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Terrorismus –
Der unerklärte Krieg

Buchcover, 16.2k

Bruce Hoffman: Terrorismus – Der unerklärte Krieg,
Frankfurt am Main 2006

Das neue Berufsbild des Terrorismusexperten hat in letzter Zeit Konjunktur. Wer also ein Faible dafür hat, in zwei Minuten-Sequenzen die neuesten Schandtaten für die Öffentlichkeit aufzuarbeiten (wobei mir allerdings nicht bekannt ist, ob die Bücherwand, die dabei im Hintergrund immer eingeblendet wird, vom Sender gestellt ist oder ob man sie evtl. von der Steuer als Werbungskosten absetzen kann), oder wer schon immer mal mit gutem Gewissen bei einem Geheimdienst unterkommen wollte (schließlich geht es um die Verteidigung der Freiheit), dem sei diese Karrierechance wärmstens ans Herz gelegt.
Bruce Hoffman gehört nun zweifellos zur Elite seiner Zunft, das Buch ist dementsprechend eine profunde und faktengesättigte Einführung ins Thema. Zudem ist es recht kostengünstig zu erwerben, der Bundeszentrale für politische Bildung sei dank, die Monat für Monat, einem Kanon zeitgenössischer politischer Diskussionen und ihrem pluralistischen Demokratieverständnis folgend, aktuelle Bücher zur Verfügung stellt, wie das im Folgenden zu besprechende.
Schwierigkeiten bereitet der Zunft der Terrorismusexperten, das macht schon der 60-seitige Umfangs des Kapitel zum Thema deutlich, die Definition des Begriffes. Denn Terrorismus wird wesentlich als bestimmte Form definiert, um (im weitesten Sinn) politische Ziele zu erreichen. So können dann die disparatesten Erscheinungen unter den Begriff subsumiert werden: Angefangen von den bombenwerfenden Anarchisten des 19. Jahrhunderts, über verschiedene vom Nationalismus motivierte „Befreiungsbewegungen“, hin zu den rechtszionistischen Gruppen, die den Staat Israel gegen die britische Besatzungsmacht durchzusetzen suchten und die nicht davor zurückschreckten, Hotelanlagen in die Luft zu sprengen. Und natürlich zählen auch die heutigen islamistischen Bewegungen wie die linksradikalen, militanten Splittergruppen der 70er und 80er Jahre des letzten Jahrhunderts zu den Terroristen.
Terrorismus ist laut Hoffman also eine Form politischer Gewalt kleiner Organisationen „mit einer erkennbaren Kommandokette oder konspirativen Zellenstruktur“ (79), die diese Gewalt als Mittel benutzen, um eine Öffentlichkeit zu erreichen, sie für sich zu motivieren oder auch, um sie einzuschüchtern, immer in Hinblick auf ein bestimmtes politisches Ziel. Dabei wird dieses Ziel von „substaatlichen Gruppen oder nichtstaatlichen Gebilden“ (80) getragen.
Entscheidend ist also zum einen die Gruppe der Akteure, die die Gewalt ausüben, sie dürfen sich nicht in Besitz eines staatlichen Gewaltmonopols befinden. Diese Trennung von staatlicher und nichtstaatlicher Gewalt macht den Begriff des Terrorismus zu einem scheinbar rein technischen und damit wertfreien. Dennoch ist der Begriff des Terrorismus gerade nicht wertfrei, sondern hochgradig pejorativ – was Hoffman natürlich weiß. Mit der formalen Trennung von staatlicher und nichtstaatlicher Gewalt geraten jedenfalls einige Probleme aus dem Blick. Zum einen die nach der staatlichen Gewalt selbst. Müsste man nicht hier willkürliche, despotische Herrschaft trennen von rechtsstaatlicher Herrschaft, in denen der staatliche Souverän einen Teil seiner Souveränität abgibt an das formale Rechtssystem und sich diesem unterzuordnen hat? Und sind nicht auch die Gesetze nach ihrem Inhalt zu befragen? Um ein bekanntes Beispiel zu nehmen: Die Nürnberger Rassengesetze waren positiv gesetztes Recht, allerdings deswegen nicht weniger verurteilenswert. Indem Hoffman solche Fragen ausklammert und Terrorismus zu einem technischen Begriff macht, kann er auf der anderen Seite keine Verurteilung des Terrorismus einfordern, wie er es dennoch gleichzeitig tut. Letztlich, so könnte man seine Position auf die Spitze treiben, wäre fast jeder Staat das Ergebnis terroristischer Gewalt, da er einen nichtstaatlichen Zustand und meist auch staatsgründende Gewalt voraussetzt.
Hoffman umgeht diese Fragen, indem er den Beginn des Phänomens ans Ende des 19. Jahrhunderts verlegt, als die meisten westlichen Staaten dieses Stadium bereits lange hinter sich gelassen hatten. Es ist natürlich auch nicht Zweck einer solchen Studie, den Rahmen derjenigen in Frage zu stellen, für die sie Anleitung zum Handeln oder doch zumindest Hintergrund dessen sein soll, allerdings bleibt festzuhalten, dass der Begriff ‚Terrorismus` von vornherein den Inhalt terroristischen Handeln nicht mitreflektieren kann und dies bringt in der Bewertung dieses Handelns ein entscheidendes Defizit mit sich. Nichtstaatliche, politische Gewalt hat in sich zu viele Facetten, als dass sie sich ohne weiteres unter einen Begriff fügen lassen würde.
Abgesehen von diesen begrifflichen Problemen, die sich wohl auch aus der Tätigkeit Hoffmans in einem großen politisch agierenden Think Tank erklären lassen, bietet das Buch dennoch eine Fülle von Hintergrundinformationen, die gewissermaßen das tagespolitische Wissen anreichern und einige wichtige Aspekte terroristischen Handelns aufzeigen. Neben einer Historie des Terrorismus wird vor allem die Logik terroristischen Handelns analysiert und hierbei völlig zu Recht auf die große Rolle der Öffentlichkeit hingewiesen, die Beweggrund terroristischen Handelns ist. Letztlich ist es die Form der Auseinandersetzung zwischen staatlichem Gewaltmonopol und denjenigen, die es – aus was für Gründen auch immer – in Frage stellen, die das Publikum zu einem solch entscheidenden Faktor macht. Der Terrorismus gehört zu den asymmetrischen Konflikten und hat nur dann überhaupt eine Aussicht auf Erfolg, wenn es ihm gelingt, eine Öffentlichkeit zu mobilisieren, die sich für seine Ziele ausspricht – sei es, weil sie mit ihnen übereinstimmt, sei es aus Angst vor weiteren Gewalttaten. Mit der Rolle der Öffentlichkeit ist zugleich die Rolle der Medien angesprochen, die wesentlich sind, um die Ziele der Terroristen zu verbreiten und denen Hoffman eine gewisse Mitverantwortung für die Existenz des Terrorismus zuschreibt.
Wichtig für ein Verstehen des Terrorismus und vor allem in Bezug auch auf den Islamismus ist die Rationalität, die terroristisches Handeln immer auch hat. So ist die Wahl der Mittel in Bezug auf den Zweck immer von Erfolgskriterien motiviert. Am Beispiel der Hamas zeigt Hoffman auf, wann diese in der Vergangenheit zum Mittel des Selbstmordanschlages griff und wann nicht. So wurde und wird das Mittel des Suicide Attack vor allem angewandt, weil es in der Vergangenheit Erfolge zeigte (243) – hier gilt vor allem der Rückzug Israels aus dem Libanon im Jahre 2001 als Vorbild. Hoffman spricht in Bezug auf den Selbstmordterrorismus von einer „instrumentell ausgerichteten Strategie“ (258), die keineswegs aus einer Verzweiflung oder Frustration heraus erfolge. Er sei „schockierend, blutig, kosteneffizient, sicher und schwer zu verhindern“ (ebd.). Interessant ist auch, dass Selbstmordattentate nicht nur von Islamisten ausgeübt worden, bis 2001 seien hier die Tamil Tigers führend gewesen – eine nationalistische Separatistengruppe in Sri Lanka (211 FN 1). Dennoch ist der religiöse Terrorismus natürlich das Hoffman am stärksten beschäftigende Phänomen, dessen Zunahme er seit den 80er Jahren dokumentiert (138). Leider bleibt er bei der abstrakten Bestimmung „religiös motivierter“ Terrorismus stehen und subsumiert christliche Fundamentalisten in den Vereinigten Staaten, jüdischen und islamischen Terrorismus sowie die monströsen Endzeitvorstellungen von Sekten (hier insbesondere die Aum Sekte in Japan, die tausende Menschen mit Giftgasanschlägen ermorden wollte) unter einem Begriff. Sicherlich hat dies insofern seine Berechtigung, als dass es weltweit eine Verschiebung von eschatologischen Heilsvorstellungen aus dem säkularen Bereich (seien diese nun in einem klassisch politischen Spektrum links oder rechts einzuordnen oder seien sie nationalistischer Natur) wieder zurück zum religiösen gegeben hat, dennoch müsste hier viel stärker gewichtet werden. Immerhin ist es in Bezug der Beurteilung des Religiösen als Solchem interessant zu erfahren, dass es Rabbiner gibt, die jüdische Selbstmordattentate gegen Araber für gerechtfertigt halten (166).

Hofmanns Buch ist also reich an empirischem Material und bietet durch seinen komparativen Blick auch einiges zur Analyse des Phänomens.

mele

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last modified: 28.3.2007