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Alle Termine für den 25.02.2010

Café

Donnerstag, 25.02.2010, Einlass: 20:00 Uhr

Shoah - Teil 4

Ein Film von Claude Lanzmann

siehe auch: interventionen.conne-island.de/09.html
Shoah

‚Shoah‘, der Titel von Claude Lanzmanns neunstündiger Dokumentation, meint „Zerstörung“ oder „Vernichtung“ und ist die jüdische Bezeichnung für die systematische Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus. Lanzmann, 1925 in Frankreich geboren, Philosoph und Freund Sartres, hat für die Produktion dieses Filmes 11Jahre benötigt – 1974 bis 1985. Er hat dreieinhalb Jahre in 14 Ländern recherchiert, fünf Jahre lang gedreht; das Material von über 350 Std. wurde in vier Jahren geschnitten. Aufgrund dieser Zahlen könnte man davon ausgehen, Lanzmann habe akribisch Daten und Fakten aneinandergereiht, um so das volle Ausmaß der Vernichtung begreifbar machen zu wollen. Genau das zeigt ‚Shoah‘ nicht – mit Absicht.

Du sollst dir kein Bildnis machen. Dieser eigentlich religiösen Regel scheint Lanzmann gefolgt zu sein, weil er sich des Problems bewußt war, das die Schilderung und Vermittlung des Holocausts durch ästhetische Aneignung nach sich ziehen kann. Er selbst schrieb in einem Essay über die Fernsehserie „Holocaust“ von 1978: „Der Holocaust ist insofern beispiellos, als er einen Flammenkreis um sich herum errichtet, eine Schranke, die nicht überschritten werden kann, weil ein bestimmtes absolutes Entsetzen nicht vermittelt werden kann. Wer vorgibt, diese Linie zu überschreiten, macht sich eines schweren Vergehens schuldig.“ Sein Film überschreitet die Linie nicht, er bestimmt sie.

Die Dokumentation wirkt anfangs konfus. So als seien die Sequenzen aus Interviews, Landschaftsbildern und Darstellungen der Vernichtungslager beinahe zufällig aneinandergereiht.Aber eben diese scheinbare Konfusion ist es, die verhindert, eine Unmittelbarkeit darzustellen, wie es in Dokumentationen sonst üblich ist, sondern sie etabliert vielmehr eine fortwährende Reflektion, und entkommt so dem Problem, eine bloße Historisierung zu werden. Sie zwingt den Betrachter, sich mit dem Unvorstellbaren auseinanderzusetzen, ohne gleichzeitig in das fast zwangläufige Paradox zu geraten, es sich vorstellbar zu machen, welches allen medialen Rezeptionen der Shoah innewohnt. Sie will keine Vergangenheit rekonstruieren, um sie dadurch – gewollt oder nicht gewollt – fassbar zu machen. Viele, wenn nicht alle Dokumentationen und Filme, die das gleiche Thema behandeln, machen diesen Fehler, sie machen fassbar, was unfassbar ist, lassen das Unbegreifbare begreifen. Saul Friedländer nennt diese Art der historischen Wissensbildung über die Shoah: „die Fassungslosigkeit zu domestizieren [und so] wegzuerklären“. Was würde auch all‘ das Wissen darum bringen, die grauenhafte Erfahrung bliebe doch nur äußerlich.

Die Wahrheit von ‚Shoah‘ bleibt unbegriffen, notwendigerweise. Diese neun Stunden sorgen gerade nicht dafür, einem zu vermitteln, man könne das Thema, die industrielle Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden, nun abhaken – im Gegenteil, die Dokumantation arbeiten gegen diesen allgemeinen Trugschluß. Sie kämpft gegen die ständige Argumentation, man hätte die Vergangenheit aufgearbeitet und somit bewältigt, nun, da man sich so viel Wissen über sie angeeignet habe. In Bezug auf die reine Faktizität sagte der Historiker Raul Hilberg noch 2006, wir wüssten noch nicht einmal 20% über den Holocaust.Weil Lanzmann das schon 1974 ahnte, wollte er es bewusst unterbinden, beim Betrachter ein Gefühl der Wissensättigung auszulösen. „Ein Jahr lang las ich [...], was ich in den Archiven auftreiben konnte. [...] Und ich habe einen Begriff vom Ausmaß meiner Unkenntnis bekommen. [...] Sie wissen nichts, Sie kennen ein Ergebnis: Sie wissen, daß sechs Millionen Juden umgekommen sind, das ist alles.“ Lanzmann hat das Dilemma begriffen, daß reine Tatsachenaneinanderreihung nur der Verdinglichung des Bewußtseins über den Holocaust vorschub geleistet hätte, aber eine Dokumentation nicht ohne Tatsachen auskommt. Deshalb sind es auch nicht die im Film vermittelten Fakten, sondern ihre Art der Darstellung, die die Singularität des Holocausts verdeutlichen.

Andi



[aus dem CEE IEH #173]

14.11.2024
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