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das Erste, 0.9k

Manchmal frag ich mich,
bin ich oder ihr verrückt


singen Tocotronic. Geht’s anderen genau so? Vielleicht anlässlich der vergangenen machtvollen Friedensmanifestationen in der Leipziger Innenstadt? Wenn ja, dann sei euch zur Orientierung die alte antinationale Grundregel ans Herz gelegt: Wenn mehr als 1000 Deutsche für eine Sache demonstrieren, muss an der was faul sein. Die vergangenen Wochen boten Anschauungsmaterial ohne Ende.
So lassen zigtausende friedenswillige Leipzigerinnen und Leipziger die Tradition der Montagsdemos wieder aufleben. Tiefensee vorneweg, hinterdrein der Führer, Christian, der salbungsvolle Pfaffe mit der oberpeinlichen Jeansweste. Diesmal geht’s um Frieden, darum also, dass dem „irakischen Volk“ weiterhin das versagt bleiben soll, wofür man vor über einem Jahrzehnt auf die Straße ging – freie Wahlen nämlich. Beim Anblick der riesigen, sich den Ring hinunterwälzenden Masse kommt man ins Grübeln. Es ist so merkwürdig ruhig. Was fehlt denn hier? Nach einiger Überlegung wird klar: Es fehlen Marschmusik und Fackeln. Immerhin flattern Palästinafahnen fröhlich im Wind. Die Demonstranten freuen sich schon auf den gemütlichen Teil mit schlechter Musik vorm Reichsgericht.
Und wieder ist da die kleine Gruppe der zu Antideutschen pauschalisierten Nestbeschmutzer, die deutlich macht, dass nicht ganz Leipzig Saddam Hussein für den legitimen Ausdruck des irakischen Volkswillens und Ariel Sharon für einen Nazi hält. Diese Gruppe trägt wieder mal Flaggen mit Davidstern und mäkelt am Ruhebedürfnis der Zivilcouragierten herum. Die rufen in Richtung der Israelfahnen: „Wer Krieg will, ist ein Mörder“. Doch so friedliebend wie sie sich geben, sind sie nicht. Die Friedensfreunde wollen nicht reden, sondern prügeln. Und dann wird es schnell eng für die Kritiker der Friedensbewegung. Während die ersten Friedensaktivisten dazu ansetzen, handgreiflich zu werden, versteigt Tiefensee sich zu der Behauptung, dass auch für diese Demonstration wieder das Motto friedlichen Bürgerprotests gegolten hätte: „Keine Gewalt!“.
Dabei hatte es ganz anders angefangen: Thomas Ebermanns im „konkret“ veröffentlichter Vorschlag, die Friedensbewegung zu spalten (von Hermann L. Gremliza nahegelegt, von Robert Kurz unterstützt) wird vom Bündnis gegen Rechts (BgR) aufgegriffen. Ein klares Statement in Form eines Aufrufs zu einer explizit linken Friedensdemo ist das Ergebnis (nachzulesen bei www.left-action.de): Kritik an Antiamerikanismus und deutscher Friedenssehnsucht und natürlich eine eindeutige Antikriegsposition. Die einzig mögliche Variante, in diesen Zeiten korrekte Kritik am normalkapitalistischen Krieg-Frieden zu üben, sollte man meinen und doch war Engagement für den Frieden selten so anstrengend. Denn man lief da mit Leuten auf der Straße, deren militanten Friedenswillen es wenig schert, dass hier auch dem Antiamerikanismus eine Absage erteilt werden soll. Sie lassen sich kein schlechtes Gewissen in den Bauch reden, schon gar nicht von diesen Antideutschen – diesmal als BgR verkleidet und sowieso wie alle, die einen kritischen Gedanken wagen wahlweise von Mossad, CDU und amerikanischem Konsulat finanziert. (Zu den Details befragen sie am besten die Gruppe „Krisis“ – die macht daraus gerade ein Forschungsprojekt.)
Sie kennen nur noch einen Unterschied – Friedensfreund oder Kriegshetzer. In ihrem Weltbild sind BgR und Antirassistische Gruppe, die CDU, Thomas Ebermann, die „Bahamas“ und der „Gegenstandpunkt“ kriegshetzende Wahnsinnige, fünfte Kolonne des kulturlosen Cowboys aus Washington. In diese Reihe gehörte bis vor einiger Zeit auch noch Robert Kurz von der „Krisis“, der aber Selbstkritik geübt hat und nun zum Hardcore-Peacer mutiert ist. Leipziger Kulturbürgertum, Punks für Gerhard Schröder, der „wertkritische“ Witzbold Franz Schandl, die PDS und der „Bund gegen Anpassung“ hingegen stellen die Gegenpartei, die Seite der „Vernunft“.
Das ausgesprochen ehrenwerte Projekt des BgR (keine Ironie) ist auf der ganzen Linie gescheitert. Es ist zerschellt an den Projektionen der antiemanzipatorischen Massen, aus denen jetzt herausbricht, was sie schon immer dachten: Dass es gilt, sich für Kultur/Staat/Nation abzurackern und die schnöde amerikanische Geldmacherei zu bekämpfen, dass es gilt, die Völker bestimmen zu lassen, was gut für sie ist (was zählen da schon Individuen wie Frauen und Schwule, bevorzugte Opfer allen Volkskriegs), dass es gilt, sich ein gutes Gewissen zu verschaffen für ihre eurochauvinistische Möblierung einer verfallenden Welt.
Mit den Antideutschen ist es wie mit der DDR: Sie ist grundsätzlich abzulehnen und doch gibt es Positionen, die so ekelhaft sind, dass man sich einfach schützend vor das Arbeiter-und-Bauern-Paradies stellen muss.
Für ihren reflexhaften Macker-Bellizismus, ihre kurzschlüssige USA-Begeisterung, ihre schwer erträgliche Aufklärungshuberei (die ausgerechnet im Irak Feudalismus verortet!), ihre Ignoranz gegenüber der Krisenwirklichkeit (seit dem zweiten Weltkrieg scheint sich für sie die Erde nicht weitergedreht zu haben) und ihren festen Willen, die Kriegsrealität zugunsten der Analyse dessen, was die Leute so schwatzen, auszublenden – für all das sind Antideutsche hart zu kritisieren. Gegen diesen regressiven Haufen der Friedensbewegung aber müssen sie verteidigt werden. (Siehe dazu auch den Text der „aka“ in diesem Heft.)
Verrückte Zeiten: Auch diejenigen, die bisher im allgemeinen Dummschwatz aus „Bedingung der Möglichkeit kritischen Denkens“ (die angeblich durch US-Kampfbomber geschaffen würde) einerseits und „Bush = Hitler“ andererseits den Kopf noch halbwegs oben behielten, verblöden so langsam. Autoren der Gruppe „Krisis“ bspw. kopieren gerade die blumige Ausdrucksweise der ehemaligen irakischen Offiziellen. Diese redeten davon, dass die „Bäuche“ der Eindringlinge „für immer in der Hölle braten“ (Saddam Hussein), von einer „Botschaft der Erniedrigung“ für die amerikanischen Söldner, die nichts anderes seien als „Wüsten-Tiere“ (Informationsminister al Sahhaf). Norbert Trenkle meint bzgl. einer angeblich „’antideutschen’ Vergatterung“ der Linken, dass es „an der Zeit“ sei, „sich einmal kräftig zu schneuzen um endlich wieder freier atmen zu können“ (um also die antideutschen Bazillen wieder los zu werden?). Robert Kurz schwadroniert von „selbsternannten antideutschen Lynch- und Femegerichten“ und er „hört die versammelte Schafherde schon blöken auf das Kommando der [auf dem SPOG-Kongress – Mausebär] anwesenden und noch mehr der abwesenden bellizistischen Vordenker“. Einer allerdings scheint direkt aus dem Wörterbuch des Unmenschen abzuschreiben: „Die Antideutschen müssen in Quarantäne. Die Antideutschen sind keine Spielart der Linken, sondern deren radioaktiver Abfall, die deutsche Sonderform ihres Zerfalls. Ihre Organe sind unerträglicher Mist.“ Das sagt der „geschätzte jW-Autor“ Franz Schandl, Meister des nörgelig-penetranten Wortspiels und seit Jahren Hasser aller Deutschlandhasser, eben derjenige, der Antideutsche im antizionistischen Hetzblatt „junge Welt“ als „Bund deutscher Likud-Buben“ tituliert hat. Das Glashaus, in dem er sitzt, hat schon keine Wände mehr, doch er schmeisst einfach weiter mit Steinen.
Jetzt, da die Krisis-Autoren Indymedia als Plattform entdeckt haben, wollen sie offensichtlich Bewegungspolitiker werden: „Für die kritische Solidarität mit der Antikriegsbewegung und den Bewegungen gegen die kapitalistische Globalisierung hier und überall auf der Welt, für die neue transnationale Solidarität von unten...!“, schreibt Robert Kurz in flammender Aufruf-Diktion.
Ich hätte eine Bewegung für sie, eine, die nicht wenige Anzeichen des Agierens „gegen Markt und Staat“ aufweist – eine Bewegung, die Ministerien stürmt und die Zentralbank abfackelt, die aus Geldscheinen Konfetti macht und Botschaften ausräumt. Na, wie wär’s?! Mindestens doch wäre sie nicht zu verteufeln, es könnte in ihr Potenzial stecken, an dem anzusetzen wäre?! Schreibt die Gruppe „Krisis“ jetzt also einen Unterstützungstext für die irakischen Männer und Frauen, die all das getan haben? Erklärt sie sich mit ihnen „kritisch solidarisch“, auch wenn diesmal so ganz und gar kein Antiamerikanismus dabei war?
Zwar ist Antideutschen offensichtlich nichts mehr peinlich – siehe das jüngste „Bahamas“-Papier „Bush – the Man of Peace“. Doch das ist kein Trost dafür, dass es noch nie so peinlich wie heute war, zur wertkritischen Fraktion gerechnet zu werden. Doch „ich will nicht schlecht über euch reden“...

Mausebär

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last modified: 28.3.2007