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„Gefallene Engel“


      „Alle Lebewesen, die sich in die göttliche Ordnung (…) nicht einfügen können oder wollen, fallen aus der Ordnung und werden in die vielen Welten des Makrokosmos, die ihrer jeweiligen Schwingung entsprechen, geworfen. Im Hinblick auf die Erde sind es Menschen, gefallene Engel, also Dämonen (…). Je größer die Missachtung der Ordnung, desto größere Unfreiheit des aus der Ordnung gefallenen Wesens. Die Ordnung in den makrokosmischen Welten wird verwaltet durch das Konzil der Wächter – die höchsten Engel um den Thron Gottes, reine Licht-Wesen (…). Cherubime, Seraphime, Fürsten, Lords, Intelligenzen, alle Engelsordnungen sowie noch viele Heerscharen des Lichtes. Zu den Vollstreckern des göttlichen Willens gehören selbstverständlich die hoch entwickelten Menschen mit göttlichem Bewusstsein, die Raumschiffe fahren und durch ihre Patrouillen für Ordnung durch Einhaltung der kosmischen Gesetze (...) in ganzen Welten sorgen.“ — Bozenka Venediger alias „Aaron“
Obiges Zitat(1) stammt von einer der Koryphäen der deutschen Channeling-Szene, die behauptet mit verschiedensten höheren Wesenheiten aus dem Jenseits in Kontakt zu stehen. Obwohl solche Geisterphantasien wohl für die meisten Leser bestenfalls Anlass zum Kopfschütteln bieten, ist der Glaube an Channeling und die vielen anderen esoterischen Lehren und Praktiken in der deutschen Gesellschaft durchaus keine Seltenheit. Denn während die großen christlichen Kirchen in den letzten Jahrzehnten über Mitgliederschwund und zunehmende Einflusslosigkeit ihrer Lehren auf den gesellschaftlichen Diskurs jammerten, lässt sich spätestens seit den 1980er Jahren ein deutlicher Trend hin zur Esoterik erkennen.
Wissenschaftler schätzen die Anzahl derjenigen, die sich in Deutschland aktiv für Esoterik interessieren auf über 10 Millionen, doch umfasst diese Zahl nur den harten Kern der Esoterikbegeisterten, also regelmäßige Leser von Zeitschriften, Besucher von einschlägigen Messen, Seminaren und Therapien. Der Umsatz der Esoterikbranche wird auf etwa 10 Milliarden Euro jährlich geschätzt, der esoterische Buchmarkt kann regelmäßig mit jährlichen Wachstumsraten von über 20 % aufwarten.(2) Doch diese erstaunlichen Erfolge der Branche sind nur die Spitze des Eisbergs, denn die Affinität zu allen denkbaren Formen des Aberglaubens und der Spiritualität ist in Deutschland erschreckend stark.
  • so glaubt jede Fünfte an die Möglichkeit Kontaktaufnahme mit dem Jenseits,
  • mehr als jeder Dritte an die Möglichkeit die Zukunft vorauszusagen
  • über 40% an eine besondere Bedeutung von 4-blättrigen Kleeblättern und
  • über die Hälfte der Bevölkerung an Außerirdische, Schutzengel und so genannte alternative Heilmethoden wie etwa Bachblütentherapie und Homöopathie, die nachweislich völlig wirkungslos sind.(3)
Die Eso-Industrie hat also aller Voraussicht nach gute Chancen weiter zu expandieren.
All diese Zahlen sind Grund genug, die Esoterik einmal genauer unter die Lupe zu nehmen und zu überprüfen, wie das von esoterischen Strömungen propagierte Weltbild genau aussieht. Doch was versteht man eigentlich unter Esoterik?


2000 Jahre Geheimnistuerei

Der Begriff geht zurück auf das griechische „esoteros“, was soviel wie das Innere oder das Verborgene bedeutet. Als Esoterik bezeichnete man ursprünglich Geheimlehren, die innerhalb von Religionen existierten, jedoch nur einem kleinen Teil besonders Eingeweihter zugänglich waren. Beispiele hierfür sind etwa die Gnosis im Christentum oder das Tantra im Hinduismus. Das Gegenteil der Esoterik ist in diesem Sinne die Exoterik, der für jeden zugängliche, offizielle Katechismus einer Religion. In einer weiteren Verwendung des Begriffs steht Esoterik für eine Art seelische Geheimwissenschaft, die in Abgrenzung zur Naturwissenschaft steht.
Der äußerst einflussreiche Esoterikpapst Rudolf Steiner erläuterte, dass diese Geheimwissenschaft auf den zwei Grundannahmen basiere, „dass es hinter der sichtbaren Welt eine unsichtbare, eine (…) für die Sinne und an diese Sinne gefesselte Denken verborgene Welt gibt und dass es dem Menschen (…) möglich ist, in diese verborgenen Welten einzudringen.“ (4)
Diese Welt kann jedoch weder durch die Sinne wahrgenommen noch durch den Verstand begriffen werden, sie wird durch die Seele erlebt.
Die heutige Esoterikszene kommt meist ohne den engen Bezugsrahmen der großen Religionen aus, längst haben sich esoterische Strömungen zu eigenständigen Weltanschauungen gewandelt. Betrachtet man die heutige Esoterikszene, so ist man mit einem schier unüberschaubaren spirituellen Angebot konfrontiert, tausende verschiedene Anbieter werben um die Gunst und die Geldbeutel ihrer potentiellen Kunden. Die Palette reicht von okkulten Klassikern wie Kartenlegen, Astrologie und Pendeln über pseudoseriöse Parawissenschaften und eine Unzahl so genannter alternativer Heilmethoden bis hin zu Ufosekten und ähnlichen Abstrusitäten.
Besonders beliebt ist alles, was irgendwie eine fremde, geheimnisvolle Aura genießt und nicht der entzauberten, anonymen westlichen Zivilisation entstammt. Das eigene Bedürfnis nach Sinnstiftung und Spiritualität wird dann in rassistischer Manier auf ein Außen projiziert, bevorzugt auf vermeintlich ursprüngliche Naturvölker, wie die Aborigenies, die dann nicht mehr als eine sozial marginalisierte ethnische Minderheit oder schlicht als Individuen wahrgenommen werden. Vielmehr werden solche Gruppen als von Technologie und Aufklärung unverdorbene, naturverbundene Gemeinschaften imaginiert, die sich wunderbar als spirituelles Repertoire für Sinnsucher mit Sozialversicherung eignen. Gerne macht man auch Anleihen bei keltisch-germanischen Mythen, indianischen Riten und fernöstlichen Religionen. Hauptsache, es ist irgendwie exotisch und in Raum und Zeit möglichst weit von der eigenen Lebensrealität entfernt, mit der man sich nicht so gerne beschäftigt.
Charakteristisch für die Esoterik ist ihr extremer Eklektizismus; Esoteriker greifen völlig unterschiedslos einzelne Versatzstücke aus dem breiten, ständig wachsenden Psychoangebot heraus und setzten sich nach dem Baukastenprinzip ihren eigenen, individuellen Glauben zusammen. Dieser hat keinen Anspruch auf logische oder begriffliche Kohärenz; so kommt es vor, dass traditionelles fernöstliches Gedankengut mit indianischem Schamanismus verschränkt wird, angereichert mit Theorien, die sich um eine Anerkennung als moderne Naturwissenschaften bemühen, etwa die Parapsychologie.
Ein weiteres Merkmal der esoterischen Bewegung ist ihr geradezu schizophrenes Verhältnis zur Gesellschaft. Denn während ihr nichts ferner liegt als sich mit dem sozialen Hier und Jetzt kritisch auseinanderzusetzen und sie sich anstatt dessen ganz und gar der spirituellen Selbstfindung verschrieben hat, die scheinbar außerhalb aller gesellschaftlichen Zusammenhänge von statten geht, ist die okkulte Szene doch völlig von kapitalistischer Verwertung und Kommerzialisierung beherrscht. Es gibt kaum ein Angebot, das keine Ware wäre, ob es sich nun um Ratgeberliteratur, Beratung oder medizinische Behandlung handelt, im Eso-Supermarkt gibt es nichts umsonst. Die esoterischen Lehren, die so gerne hochtrabend als ewige und göttliche Wahrheiten daherkommen, die mit allerhand mythologischem Geraune aufgeblasene Weisheit gibt es nur gegen Bares, vorkonfektioniert als teures Wochenendseminar, abgerechnet auf Stundenbasis. Regelmäßig wird alter Wein in neuen Schläuchen verkauft, Altes wird einfach neu lackiert mit einem anderen Etikett versehen und weiter vermarktet, besonders beliebt ist ungeniertes Abschreiben bei den Legenden der Szene also etwa Rudolf Steiner oder Helena Blavatzky. Damit der Betrieb rentabel bleibt ist das Esobusiness in regelmäßigen Abständen auf Trends wie Feng Shui angewiesen, immer wieder bedient man sich an der globalen Religionsgeschichte um das Geschäft am Laufen zu halten.


Esoterik – Science oder Science Fiction?

Der seltsame Doppelcharakter der Esoterik, die sowohl einen religiösen als auch einen wissenschaftlichen Anspruch hat wird oft als der Versuch einer Aufhebung der Trennung von Glauben und Wissen interpretiert, die es in modernen Gesellschaften spätestens seit der Aufklärung gibt. Der Esoterik gelingt es jedoch nicht diese Ansprüche zu erfüllen:
Ihre Behauptungen werden in wissenschaftlichen Überprüfungen regelmäßig widerlegt und sie hat es nicht geschafft eine methodische Selbstkritik zu entwickeln sondern immunisiert sich mit einer Vielzahl von Hilfskonstruktionen gegen Kritik. Da wird schon mal ein Versuchsaufbau durch scheue Geister manipuliert, die nicht von den Menschen entdeckt werden wollen.
Doch auch für eine Klassifikation als Religion im klassischen Sinne fehlen der Esoterik wichtige Elemente. Sie schafft es aufgrund ihrer elitären und meist kommerziellen Ausrichtung nicht, verbindliche moralische und soziale Gemeinschaften zu schaffen, ihre Praktiken können aufgrund der Fragmentarisierung und der Ablösung von ihrem sozialen und historischen Kontext keine gesellschaftlich integrative Wirkung mehr entfalten, sie sind leere Symbole in Warenform.
Adorno nannte diesen Prozess eine zweite Mythologisierung. In seinen Thesen gegen den Okkultismus von 1951 schrieb er: „Die zweite Mythologie ist unwahrer als die erste. Diese war der Niederschlag des Erkenntnisstandes ihrer Epochen, deren jede das Bewußtsein vom blinden Naturzusammenhang um einiges freier zeigt als die vorhergehende. Jene, gestört und befangen, wirft die einmal gewonnene Erkenntnis von sich (…).
Der Blick des Schiffers zu den Dioskuren, die Beseelung von Baum und Quelle, in allem wahnhaften Benommensein vorm Unerklärten, waren historisch Erfahrungen des Subjekts (…). Als rationell verwertete Reaktion gegen die rationalisierte Gesellschaft jedoch, in den Buden und Konsultationsräumen der Geisterseher aller Grade, verleugnet der wiedergeborene Animismus die Entfremdung, von der er selber zeugt und lebt, und surrogiert nichtvorhandene Erfahrung.“(5)
Zu der Verdinglichung passt auch, dass das jeweils Heilige in den okkulten Theorien im Unterschied zu den monotheistischen Religionen kein für den Menschen Unverfügbares ist. Im Gegenteil: Esoteriker behaupten, das Heilige, Übernatürliche unmittelbar für ihre Zwecke zugänglich und sogar manipulierbar zu machen. Das ist der Fall, wenn z.B. Wunderheiler sich ihren Lebensunterhalt mit der Anwendung göttlicher Heilkraft verdienen, oder wenn man sich bei einem Medium göttliche Beziehungstipps einholt.

Alles Karma!

Esoterische Ideologie ist in hohem Grade antiemanzipatorisch:
Sie propagiert ein Menschenbild, in dem der Mensch keine Möglichkeit zu Freiheit, Selbstbestimmung und vernunftgeleiteter Erkenntnis hat. Er wird von überirdischen Mächten kontrolliert und ist in einer unveränderlichen kosmischen Ordnung gefangen, in die nur eine kleine, elitäre Gruppe von Erleuchteten Einblick hat. Das esoterische Fußvolk hat alles zu schlucken, was dem jeweiligen Erleuchteten in den Sinn kommt, die Strukturen in okkulten Bewegungen sind in höchstem Maße kritik- und demokratiefeindlich. Völlige Unterwerfung und Selbstaufgabe ist gefragt. So wird zum Beispiel von den Anhängern der so genannten Universalen Kirche wortwörtlich verlangt, dass sie ihre menschliche Persönlichkeit ablegen. Dann würden sie erkennen „dass euer Leben glücklicher wird (…) und ihr werdet feststellen, dass ein trainierter Welpe ein glücklicher Hund ist.“
Die Mitglieder geloben „vorbehaltsloses Vertrauen zu den Meistern der Weisheit und ihren Lehren und unerschütterlichen Gehorsam gegenüber ihren Wünschen.“(6)
Vielen Esoterikern erscheint der Mensch nur als Problemfaktor, der einer Natur, die man sich als irgendwie gut und beseelt vorstellt, permanent Leid zufügt und daher schleunigst beseitigt werden muss.
Dabei gehen einige Strömungen in ihrem kranken Menschenhass so weit, dass sie die Weltbevölkerung durch Aids oder Atomwaffen auf eine Anzahl von 100 Millionen Menschen reduzieren wollen.(7) Dass nicht der Mensch als solcher, sondern die kapitalistischen Produktionsverhältnisse für den Raubbau an der Natur verantwortlich zu machen sind, kommt diesen Umweltschützern nicht in den Sinn. Esoterik leugnet den Einfluss sozialer und ökonomischer Faktoren auf das Leben der Menschen und erklärt die Welt mithilfe von so genannten ewigen Naturgesetzten oder Karma.
Durch diese übersinnlichen Institutionen, die den Gang der Dinge bestimmen, werden die gesellschaftlichen Zustände menschlicher Kontrolle und Veränderung entzogen, mehr noch, menschliches Leid wird mit dem Hinweis auf das Karma und ähnliche Schicksals-Konstrukte gerechtfertigt und erhält obendrein noch eine spirituelle Sinnveredelung. Wer beispielsweise Hunger leiden muss, arm oder krank ist, hat kein Recht, dafür die gesellschaftlichen Verhältnisse in denen er lebt zu kritisieren oder sich gegen diese aufzulehnen. Er ist zu Recht in dieser misslichen Lage, da er offensichtlich den kosmischen Gesetzen zuwidergehandelt oder sich durch falsches Verhalten in einem vorigen Leben ein schlechtes Karma eingehandelt hat. Daher predigt Esoterik die Anpassung an gesellschaftliche Verhältnisse, die von ihr Ausdruck göttlichen Willens mythologisiert werden. Wer sich widersetzt muss büßen.
Dazu Adorno in den Thesen gegen den Okkultismus: „Sie liefern dem Schwachsinn die Weltanschauung. Schlagartig, drastisch erteilen die Astrologen und Spiritisten jeder Frage eine Antwort, die sie nicht sowohl löst, als durch krude Setzungen jeder möglichen Lösung entzieht. (…) Damit verstärkt es den Konformismus. Nichts gefällt dem Bestehenden besser, als daß Bestehen als solches Sinn sein soll.“ (8)
Auf diese Weise wird soziales Elend individualisiert oder die Gründe werden in eine rational nicht zu fassende Parallelwelt abgeschoben. Die Forderungen nach materiellem Wohlstand werden von den meist aus der Mittelschicht stammenden Esoterikern ohnehin nur arrogant belächelt, denn schließlich beschäftigt man sich mit Höherem(9). Da stört der vulgäre Materialismus nur. Wenn man sich doch einmal für Probleme in der Außenwelt interessiert, dann werden keine materialistischen Argumente bemüht, alles ist eine Frage des richtigen Bewusstseins. So versuchten anlässlich des zweiten Irrakkriegs Anhänger des Ayurveda-Gurus Maharishi „die Heilung der Erde“ herbei zu meditieren, offensichtlich haben aber nicht genug Erleuchtete mitgewirkt, denn der Krieg fand bekanntlich statt.(10)

New Age? Ideologie von vorgestern.

Doch nicht nur die soziale Ungleichheit wird affirmiert, die kosmischen Gesetze schreiben auch reaktionäre Geschlechterrollen vor. Frauen sind danach spiritueller, erdverbundener und weniger rational veranlagt als Männer. Sie sollen für andere Sorge tragen, sanft und geduldig sein sowie für Nachwuchs in großer Zahl sorgen. Dabei muss Sie darauf achten, dass die Reinheit ihrer Rasse erhalten bleibt, denn eine Unterteilung der Menschheit in verschiedene so genannte mystische „Wurzelrassen“ ist seit den äußerst einflussreichen Schriften der Theosophin Helena Blavatzky im 19. Jahrhundert fester Bestandteil esoterischer Lehren.
In ihrem Grundlagenwerk „die Geheimlehre“ von 1888, das ihr – wie könnte es auch anders sein – aus dem Jenseits diktiert wurde, behauptet die gebürtige Ukrainerin die Existenz einer „Großen weißen Bruderschaft“ in Tibet, in der verschiedene erleuchtete Meister wie zum Beispiel Buddha, Jesus und Goethe versammelt seien. Anliegen dieser Bruderschaft sei es, die am weitesten fortgeschrittene Rasse der Arier in ein neues „Goldenes Zeitalter des Wassermanns“ zu leiten. Dabei sei das Verlöschen der anderen Rassen „karmische Notwendigkeit“. (11)
Diese Wurzelrassentheorie wurde unter anderem von Rudolf Steiner, dem Begründer der Walldorfpädagogik übernommen. Rassistische oder völkische Denkmuster finden sich jedoch nicht nur hier, sondern auch in zahlreichen anderen esoterischen Strömungen, insbesondere im germanisch-keltisch inspirierten Neuheidentum.
Ebenfalls angesagt sind antisemitische Verschwörungstheorien wie zum Beispiel die Machwerke Jan von Helsings. In seinem Bestseller namens „Geheimgesellschaften“, der in den 1990er Jahren weit über 100.000 mal verkauft wurde, bevor er endlich bundesweit beschlagnahmt wurde, vermengt von Helsing klassisch antisemitische Verschwörungshalluzinationen mit esoterisch inspirierter Science Fiction zu einer skurrilen Theorie: Hitler hält sich demnach in einem unter der Antarktis liegenden Reich auf, wo er sich mit seiner Ufoflotte für die letzte Schlacht gegen die jüdische Weltverschwörung rüste, die ihre Macht ihrerseits von finsteren Außerirdischen beziehe. Paranoide Wahnvorstellungen wie die von Helsings werden in der Szene gerne als bahnbrechende Erkenntnisse gefeiert. Sie sind selbstimmunisierend und entziehen sich jeder rationalen Kritik. Wie das funktioniert, kann man im Internet selbst nachlesen: Ein begeisterter Anhänger von Helsings Theorien schreibt in seiner Buchkritik bei Amazon: „KLINGT ALLES SEHR NACH UNFUG, nicht wahr? Dann ist das Buch nichts für Sie. Das ist aber nicht schlimm, es ist vor vielen,vielen,vielen, Jahren so beschlossen wurden daß Sie so denken. Machen Sie sich nichts daraus, das ist normal, das passiert jedem. –So war es auch bei mir, nur mit dem Unterschied, dass ich mir meine Hintertüren offen gelassen habe und schon immer ahnte : so kann es nicht gewesen sein, es MUSS sich anders zugetragen haben. SO ergibt es keinen Sinn.“(12)
Sieht man sich all diese Elemente des esoterischen Welt- und Menschenbildes an, so drängt sich unwillkürlich der Vergleich zu faschistischer und nationalsozialistischer Ideologie auf. Hier wie dort findet sich das Ideal einer autoritären auf einen Führer zugeschnitten Gemeinschaft, in der individuelle Selbstbestimmung, Freiheit und Kritik dem blinden Gehorsam geopfert werden. Materialismus und rationale Analyse sind verpönt stattdessen werden Mythen und der Glaube an ein Auserwähltsein postuliert. Die Menschheit wird in höhere und niedrige Rassen unterteilt, menschliches Leid wird in sozialdarwinistischer Manier als unvermeidliches Schicksal angebetet. Für soziale Verwerfungen wird nicht die kapitalistische Gesellschaft in ihrer Totalität sondern eine Weltverschwörung verantwortlich gemacht, die selten ohne die Juden als teuflischen Feind der Völker auskommt. Solche Hirngespinste gibt es wahlweise mit und ohne UFOs. Es verwundert daher kaum, dass die Esoterik stets eine zuverlässige Begleiterin faschistischen Gedankenguts in Deutschland war.
Um die vorletzte Jahrhundertwende entstanden in im deutschen Reich und in Österreich zahlreiche esoterische Zirkel und Geheimgesellschaften, die mystische Vergangenheitssehnsucht, Germanentum, Rasse- und Elitedenken mit Antisemitismus zu einem wirren Ideologie-Cocktail vermengten. Auf Maskenfesten gab man sich hemmungslos heidnischer Magie und den dämonischen Kräften des Totenreichs hin. Dabei hetzte man gegen die Juden, die an der Zerstörung der Einheit der Menschen schuld sein. Auch das Hakenkreuz, ursprünglich ein indoeuropäisches religiöses Symbol, wurde in einem dieser Zirkel wieder entdeckt und vereinnahmt.
Am Ende des ersten Weltkriegs entstand in München die Thule-Gesellschaft, die in der esoterisch-antisemitischen Tradition besagter germanischer Geheimorden stand. Ihr Name geht zurück auf den Mythos von Thule, dem nordischen Atlantis, wo angeblich Riesen mit kosmischen Kräften bereitstünden um Deutschland zu retten. Man beschäftigte sich mit Rasse- und Verschwörungstheorien, war aber auch in Astrologie, Alchimie und anderen Geheimwissenschaften kundig. Die Gesellschaft verwendete das Hakenkreuz in ihrem Logo.
Neben den üblichen ideologischen Parallelen lassen sich hier auch zahlreiche personelle Überschneidungen konstatieren. Mitglieder der Thulegesellschaft waren unter anderem Julius Streicher, Rudolf Heß und Alfred Rosenberg, die später zu den wichtigsten Funktionären und Ideologen des NS zählten. Die deutsche Arbeiterpartei DAP, die sich nur wenige Monate später in NSDAP umbenannte, wurde auf Anordnung der Thulegesellschaft gegründet.(13) Auch Himmler interessierte sich für okkulte Lehren und hielt sich selbst für erleuchtet. Er entsandt 1938 sogar eine Expedition nach Tibet, wo SS-Ahnenforscher nach einer „spirituell hochstehenden Superrasse“ suchten. Man ging dabei von einer „okkulten Achse Berlin-Lhasa“ aus.(14)
Auch heute ist die Verbindung zwischen Esoterik und der rechten Szene sehr stark. Besonders Gruppen, die sich dem Neuheidentum, schwarzer Magie oder dem Satanismus sind oft offen rechtsradikal. In der rechten Szene pflegt man vermehrt altgermanische, heidnische Bräuche wie etwa die Sonnwendfeiern.(15) Auch Runenschmuck, Keltenkreuze und schwarze Sonnen sind schick. Die in rechten Kreisen beliebte Kleidungsmarke Thor Steinar versucht ihre Kleidung durch mythologische Symbolik aufzuwerten. Bedenklicher noch als die Verquickung faschistischen und esoterischen Gedankenguts am rechten Rand der Gesellschaft ist die Verbreitung von Esoterik in bürgerlichen Kreisen.(16)
Generell muss es verwundern, dass 200 Jahre nach Kants „sapere aude“ Ideologeme im Schwange sind, die jeder Form von Freiheit, Vernunft oder Mündigkeit zutiefst feindlich gegenüberstehen.
Eine schlüssige Erklärung für diese Popularität der Esoterik kann hier nicht gegeben werden. Plausibel erscheinen mir jedoch Ansätze, die den Trend zur Esoterik nicht nur ideologiekritisch erörtern, sondern versuchen, das sich in einer Hinwendung zur Esoterik äußernde Bedürfnis nach Sinnproduktion mit den sozioökonomischen und kulturellen Entwicklungen der letzten 30 Jahre (hier seien nur einige unpräzise Schlagwörter angeführt: „Postfordismus“, „Prekarisierung“, „Postmoderne“, etc.) in Verbindung zu setzen.(17)
Doch auch ohne eine letztgültige Lösung dieses theoretischen Problems können alle, die wie Karl Marx und Friedrich Engels den Spiritualismus für den größten Feind des Humanismus halten, auf der nächsten Leipziger Esoterik-Messe praktisch werden.(18)

Johannes Knauss

Anmerkungen

(1) Zit. nach: Colin Goldner, „Die Psychoszene“.

(2) Colin Goldner, „Die Psychoszene“; http://www.zeit.de/archiv/2001/48/200148_z-esoterik.xml

(3) Colin Goldner, „Die Psychoszene“.

(4) Rudolf Steiner, „Die Geheimwissenschaft im Umriss“. Zit. nach: Hartmut Zinser, in: „Brennpunkt Esoterik“. Es handelt sich hierbei um einen lesenswerten Reader der Landesjugendbehörde der Stadt Hamburg.

(5) Theodor W. Adorno, „ Minima Moralia”.

(6) Zit. nach: Rainer Fromm, in : „Brennpunkt Esoterik“.

(7) Jutta Ditfurth, „Entspannt in die Barbarei“.

(8) Theodor W. Adorno, „Minima Moralia”.

(9) Die Einschätzung der Esoterik als Mittelschichten-Phänomen ist weit verbreitet. Die Gründe hierfür werden vor allem in den hohen Kosten esoterischer Produkte und Dienstleistungen sowie in der traditionellen Ideologieanfälligkeit der Mittelschichten gesehen. Empirische Daten über die soziale Zusammensetzung der esoterischen Bewegung liegen mir nicht vor.

(10) Jutta Ditfurth, „Entspannt in die Barbarei“.

(11) Colin Goldner, „Die Psychoszene“

(12) http://www.amazon.de/H%C3%A4nde-weg-von-diesem-Buch/ dp/3980710688/sr=8-1/qid=116161446/ ref=sr_1_1/028-7524335-9199738? ie=UTF8&s=books

(13) Michael Hesemann, Hitlers Religion; Colin Goldner, die Psychoszene.

(14) Jutta Ditfurth, „Entspannt in die Barbarei“; Vgl. http://www.zeit.de/archiv/1998/23/esoterik.txt.19980528.xml?page=1.

Ditfurth spricht auch von einer „Hitler-UnterstützerInnen-Szene
“ im Tibet der 1940er Jahre. Zu dieser Zeit war der derzeitige Dalai Lama, der im Übrigen zahlreiche Kontakte zu rechtsextremen und antisemitischen Esoterikern pflegt, schon im Amt!
(15) Rainer Fromm, in: „Brennpunkt Esoterik“
(16) Dabei ist es interessant zu sehen, dass gerade die vermeintlich linken Zerfallsprodukte der 68er, also etwa die Hippie- und die Ökobewegung, in den 1970er und 1980er Jahren in Sachen Esoterik eine Avantgardefunktion inne hatten und maßgeblich an der gesellschaftlichen Etablierung einer scheinbar neuen, harmlosen und nonkonformistischen („alternativen“) Spiritualität Teil hatten.

(17) Diesen Versuch unternimmt z.B. Thomas Geisen, in: Gerhard Kern (Hrsg.), „die esoterische Verführung“.

(18) „Der reale Humanismus hat in Deutschland keinen gefährlicheren Feind als den Spiritualismus oder den spekulativen Idealismus, der an die Stelle des wirklichen individuellen Menschen das „Selbstbewußtsein oder den „Geist“ setzt und mit dem Evangelisten lehrt: „Der Geist ist es, der da lebendig macht, das Fleisch ist kein Nütze. “ Es versteht sich, daß dieser fleischlose Geist nur in seiner Einbildung Geist hat. “ Karl Marx und Friedrich Engels, „Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik“.

  • Materialien im Infoladen im Conne Island zur Esoterik

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last modified: 28.3.2007