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Tomorrow-Café, 1.5k

Warum Natur?


Das unabhängig vom Menschen Gewordene, das, was ohne den Menschen erklärt werden kann und somit das Eigentliche, das Wesentliche der Sachen, das ist Natur. So lehrt es das Lexikon, die Philosophie und der gesunde Menschenverstand. Aber wo finden wir die Natur? In den Fichtenplantagen, die der „Deutsche Wald“ heißen? Wenn die Mutti hinterm Herd steht und sich ganz natürlich um die Aufzucht der Jungen kümmert? Oder hat sich die Natur „auf einzelnen australischen Koralleninseln neueren Ursprungs“ zurückgezogen, wo Marx sie vermutete? Sie wird zu suchen sein, wenn sich auf sie bezogen werden soll.
Mag aber sein, es ist leichter, sich vor dieser wilden Jagd auf die Natur zu fragen, was das Verhältnis ist, in dem die Natur überhaupt betrachtet wird. Es ist ein Verhältnis der Menschen zueinander, das hierbei meist im Zentrum steht. Das letzte Argument, warum die Dinge so falsch sein müssen, wie sie sind, ist immer die Natur. Sie weisst den Rassen und Geschlechtern ihren Platz in der Gesellschaft an. Sie verdammt die Nutzlosigkeit der sexuellen Perversionen. Sie bestimmt, dass die Arbeit unentbehrlich ist und dass die Menschen Zwang brauchen, um zu überleben. Gäbe es die Natur nicht, sie hätte erfunden werden müssen, um Kapitalismus und bürgerliche Gesellschaft auf feste Fundamente zu stellen.
Wer nicht gerade sein Lieblingsvorurteil bestätigen muss, wer seinen Appetit nicht unter die Fuchtel von Hunger und Durst, das eigene Begehren nicht unter das Diktat der Fortpflanzung der Menschheit zu stellen braucht, um ihnen ohne Schuldgefühlen nachzugehen, wird sich mit wenig Lust auf die Lauer legen, um doch noch ein Stück Natur zu erhaschen, an dem sich die gesamte gesellschaftliche Wirklichkeit als Notwendigkeit (gleich ob vergangene, gegenwärtige oder zukünftige) anknüpfen ließe. Wer keine Welt zu verteidigen hat, die sich anders nicht verteidigen lässt, kann sich noch einmal fragen, wie der Mensch aus der Natur herausgeworfen werden konnte, so dass sie ihm jetzt als Gegenüber Vorschriften zu machen vermag. Was ist das für ein merkwürdiges Verhältnis zwischen Mensch und Natur?
Es fällt auf, dass das Verhältnis zwischen Mensch und Natur keines wie zwischen zwei unabhängigen Gegenständen sein kann. Da in der Definition der Natur der Mensch als etwas Ausgeschlossenes enthalten ist, lässt sich die Natur nicht ohne den Menschen verstehen. Wer wissen will, was die Natur ist, muss den Einfluß des Menschen in der Welt erkennen können, um zu sehen, was übrig bleibt. Genau wie das Verständnis des menschlichen Einflusses daran gemessen wird, was ihm zu entgehen vermag, also Natur ist. Es ist daran zu sehen, dass nicht zufällig die interessanten Fälle der Naturbestimmung nicht darin liegen, von einigen kürzlich entstandenen Koralleninseln in unbeobachteten Gewässern zu phantasieren. Interessant wird die Frage nach der Natur immer erst dann, wenn sie sich ins menschliche Handeln mengt.
Hier beginnt das Verhältnis zwischen Mensch und Natur wirksam zu werden, und hier ist es auch am wenigsten festzuhalten. Denn immer wenn die Bestimmung der Natur voranschreiten soll, wenn nach ihr geforscht und das Verhältnis zu ihr erprobt wird, beginnen sich die Sachverhalte zu verschieben. Was eben noch Natur war, fällt schon der menschlichen Tätigkeit anheim. Wohin auch geblickt wird, da kann sich die Natur nicht lange halten. Es sei denn, an ihr besteht gar kein Interesse. Sie soll verborgen bleiben als Grund für etwas, in dem nicht weiter herumzustochern ist. Doch dann ist Natur wieder ein Konstrukt, das Herrschaft trägt und der Gesellschaftskritik preis gegeben werden sollte. Warum Natur? Es scheint keinen plausiblen Grund zu geben. Falls doch, soll er am 10. Januar im Tomorrow-Theorie-Café gefunden werden. Falls nicht, wird ab dem 11. Januar der Naturbegriff als Abkürzung für eine Fahrt ins Grüne und mießer Teil des Herrschenden gebrandmarkt sein.

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last modified: 28.3.2007