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Die unbelehrbare Stadt

Die sächsische Residenzstadt wird 800. Das Deutsche Hygiene-Museum „schenkt“ aus diesem Anlass eine Ausstellung. Und alles ist wie immer.

Wo sich die innere Regung gleich in der körperlichen und sprachlichen Erregung, i. S. einer triebgesteuerten Aufgeregtheit, zeigt, zeigt sich eine Welt. Diese Gleichzeitigkeit eines quasi-autistischen Insichseins und der Konvulsionen fernab des Intellekts – das ist die Schwere des deutschen Gedankens.
Und so entstehen, nicht nur kommunal, regional oder national, beim Stichwort „Dresden“ immer zwei Bilder. Das historische Bild von der Kunst- und Kulturstadt, geprägt hauptsächlich von der Postkarten-Trias Semperoper – Zwinger – Brühlsche Terrasse, letzter Bestandteil umfasst den Deutschen Dom, vormals Frauenkirche. Die Barockstadt, geteilt vom Verlauf der Elbe, eingebettet in die Landschaft. Das ist die „Barockstadt“, welche in der Erzählung auf das ganze Siedlungsgebiet ausgeweitet wird. Dazu kommen die Sammlungen von Porzellan, Schmuck, Gemälden. Selbst jene, denen der Dresdner aggressive Untertanengeist, welcher sich trefflich in dem Dialekt genannten Auswurf bis heute findet, zuwider war, wie etwa Franz Grillparzer, konnten in den Sammlungen tagelang verweilen. Diese blieben ihnen Zuflucht vor denen da draußen. Der Kastrat mag einen wunderschönen, mithin auch den Zuhörer von den niederen Weltläufen enthebenden Gesang verbreiten, er bleibt ein Kastrat.
Die Selbstdarstellung der vollkommenen Stadt, jenseits aller sozialen Missstände, falscher Kriege und Opportunismen, in einer zweifellos erfreulichen Flusslandschaft, ist der Hauptstrang aller hierorts liebevoll Mythen genannten Dresden-Lügen.
Fußball, 27.0k Das zweite Bild ist das der zerstörten Dresdner Innenstadt nach den Bombardements im Februar 1945. Es ist gleichzeitig auch als zweiter Strang zum Werden des Begriffs „Dresden“ zu verstehen. Die Entstehung dieses Bildes ist in zwei niveaumäßig stark kontrastierenden, aber propagandatechnisch bis heute wirksamen NS-Texten aus dem März 1945 begründet. In Rudolf Sparings „Der Tod von Dresden. Ein Leuchtzeichen des Widerstandes“ für die Wochenzeitung „Das Reich“. Und in dem aus Kitsch, Phrase und falscher Metapher bestehenden Stück „Die Untat von Dresden. Gerhart Hauptmann klagt an“. – Der zu hörende Einwand, dass, wäre die Dresdner Innenstadt nicht bombardiert worden, die Dresdner heute ziemlich unangesehen da stünden, dürfte sich kaum belegen lassen. Wesentlich naheliegender ist, dass die bis Februar 1945 kursierenden Durchhalteparolen der einfachen Leute wie der von der kriegsunwichtigen Lazarettstadt, sich nach „dem Untergang“ in historische Realität gewandelt hätten: So eine Stadt wie Dresden bombardiert man nicht. Das habe sich nicht einmal der Tommy getraut.
Wenn sich nun in der Stadt eine Ausstellung den Titel „Mythos Dresden“ gibt, sollten nach all den Erfahrungen die Erwartungen an diese „kulturhistorische Revue“ nicht zu hoch sein. Mit den thematischen fünf Abteilungen auf den 1200 Quadratmetern im Hygiene-Museum soll eine „in dieser Breite noch nie dargestellte Zusammenschau dessen, was den Mythos Dresden bis heute ausmacht“ zugänglich gemacht werden. Und genau dies ist das Elend der Repräsentation. Sie zeigt auf, aber die Verantwortlichen weigern sich, ihre Definition des Begriffs zugänglich zu machen. Sie zeigt auf, aber sie fragt nicht nach dem Realitätsgehalt. Ob in der Abteilung „Dionysisches Dresden“, in der behauptet wird, „August der Starke (1670-1773) formte aus dem noch mittelalterlich erscheinenden Dresden eine Metropole von europäischem Rang“. Man sieht den „kosmopolitischen Kürfürsten“ im Schweiße seines Angesichts beschäftigt mit dem Formen und Kneten einer Metropole. Und es fällt einem – und dem einen fällt auch ein, dass dies wie Grundschulwissen/Streberattitüde ausschaut – dann tatsächlich ein: Hatte denn nicht auch er wenigstens einen Koch dabei?
Noch schlimmer wird es, betritt man die Abteilung „Musenort“. Die Aussage, Dresden sei „häufig ein Zentrum international bedeutender Kunstströmungen“ gewesen „auch für die Klassische Moderne“, kann in ihrer Falschheit so stehen bleiben. Dass aber die Abwehr von Moderne bzw. als solche wahrgenommene Kunst nur ganz am Rande erwähnt wird, ist angesichts der vorhandenen Literatur nicht mehr als Versehen zu verstehen. Über den möglichen Doppelcharakter des „Neuen“, etwa über die aus der Reformbewegung entstandenen Gartenstadt Hellerau oder den Tanz von Mary Wigman und Gret Palucca, muss geschwiegen werden.
Dazu gehört auch die kritiklose Aneignung der einst missachteten Kunst, wie die der „Künstlergruppe Brücke“. Vordem quasi ausgetrieben aus dem „Zentrum international bedeutender Kunstströmungen“, gilt sie nun, als wäre nichts gewesen, als ein Teil der weltoffenen und kunstsinnigen Stadt. Eine Kritik an der „Brücke“ aus ihrer Zeit heraus ist jetzt so unerwünscht wie es früher ihre Arbeiten waren. Ein Hinweis, wie der Ulrich Clewings, ist in dieser Ausstellung undenkbar: „Das Problem: All diese Werke nehmen Bezug auf Arbeiten, die entscheidende zehn bis fünfzehn Jahre früher entstanden sind.“ So „relativiert sich die Moderne der ‚Brücke` erheblich. In München zum Beispiel denkt Wassily Kandinsky über das ‚Geistige in der Kunst` nach und entwickelte die Abstraktion, in Paris erfinden Picasso und Braque den Kubismus, derweil Umberto Boccioni in Mailand versucht, die Geräusche der Großstadt in einer Art synästhetischen Paradoxon auf Leinwand zu zwingen. Und: Als Kirchner seine hundertste ‚Fränzi, sich die Haare kämmend` in Angriff nimmt, malt Kasimir Malewitsch in Moskau das ‚Schwarze Quadrat` – das ist wahre Radikalität.“
Es sind Aneinanderreihungen von Gegenständen in dieser Präsentation, deren einziger Wert Darstellung im Sinne von Reproduktion ist. Worte sind erlaubt, Widerworte nicht. Hier wird der „Mythos“ nicht, wie man zuvor gemeint haben mag, entkleidet, zu sehen, was ist Substanz, was Fama, hier wird er fortgeführt, erneuert und somit stabilisiert. Mit einem Augenzwinkern. Und so passen zu allem auch Begleitprogramm und Katalog. So tritt in beiden das Suhrkamp-Buberl Durs Grünbein auf mit seinem an Irving/Knopp („Hitlers Krieg“) geschulten Geschichtswissen: „Auch Dresden ist ein Werk des Malerlehrlings / Mit dem in Wien verstümperten Talent / Der halb Europa seinen Stilbruch aufzwang.“ Und wie Volker Braun, der das Schwindeln vom Phosphor nicht lassen mag, weil er es wohl mag, behauptet auch Grünbein die „Phosphorpracht“. Das geht im Katalog immer so weiter, wenn aus Martin Walsers, gleichfalls Suhrkamp, „Verteidigung der Kindheit“ wiederholt zitierend vom Löwen die Rede ist, der, nach den Bombardements im Februar 1945, „an den Toten schnupperte, ..., spürte, dass da noch jemand lebte und sich sogar dicht an ihn schmiegte.“ Oder der Privatdozent Olaf B. Rader in seinem Beitrag sowohl im Großen als auch im Detail viele der falschen Behauptungen zu den Februar-Bombardements nochmals präsentieren als historische Wahrheit darf.
Es tröstete dann und brachte den Autor zu einem dermaßen unkontrollierbaren Lachen, dass das Wach- und Schließpersonal herbeieilte, da in einer Vitrine in der Abteilung „Apokalypse“ die aufgeschlagenen Seiten 40/41 der konkret-Ausgabe vom Februar 2005 („Literatur und Lüge“) auslag. Neben einem Text der Antisemitenbande Junge Landsmannschaft Ostpreußen. Und über all den Extremisten – Gott sieht alles! – die „Weiße Rose des Dresdner Oberbürgermeisters vom 13. Februar 2005“. Denn wie dem Katalog zu entnehmen ist, „versuchten auch rechtsradikale politische Gruppierungen den 13. Februar für ihre Ziele zu vereinnahmen. Aus Protest gegen diese Instrumentalisierung und als Zeichen für ein stilles und friedliches Erinnern trugen im Jahr 2005 an diesem Tag viele Dresdner eine weiße Rose.“ Dresdens Oberbürgermeister wird in diesen Wochen nicht überdrüssig, einen gestohlenen Satz wieder und wieder und wieder auszuwerfen: Dresden sei wohl doch eine Weltanschauung. Damit warb sein Konkurrent Wolfgang Berghofer, der vormalig letzte SED-OB, im letzten OB-Wahlen. Und es ist ja wahr. Tief in der Elbtalwanne liegend ist der Ausblick beschränkt.

Gunnar Schubert

Ausstellung und Begleitprogramm halten im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden bis zum 31. Dezember an. Der gleichnamige Katalog ist für 14 € erhältlich.
Gunnar Schubert stellte vor einigen Wochen sein Buch „Die kollektive Unschuld. Wie der Dresden-Schwindel zum nationalen Opfermythos wurde“ im Conne Island vor. Für den besinnlichen, ein Stück weit auch nachdenklich stimmenden Abend, umrahmt von einer einfühlsamen, leicht ins liebreizende spielenden Moderation, möchte sich der Vortragende bei den sich dafür zuständig fühlenden Anwesenden bedanken.


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last modified: 28.3.2007