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dokumentation, 1.1k

Polizeilich Erlaubtes, logisch Unerlaubtes.


oder: Queer ist auch keine Lösung

Mein Vortrag gliedert sich in vier Teile. Der erste Teil behandelt die gesellschaftliche Zwangsstruktur der Dialektik von Wert und Abgespaltenem; ich beziehe mich dabei auf Roswitha Scholz und die Gruppe „Krisis“. Im zweiten Teil wird daraus der Schluss gezogen, dass nur denjenigen, die über das System von Wert und Abspaltung hinaus wollen, überhaupt noch Handlungsspielräume bleiben – alle anderen handeln „innerhalb der Grenzen des polizeilich Erlaubten und logisch Unerlaubten“(1). Im folgenden Teil wird gezeigt, dass die „abstrakte Negation“ des Falschen das Falsche selbst ist. Und abschließend geht es um mögliche Handlungsoptionen.

1. Die Dialektik von Wert und Abgespaltenem

Unsere Gesellschaft ist eine Warengesellschaft. In ihr setzen sich Menschen nur dadurch reproduktiv miteinander in Beziehung, als sie Waren im Gesamtdurchschnitt nach Maßgabe der in ihr enthaltenen gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit tauschen. Wer sowas Scheiße findet, weil er gemerkt hat, dass seine sinnlichen Bedürfnisse dabei nur am Rande vorkommen, muss sich auch den Rattenschwanz, der an diesem Arbeitszeiten-hin-und-herschieben dranhängt, kritisch vornehmen: Geld, Arbeit, Staat. So die einleuchtende Zumutung der „fundamentalen Wertkritik“ der Gruppe „Krisis“. Jene hat aber ein Problem. Sie blendet aus, dass im Kapitalismus auch Tätigkeiten verrichtet werden, die keineswegs wertförmig organisiert sind: „Reproduktionstätigkeiten“ wie Mahlzeitzubereitung, Betreuung, Pflege, Kindererziehung, aber auch „Liebe“, Zärtlichkeit, Zuwendung allgemein. Solche Tätigkeiten finden nun nicht etwa geduldet neben der „eigentlichen“ wertschaffenden abstrakten Arbeit statt, oder werden –wie es neuerdings schick ist, zu behaupten – zunehmend als normale Waren hergestellt, sondern sind Grundvoraussetzung für die Warenproduktion (d. h.: die Herrschaft der abstrakten Arbeit) selbst. Das ahnen schon Horkheimer und Adorno, wenn sie feststellen, dass das Allgemeine festgehalten wird, indem die private Existenz als Schutz vor ihm zum Prinzip erhoben wird(2).
Das vom Wert „Abgespaltene“ ist also nicht einfach unter die „Wertsphäre“ als unbedeutend subsumiert, sondern die andere Seite, die Schattenseite der Wertvergesellschaftung – das Verhältnis von Wert und Abspaltung ist dialektisch: beide sind nur füreinander und durcheinander, also auseinander hervorgehend, aber auch nur im Gegensatz zueinander denkbar. Da die Wertsphäre sich nicht selbst sehen kann, braucht sie die Grenze, an der sich ihre Identität konstituiert – es gibt also nicht den Wert und das Abgespaltene, mehr oder weniger friedlich nebeneinander, sondern beide lassen sich nur zusammen denken(3). Das Prinzip des warenproduzierenden Systems ist also nicht eine Entität namens „Wert“, sondern die Dialektik von Wert und Abgespaltenem.
Die Wertkritik hat, wie gesehen, bisher Geschlechtsneutralität vorausgesetzt(4), wo doch offensichtlich war, dass diese abgespaltene, private Seite historisch Frauen zugewiesen wurde, diesen all diejenigen Eigenschaften aufgehalst wurden, die in der „echten“, „positiven“, öffentlichen Sphäre der Wertproduktion stören: Sinnlichkeit (statt Rationalität), Naturverhaftung (statt Aufklärung), Genuss (statt Pflicht), Ausgleich (statt Existenzkampf). Was kann Kritik dieser Struktur gegenüber tun? Auf alle Fälle nicht, die sog. „Frauentätigkeiten“ in ihrem So-Sein zu affirmieren, oder für die Gleichgeltung dieser Tätigkeiten neben der (männlichen) abstrakten Arbeit zu streiten. Da beide einander bedingen, können beide nur zusammen aufgehoben werden. Keinesfalls kann das Ziel sein, irgendwann nur noch die „guten“ gebrauchswertorientierten Reproduktionstätigkeiten übrigzubehalten. So, wie Gebrauchswert ohne Tauschwert nicht zu haben ist – jener eben nicht das Nützliche eines Produkts, sondern nur das Nützliche an der Ware, ihre Tauschwertvoraussetzung repräsentiert – ebensowenig lassen sich Wert- und Abgespaltenes gegeneinander ausspielen. In der Sphäre des Konsums, der abgespaltenen Tätigkeiten, ist zwar nicht der Platz der Warenform, doch Konsum als nicht selbst warenförmige Gebrauchswertvernichtung ist Voraussetzung für die Existenz der Warenform in einer anderen Sphäre(5). Klar dürfte auch geworden sein, dass diese Struktur keinesfalls angegriffen wird, wenn, empirisch beobachtbar, die Zahl der „Karrierefrauen“ zunimmt, Frauen immer mehr traditionell männliche Eigenschaften annehmen. Echte Emanzipation heisst also: „Aufhebung von Wert, Warenform, Marktwirtschaft, abstrakter Arbeit und Abspaltung“(6) und damit die emanzipatorische Aufhebung sozialer Männlichkeit und Weiblichkeit(7).

2. Keine Illusionen

Wahrscheinlicher als das Erreichen dieses emanzipatorischen Ziels ist jedoch das Abgleiten in eine „Verwilderung des Patriarchats“. Die Erosion traditioneller Lebensformen, die Tatsache, dass sich das Patriarchat „aus seinen institutionellen Halterungen löst“(8), hat in der Krise keine emanzipatorischen, sondern regressive Potenziale: Verrohung des Umgangs, sinkendes Verantwortungsgefühl zwischen Menschen, Verlust jeder sozialen Sicherheit. Auch hier bewiesen Horkheimer und Adorno Krisenbewusstsein. Ihnen war klar, dass sich die Krise des Kapitalismus als Absägen des Astes, auf dem man sitzt, auch in der Zerstörung der bürgerlichen Subjektivität als Voraussetzung für Verwertung zeigt: „Alle vorgegebenen Bindungen verfielen ... [durch die aufgeklärte Vernunft - Holger] dem tabuierenden Verdikt, nicht ausgenommen solche, die zur Existenz der bürgerlichen Ordnung selbst notwendig waren.“(9)

Das um sich schlagende, weil nicht mehr festgezurrte Patriarchat lässt auf einmal Freiheiten, die härter sind als die bisherige Unfreiheit. Nach wie vor zwar müssen Frauen den Haushalt schmeißen, doch zwingt die Krise immer mehr von ihnen in die Sphäre der abstrakten Arbeit hinein, nach wie vor zwar müssen Männer das knallhart kalkulierende Wertsubjekt sein, doch wird jetzt zusätzlich von ihnen verlangt, dass sie Gefühle zeigen, mutet man ihnen zu, sich auszusprechen, loszulassen und hemmungslos zu weinen – natürlich nur dann, wenn die Situation verlangt, dass man sich entspannen und freiwerden müsse für eine neue Runde im Hamsterrad der Verwertung des Werts. Es entstehen Flexi-Zwangsidentitäten, die ihren Gefühlscode einander angleichen, um für jede neue Zumutung gerüstet zu sein, um sofort im Sinne neuer und immer schneller wechselnder Tugenden zu reagieren. Das Formprinzip der Wert-Abspaltung selbst bleibt unangetastet, die neue Lockerheit des Patriarchats ist lediglich negative Emanzipation: Vorstufe der Barbarei. Wenn wir uns vor Augen halten, dass Probleme mit der eigenen Identität in der Aufstiegszeit der bürgerlichen Ära nichts als private Laster sind, die zugunsten des Funktionierens unbedingt behandelt werden müssen, dann hat sich das Bild im Absturz dieser Ära gewandelt. Wiederum sind Horkheimer und Adorno erschreckend hellsichtig: „Die privaten Laster sind bei [Marquis de – Holger] Sade (...) die vorwegnehmende Geschichtsschreibung der öffentlichen Tugenden der totalitären Ära.“(10)
Die Dualismen, die man heute glaubt, dekonstruieren oder subversiv unterlaufen zu müssen, zerfallen von selbst. Hybride Flexi-Identitäten werden zunehmend gefragt: „Die Selbstachtung der Menschen wächst proportional mit ihrer Fungibilität.“(11) M. E. hat sich spätestens mit dem Aufkommen der Boygroups das dualistische Geschlechtermodell als Affirmation von Männlichkeit und Weiblichkeit überlebt. Der junge Mann, der dort auftritt, ist offenkundig ein schwules Kind, ein niedliches Püppchen mit Sixpack und dennoch auf suggerierte Mutterinstinkte der kreischenden Teenies zielend. Diese hybriden Identitäten sind schon maximal mehrdeutig – natürlich kann man ihnen immer noch nachtreten, sollte sich allerdings über Intention und Heftigkeit des Trittes vorher klarwerden.
Apropos „klarwerden“: Homo Elektrik Parties wollen ein Anlaufpunkt für Queers, Frauen, Schwule, aber auch Heteros sein, die eine nette Atmosphäre und gute Musik zu schätzen wissen. So weit, so OK. Doch der Ehrgeiz zielt auf Höheres. In einem Interview sagt ein Homo Elektrik Macher, dass sich dort viele Leute „nicht als heterosexuell bezeichnen“ und fügt hinzu, dass er „solche Schubladen dusselig“(12) findet. Er schließt die Augen und verkündet, dass das, was er nicht sehe, auch nicht da ist. Die Realität bleibt wie sie ist, nur die bösen, harten Schubladenbegriffe fliegen raus aus dem kuschligen Weltbild. Wer so schwatzt, muss Flausen über das Wesen dieser Gesellschaft im Kopf haben. Bspw. diese hier: „die Verwertungslogik“, die in den vorhandenen Einrichtungen der schwul-lesbischen Szene „oft herrscht“, sei nicht so das Ding von Homo Elektrik. Zwinker, zwinker – wir hier sind das ganz Andere, wir haben unser Projekt, das bleibt sauber. Oder auch diese Flause hier: „Man kann auch auf einer Party die Verhältnisse in Frage stellen!“(13) – Nein, das kann man nicht. Auf einer Party kann man Arbeitengehen- und Geld-Haben-Müssen nicht in Frage stellen. Eine Party ist eine Party ist eine Party...
Bestimmte Parties zu besuchen, ist ebenso kritisch, wie in den Buchladen für Schwule einkaufen zu gehen – man fühlt sich ein bisschen besser als die anderen Konsumenten, allerdings ohne Grund, nur mit Anlass.
Leid ist real. Wem es um die wissenschaftlich-/positivistische Herleitung von dessen Realität geht, aber erst recht, wer es als Text dekonstruieren will, der steht auf der Seite der Anti-Emanzipation. Mindestens zu dieser Erkenntnis sollten die Frankfurter befähigen. Gegen den uns allen vorausgesetzten Zwang des Geldhaben-Müssens, der Tatsache, dass unsere Reproduktion Abfall der Selbstbewegung des automatischen Subjekts „Kapital“ ist, helfen keine Pillen und kein phantasievolles Happening. Performative Subversionsstrategien, die Verfolgung von Plotstrukturen und auch irgendwelchen Quark reformulierende Diskursanalysen stellen sich spätestens an der Supermarktkasse bzw. beim Sozialamt schlicht als albern heraus. Es ist Unfug, zu analysieren, was die Leute so schwatzen, wenn man nicht wissen will, in welcher Gesellschaft sie leben, wenn man den Blick nicht auf deren synthetisierendes Prinzip richten will, sondern sich lieber in der Beschreibungsebene ein gemütliches Plätzchen dicht neben Foucault sucht. Es ist tränenrührend naiv, sich davon, dass Männer sich wie Frauen und Frauen sich wie Männer anziehen, eine Abschaffung der falschen Gesellschaft zu versprechen. Ich ziehe mir etwas anderes an und nenne das „Gesellschaftskritik“ – das wird nicht funktionieren. Wessen Hauptproblem ist, dass sich Beschreibungen in Diskursen aus Binarität und Hierarchie herauswühlen sollen(14), der eben betreibt das Geschäft des Idealismus, der hat kein Problem mit dieser Gesellschaft; dessen theoretisches Credo lautet „Seid nett zueinander“. Politische Regulierungen und Disziplinierungsverfahren, die sich per herrschendem Diskurs die repressive Aufrechterhaltung der Geschlechtsidentität zum Ziel gesetzt haben, durch Travestie verwirren zu wollen(15) – sowas lässt sich nur an einer wohlausgestatteten amerikanischen Universität aushecken; in der Elendsökonomie der dritten Welt und auch in den sweatshops an den Rändern der Verwertungsinseln wird man dogmatisch werden müssen.
Im übrigen scheint auch die Empirie nicht zugunsten des Queering auszugehen. Nahezu alle mir bekannten schwul sozialisierten Queers haben sich schon vor einigen Jahren die Haare geschoren, dicke Stiefel angezogen und hoffen, dass sich mit wiederholtem Abhören diverser Oi!-Bands die rauhe Männlichkeit einstellt. Tut sie allerdings nicht.
Gegen das Spiel der Verwirrung von Identitäten, das meistens nur den eigenen Geist verwirrt, wäre darauf zu bestehen, die fünf Teufel Wert, Ware, Geld, Arbeit, Staat zu besiegen. Die Agitation gegen sie muss am realen Leid der zu Agitierenden anknüpfen. Wer tagtäglich schmerzhafter spürt, dass diese Gesellschaft sehr gut auf ihn verzichten kann, dass seine menschliche Reproduktion nicht bewusst von ihm und den anderen Gesellschaftsmitgliedern betrieben und permanent prekärer wird, wem klar wird, dass seine Entfaltung nur durch Einengung aller anderen möglich ist, der hat andere Probleme, als per Parodie „eine fließende Ungewißheit der Identitäten hervor(zurufen), die ein Gefühl der Offenheit für deren Re-Signifizierung und Re-Kontextualisierung vermittelt“(16).
Gesellschaftskritik zu betreiben, heisst heute: Kriseninstinkt zu Krisenbewusstsein zuspitzen und nicht, irgendwelche neuen Kontexte herzustellen.

3. Der Fluch der abstrakten Negation

Von ihm wird der ereilt, dem alles eine große Pampe, hermetisch abgedichteter Verblendungszusammenhang ist; dem das Ganze so ganz ist, dass in ihm keine Unterschiede mehr auszumachen sind, dass in ihm alles ohne Rest aufgeht. Diese Art Gesellschaftsanalyse reproduziert das Kapitalverhältnis im Denken umgewendet und kann nur beim Pessimismus landen, beim Umdrehen der Medaille, das eben nur die andere Seite und nicht das ganz Andere sichtbar werden lässt. Sie bleibt „notwendig abstrakte Negation einem hermetisch geschlossenen System gegenüber in der Gestalt ohnmächtiger Vernunft, des empörten Protests der großen Verweigerung.“ (Hans-Jürgen Krahl)
Wer sich die Welt anschaut, sieht eine Ungleichverteilung von Mitteln zur menschlichen Reproduktion und mobilisiert als fühlender Mensch dagegen meist den moralischen Anspruch, es möge „Gerechtigkeit“ herrschen. 3.-Welt-Initiativen, schwule Bürgerrechtspolitiker, Linkskeynesianer und die Zeitschrift „Emma“ – sie alle bauen „Gerechtigkeit“ zum System aus und kontrastieren das ideologische bürgerliche Ideal mit einer Wirklichkeit, die partout anders aussehen will. Gegen die Moralisten steht die abstrakte Negation in Gestalt der Theoretiker des Neoliberalismus auf, die bspw. die naiven Forderungen nach einer „gerechten Weltwirtschaft“, wie sie von der Antiglobalisierungsbewegung erhoben werden, bekämpft – mit dem Lob der Ungerechtigkeit. (Kleine Abschweifung: Und auch manches Statement von Antideutschen hat diesen Ton von „Eure Armut kotzt uns an“; bizarrerweise fällt ihnen beim Stichwort „westliche Werte“ immer nur Kommunismus und nie der Hardcore-Liberale v. Hayek ein, für den bspw. der ur-westliche Wert „Gerechtigkeit“ ein sozialistischer Kampfbegriff war, mit dem man nirgendwo anders hin gelangt, als auf den Weg zur diktatorischen Knechtschaft.)
Dialektische Gesellschaftskritik zu treiben, heisst weder, das genaue Gegenteil vom jeweils Bösen zu tun, noch heisst es, am Kritikgegenstand ein „sowohl als auch“ zu entdecken, wie das linke Schlaumeier gern tun, wenn sie in der Argumentation nicht weiterkommen, sondern heisst, durch konsequente Negation des Bestehenden das Richtige zum Vorschein kommen zu lassen. Solch bestimmte Negation (und ihr großes Modell ist die Marxsche Kritik der Politischen Ökonomie) schafft es mit immanenter Kritik, einer Kritik also, die ihren Gegenstand ernst nimmt und „mit Begriffen auftun will“ (Adorno), zu zeigen, was falsch ist, weil es dem eigenen und nicht einem fremden Anspruch nicht genügt und also beseitigt gehört. Sie stellt ihm kein ideologisch abgedichtetes Anti-System gegenüber und lässt es mit ihm kämpfen, und sie verwirft nicht pauschal das Kritisierte, sondern zeigt – an unserem Beispiel –, dass „Gerechtigkeit“ längst herrscht und dass das Folgen hervorruft, die eine bürgerliche Gesellschaft, nähme sie ihre Geschichte ernst, als „ungerecht“ beschreiben müsste. Natürlich, ihr habt’s geahnt: Diese Dialektik ist negativ.

4. Unspezifische Empfehlungen

Sind alle Handlungsmöglichkeiten verbaut? Keineswegs. Man braucht sich nicht einzurichten in einer angeblich komplett abgedichteten verwalteten Welt, um äußerlich schulterzuckend und innerlich befreit von irgendwelchen lächerlichen Regeln der political correctness sich so Scheiße benehmen zu können, wie jeder Stammtischbollo auch. Ganz einfach, weil diese Welt längst nicht so dicht ist, wie es die verbalradikalen Adornofälscher von heute gern hätten.
Gender troubling macht erst Mal großen Spaß. Hetero-Macker werden verunsichert, Lebensbedingungen für Queers und Tunten werden verbessert und einige Leute werden mit der Nase darauf gestoßen, dass Selbstverständliches nicht selbstverständlich bleiben muss, sondern veränderbar sein kann. Mit Queer die Identitäten verwirren zu wollen, hat – bei aller Kritik – immer noch emanzipatorische Kraft. Und so kann man auch gut Homo Elektrik Parties besuchen und sich beim Ladyfest amüsieren – im richtigen Bewußtsein, dass die meisten Parties dieser Welt beschissener sind, weil dem, was man hier tut, eine Reflexion in emanzipatorischer Absicht vorangegangen ist. Und natürlich ist es Klasse, unter ähnlich emanzipatorisch tickenden Leuten zu sein. Man braucht sich also durch mich nicht die Party versauen zu lassen, doch wäre es gut, die Selbststilisierung als der/die/das ganz Andere steckenzulassen. Denn auch diese Parties kosten Geld. Klar, dass meine Kritik verblasst, wenn es den Homo Elektrik Leuten darum geht, „dass Frauen und Mädchen Support (dafür) bekommen“(17), dass in Zukunft mehr von ihnen Platten auflegen. Natürlich ist das Klasse. Es ist so Klasse, wie die Schwulenehe – menschenfreundlich, Lebensbedingungen verbessernd, doch nicht gesellschaftskritisch. Für den Gesellschaftskritiker gilt also, diese Spannung dadurch auszuhalten, dass er sich daran erinnert, ja auch nicht 24 Stunden am Tag Emanzipatorisches zu tun.
Jede immanente Parteinahme ist abzulehnen, Kritik kann nicht viel, „Aber das bißchen, was sie kann, sollte sie auch auf Schritt und Tritt tun“ (Chr. Türcke) und sei’s zur Verbesserung von Lebensverhältnissen, zur Minimierung von Leid überhaupt. Hindurchzusteuern wäre zwischen kritischem Pessimismus einerseits, der in der Frankfurter Kritischen Theorie leider wirklich einige Anknüpfungspunkte hat und nur noch in Affirmation oder Selbstmord umschlagen kann und der Verblödung durch kreatives Mitmischen andererseits.
Navigieren ließe sich vielleicht an Hand folgender Frage: Steht bei meiner Entscheidung, etwas zu tun, ein sinnliches Bedürfnis von mir im Mittelpunkt?
An einem letzten Beispiel sei seine Anwendung demonstriert: Unnötig Leid vermehrend und keinem einzigen menschlichen Bedürfnis dienend ist der Zoo. Die Frage lautet also: Bedienen die jahrelang hinter Gittern gehaltenen Tierkrüppel mein Bedürfnis nach Ergötzung an einer Tierart? Mit Sicherheit nicht – ich bekomme ein gepeinigtes Wertmonster zu Gesicht, dessen Schmerz die Lust an der Bändigung des Gefährlichen überwältigen muss.

Schließen möchte ich mit einer Passage aus Max Horkheimers Schrift „Dämmerung“. Darin heisst es:
„(...) Deine Weigerung, fortan von der großen Menschen- und Tierquälerei zu profitieren, dein Entschluß, Bequemlichkeit und Sicherheit aufzugeben, wird keinem Menschen und keinem Tier ein Leid ersparen. (...) Die Einsicht in die Unwirksamkeit des individuellen Verzichts begründet oder rechtfertigt aber keineswegs das Gegenteil: Beteiligung an der Unterdrückung. Sie besagt nur, daß deine persönliche Reinheit für die wirkliche Veränderung belanglos ist: die herrschende Klasse wird dir keine Gefolgschaft leisten. Vielleicht aber begibt es sich, daß du trotz des Mangels einer rationellen Begründung die Freude an der Gemeinschaft mit den Henkern verlierst und die Einladung eines harmlosen alten Herrn zur Autofahrt in den Frühling abschlägst, weil man in den Zuchthäusern seiner Klasse einem gleichaltrigen Greis nach dreißig Jahren Zwangsarbeit die Begnadigung mit dem Hinweis verweigert, er könne in der Freiheit keine Arbeit finden und fiele der Armenpflege zur Last. Vielleicht verlierst du eines Tages einfach die Freude daran, auf dem Dachgarten des Gesellschaftsgebäudes spazierenzugehen, obgleich es ein ganz unbedeutendes Faktum ist, wenn du herabsteigst.“(18)

Holger

Fußnoten

(1) Karl Marx, irgendwo in der „Kritik des Gothaer Programms“
(2) Horkheimer, Max und Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung, in: Max Horkheimer: Bd. 5 der „Gesammelten Schriften“, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 1987, 119
(3) Scholz, Roswitha: Das Geschlecht des Kapitalismus – Feministische Theorien..., Horlemann, Bad Honnef, 2000, 18
(4) Scholz, 17 f.
(5) Scholz, 19, vgl. auch 109
(6) Scholz, 23
(7) Scholz, 120
(8) Scholz, 133
(9) Horkheimer/Adorno, 116
(10) Horkheimer/Adorno, 142
(11) Horkheimer/Adorno, 130 f.
(12) http://www.supergiro.de/homoelektrik/pe-interview/interview.html
(13) http://www.conne-island.de/nf/99/14.html
(14) vgl.: Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1991, 191
(15) vgl. Butler, 200 f.
(16) Butler, 203
(17) http://www.conne-island.de/nf/99/14.html
(18) Horkheimer, Max: Dämmerung. Notizen in Deutschland, in: Gesammelte Schriften, Bd. 2: Philosophische Frühschriften 1922-1932, Hrsg.: Gunzelin Schmid Noerr, S. Fischer, 1987, Frankfurt am Main, 406 f.

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last modified: 28.3.2007