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Der schlechte Gebrauchswert der Maschinerie

Über die Nachhaltigkeit der kapitalistischen Produktionsweise
(Revision und Fortführung von: Zwang zur Arbeit, CEE IEH #111)


Marx hat nicht einfach die Verhältnisse analysiert, in denen die Maschinen verwendet werden, sondern darüber hinaus, inwiefern die Verhältnisse in der „stofflichen Seite“ (M585) des Produktionsprozesses präsent sind. Genau das habe ich aber vor anderthalb Jahren weitestgehend unterschlagen, als ich in dem Artikel „Zwang zur Arbeit“ anhand der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie darstellte, inwiefern sich vermittels Rohstoffen und Produktionsmitteln, d.i. konstantes Kapital, den Menschen ein Arbeitszwang aufdrängt; wie sich Mittel zur Erleichterung des Lebens in dessen Hindernisse verwandeln. Dass ich die Analyse der stofflichen Seite unterschlagen habe und nur die gesellschaftlichen Verhältnisse kritisiert habe – daran ist das Marxsche Werk mitschuldig. Der Perspektive der kommunistischen Gesellschaft zuliebe unterdrückt es die Explikation fragmentarisch vorkommender Einsichten, denen zu Folge nicht nur die bürgerlichen Eigentums- und Produktionsverhältnisse, sondern auch noch die von diesen hervorgebrachte Umwelt einer praktischen Kritik unterzogen werden müssen.
Die unzähligen Atombomben verdeutlichen das heute ausreichend. Ihr Gebrauchswert würde in anderen Verhältnissen nicht besser. Und auch die vielen, heutigen benzinfressenden Autos würden in ihrer stofflichen Gestalt die heutige Gesellschaft in einer künftigen präsentieren, solange sie nicht abgeschafft sind. Abgesehen von Kriegsgerät und diversen Konsumgütern – was ist mit den Produktionsmitteln? Deren Existenz wird gerne von Kommunisten angeführt, um freudig in die Zukunft zu blicken. Die ungeheure Entwicklung der Produktionsmittel in den kapitalistischen Verhältnissen sei die Voraussetzung, um im Kommunismus, ohne viel zu arbeiten, genüsslich zu leben. Dumm nur, dass es sich bei diesen Produktionsmitteln just um gesellschaftlich bestimmte Dinge handelt.

Das Arbeitsmittel

Das Arbeitsmittel sei laut Marx zwar nicht, wie etwa Günther Anders behauptet, zum „Geschichts-Subjekt“ (A289) geworden, aber dem Kapital mehr als nur dienlich. „Die Aneignung der lebendigen Arbeit durch die vergegenständlichte Arbeit – der verwertenden Kraft oder Tätigkeit durch den für sich seienden Wert –, die im Begriff des Kapitals liegt, ist in der auf Maschinerie beruhenden Produktion als Charakter des Produktionsprozesses selbst, auch seinen stofflichen Elementen und seiner stofflichen Bewegung nach gesetzt [...] Die Entwicklung des Arbeitsmittels zur Maschinerie ist nicht zufällig für das Kapital, sondern ist die historische Umgestaltung des traditionell überkommenen Arbeitsmittel als dem Kapital adäquat umgewandelt.“ (M584ff.) Dem Kapital adäquat sei die Maschine als „bewegende Kraft, die sich selbst bewegt“ (M584). Eine bestimmte Wissenschaft zwinge die Maschine dazu, „zweckgemäß als Automat zu wirken“ und entsprechend den „in ihr wirkenden mechanischen Gesetzen“ (ebd.). Diese Adäquanz – zwischen der Maschine als sich selbst bewegender Kraft und dem Kapital als automatischem Subjekt – expliziert Marx leider nicht ausführlich, schon gar nicht in der von ihm zur Veröffentlichung bestimmten Kritik der politischen Ökonomie. Wahrscheinlich gerät dieser Gedanke ins Hintertreffen, weil die Revolution begründet werden musste und nicht die ihr zuwiderlaufenden Faktoren. Doch dazu später mehr. Würde er diesen Gedankengang ernst nehmen, dann müsste Marx die Maschine als dem Kapital adäquate, sich selbst bewegende, Produktivkraft in Frage stellen. Er müsste nicht gleich den technischen Fortschritt überhaupt verdammen, aber den, der unter der Ägide des Kapitals stattgefunden hat und sich in der Maschinerie manifestiert. Man kann nicht den Gebrauchswert freisprechen – auch dieser ist gesellschaftlich bestimmt.
Welche Folgen die bestimmte Form der Gebrauchswerte der Produktionsmittel hat, schildert Marx ausführlicher. Und auch das sagt einiges über die mögliche Anwendung einer Maschinerie, wie wir sie kennen, über die kapitalistischen Produktionsverhältnisse hinaus. „Die kapitalistische Produktion entwickelt [...] nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (M23/529f.)

Arbeitsmittel und Arbeiter

Es findet eine „Ökonomisierung der Produktionsmittel“ (M23/486) und eine „Ökonomisierung der Arbeitsbedingungen“ (M23/488) statt und das bedeutet eben, dass die Bedürfnisse der Menschen im Produktionsprozess zweitrangig sind. „Produktiver Arbeiter zu sein ist [...] kein Glück, sondern ein Pech“ (M23/532), stellt Marx fest. Die Maschinerie als industrielles Perpetuum mobile trägt weniger zur Linderung der Not als zu deren Steigerung bei, weil sie als konstantes Kapital einen
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Zwangstitel auf menschliche Arbeit darstellt (vgl. meinen im Literaturindex angef. Text). Sie dient in der kapitalistischen Produktionsweise nicht zur Erleichterung der Arbeit, sondern „als Mittel, mehr Arbeit in derselben Zeit zu erpressen“ (M23/434): „Als Kapital, und als solches besitzt der Automat im Kapitalisten Bewußtsein und Willen, ist es [das Arbeitsmittel, H.G.] daher mit dem Trieb begeistet, die widerstrebende, aber elastische menschliche Naturschranke auf den Minimalstand einzuzwängen.“ (M23/425). Doch nicht nur die gesellschaftliche, auch die stoffliche Seite des Produktionsprozesses diktiert die Arbeitenden. So zitiert Marx einen Kommissionsbericht, der Möglichkeiten für bessere Arbeitsbedingungen für Kinder erörtert und dabei die Bedürfnisse der Produktionsanlagen im Blick behält: „[...] die Natur der verwandten Materialien und die Verschiedenartigkeit der Prozesse, die sie durchlaufen, erlaubten ohne größeren Verlust keine plötzliche Stillsetzung der Arbeit für Mahlzeiten [...].“ (zit.n. M23/500) „[O]hne alle Rücksicht auf die menschliche Hand“ (M23/510) werden die Maschinen so konstruiert, dass sie der Produktion von Mehrwert dienlich sind. Und das sind sie eventuell gerade dann, wenn sie stinken, unter eintöniger Kraftanwendung zu bedienen, gesundheitsschädigend oder zu laut sind. Schalldämmung könnte ja schließlich Kosten verursachen, die aus der Maschine ein Verlustgeschäft machen. Es könnte außerdem zutreffen, dass ein Prozessor, der eine Einstellung regeln könnte, mehr kostet, als eine Arbeitskraft, die der lauten Maschine regelnd zur Seite steht. Als Kronzeugen der „geistige[n] und körperliche[n] Verkrüppelung“ (M23/384) zieht Marx Adam Smith heran, der sich „über diesen Punkt durchaus klar“ war: „Ein Mensch, der sein ganzes Leben in der Verrichtung weniger einfacher Operationen verausgabt, [...] hat keine Gelegenheit, seinen Verstand zu üben […] Er wird im allgemeinen so stupid und unwissend, wie es für eine menschliche Kreatur möglich ist.“ (zit. n. M23/383) Marx gelangt angesichts der Verhältnisse in den Fabriken im 19. Jahrhundert zu einem vernichtenden Urteil: Die kapitalistische Manufaktur „verkrüppelt den Arbeiter [...], indem sie sein Detailgeschick treibhausmäßig fördert“ (M23/381). Das ist auch eine Crux des Klassenbewusstseins, welches Voraussetzung der Revolution wäre. Klassenbewusstsein und die daran anknüpfende gewünschte Revolution erfordern ein gewisses geistiges Niveau, um nicht auszubleiben oder hinter die bürgerliche Ideologie und die herrschenden Verhältnisse zurückzufallen. Kapitalistische Arbeitsbedingungen erhöhen zwar den Leidensdruck und damit die Notwendigkeit einer Revolution, nicht jedoch das Reflexionsvermögen. Und, um wieder zum Thema zurückzukommen, wenn die Umwälzung der Verhältnisse glücken würde, dann bekämen wir es immer noch mit fulminanten Altlasten zu tun. Die monotone Akkuratesse, mit der die Maschinen das „Detailgeschick“ der Individuen, nicht aber diese fördert, leben in den Maschinen unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Anwendung fort. Und damit entsprechen sie auf keinem Fall Verhältnissen, in denen der Mensch ein gutes und freies Leben führt.
Arbeitsprozesse, wie sie Marx schildert, gibt es heute kaum noch in den Ursprungsländern der kapitalistischen Produktionsweise, dafür aber zuhauf in Südostasien, Afrika, Lateinamerika, Portugal, dem Süden der USA etc. Die dort Arbeitenden produzieren viele unserer täglichen Gebrauchsgüter.
Doch auch hierzulande existieren immer noch schlechte und zunehmend schlechtere Arbeitsbedingungen, wie der eine oder andere sicherlich leider mitbekommen musste.

Arbeitsmittel und Natur

Wie jene Produkte, die wirklich vernünftig der Menschheit dienen, in der kapitalistischen Produktionsweise eher Zufallsprodukte sind, so sind dies auch solche Produkte, die nicht die Lebensgrundlage der Menschheit zerstören. Marx wusste, dass zum einen jedes Arbeitsmittel selbst ein „modifizierter Naturgegenstand“ (M592) ist und mit diesem wiederum die Natur „bemeistert“ (M593) wird. Er erkannte auch, dass das „capital fixe“ nicht wachsen kann, „ohne daß der Rohstoff wächst, den es bearbeitet“ (M603). Keine Akkumulation von Kapital ohne Modifikation von Natur. An sich ist die Modifikation von Natur nicht neu, sondern überhaupt Resultat wie Bedingung der Menschheitsentwicklung. Niemals wurde Natur aber dermaßen schnell und umfangreich umgeformt wie seit dem Beginn der ersten industriellen Revolution, und nie zuvor im Bann der Kapitalakkumulation. Marx etwa schildert, wie einer schnelleren Verwertung, das heißt in diesem Falle vermittels Mästung, zuliebe „durch sorgfältige Zuchtwahl [...] das Knochenskelett der Schafe auf das zu ihrer Existenz notwendige Minimum“ (Marx 24/240) reduziert wurde. Er gelangt an anderer Stelle zu der Schlussfolgerung: „[J]eder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist [...] zugleich [...] ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit [des Bodens, H.G.]. Je mehr ein Land [...] von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß.“ (M23/529) Mittlerweile sind sich die Klimaexperten einig, dass die Industrialisierung das Klima nachhaltig verändert hat. Dass noch darüber gestritten wird, wie sehr und in welcher Form sich das Klima ändern wird, verringert die Angst vor der klimatischen Veränderung nicht, sondern zeugt von der unter jetzigen gesellschaftlichen Bedingungen schwer möglichen „Unterwerfung der Naturkräfte unter den gesellschaftlichen Verstand“ (M597). Zwar bekommen die Menschen die Probleme zunehmend in den Blick, praktische Konsequenzen scheinen aber schier unmöglich. Das Protokoll von Kyoto etwa sieht finanzielle Investitionen vor, die in unmittelbarer Anwendung, beispielsweise als Spenden, den voraussichtlichen Opfern der Klimaveränderung mehr helfen würden, als ihre Investition in eine nachhaltigere Energiewirtschaft. Hinsichtlich des Klimawandels sind diese riesigen Investitionen in eine andere Energiepolitik nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Sogar hinsichtlich einer freien Assoziation dürfte die vom Kapital unweigerlich durchgeführte Entwicklung der Produktivkräfte zu Gunsten des Reichs der Freiheit längst durch die unvernünftige Modifizierung der Natur nivelliert werden. Eine freie Assoziation der Menschen wird – damit die Menschen in ihr auch überleben – perspektivisch eventuell mehr Tätigkeit darauf verwenden müssen, den durch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse hinterlassenen Schäden entgegenzuwirken, als dass Tätigkeit durch die Errungenschaften kapitalistischer Produktivkraftentwicklung eingespart würde.

Die Kritik an den Arbeitsmitteln und die Revolution

Marx erkennt, dass die Maschinerie, wie sie in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen gewachsen ist, keine Rücksicht auf die an den Maschinen Arbeitenden nimmt: „Der wirkliche Reichtum manifestiert sich [...] – und dies enthüllt die große Industrie – […] im qualitativen Mißverhältnis zwischen der auf eine reine Abstraktion reduzierten Arbeit und der Gewalt des Produktionsprozesses, den sie bewacht.“ (M592) Was also geschieht mit der Maschinerie in einer freien Assoziation von Menschen? Ein skeptisches Verhältnis wäre angebracht gegen die überlieferte Maschinerie und solche Produktivkräfte wie die Kooperationen in der Fabrik. Doch Marx verfolgt den kritischen Gedankengang nicht weiter und stellt die gute Seite der Maschinerie bezüglich der kommenden freien Assoziation heraus: Durch das Kapital würde das „Quantum zur Produktion eines gewissen Gegenstandes nötige Arbeit auf ein Minimum reduziert, aber nur damit ein Maximum von Arbeit in dem Maximum solcher Gegenstände verwertet werde. Die erste Seite ist wichtig, weil das Kapital hier – ganz unabsichtlich – die menschliche Arbeit auf ein Minimum reduziert, die Kraftausgabe. Dies wird der emanzipierten Arbeit zugute kommen und ist die Bedingung ihrer Emanzipation.“ (M589) Neben der potenziellen Verringerung der Arbeitszeit lobt er auch die Gleichstellung von Mann und Frau im Zuge der kapitalistischen Entwicklung. Das sind Fortschritte, die aufgezählt werden müssen. Doch sind sie nur die halbe Wahrheit. Dass die kapitalistische Gesellschaft auch die stofflichen Elemente der Maschinerie geschaffen hat und demnach überliefert, spielt plötzlich keine Rolle mehr. Marx als kommunistischer Revolutionär und noch mehr die ihm folgenden Revolutionäre haben solche Gedanken zu Gunsten einer optimistischen Prognose abgebrochen und verdrängt. So „leuchtet“ es angeblich „ein, daß die Zusammensetzung der kombinierten Arbeitspersonals aus Individuen beiderlei Geschlechts und der verschiedenen Altersstufen, obgleich in ihrer naturwüchsig brutalen, kapitalistischen Form […] Pestquelle des Verderbs und der Sklaverei, unter entsprechenden Verhältnissen umgekehrt zur Quelle humaner Entwicklungen umschlagen muß.“ (M23/514) Man nehme einen Inhalt, gieße ihn in eine neue gesellschaftliche Form – und alles wird gut. Dabei hatte Marx nicht nur die Maschinerie und die kombinierte Arbeit ihrer stofflichen Seite nach als kapitalistische dargestellt, sondern theoretisch längst – seit seiner Studentenzeit – erkannt, dass Inhalt und Form miteinander vermittelt sind: „Der Fehler lag darin, daß ich glaubte, das eine könne und müsse getrennt von dem anderen sich entwickeln, und so keine wirkliche Form, sondern einen Sekretär mit Schubfächern erhielt, in die ich nachher Sand streute.“ (M40/5)
Da bisher nicht mal annähernd die Abschaffung der Verhältnisse ihrer Form nach angegangen wurde und statt dessen zwischenzeitlich ihre Barbarisierung geschah, kann der zusätzliche Aufwand, die Umwelt bezüglich ihrer inhaltlichen Seite umzuwälzen, auch nicht mehr erschüttern. Er bleibt gegenwärtig leider rein hypothetisch.

Hannes Gießler

Literaturliste:
Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 2. Über die Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution, C.H.Beck, München 2002
Karl Marx, Marx-Engels-Werke, Dietz, Berlin 1975
Ders., Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Dietz, Berlin 1974
Mein Text, Zwang zur Arbeit, in: CEE IEH #111 (www.conne-island.de/nf/111/23.html)

Abkürzungen:
Die Antiquiertheit des Menschen wird mit „A...“, die Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie mit „M...“ und die Marx-Engels-Werke mit „M.../...“ abgekürzt, letztere mit Band/Seitenangabe.

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last modified: 28.3.2007