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Tomorrow-Café, 1.5k

Hooliganismus


(Fortsetzung des zweiten Teiles aus CEE IEH #135)

4.4. Der Hooliganismus und seine Nähe zum Neonazismus

Innerhalb der Hooliganszene bilden neonazistische Skinheads und Hooligans oft eine Zweckgemeinschaft, welche sich größtenteils über den Kampf konstituiert. Manchen Hooligans dienen Verbrecher aus der NS-Zeit als politische Vorbilder, auch wenn sie vorgeben, dass sie unpolitisch seien. Offensichtlich üben aber Gewaltverherrlichung, Herrenmenschenmentalität und rassistische und antisemitische Ideologie für bestimmte Hooligans eine besondere Faszination aus. Dementsprechend gibt es unter den Hooligans eine starke Übernahme von nationalsozialistischen Symbolen und Liedgut. Diese werden verbunden mit der „individuellen“ Kreation von Sprechchören und Abzeichen für den eigenen Verein. Zum Beispiel nennen sich die Mönchengladbacher Hooligans nach der SS Kampfelite „Sturmtruppen“, die Dortmunder „Borussenfront“ führt in ihrem Logo die Runen der SS. Das sind aber nur zwei Beispiele unter einer großen Menge von nationalsozialistischen Symboliken, welche sich in der deutschen Fan- und Hooligansubkultur vorfinden lassen. Zum anderen werden in öffentlichen Nahverkehrsmitteln Hakenkreuze geschmiert, es wird „Heil Hitler“ oder ähnliches gegrölt. So meinte beispielsweise ein 19jähriger Hooligan exemplarisch vor Gericht: „... Asylanten, Pollacken, Drogenverticker, eben alle, die eine asoziale Einstellung haben“, seien Ziel seines Kampfes. Demzufolge gibt es logischerweise auch starke Versuche faschistoider Organisationen, Personen in der Fankultur zu rekrutieren, was leider nicht selten Erfolg hat, auch wenn der Großteil der Hooligans sich als „unpolitisch“ versteht. Auch wenn es innerhalb der Fan- und Hooliganszene offene Überschneidungen zu Kameradschaften und nationalsozialistischen Parteien gibt, bzw. mit antisemitischen und rassistischen Ressentiments gearbeitet wird, stellt sich das Selbstverständnis der Hooligansubkultur als apolitisch dar. Das Problem besteht nicht erst in dem Offen-zur-Schau-Stellen von faschistischen Symbolen innerhalb des Stadions oder von Hooligangruppen, sondern schon selbst in der Form, in welcher sich Fan- und Hooligankultur konstituiert, welche sich in der Darstellung stilisierter Männerbilder und des kollektiven Aufgehen im Stadion wie im Kampf herstellt.

Frühstück II, 20.2k
Frühstück I, 22.4k

Die Küchenhooligans und
ihr schlagkräftiges Frühstück zum 15. Geburtstag

5. Hooliganismus als faschistische Form

Wie ich schon im ersten Teil des Textes (CEE IEH #134) betont habe, gibt es innerhalb der Subkultur des Hooliganismus keine spezifische Ideologie. Vielmehr sieht er sogar davon ab und kann demzufolge verschiedenste Personen über das Bindeglied der Gewalt integrieren. Die Hooligans leben die Destruktivität als Selbstzweck. Die Gewalt dient nicht mehr als ein Mittel, welches für ein bestimmtes, übergeordnetes und gemeinsames Ziel eingesetzt wird (das wäre Ideologie), sondern ist selbst das Ziel und sich selbst Zweck.
Diese Form von Gewalt ist meines Erachtens faschistisch. Nicht dass der Hooliganismus identisch wäre mit dem real existierenden Faschismus, vielmehr wird in ihm eine faschistische Handlungsweise praktiziert, ohne auf die inhaltlichen Beweggründe des Faschismus zurückgreifen zu müssen. Die Gewalt wird um ihrer selbst willen ausgeübt, sie ist selbstreferentiell. Wo der Faschismus einen bestimmten Zweck mit dem Mittel der Gewalt verfolgte, wie z.B. die Macht im Staat zu erkämpfen und die Opposition auszuschalten, um einen totalen Machtanspruch im Staate bzw. die Stärke und Überlegenheit des Bundes/ der Gemeinschaft gegenüber dem Einzelnen geltend zu machen, bedarf der Hooliganismus der Gewalt als Mittel nicht mehr.(1) Die Gewalt legitimiert sich vielmehr durch sich selbst. Anders gesagt: Es gibt keinen Willen mehr zur Legitimation. Zugleich stellt sich die Praxis der Gewalt auch ihren Eigenschaften nach als eine faschistische dar. Dementsprechend gibt es zwar einen hierarchischen und autoritären Aufbau innerhalb der Hooligangruppen, aber keine politische Organisation, welche ihre Interessen im Staat als politische verwirklichen möchte. Oder um noch ein anderes Beispiel zu nennen: Unter Hooligans wird zwar eine Stilisierung des Männlichen (vgl. 4.2.) und der damit zusammenhängende Heterosexismus ausgelebt, aber diese sind nicht Teil einer sozialdarwinistischen Weltvorstellung. Aus dieser Form könnte also eine sozialdarwinistische Weltvorstellung entspringen, weil die Subjekte sich ja wirklich nach dem Recht des Stärkeren zueinander verhalten. Um diese pervertierte Sozietät vor sich und anderen zu begründen, bedürfte es des Sozialdarwinismus. Die Ideologie bildet sich immer noch aus der Praxis heraus. Im Hooliganismus gibt es aber bisher noch kein Bedürfnis zur Begründbarkeit ihrer Handlungen, was wiederum Voraussetzung von Ideologie wäre.
Polemisch formuliert, ist der Hooliganismus damit wirklich die „Bewegung der Tat“. Sie wissen es nicht, aber sie tun es. Die Bewegung besteht wiederum aber auch nur in der von den Hooligans gelebten Schizophrenie von öffentlichen Leben und Hooligan-Dasein. Oder wie im ersten Teil des Textes schon dargestellt, als episodale Schicksalsgemeinschaft, in welcher die Akteure sich für einen kurzen Zeitraum mit soldatischen Tugenden füreinander aufopfern. Zugleich stellt sich diese Gemeinschaft als eine privatisierte her. Privatisiert ist sie in der Hinsicht, als dass die Hooligans unabhängig von irgendeiner Nation, Institution oder Welterklärung agieren, bzw. sich sogar in einem abkommensähnlichen Zustand zueinander verhalten, d.h. in einem Kontrakt zur gegenseitigen Verstümmelung, in dem sie das Überleben der Stärksten spielen können. Durch dieses Handeln stellt sich die faschistische Form her: Eine atomisierte, amorphe Masse, welche sich über das Recht des Stärkeren, Aufopferung für das Kollektiv, Lynchjustiz und dem wochenendlichen Bandenkrieg konstituiert. In dieser Form sind die Hooligans aber gleichzeitig auch eine Art „praktizierter Postmoderne“: Jeder vereinzelte Hooligankamerad realisiert in seinem Tun die Forderung nach Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, wodurch er seine Doppelidentität eigenverantwortlich antizipiert und den entsprechenden Bedingungen anpasst. Darin steckt auch der affirmative Charakter des Hooliganismus: Als Identifikation mit dem gesellschaftlichen Zwang. Er „kämpft“ sich wieder fit für Montag. Der Hooligan von heute ist ein „neoliberal-faschisiertes“ Individuum. Es ist so flexibel, wie die heutige Gesellschaft es erfordert, dünkt sich in seinem Scheinindividualismus und schlägt sich am Wochenende mit anderen fast zu Tode. Natürlich steht er aber Montags wieder fit und motiviert bei der Arbeit. In diesem Sinne gibt es auch eine instrumentelle Vernunft, das „match“ zu organisieren bzw. die Irrationalität zu rationalisieren. Es entsteht ein regelrechtes Racketwesen der „Verlierer“ der hiesigen Gesellschaft, welche noch einmal aufbegehren und versuchen, ihrer Existenz einen Sinn zu geben. Sie setzen innerhalb des Stadions und außerhalb ein eigenes Recht durch: Das Recht des Stärkeren. So stellen sie auch selber die Sicherheitsdienste im Stadion und kommen in irgendwelchen obskuren, halbkriminellen Organisationen unter, wo sie den Staat im Staat spielen dürfen.
Da aber ihre Gewalt kein bestimmtes Ziel mehr hat, werden auch ihre Opfer auswechselbar. Zwar wird immer konstatiert, dass Hooligans im Allgemeinen unter sich bleiben und sich nur gegenseitig verstümmeln würden, doch kann die Gewalt in Wirklichkeit jeden treffen, da es sowieso keinen Legitimations- bzw. Begründungszusammenhang mehr gibt. Sie dient nur der Unterhaltung und Selbstbestätigung oder -zerstörung und kann sich demnach sogar kulturindustriell – subjektiv – begründen, als eine Form von Entertainment oder „Fun“. Man möchte einfach Spaß haben. So kann man(n) sich aus Spaß entweder mit der anderen Hooligangruppe schlagen, Nazis, Ausländer oder Studenten jagen. Hauptsache es macht Spaß. In diesem Sinne muss der Hooliganismus auch nicht nur dem Rahmen des Fußballs verhaftet bleiben, sondern kann sehr wohl auch generell auf eine Entgrenzung von Gewalt innerhalb der Gesellschaft hindeuten, wie zum Beispiel im HipHop, wo sich gerade ein Faible für Gewalt ausdrückt, um die eigene Stärke und Überlegenheit gegenüber dem Anderen zu demonstrieren. Vielleicht kann man diesen Aspekt noch durch ein Beispiel aus meinem befreundeten Umfeld verdeutlichen. So wurde ein Freund von mir wahllos und ohne Grund vom Fahrrad getreten. Verletzt am Boden liegend wurde ihm noch mehrmals in das Gesicht geboxt, wodurch er mehrere Zähne verlor. Und dies wurde nur aus Spaß an der Freude verübt. Diese Leute werden einem auch noch versichern, dass sie keine Nazis sind. Stimmt, aber sie handeln der Form nach faschistisch. Das soll nicht mehr, aber eben auch nicht weniger heißen, als dass die Gewalt, welche in faschistischen Bewegungen für ein bestimmtes Ziel angewandt wurde, in dieser Form im Hooliganismus praktiziert wird, ohne dass es ein faschistisches Ziel gibt.

6. Die hooliganistische Linke

Auch die so genannte Linke ist nicht gefeit vor der Gewalt als Selbstzweck. So kann man grundsätzlich konstatieren, dass Gewalt als eine Handlungsoption im Umgang zwischen Männern legitimiert ist. Gewalt wird in der Linken oft unter scheinheiligen Gründen angewendet, welche versucht werden, durch linke „Basisbanalitäten“ oder „Essentials“ zu begründen. Sie verliert dabei aber nur scheinbar ihren Selbstzweckcharakter. Nicht selten wird der Gegner stigmatisiert. Was dabei der Rechenschaft dient, ist eigentlich egal, aber auf Grund des sozial-politischen Kontextes bedarf es zwangsweise einer Begründung des eigenen Handelns. Die Akteure verhalten sich demnach nicht reflektiert zu sich selbst, sondern begründen ihr Handeln nur auf der Basis eines subkulturellen Verständnisses.(2) Die Politik dient hierbei nur noch als Vorwand für die eigene Gewaltanwendung. Dabei werden verschiedenste Argumentationen für den Selbstzweck der Gewalt vorgelegt, die auf Grund von Auseinandersetzungen innerhalb der Linken kritisiert oder angegriffen wurden. Es bedarf aber heute keiner Begründung mehr, die es in den Auseinandersetzungen noch gab, sondern nur der Stigmatisierung. Diese kann von Nazi über Sexist bis hin zu Antisemit gehen.(3) Dabei dient die Gewalt aber weniger dem Aspekt, mit diesem Handeln potentielle Opfer zu schützen, sondern eher darum, der eigenen Gewaltlust zu frönen, so dass als Nazis denunzierte Personen fast schon zu Tode geschlagen wurden. Es ist auch sehr stark zu bezweifeln, dass diese Gewalttäter begründen könnten, was es mit dieser Ideologie, wie beispielsweise des Rassismus, auf sich hat. Man wähnt sich schon auf der richtigen Seite, weil es nur die moralische Leitdifferenz Gut/Böse gibt und man(n) damit notwendig keiner weiteren Reflektion mehr bedarf. Es gibt kein Bedürfnis danach, sein Handeln innerhalb einer konsistenten Theorie zu begründen oder darzulegen. Man hat in seinem abgeschlossenen Weltbild von Gut und Böse keinen Bedarf danach, vor sich selbst Rechtfertigung abzulegen oder sein eigenes Handeln kritisch zu hinterfragen.(4) Demnach geht es aber offensichtlich nicht mehr um einen einzigen kritischen Gedanken, sondern nur noch darum, seine subkulturelle Identität herzustellen. Zynisch könnte man auch sagen, dass genau hierin die Wahrheit des Slogans „Antifa heißt Angriff“ liegt. So kann sogar die eigene Kneipenschlägerei mit dem „Anspruch“ antifaschistischen Handelns legitimiert werden. Exemplarisch dafür hatte die Gruppe LeA [Anm. der Redaktion: Wir wurden darauf hingewiesen, dass diese Behauptung falsch ist. Der Flyer war nicht von LeA!] auf einem Flyer zur Mobilisierung gegen eine Nazidemonstration folgendes abgebildet: Im Vordergrund waren mehrere Personen zu sehen, die brutal zusammengeschlagen wurden und stark bluteten. Diese Personen sollten Neonazis darstellen. Im Hintergrund sah man brennende Barrikaden von den letzten Ausschreitungen. Scheinbar sollte dieses Bild zur Mobilisierung von schlagkräftigen und menschenverachtenden Hooligans dienen. Aber es wirkte auf den ersten Blick wie ein Anschlag, welcher so viele Leute wie nur möglich mitreißen sollte. Nicht nur, dass das Bild vor Martialität strotzte, wurde es noch mit dem Spruch unterlegt, dass man sich auf sie freue. Dies ist nichts anderes mehr als Hooliganismus und hat mit Antifaarbeit nichts mehr zu tun.
Um ein anderes Beispiel zu bringen. Im Vorfeld zu einer linken Jugendparty wurde die Party bewusst bei ansässigen Faschos beworben. Also eine vollkommene Verkehrung von einem antifaschistischen Verhältnis zu Opfern und Tätern. Anstatt eine Party für linke Jugendliche zu veranstalten, fernab von irgendeiner Nazischeiße, werden diese sogar dadurch noch in Gefahr gebracht. Das ist nichts anderes als dumpfester Hooliganismus, d.h. man(n) macht sich ein „Match“ aus und bringt damit bewusst andere Menschen in Gefahr. Aber diese beiden Beispiele sind nur zwei unter vielen. So kann auch der letzte Sexist unter der Begründung des Antisexismus frei auf andere Menschen einschlagen. Dazu hat unser Bollo natürlich auch das treffende Outfit: Er ist komplett mit Mob Action oder wahlweise mit Hooligan Streetwear ausgestattet. Nicht nur, dass hiermit ein Ekel erregender Männerethos reproduziert wird, der Prolet wird auch noch zugleich in dieser Szene für seine Schlagkräftigkeit anerkannt. Er ist eben ein guter Antifa-Schläger. Dabei ist auch egal, was diese Person so alles vom Stapel lässt. Man(n) benötigt ihn ja vielleicht noch für den Kampf. Zwar könnte unser Schläger sehr wahrscheinlich auch ein Fascho sein, aber das ist für den Moment, in dem man(n) ihn braucht, auch egal. Aber auch wenn man ein pragmatisches bzw. instrumentelles Verhältnis zu diesen Menschen hat, macht es das Problem nicht kleiner, sondern vielleicht sogar größer. Denn man macht sich mit Leuten gemein, welche, wenn es anders gekommen wäre, auf der anderen Seite der Barrikade stehen würden. Es ist reiner Zufall, dass sie auf einer bestimmten Seite stehen – meinetwegen der linken –, da es diesen Leuten um nichts anderes mehr geht außer Gewalt. Und da können sie natürlich überall landen. So bin ich auch der Meinung, dass diese „Linke“, noch einmal grundsätzlich über ihr Verhältnis zur Gewalt nachdenken müsste.

Robert

P.S.: Ich danke den beiden Martins für ihre kritischen Anmerkungen.

Anmerkungen

(1) Hierbei sollte noch einmal klar auf die Differenz von Faschismus und Nationalsozialismus hingewiesen werden. So gab es zwar im Faschismus die Vorstellung oder Ideologie von der Neutralisierung der Klassenverhältnisse, also dem Korporatismus, aber keine Ideologie der Volksgemeinschaft, wie sie nur im Nationalsozialismus vernichtende Realität gewann, welche die Identität von Kapital und Arbeit beziehungsweise Staat und Gesellschaft herstellen wollte und zugleich die Unmöglichkeit der Identität nach außen projizieren musste: Auf den Juden. In diesem Sinne ist die antisemitische Raserei konstitutives Element des Nationalsozialismus. Vgl. hierzu: Gerhard Scheit: Die Meister der Krise. Über den Zusammenhang von Vernichtung und Volkswohlstand. Freiburg 2001, S.71 f.; Ulrich Enderwitz: Antisemitismus und Volksstaat. Zur Pathologie kapitalistischer Krisenbewältigung. Freiburg 1998, S.123-156.
(2) Das ist meines Erachtens auch der Grund, warum der Fußballhooliganismus so attraktiv für manche ist: Man braucht das eigene Handeln nicht mehr vor Anderen und dem eigenen Selbst zu rechtfertigen.
(3) An diesem Punkt soll aber klar darauf hingewiesen werden, dass es mir nicht darum geht, zu sagen, dass antifaschistische Arbeit nicht notwendig wäre. Ich begrüße es sogar, wenn effektiv gegen irgendwelche Nazis oder Sexisten vorgegangen wird. Meine Absicht ist aber die Verselbständigung der Gewalt in bestimmten Kreisen anhand dieses Textes kritisch zu hinterfragen. Wer sich dabei angesprochen fühlt, der wird sich sehr wahrscheinlich auch zu Recht angesprochen fühlen müssen.
(4) In diesem Punkt sind manche Linke der Esoterik nicht weit entfernt.

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last modified: 28.3.2007