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Termin: 23.11.2010

Café

Dienstag, 23.11.2010, Einlass: 19:30 Uhr

Das Ende des Kommunismus

Podiumsdiskussion mit Alex Demirovic, der Gruppe Paeris und der Initiative gegen jeden Extremismusbegriff (INEX)
Alex Demirovic ist u.a. Redakteur der Zeitschrift Prokla. Von ihm und anderen erschien zuletzt beim Verlag Westfaelisches Dampfboot "Das Subjekt - zwischen Krise und Emanzipation". Die Gruppe Paeris aus Berlin setzt sich mit den Einwaenden gegen die positive Beschaeftigung mit Kommunismus auseinander und versucht, diese zu widerlegen. Die INEX diskutiert seit laengerer Zeit zu Realsozialismus, Stalinismus und Totalitarismustheorien.
- Im Rahmen der Reihe "Das Ende des Kommunismus". Veranstaltungsreihe der Gruppe INEX zur linken Kritik am Stalinismus. Mit freundlicher Unterstuetzung des StudentInnenrates der Universitaet Leipzig und der Rosa Luxemburg Stiftung -

siehe auch: inex.blogsport.de
»Das Ende des Kommunismus«
Veranstaltungsreihe der Gruppe INEX zur linken Kritik am Stalinismus

Das 20. Jubiläumsjahr des Mauerfalls und des Zusammenbruchs des Realsozialismus waren nicht nur Anlass, die Geschichte einer modernen Nation zu etablieren, in der Demokratie, Freiheit und Wohlstand gesiegt hatten. Sie waren auch Anlass, die Geschichte der Delegitimierung der kommunistischen Idee fortzuschreiben. Dabei ist man heute scheinbar keinen Schritt weiter als zu Zeiten des Kalten Krieges. Mit den Stichworten »Misswirtschaft«, »Repressionsapparat« und »Terror« scheint der Stalinismus ausreichend beschrieben. Und Unterscheidungen zwischen Marx und Stalin, zwischen Marxismus, Leninismus und Stalinismus sind nicht nötig, solange der Kurzschluss, den stalinistischen Terror aus den Lehren von Marx und Engels abzuleiten, noch gelingen mag. Doch selbst wenn man davon ausgeht, »Marx hätte sich mit Grausen abgewandt«, Lenin hätte etwas anderes im Sinn gehabt, als er von der »Diktatur des Proletariats« sprach und Stalin sei nicht mehr als ein despotischer Herrscher gewesen, ist damit für eine linke Perspektive wenig gewonnen. Es erklärt nicht, warum die Revolution von 1917 in den stalinistischen Terrorwellen gipfelte, denen selbst StalinistInnen zum Opfer fielen. Es erklärt nicht, warum noch die schlimmsten Auswüchse des Stalinismus durch die letztendlich »gute Sache«, oder mit den Gesetzen der Geschichte, denen sich die RevolutionärInnen zu unterwerfen hatten, gerechtfertigt werden konnte. Und schließlich erklärt es auch nicht, warum das Sowjetmodell dem Regime des Kriegskommunismus und der Parteibürokratie weichen musste, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg auch in den so genannten Satellitenstaaten etablierte. In der Veranstaltungsreihe »Das Ende des Kommunismus« wird sowohl den Grundlagen, Wandlungen und Deformationen kommunistischer Ideen nachgegangen als auch gefragt, in welchem Zusammenhang diese mit dem Stalinismus und dem Realsozialismus stehen.
In den einzelnen Veranstaltungen werden die Geschichte der kommunistischen Revolution, des Stalinismus und des Realsozialismus nach ihrer Relevanz für die Gegenwart linker Entwürfe von Befreiung überprüft. Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist die Hoffnung und der Wille, dass das Ende des Realsozialismus und damit der Sieg des westlichen Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte bedeutet. Gleichzeitig sind der Stalinismus und selbst der Realsozialismus nicht als Betriebsunfälle des kommunistischen Fortschritts oder der kommunistischen Idee zu verstehen. Sie sind diejenigen historischen Formen, die aus dieser Idee der Befreiung des Menschen und der Menschheit hervorgegangen sind.
Daher ist zunächst zu problematisieren, wie aus der Idee der Befreiung die Praxis der Unterdrückung bis hin zu offenem Terror entstehen konnte. Unbestritten steht dabei der »Archipel Gulag« als Synonym des umfassenden Repressionssystems der Sowjetunion und brutalste Form gesellschaftlicher Zurichtung und Entmenschlichung zur Diskussion. Aber auch die Reproduktion antisemitischer, ethnizistischer und nationalistischer Denkmuster sowie die Kontinuitäten geschlechtlicher Disparitäten, gesellschaftlichen Zwangs, ökonomischer Ausbeutung und staatlicher Unterdrückung müssen analysiert werden, um den Realsozialismus zu verstehen.
Des weiteren ist auch zu fragen, ob nicht bestimmte Elemente dieser Idee der Befreiung ihre scheinbar spätere Verzerrung folgerichtig nach sich zogen. Für eine Linke, die sich die Befreiung des und der Menschen, die Emanzipation oder den Kommunismus auf die Fahnen geschrieben hat, scheint uns diese Auseinandersetzung unabdingbar.
Ziel dieser Veranstaltungsreihe ist es, den Widerspruch zwischen dem Realsozialismus und den Vorstellungen einer emanzipierten Gesellschaft aufzuzeigen. Im Zentrum aller Veranstaltungen stehen die Fragen danach, wie dies einfach so geschehen konnte und was diese Entwicklung heute für eine radikale Linke bedeutet. Sie laufen damit auf die verstörende und fundamentale Frage zu, ob es überhaupt einen Kommunismus geben kann, der weder stalinistisch noch realsozialistisch ist. Die Befreiung von der Knechtschaft? Der revolutionäre Standpunkt des 20. Jahrhunderts war von der Einsicht in die Notwendigkeit eines grundlegenden Umsturzes geprägt, der die Menschheit dem Diktat der kapitalistischen Akkumulation entreißt, weil erst dann die Befreiung des Menschen möglich wäre. In der offiziellen Weltanschauung der Sowjetunion setzte sich die Annahme durch, dass dies wiederum nur mit Hilfe eines politisch beschlossenen und durchgesetzten Plans zu erreichen wäre. Die Folgen sind durch die vielzählig entstandenen Planungsbürokratien unter der Diktatur der kommunistischen Parteien weitestgehend bekannt: Die Teilhabe der arbeitenden Klasse an den Produktionsmitteln verkam zur propagandistischen Farce, während die Reglementierung des wirtschaftlichen und politischen Lebens immer umfassender wurde. Bereits Lenin wich von der marxschen Auffassung der kommunistischen Bewegung als »selbständiger Bewegung« ab. Stattdessen sollte die Partei als Avantgarde – als »Vorhut der Arbeiterklasse« – stellvertretend die Diktatur des Proletariats durchsetzen und die Revolution durchführen. Der Sinn der Eroberung der staatlichen Macht sei lediglich die Verwaltung der Produktionsmittel und die notwendige Unterdrückung der einst herrschenden Klasse. Schließlich sollte der in einer Übergangsphase noch existierende Staat die vollkommenste Form der Demokratie darstellen.
Neben der Niederschlagung des Kronstädter Aufstands der Matrosen gibt es unzählige Beispiele, die zeigen, dass staatliche Repressionen schon unter der Führung Lenins weit über den »Klassenfeind« hinausreichte. Die Befreiung des Menschen von der Knechtschaft war schon bei Marx mit der Abschaffung des bürgerlich-kapitalistischen Individuums verbunden. Mit dem Fortschreiten der kommunistischen Revolution wurde hieraus mehr und mehr die Abschaffung von Individualität, die Zerstörung des Individuums und schließlich die Entrechtung, Unterdrückung und Ermordung von Millionen Menschen im Stalinismus.
Sind damit diese Entwicklungen der Parteidiktatur und der Auflösung der Individuen in den marxschen Grundlagen vielleicht schon angelegt? Wurde Marx von seinen Nacheiferern vielleicht weder missverstanden, noch – wie man immer wieder hört – »missbraucht«?
Vor diesem Hintergrund ist es besonders problematisch, dass gerade in den letzen Jahren der Leninismus immer dann Auftrieb bekam, wenn es um die Frage einer übergreifenden politischen Bewegung ging. Linke Theoretiker wie Slavoj Žižek und Alain Badiuo wollen mit Bezug auf Lenin eine unzweideutig radikale Position einnehmen. Der provozierende, »gegen seine liberalen Verleumder« gerichtete Rekurs auf Lenin sei dem »unbedingten Willen« geschuldet die Situation auch wirklich grundlegend zu verändern. Nach den Erfahrungen des Verlaufs der Revolution muss sich jedoch zwingend die Frage gestellt werden, ob die – in Rückgriff auf Lenin – Eroberung der Macht zur radikalen Umwälzung der Verhältnisse nicht zwangsläufig zur Verewigung von Machtverhältnissen und Unterdrückung führt.

Diskussionsveranstaltung mit Diethart Behrens
Montag 11. Oktober 2010 Conne Island 19:30 Uhr Weltrevolution in einem Land Die Oktoberrevolution wurde von den RevolutionärInnen noch als Prolog einer unmittelbar folgenden sozialistischen Weltrevolution betrachtet. Die Befreiung der unterdrückten Massen in Russland wurde dabei als Grundstein für eine Befreiung der Menschheit verstanden. Mit dem Ausbleiben der Revolution in anderen Ländern und der nach dem Ersten Weltkrieg zunehmenden außenpolitischen Isolation der jungen Sowjetunion, verloren die RevolutionärInnen den Glauben an die Möglichkeit einer erfolgreichen Weltrevolution. In der Folge rückte die Frage des Aufbaus des Sozialismus in einem Land ins Zentrum. Im Zuge des Aufbaus der zentralistischen Struktur der SU stellten die immensen Entwicklungsunterschiede der einzelnen Regionen ein erhebliches Problem dar. Zur Lösung betrieb die Moskauer Führung eine Nationalitätenpolitik, die einerseits die gesellschaftliche Modernisierung und andererseits eine kulturelle Homogenisierung fördern sollte. Diese zueinander im Widerspruch stehenden Motive boten die Grundlage für unterschiedlichste politische Maßnahmen wie der Förderung nationaler Eliten oder auch der Liquidierung eben dieser. Wie verträgt sich die Entwicklung der zentralen Herrschaft der KP mit der Theorie, dass die Herrschaft durch die Revolution abgeschafft würde, im Allgemeinen und die Idee, der Befreiung der Völker, im Speziellen? Könnte es sogar sein, dass der Ethnizismus, der im heutigen Russland und den sowjetischen Nachfolgestaaten so stark ist, seine Wurzeln in genau jener Nationalitätenpolitik der Sowjetunion seinen Ursprung hat?
Will man sich dem »Sozialismus in einem Land« nähern, kommt man nicht umhin, auch äußere Faktoren einzubeziehen: Das Scheitern der Weltrevolution, die militärischen Konstellationen nach dem Ausstieg der jungen Sowjetunion aus dem Ersten Weltkrieg und der »Frieden« von Brest-Litowsk sowie die Systemkonkurrenz im Kalten Krieg. Sie können aber dennoch nicht als Hauptargument gelten, warum der äußere Zwang in einen inneren verwandelt wurde.
Wie konnte es historisch dazu kommen, dass die Idee der proletarischen Revolution und der Aufhebung aller gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Herrschaft in so kurzer Zeit von Nationalitätenpolitik und autoritärer Staatlichkeit ersetzt wurde? Welche Auswirkungen hatten schließlich diese Entwicklungen auf die realsozialistischen Gesellschaften und auf linke Ideen von Befreiung bis hin zu den heutigen »Nationalitätenkonflikten« in vielen der Nachfolgestaaten und den linken Konzepten »nationaler Befreiungsbewegungen«?

Diskussionsveranstaltung mit einer Vertreterin der Gruppe Jimmy Boyle
Mittwoch 3. November 2010, GWZ, Raum 2.010, Beethovenstr. 15, 18:30 Uhr Wie kapitalistisch war der Sozialismus? Der Realsozialismus wurde bis ans Ende seiner Tage als logische Konsequenz des marxschen Sozialismusmodells, als eine notwendige Übergangsgesellschaft betrachtet, weil der Kommunismus nicht unmittelbar zu erreichen war. In der Phase revolutionärer Umgestaltung seien zwar noch nicht alle Merkmale der bürgerlichen Gesellschaft überwunden, aber das Privateigentum an Produktionsmitteln und damit die Ausbeutung sollten bereits weitgehend aufgehoben sein.
Ob in der Sowjetunion überhaupt so etwas wie Sozialismus existierte, hängt nicht zuletzt von der Frage ab, ob sich der Charakter der Produktion verändert hat und ob sich von den Grundlagen der kapitalistischen Produktion tatsächlich verabschiedet wurde. Lenin schrieb selbst »Der Sozialismus ist nichts anderes als das staatskapitalistische Monopol, das zum Nutzen des ganzen Volkes angewandt wird und insofern aufgehört hat, kapitalistisches Monopol zu sein«.
In diesem Sinne übernahm der sozialistische Staat die Planung der konkreten Arbeit für etwas abstraktes Allgemeines: Zum »Wohl der Arbeiterschaft« wurde die Gesellschaft in ein einheitlich agierendes Nationalkapital verwandelt. Der Staat blieb die Instanz, die über das Maß und den Wert der Arbeit, den gerechten Lohn und über die zu produzierenden Waren entschied. Der Realsozialismus verstaatlichte die Produktionsmittel und ersetzte den kapitalistischen Wettbewerb durch den Plan. Wesentliche Grundelemente des Kapitalismus blieben damit jedoch erhalten: Der Druck zur Produktivität, die Bedeutung der Arbeit oder die Entfremdung der ProduzentInnen von ihren Produkten. Andere Elemente hatten sich entscheidend gewandelt. Dem Wegfall des indirekten Zwangs durch die kapitalistische Konkurrenz folgte der direkte Zwang der Planungsstellen und des sozialistischen Betriebs. Bestand im Kapitalismus wenigstens noch die Freiheit im Zwang, war im Realsozialismus sogar diese Freiheit suspendiert – der sozialistische Zwang wurde zur Freiheit verklärt.
Die freie Verfügbarkeit von Gütern und eine tatsächliche Vergesellschaftung der Produktionsmittel wurde in keinem sozialistischen Land je verwirklicht. Weder wurden der Staat abgeschafft, noch die kapitalistischen Produktionsbedingungen von Konkurrenz, Ausbeutung und Arbeitszwang.
Daraus folgt die Frage, wie die heutige kapitalistische Gesellschaft und Ökonomie in eine sozialistische transformiert werden könnte. Weder wird die hochentwickelte Produktion eine Aufhebung der Arbeitsteilung möglich machen können noch ist es ausgemacht, dass die hochkomplexe moderne Gesellschaft sich überhaupt von einer abstrakten Vermittlung (z.B. Wert und Geld) wird lösen können.
Damit stellen sich zwei grundlegende Probleme, denen in der Veranstaltung nachgegangen wird: Wie kapitalistisch war der Sozialismus? Und lässt sich eine gesellschaftliche Verkehrsform und Vermittlung, die die derzeitigen abstrakten Prinzipien von Wert und Geld überwindet, überhaupt denken und verwirklichen?

Diskussionsveranstaltung mit Rüdiger Mats
Mittwoch 10. November 2010, GWZ, Raum 2.010, Beethovenstr. 15, 18:30 Uhr
Rüdiger Mats lebt in Leipzig und schrieb zuletzt für die Zeitschrift Phase 2 über das Scheitern des Realsozialismus. Herrschaft durch Terror Die RevolutionärInnen der Oktoberrevolution waren mit dem Ziel angetreten, eine bessere Gesellschaft frei von Unterdrückung, Armut, Ungerechtigkeit und Ungleichheit aufzubauen. Der gängigen Argumentation folgend macht es die ökonomische und gesellschaftliche Rückständigkeit Russlands der, in der Folge der Revolution gegründeten, Regierung der Kommunistischen Partei allerdings unmöglich, ihre emanzipatorischen Pläne in die Tat umzusetzen. Fest stand aber, dass es nicht in Frage kam, die einmal errungene Macht wieder abzugeben. So wurde zur Bekämpfung der KonterrevolutionärInnen die Tscheka gegründet, die bald zum dauerhaften Instrument der Machtsicherung durch Terror wurde. Die »Säuberungen« trafen schließlich den eigenen Parteiapparat, inklusive dessen glühendste AnhängerInnen und erstreckten sich auf die gesamte Gesellschaft – auf Jüdinnen und Juden, ukrainische Bäuerinnen und Bauern und auf viele andere, die meist aus nichtigen Gründen oder ohne Grund zu Opfern wurden. Diese wurden in der Regel nicht nur ausgeschlossen, sondern in Schauprozessen verurteilt, inhaftiert oder ermordet. Des Weiteren hatte die KP bereits 1918 begonnen, ein ZwangsarbeiterInnenlager-System (Gulag) zu errichten, das unter Stalin verstärkt ausgebaut wurde und dazu diente, unliebsam gewordene Personen zu internieren. Doch waren die Gulags nicht nur Terrorinstrument, sondern auch Wirtschaftsgiganten, spielten sie, beziehungsweise die ZwangsarbeiterInnen, spätestens seit Ende der zwanziger Jahre für das Erreichen der wirtschaftlichen Ziele eine entscheidende Rolle.
Es ist schwer zu verstehen, dass ein System, das für die Befreiung des Menschen stehen will, sich willkürlich gegen eben diese wendet. Noch unverständlicher ist es, dass der Terror zu jeder Zeit praktisch jede/n treffen konnte. Begeisterte, ja fanatische AnhängerInnen des Systems wurden genauso zu Opfern, wie Personen, die soeben noch selbst Teil der Verfolgungsmaschinerie gewesen waren.
Dies führt zu der Frage nach der Funktion des Terrors. Lassen sich verschiedene Beweggründe für die einzelnen Opfergruppen oder einzelne Verfolgungswellen und –konjunkturen auffinden, oder bestand die Funktion vielleicht eher im Terror an sich ohne spezifische Gründe und Opfer?

Diskussionsveranstaltung
ReferentIn, Termin und Ort – n.n.
Infos unter: http://inex.blogsport.de/ Von der Revolution der Geschlechterordnung zum Mütterchen Russland 1918 verabschiedete die KP die zu dieser Zeit fortschrittlichste Familiengesetzgebung der Welt, die zum Beispiel das Recht auf Abtreibung und Scheidung beinhaltete. Auch wurde Homosexualität legalisiert und die Menschen konnten zumindest in den Städten ihre Sexualität ungezwungener ausleben. Um die Gleichstellung der Frauen und Männer herzustellen, wurde 1919 das Schenotdel etabliert – eine Art Behörde, die sich der Revolutionierung der Geschlechterordnungen verschrieben hatte. Dessen Aufgabe war es, die Frauen aus ihrer angeblich historisch bedingten Rückständigkeit herauszuführen. Doch Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre begann die Regierung unter Stalin die sexuellen Freiheiten massiv einzuschränken und Homosexualität erneut unter Strafe zu stellen. Das Schenotdel wurde aufgelöst, die Frauenfrage für gelöst erklärt und entgegen der Ansätze der frühen zwanziger Jahre wurden spätestens mit der Familiengesetzgebung 1936, in der die Abtreibung verboten und der Ausbau der materiellen Hilfen für kinderreiche Familien beschlossen wurde, traditionelle Familienbilder propagiert. Damit kehrte schließlich auch die klassische Mutterrolle zurück und wurde zur dominanten Form weiblicher Identität.
Hat die KP die sexuelle Freiheit im Sinne individueller Freiheit als eine Bedrohung ihrer eigenen Macht- und Kontrollposition empfunden? Oder gab es anfangs eine gemeinsame Wahrnehmung der Unterdrückung, die die Beteiligung nahezu aller unterdrückten Schichten und Individuen an der Revolution ermöglichte und sich im Prozess der Etablierung der Macht wieder ausdifferenzierte? Oder waren die frühen, scheinbar fortschrittlichen Ideen, gar nicht mehr als die größtmögliche Mobilisierung aller benachteiligter Gesellschaftsschichten zur Eroberung der politischen Macht?
Welche Konzepte existierten, die Familie neu zu denken? Gab es zum Beispiel eine Vergesellschaftung der Hausarbeit und Kindererziehung, welche Frauenbilder wurden diskutiert? Wieso setzt sich das traditionelle Ideal wieder durch? Und wie ist der Kampf um die Emanzipation der Frau und die sexuelle Befreiung im Vergleich zu anderen, beispielsweise westlichen, Ländern zu betrachten?

Diskussionsveranstaltung mit Bini Adamczak
Mittwoch 17. November 2010 Conne Island 19:30 Uhr
Bini Adamczak ist Autorin zu Themen des Kommunismus und queerer Sexualität. Von ihr erschien u.a. beim Unrast Verlag »Gestern, Morgen – Über die Einsamkeit kommunistischer Gespenster und die Rekonstruktion der Zukunft« Das Ende des Kommunismus Zum Abschluss der Reihe widmet sich dieses Podium der Kritik am Stalinismus und ihrer Relevanz für radikal linke Positionen.
Bei der Analyse des Realsozialismus und des Stalinismus stößt man immer wieder auf Vergleiche mit dem Nationalsozialismus. Angesichts der Tatsache, dass beide Systeme ähnliche Elemente der Herrschaft enthalten, entwickeln sich oft totalitarismustheoretische Positionen, die eine Wesensverwandtschaft betonen. Unabhängig von der politisch antikommunistischen Instrumentalisierung, stellt sich trotzdem die Frage, ob der Vergleich nicht schon deshalb wenig aussagekräftig ist, weil bisher, in den meisten Totalitarismustheorien, ausschließlich staatliche Herrschaftsstrukturen unter die Lupe genommen wurden? Somit wurden wesentliche Merkmale, wie die ideologische Durchdringung, als Fundament der Herrschaft, oder der Grad der Identifikation der Einzelnen mit dem jeweiligen System außen vor gelassen? Dagegen interpretieren viele radikale Linke den Stalinismus zum Lektürefehler, zum gescheiterten Experiment und lehnen nahezu jede Relevanz für ihr eigenes Streben nach der freien Assoziation freier Individuen ab. Andere unterscheiden einfach zwischen Sozialismus und Kommunismus, oder gar zwischen zwei Typen derselben Idee, einzig unterschieden durch ihre Schreibweisen – mit »K« oder mit »C«. Dabei wird oftmals die Frage vernachlässigt, ob es überhaupt möglich ist, frei vom realen Sozialismus, an die Idee des Kommunismus anzuknüpfen. So oder so steht die radikale Linke von heute viele stärker im Schatten des Realsozialismus, als sie sich bewusst ist. So zeugt z.B. die positive Bezugnahme auf Symbole des Sowjetkommunismus, die bei antifaschistischen Aktionen immer wieder zu beobachten ist, von einer fehlenden Auseinandersetzung mit den konkreten historischen Verhältnissen.

Podiumsdiskussion mit Alex Demirovic, der Gruppe [pæris] und der Initiative gegen jeden Extremismusbegriff (INEX)
Dienstag 23. November 2010, Conne Island, Koburger Str. 3, 19:30
Alex Demirovic ist u.a. Redakteur der Zeitschrift Prokla. Von ihm und anderen erschien zuletzt beim Verlag Westfälisches Dampfboot »Das Subjekt – zwischen Krise und Emanzipation«. Die Gruppe [pæris] aus Berlin setzt sich mit den Einwänden gegen die positive Beschäftigung mit Kommunismus auseinander und versucht, diese zu widerlegen. Die INEX diskutiert seit längerer Zeit zu Realsozialismus, Stalinismus und Totalitarismustheorien.

Initiative gegen jeden Extremismusbegriff



[aus dem CEE IEH #180]

30.09.2010
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