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das Erste, 0.9k

Keine Chance für Satire


deutscher Friedensengel, 21.0k Die gegenwärtige Situation lässt einen an die Anekdote über einen Menschen denken, der die „junge Welt“ deshalb nicht liest, weil er befürchtet, sonst zum Antideutschen zu werden. Meine Haltung jedoch ist wertkritisch abgesichert, noch wird sie nicht mal von der Friedensbewegung erschüttert, auch wenn die sich derzeit gewaltig anstrengt – immer noch besteht für kritische Geister keine Veranlassung, einen Krieg gegen den Irak publizistisch und aktionistisch zu unterstützen. Manchmal aber fragt man sich schon, ob die Friedensdemonstranten nicht am Ende von den Amerikanern bezahlt sind? (Für indymedia-user: Das war Satire.) Denn Leuten gegenüber, die so Scheiße drauf sind wie deutsche Friedensengel, erscheinen die kalten Militärstrategen der USA in ihrem ganzen realkapitalistischen Zynismus in vergleichsweise mildem Licht. Doch der Reihe nach:
Die Antideutsch-Kommunistische Gruppe (AKG) hat zur Friedensdemo am 15.02. in Leipzig ein Flugblatt mit dem Titel „Völkerfreundschaft heißt Volksgemeinschaft“ verfasst. Darin analysiert sie in gewohnt rabiater Manier die deutsche Lage: „Wenn sie [die Friedensbewegung – MB] sich über die Straße und in das Feuilleton erbricht, stellt sich kommunistischer Kritik vor allem eine Aufgabe: dem deutschen Volksmob einen Maulkorb zu verpassen. Denn die Friedensbewegung reproduziert deutsche Ideologie in Reinform. Die Friedensbewegung ist so sehr von falschem Bewusstsein, dass sie ihre eigenen Lügen glaubt.“ Sonderlich vermittelnd, verständnisschaffend für die eigene Position, dem potenziellen Leser den Zwang des Nachdenkens aufnötigend ist das alles nicht. Aber eben auch nicht falsch. Die AKG könnte es bei einer nur allzu berechtigten Kritik der deutschen Friedenssehnsucht belassen, aber nein: „In Anbetracht des derzeitigen Weltlaufs, in dem solch barbarische Zustände herrschen, dass es notwendig wird, die Intervention im Irak mit wahrscheinlich Tausenden von Toten zu verteidigen, kommt uns Kommunisten das Kotzen.“ Besäße man eine Realanalyse auf der Höhe der Zeit, dann wüsste man, dass sich dieser Weltlauf bis zur Vernichtung des Planeten oder dem Anbruch der befreiten Gesellschaft nicht mehr ändern wird, dass jede Kritik, die auf dem Boden des warenproduzierenden Systems noch zwischen Schlimmstem und Schlimmem unterscheiden zu müssen glaubt, schwer utopisch ist. Auch wenn man im Herzen der glühendste Kommunist ist: Mit dieser Position ist man logisch gezwungen, jeden zukünftigen Weltordnungskrieg (R. Kurz) abzusegnen, wenn auch mit immer stärkeren Bauchschmerzen bis zum „Kotzen“. Kurz gesagt: Die Barbarei wird sich mit der Bombardierung Bagdads nicht aufhalten lassen. Vielmehr ist diese projektierte Bombardierung Teil der barbarischen Logik des krisenhaften warenproduzierenden Systems, das in der Agonie immer wilder um sich schlägt. Damit ist klar: Für Antideutsche, die sich der völkischen Barbarisierung entgegenstellen wollen, muss die notwendige ätzende Kritik an der Friedensbewegung, die deren Befangenheit in volksgemeinschaftlichem Denken und ihre mangelnde Distanz zum Antisemitismus vorführt, keineswegs von Affirmation der USA begleitet sein.
„Wir sind hier in Deutschland und wir demonstrieren friedlich.“ So blökt’s aus einem Megaphon in der schon erwähnten Leipziger Friedensdemo am 15.02. Nicht nur die PDS-Opas, auch die vereinzelten Punks freut’s, dass sie hier in Deutschland sind, wo alles so friedlich und bunt ist. PDS-Fahnen wehen im Wind, phantasievolle jüngere Menschen mit Cheer-leader-Puscheln tanzen weggetreten vor sich hin und singen was gegen die NATO. Man ist sich einig: Es geht gegen Amerika und für den Frieden und die Kinder im friedlichen Irak, der überhaupt niemanden angegriffen hat. Der übliche Friedenskitsch („Kein Blut für Öl!“ inkl. der obligatorischen Blutstropfen) ist präsent. Alles könnte eitel Sonnenschein sein, wenn es da nicht ein paar Störer gäbe, die das Wir-Gefühl auf höchst unangenehme Weise aufmischen. Die verteilen nämlich das o.g. Flugblatt; das hat viel Text und macht den moralisch Hochgerüsteten wenig Freude, am allerwenigsten natürlich die darin angemahnte „unbedingte Solidarität mit Israel“. Die mitgeführten Israelfahnen verursachen den bis dato so friedlich vor sich hinschlurfenden DemonstrantInnen nicht nur die hippie-üblichen „Bauchschmerzen“, sondern lassen ihnen das Weiße aus den Augen treten. Nun gehört zum Standardrepertoire des Antisemiten das permanente „Aufdecken“ von Hintermännern, Klüngelstrukturen, wirklichen (gegen angeblich nur vorgetäuschte) Interessen. Und so bringen denn friedliebende Deutsche trotz ihrer Empörung, quasi mit letzter Kraft noch die Analyse heraus: „Aha, von denen also seid ihr!“ Das Weltbild ist gerettet: Für den Palituchträger, der „Abschieben!“ brüllt, für den Israelhasser im Lodenmantel und auch für die ältere Dame, die ihrer Trauer über die paar „verhetzten“ Gegendemonstranten mit den Worten Ausdruck gibt: „Lasst Euch doch nicht so missbrauchen.“ Sie alle wissen ganz genau, wer hier wen steuert – doch vielleicht koordinieren sie sich bezüglich ihrer Informationen noch einmal: Denn, dass jemand sowohl vom Mossad, als auch vom amerikanischen Konsulat, der CDU und der CIA finanziert wird, werden wohl auch die Friedensfreunde der Zone nicht glauben. Oder mittlerweile doch?!
Sie sind aufmarschiert, als stellten sie die Staffage für das nächste „Bahamas“-Titelbild dar. Ihnen sind die Fronten klar: Die mit den Israelfahnen sind die von diversen Machthabern (CDU, Mossad usw.) gesteuerten Faschisten, während die Friedensdemonstranten die Sorge um die Menschen im Irak treibt. Dass diese Menschen seit Jahren unter der Knute eines massenmörderischen diktatorischen Regimes schmachten, ist den meisten von ihnen herzlich egal, dass die irakische Opposition für die Entwaffnung und Entmachtung Saddam Husseins, zur Not auch mit Waffengewalt eintritt, für sie kein Thema. Ihr „Frieden“ ist die Friedhofsruhe.
Alle verstehen sie die Welt nicht mehr. Wie können Linke, die sich auch noch Kommunisten nennen, was gegen Antiamerikanismus haben? Ich will es Leuten, die Lesen als Zumutung für ihr linkes Gefühl empfinden, nicht noch mal stellvertretend für die AKG erklären. Doch geteiltes Leid ist halbes Leid. Denn auch ich verstehe die Welt nicht mehr: Auf die „Nie wieder Deutschland!“-Rufe des kleinen Grüppchens zeigen die Punx aus der Riesenfriedensdemo den Finger. Kinderpunkern (mit oder ohne Mutti am Start) ist es ganz und gar nicht peinlich, dass sie mit denjenigen auf der Straße sind, die ihnen gegenüber Sätze meistens so beginnen: „Früher hätte man sowas...“! He ihr, wo lebt ihr eigentlich? In einem Hippieparadies? Ich dachte immer, Punkrock hieße, dagegen zu sein?! Noch mal: Ihr seid einer Meinung mit Gerhard Schröder und der ganzen SPD, Reinhard Mey, Purple Schulz, mit dem rasenden Talk-Pfaffen Jürgen Fliege, mit Konstantin Wecker, Frank Bsirske, der gesamten PDS und dem Papst. Ist das cool, ihr Wixer, ist das radikal?! Ist es wirklich Klasse, mit seinem Sozialkundelehrer auf derselben Demo zu sein?!
Einzig konsistent – wie man es von ihnen erwartet – zeigen sich die PDS-Opas: Sie zerreißen die Flugblätter und schaffen es nicht, sich den Schaum vom Mund zu wischen. Denn seinen Friedenswillen lässt sich der Bürgermob nicht madig machen, den verteidigt er – zur Not militant. Die erwähnten Opas, die nicht so aussehen, als wären sie zu DDR-Zeiten in irgendeiner Oppositionsbewegung gewesen und die heute vor lauter neugewonnenem Demokratieverständnis kaum laufen können, bringen es nicht über sich, ruhig zu bleiben und evtl. das Flugblatt zu lesen. Man könnte so leicht dazu gezwungen werden, darüber nachzudenken, ob nicht vielleicht gerade in diesem Augenblick im Irak Krieg herrscht, Krieg gegen alle, die aus Saddams Diktatur ausscheren wollen, die ihr persönliches Lebensglück höher schätzen, als Spielzeug eines Diktators zu sein. Das Gestammel der Betroffenen ist, wie gesehen, lediglich nach der Altersstruktur differenziert. Substanziell hat nahezu niemand etwas vorzubringen. Und so wird zum Inhalt der Friedensdemo, dass „wir uns von den anderen nicht provozieren lassen“. Da stehn sie dann vorm Konsulat noch einige Zeit herum, doch zu vermitteln wissen sie immer noch nichts. Keine Analysen, nicht mal antiamerikanische Empirie im Angesicht des Feindes. Nichts – bis auf die nochmalige Aufforderung, sich von „denen“ (die ja immerhin ein doppelseitiges Flugblatt vorgelegt haben) nicht provozieren zu lassen. Sie gucken betroffen umher und lassen Minute um Minute das Gefühl einwirken, dass sie allein im richtigen Boot sitzen. Sie sind hier, weil sie hier sind und mehr werden wollen, immer immer mehr, die dann auch wieder vorm Konsulat stehen und hoffen, dass sie mehr werden, die vorm Konsulat stehen und hoffen...
Was sonst noch passierte:
Roman und ich streiten sich um den Wert. Erfassbar oder nicht? Wo entsteht er? Dabei hat nach einer Meldung der FAZ (29.01.03) das International Accounting Standards Board (IASB) längst definiert, dass der „fair value“ derjenige Betrag ist, „zu dem zwischen fachkundigen vertragswilligen und voneinander unabhängigen Geschäftspartnern ein Vermögenswert getauscht oder eine Verpflichtung erfüllt werden könnte“. Meist stimme der „fair value“ mit Markt- oder Börsenwerten überein, wenn es die aber nicht gibt, müsse „als Ersatz ein geeignetes Wertermittlungsverfahren verwendet werden“. Die Aussage lautet also: Ein Wert stimmt mit anderen Werten manchmal überein, wenn nicht, braucht’s ein Verfahren zur Ermittlung. Au ja, bitte auch für Roman und mich und die ganze verfeindete wertkritische Bande. Das würde uns das Leben sehr viel einfacher machen!
In Leipzig kommt das Fremdwort-Bashing schwer in Mode. Vornehmlich StudentInnen und Akademiker (nicht nur, aber auch aus dem PDS-Umfeld) behaupten, ihnen seien bestimmte Texte im CEE IEH, aber auch in incipito zu schwer. Immer müssten sie bestimmte Begriffe, wie „Bellizismus“ nachschlagen. Sie lügen, dass sich die Balken biegen. Was hier so menschenfreundlich volksnah daherkommt, ist elendes paternalistisches ZK-Denken – sie alle wissen ganz genau, was die „anderen“ lesen wollen. Sie alle sind durchdrungen von der alten Eingebildetheit der „Höhergebildeten“: Die Massen seien halt nicht so weit, man dürfe sie nicht überfordern, müsse an ihren Problemen in ihrer Sprache anknüpfen. Von jedem Asselpunker, aber auch von jedem Vertreter der rauhen Arbeiterklasse höre ich mir den Vorwurf der Dummschwätzerei an. Aber nicht von euch, ihr heuchlerischen Dummschwätzer!
Zurück zur Friedensbewegung. Diese Zeiten torpedieren jede Satire. Man denkt sich etwas komplett Trashiges aus, von dem man annimmt, dass es niemals Position eines denkenden Menschen werden könne und genau das wird Konsens der nächsten Friedensdemo. Man braucht die Blut-Schweiss-und-Tränen-Diktion der AKG, dieses mackrige, auftrumpfende Gerede vom Hinlangen und Hände-schmutzig-machen-müssen nicht Klasse zu finden. Doch friedliebende Deutsche, seien sie nun ältere Parteikader, manisch tanzende Studenten oder palituchtragende Gymnasiastenpunks, machen einem die notwendige Polemik gegen die AKG verdammt schwer.
So lässt sich sehr frei nach Jürgen Elsässer sagen: Wer angesichts des Amoklaufes der deutschen Friedensbewegung nicht ein paar antideutsche Reflexe verspürt, ist offensichtlich hirntot.

Mausebär

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last modified: 28.3.2007