Sonntag, 11.12.2022, Einlass: 18:00 Uhr
Zur neueren Pseudo-Linken. Vortrag und Diskussion mit Jörg Finkenberger
In den letzten Jahren hat sich auch in linken Kreisen eine Sorte Aktivismus breitgemacht, der zunehmend beginnt, die Aktivitäten auf der Linken zu beherrschen. Durchtränkt von selbstgerechter Moral und von scheinheiliger Empörung, oberflächlich in der Analyse, dabei aggressiv vorgetragen. Seine Rede klingt vage links; er redet viel von Unterdrückung, aber es scheint beim Zuhören, er rede eigentlich nur von sich selbst. In linken Kreisen hat man diese Erscheinung lange als eine Kette kleinerer, wenn auch nervtötender Einzelfälle verhandelt; als eine neue gesellschaftliche Mode, die kommt und wieder vergeht. Wir nennen es Pseudo-Linke, und alle wissen, wer und was gemeint ist; aber so eindeutig ist es am Ende gar nicht. Denn dieser neue Aktivismus kommt nicht von irgendwoher, und er ist auch keine Mode. Das nähere Hinsehen zeigt, dass er aus den sozialen Bewegungen im Westen der 2010er selbst kommt. Diese Bewegungen haben bekanntlich hoffnungsvoll begonnen, und sind dann steckengeblieben. Und die neue Sorte von Aktivisten hat damit einiges zu tun; eine Sorte, die ahnt, dass eine Veränderung ansteht, aber allen Grund hat, sich vor ihr zu fürchten; und die genau betrachtet alles tut, sie zu hintertreiben. Wir werden uns das im ersten Teil des Vortrags an ein paar historischen Beispielen genauer ansehen.
Das alles macht die Sache nicht besser. In der heutigen Linken ist alles möglich geworden. Unter dem Namen des Kampfes gegen die Unterdrückung können Dinge vertreten werden, die haargenau aussehen wie die Unterdrückung, gegen die angeblich gekämpft wird. Zum Schiedsrichter wirft sich das selbstzufriedene grünliberale Milieu auf. Die Linke scheint damit zufrieden, dafür die studentischen Stosstrupps zu stellen. Im zweiten Teil werden wir die Mechanik dieses Zustands an einem neueren Beispiel untersuchen, von Ende August 2022. Der Verein Sisters e.V., der gegen Armutsprositution arbeitet und Beratung und Ausstigeshilfen anbietet, hatte einen Informationsabend im "Nachbarschaftshaus" in Kreuzberg angekündigt. Auf eine Protestandrohung hin wurde der vom "Nachbarschaftshaus" sofort abgesagt. Die Protestandrohung kam von selbsterklärten Sex-Workern, nämlich einer "Sex Worker Action Group", die anscheinend der Interventionistischen Linken nahesteht; und unterstützt u.a. von der "Sex Worker Union Berlin", die Teil der FAU Berlin ist. Die Verantwortung für die Absage aber gehört eindeutig dem leitendem Personal des "Nachbarschaftshauses" und dem sozialen Apparat, zu dem es gehört: diese entscheidenletzten Endes, welche Stimmen gehört werden und welche nicht. An diesem Abend wären Frauen zu Wort gekommen, die Prostitution als rassistisches Ausbeutungssystem erlebt haben und beschreiben. Das zu verhindern war gerade das Ziel der Aktion. Es war nicht die letzte Aktion dieser Art, und wird nicht die letzte bleiben. Ist so etwas heute die Normalität auf der Linken? Warum spielt sich so etwas ab? Wir werden im Lauf des Vortrags versuchen, Antworten darauf zu finden.