissen entsprechen, aber auch, wie im Falle (post-) nazistischer Positionen, tradiert sein können; sie können modern und funktional als auch anachronistisch erscheinen. Was ihnen jedoch nicht zukommt, ist eine determinierende Wirkung, also ein unmittelbarer Ableitungszusammenhang zwischen Vorkommen von Ideologien und dem Handeln ihrer Träger. Gerade das versuchte beispielsweise Mario Möller in der letzten Ausgabe des CEE IEH zu konstruieren, indem er im Umkehrschluss vom Vorkommen von Neonazis auf die Existenz regelrecht nationalsozialistischer Vergesellschaftung im Osten schloss – ganz so, als stünde deren Ideologie im Widerspruch zur aktuellen bürgerlich-demokratischen Gesellschaft, und als rekrutierten sich Neonazis personell wie ideell nicht eben aus der hiesigen Gesellschaft.
Was Nazis mit der hiesigen Gesellschaft zuvörderst verbindet, ist der Rekurs auf diejenigen Basisideologien, die sie sich mit dem Rest jener Gesellschaft teilen, und denen damit mehr als nur die Potenz zukommt, als Legitimation für Sortierungen und Exklusionen herhalten zu können, weil sie – und das auch im Bewusstsein des demokratischen Staatsbürgers – diese Sortierung (und ihre ideelle Begründung) bereits darstellen und nur das Maß und die Mittel ihrer Umsetzung offen bleiben. Die Kritik nazistischer Ideologien erfordert daher zum ersten eine ideologiekritische Perspektive auf den gesellschaftlichen Zusammenhang, dem sie entspringen und der sie ermöglicht.

3. Aktualisierung nazistischer Ideologie

Zum zweiten sind die Besonderheiten herauszustellen, welche die Möglichkeit auch tatsächlich aktualisieren; die dafür sorgen, dass Nazismus im Osten besonders offen (wenn etwa Nazis in Hoyerswerda ihre Plakate mit Zustimmung des Ordnungsamtes aufhängen dürfen), besonders brutal („no go areas“) und als Bestandteil der Alltagskultur, von Hooligans bis zum Heimatverein, auftreten kann. Diese Besonderheiten betreffen konkrete politische, historische, sozioökonomische und kulturelle Gründe. Beim Versuch ihrer Darstellung entsteht freilich die Gefahr sowohl einer monokausalen Erklärung (also der Annahme eines fixen Ursachenkomplexes), der seinerseits einen statischen Determinationszusammenhang darstellen würde, als auch spiegelbildlich einer recht wahllosen Aneinanderreihung von Fakten, deren jeweilige Bedeutung so unklar bleibt wie ihr Rückbezug auf die gesellschaftliche Totalität verunmöglicht wird. Zur Diskussion stellen möchte ich dagegen den Zusammenhang:
Historisch verfiel mit dem Ende der DDR das antiwestliche, nicht aber das stets gepflegte antidemokratische Ressentiment. Im Gegenteil fand es seine Erfüllung im offensichtlichen Scheitern „Aufbau Ost“ und der an das politische System der BRD geknüpften Wohlstandsutopien. Der in der Wendezeit exzessive, an ein vereintes Deutschland gerichtete (und per se auch nicht antidemokratische) Nationalismus, der mit den Montagsdemos und dem Fall der Mauer zu seinem positiven Gründungsmythos kam, weil sich die Protestbewegung eine reale Geschichtsmächtigkeit zusprach, wurde noch radikalisiert im Moment, da dieser Nationalismus enttäuscht wurde; die Suche nach einem alternativen nationalen Erfolgsmodell wurde damit legitim. Sozial-ökonomisch brachte dies die häufig beobachtete Entpolitisierung einerseits, für einige aber auch die Möglichkeit eines „dritten Weges“ aufs Tapet. Das betraf und betrifft vor allem jene, deren (vormals sozialistischer und auch heute) zum Ideal erhobener Arbeitsethos in Widerspruch mit der Realität relativer Armut und Arbeitslosigkeit gerät, konzentriert sich also gerade, obschon nicht ausschließlich, auf ländliche Gegenden. Die Objektivierung des Warensubjekts verschärft sich dort, hin zu einer identitären Hermetisierung. Kulturell bedeutet das, zumal in den brach liegenden Dorfgemeinschaften, in denen sich außer der Pflege des örtlichen Kriegerdenkmals keine Möglichkeiten von Öffentlichkeit ergeben, die Selbstaufgabe des Individuums zugunsten vorgefundener Fixpunkte, des Autochthonen, des Immergleichen, die als das einzig „Ursprüngliche“, dem noch eine emotionale Regung entgegen gebracht werden kann, „Heimat“ also, gegen das Urbane und alle als fremd empfundenen Lebensentwürfe verteidigt werden. Dass oft jede zivilgesellschaftliche oder liberale Öffentlichkeit fehlt, befördert nur, dass das einzige denkbare politische Programm noch dasjenige bleibt, das diese Fixpunkte nicht nur positiv besetzt oder sie als Rückzugsraum erhalten will, sondern sie zum bestimmenden Prinzip erhebt.
Ausgestattet mit dieser Sorte Alltagsverstand ist Nazismus unter diesen konkreten Bedingungen keine abweichende, sondern eine adäquate gesellschaftliche Erscheinung. Wer schließlich in einer Region lebt, in der dieser Nazismus bereits hegemonial ist, „erlebt“ Faschismus weniger als politisches Programm in Konkurrenz zu anderen Programmen, denn als etwas Vorbewusstes, als Gemütsbewegung: Kultur. Vielleicht besteht eben darin der hauptsächliche Unterschied in den Erscheinungsformen des Nazismus in Ost und West: während in Westdeutschland – und auch den wenigen ostdeutschen Großstädten – Nazis in Subkulturen abtauchen müssen, weil dort kaum Heimatschutz zu machen ist, tauchen sie im Osten und dort insbesondere in ländlichen Gebieten in der und als Alltagskultur auf.
Was an dieser Stelle vermieden werden muss, ist eine Reduzierung des Problems auf seine augenfälligste Erscheinung, seine Gewaltförmigkeit. Das droht immer, wenn sich ratlose Politiker und Soziologen, oder aber Hobbypolitiker und Hobbysoziologen – z.B. Antifas – auf Ursachensuche begeben, und dafür von der gesellschaftlichen Totalität und speziellen Sozialisationshintergründen gekonnt, wie sie es sich als Seminarsozialisten angewöhnt haben, abstrahieren. Den Fehler beging im Eingangs angerissenen Artikel auch Pohrt: für ihn hatten die Zonen-Nazis mit den historischen Nazis und der nationalsozialistischen Ideologie nichts gemein außer ihrer Militanz. Faschismus und Antifaschismus begegnen sich dann aber nur noch in den beiden Praxisformen von Gewalt und Gegengewalt, deren ideologischer Hintergrund nur noch beleuchtet wird, um die Gewalt zu plausibilisieren und sich damit in einem kulturellen oder historischen Nachvollzug oder einer emphatischen Verständlichmachung geübt werden soll, anstelle einer Kritik. Hielten sich die Täter nun zurück, würden sie auf allzu exzessive Gewalt verzichten, so fiele es vielleicht den überzeugten Demokraten und Zivilgesellschafter leicht, das Problem für die Gesellschaft als gebannt zu erkennen. Das Problem mit der Gesellschaft wäre es mitnichten, weil die Gewalt nur die Form ihres Inhaltes und dieser Inhalt kein beliebiger und austauschbarer, sondern ein ideologischer ist.

4. Das Voranscheitern der Antifa

Die Erkenntnisse über die Gründe des Nazismus fallen zurück auf die Konzepte eigener antifaschistischer Praxis, an denen sie sich messen lassen muss. Gefragt nach Möglichkeiten der Gegenwehr, vermerkte Pohrt: „Noch ist die Entwicklung vielleicht aufzuhalten, indem der Druck der öffentlichen Meinung die bundesrepublikanischen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden dazu zwingt, geltendes Recht auch gegen rechtsradikale Schläger- und Foltertrupps durchzusetzen.“ Die Frage, ob eine positive Bezugnahme auf die „öffentliche Meinung“ und als ihr Exponent die sog. Zivilgesellschaft möglich und politisch sinnvoll ist, genauer: ob überhaupt eine kritische Öffentlichkeit existiert, die dem Problem beikommen könnte, wird als Bestandteil aktueller (Post-) Antifadebatte auch heute noch diskutiert. Dies, weil sich spätestens mit Rostock-Lichtenhagen in aller zynischer Schärfe zeigte, dass der Nazismus, wird es als polizeiliches Problem verstanden, nur unter bestimmten Bedingungen Ziel von Repression wird, wenn er nämlich zum öffentlichen Ärgernis, zur Abweichung von der Norm wird. Gerade im Osten ist Nazismus aber keine Abweichung von der Norm, zumindest aber kein existentieller Gegensatz, schon gar kein ideologischer. Die Möglichkeit einer kritischen Öffentlichkeit, sei sie liberal oder sozialbewegt, sind so per se eingeschränkt, ebenso die Chancen ihrer Wirkung; ihre „Berechtigung“, die ich hier aus einem linksradikalen Blickwinkel nur als eine pragmatische/taktische kennzeichnen möchte, zieht die Zivilgesellschaft vor allem daraus, dass sie in vielen Gegenden die einzigen irgendwie kritischen (Anti-Nazi-) Strukturen stellen und diejenigen, die in diesen Problemen nicht zu den Nazis gehören, auf die Nutzung solcher Strukturen, ihrer Infrastruktur und materiellen Ressourcen, nicht verzichten können, weil ihnen die Rückzugsräume, die in einigen Städten existieren, dort nicht existieren.
Auf der anderen Seite positioniert sich die Antifa, zu deren Anspruch es stets gehörte, über den Anti-Nazi-Kampf hinaus die ideologischen Grundfesten der Gesellschaft anzufechten. Zu ihrem Dilemma gehört aber, wie zur radikalen Linken allgemein, nicht nur ihre oft praktische Wirkungslosigkeit durch (auch ressourcenbedingte) Nicht- oder Kaum-Intervention, sei es zur Wiederverinigung oder in Rostock-Lichtenhagen, sondern ihre oft völlige theoretische Ahnungslosigkeit. Das Credo der Antifa, das sich von „Antifa heißt Angriff“ bis „Antifa ist mehr als gegen Nazis“ spannt, drückt das allzu deutlich aus: die kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft mit der handgreiflichen Auseinandersetzung einiger ihrer Exponenten zu verwechseln. So sinnvoll es ist, Nazis anzugreifen, wo man ihrer habhaft werden kann, um etwa ihre Propaganda zu unterbinden oder ihre Strukturen einzuschränken, so unnütz ist diese Praxis, wo man es nicht mehr mit einer Subkultur mit abgezählten Anhängern oder einzelnen Demonstrationen zu tun hat, sondern mit einer Alltagskultur, also das Problem richtigerweise als ein gesellschaftliches analysiert hat. Die Suche nach einer anderen Praxis wiederum, die mit der Aneignung von Argumenten gegen die bestehende Gesellschaft zu beginnen hätte, ist mit der Mehrzahl von Antifas nicht zu machen, weil sie sich mehr um die Vermittelbarkeit ihrer Demonstrationen sorgen statt zu begreifen, warum linksradikale Politik marginalisiert bleibt, und darum, wieder die „Massen“ anzusprechen und Protagonisten in sozialen Kämpfen sein zu dürfen. Damit vollzieht sich in der linken Szene aber gerade Ähnliches wie in politisch anders orientierten Cliquen. Erstens die Hermetisierung gegen die Theorie durch den Wiederholungszwang der einmal begründeten falschen Praxis, die sich zum einzelnen Antifa-Individuum hin verdoppelt als die Bestärkung „sentimentaler“, affektueller Gründe für politisches Engagement. Zweitens die Tendenz zur Bandenbildung, zum Ideal eines wirkungsmächtigen Gegen-Rackets. Die Mobilisierung gegen Naziaufmärsche folgt daher zumeist nicht dem politischen Kalkül, Nazipropaganda wirksam zu unterbinden und den Tatendrang ihrer Exponenten vor die Drohung nötigenfalls militanter Zurückweisung zu stellen, also „mob action“ als Mittel einzubringen, sondern entspricht dem Einlassen auf einen vor-politischen Wettbewerb darum, wer die Straße „gewinnt“, die radikalere street performance hinlegt, den größeren Chic und die attraktivere Subkultur anzubieten hat. In der Selbstvergewisserung, per se zu den „Guten“ zu gehören, ganz gleich, was man sagt und tut, werden nicht nur die Mittel der Auseinandersetzung zum ritualisierten Zweck; es wird sich schließlich jeder Rationalität des eigenen Handelns und damit der Möglichkeit einer gesellschaftskritische Theorie und Praxis konsequent entledigt.
Das eigene – nach wie vor sinnvolle und nötige – Wirken leidet darunter, weil der handgreifliche Zugriff als Handlungsprogramm frei von jeder politischen Komponente ist und nur ein alternatives Repressionsorgan eines alternativen Verfassungsschutzes übrig bleibt, da man an eine Kritik der Gesellschaft außer im eigenen idealistischen Anspruch, der als Durchhalteparolen unter jeden neuen Aufruf gekritzelt wird, nicht heran kommt. Davon Abstand zu nehmen, würde notwendig eine Zäsur organisatorischer Art und eine Aufnahme inhaltlicher Befassung bedeuten, wie ich sie in diesem Beitrag anzuregen und zu skizzieren versucht habe. Sofern die aktuellen Auflösungen teils namhafter Antifagruppen auf die Feststellung hin folgten, unter diesen Bedingungen nichts mehr erreichen zu können und nicht mehr mitzuspielen zu wollen, sind sie zu begrüßen.

Felix Körner
(Ex-Antifa Goes To Hollywood, aufgelöst im Oktober 2006)

Barbie, 10.4k




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last modified: 28.3.2007