Samstag, 30.10.2021, Einlass: 10:00 Uhr
Tagesseminar: Das eigensinnige Kind.
Eigensinn und Kritik. Seminarreihe zum ungelebten Leben (1. Teil)
„Furchtbares hat die Menschheit sich antun müssen, bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war, und etwas davon wird noch in jeder Kindheit wiederholt.“ Und es geht immer weiter: „Das Existieren im Spätkapitalismus ist ein dauernder Initiationsritus. Jeder muß zeigen, daß er sich ohne Rest mit der Macht identifiziert, von der er geschlagen wird.“ (Horkheimer & Adorno „Dialektik der Aufklärung“)
„So nicht“: In einer Seminarreihe werden wir diskutieren, wie Eigensinn und Kritik ausgetrieben werden – auf allen Ebenen, mit allen Mitteln.
"Es war einmal ein Kind, das war immer eigensinnig und that nicht, was seine Mutter von ihm haben wollte ..." So beginnt das kürzeste Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm. Es ist zugleich eines der schrecklichsten. Denn es handelt nicht davon, wie ein Unglücklicher, eine Zurückgesetzte gegen alle Widerstände ihr Glück machen, in die Welt ziehen, den Prinzen oder die Prinzessin kriegen, reich werden und bis heute glücklich leben, wenn sie nicht gestorben sind. Niemand zieht hier aus und kriegt irgendwas. Das Kind wird begraben und mit ihm sein Eigensinn. Ende der Geschichte. Oder?
Ausgehend von diesem Märchen möchten Wolfram Ette und Karin Nungeßer gemeinsam mit Euch/Ihnen erkunden, was Eigensinn ist und welche Konsequenzen es hat, wenn er gebrochen wird. Das kann in vielerlei Weisen geschehen: von der Vernachlässigung elementarer Bedürfnisse nach Nähe und Gesehenwerden über brutale Gewalt oder ein System der Überwachung bis zum Missbrauch, der vorgibt, den wahren Bedürfnissen des Kindes zu entsprechen. Leitend in alldem ist für uns der Gedanke: Das eigensinnige Kind ist bis heute nicht gestorben; in vielen Rollen, Verkleidungen, Rüstungen lebt es unter uns weiter und prägt die Gesellschaft, in der wir leben.
Wolfram Ette ist Literaturwissenschaftler und Publizist. Zuletzt: "Das eigensinnige Kind. Über unterdrückten Widerstand und die Formen ungelebten Lebens – ein gesellschaftspolitischer Essay" (2019); "Der Ausnahmezustand ist der Normalzustand, nur wahrer. Texte zu Corona" (2021, zusammen mit Anne D. Peiter).
Karin Nungeßer ist Literatur- und Theaterwissenschaftlerin und lebt als Lektorin, Journalistin und freie Redakteurin in Berlin und Brandenburg.
Teilnahme ist aufgrund nur in begrenzter Zahl möglich, Anmeldungen für die Veranstaltung über die „
kritikundeigensinn@conne-island.de“