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Tragödie im Weltmaßstab


Nur wer das Verhältnis von Krise des Kapitals und barbarischer Krisenlösung erfaßt, kann ermessen, wogegen die USA im Falle des Irak vorgehen.
Von Sören Pünjer


Als am 11. September dieses Jahres rund zweihundert islamische Nazis in einer Londoner Moschee „die positiven Folgen des 11. September 2001“ feierten und damit meinten, daß die Welt von ihnen als Gotteskrieger nach dem Massaker in den USA „endlich Notiz“ nähme, versammelten sich vor dem Gotteshaus rund 50 Faschisten der „British National Party“ (BNP), um unter dem Schwenken britischer Flaggen gegen die Islamisten zu demonstrieren und ihre sofortige Ausweisung aus England zu fordern. Auch die Anti Nazi League war mit 30 Aktivisten vor Ort, um gegen die „Präsenz von Faschisten und Rassisten“ zu demonstrieren. Allerdings meinten die damit nicht etwa die Islamisten in der Moschee, sondern ausschließlich die BNP-Faschos vor der Tür. Abgesehen von der Tatsache, daß man es in Deutschland wohl niemals erleben wird, daß Nazis ernstlich gegen Islamisten protestieren und sich so beiläufig der Unterschied zwischen britischen Faschisten und deutschen Nazis verdeutlicht, läßt sich folgendes festhalten: Was sich da im Kleinen in London als Farce abspielte, stellt sich im Weltmaßstab als linke Tragödie dar. Ohne Sinn und Verstand drischt man auf die USA ein und hält dem Baathregime den Rücken frei. Damit ist man gemäß seines Weltbildes der Strategie Saddam Husseins auf den Leim gegangen. Der hat es nämlich mit Hilfe zahlreicher Antiimp-Trupps geschafft, der Welt weiß zu machen, daß er „ein Menschenrecht darauf hat, der Diktator des Irak zu bleiben und die USA überhaupt keines, ihn abzuschaffen.“ (ISF-Freiburg) Ursache und Wirkung sind längst verkehrt. Nicht das Baath-Regime wird als Destabilisator der Region wahrgenommen, sondern die USA.
Wenn überhaupt, dann reden gerade diejenigen, die ihren Antifaschismus ansonsten nicht weit genug vor sich hertragen können, nur mit Widerwillen über den Charakter des Hussein-Regimes. Dieser Widerwille rührt von der verinnerlichten Antiimp-Dichotomie her, die Welt in Unterdrücker und Unterdrückte, in Imperialisten und Antiimperialisten einzuteilen. Das Regime von Saddam Hussein ist ein einziges antisemitisches Komprimat des pathischen Wahns. Es hält sich nur durch die Projektion des eigenen Versagens auf „den Zionismus und US-Imperialismus“ am Leben. Damit nötigt man nicht nur die Menschen im Irak zum Durchhalten, sondern mutet ihnen auch noch aus Gründen des eigenen Machterhalts schwerste Entbehrungen zu. Ein Mann wie Saddam Hussein toppt damit den durchschnittlichen Gesamtwahnsinn der arabischen Führer um Längen. Gerade deshalb aber steht der Irak dafür, wie weit man seine eigene Durchgeknalltheit treiben und gegen den Westen im allgemeinen sowie Israel im besonderen in Stellung bringen kann.
Warum man ernsthaft bestreitet, daß Saddam Hussein auf Gedeih und Verderb die Atombombe will, um damit seiner Wahnvorstellung der Auserwähltheit als panarabischer Führer Ausdruck zu verleihen, will mir nicht einleuchten. Zweimal war er bisher dicht dran: 1981 und 1991. Was es für Folgen hätte, wenn dieses Regime im Besitz dieser Waffe wäre, ist nicht auszudenken. Weil es bezüglich Israels einer Katastrophe gleich käme, wäre sie dies zugleich im Weltmaßstab. Allein eingedenk solch schauerlicher Perspektiven muß das Baath-Regime weg.
In der Jungle World Nr. 45 betont Gerhard Hanloser, daß man zum Schutze Israels gegen einen Irak-Krieg sein müsse, weil die Gefahr für Israel „gerade mit einem Militärschlag der USA“ steige. Ein beliebtes Argument. Nur ist es leider Ergebnis eines Realitätsverlustes, der einzig und allein daher rührt, daß man weder gerne über die Zustände im Irak redet noch über die instabilen Zustände in der Region. Insofern geht die Rede einer „Destabilisierung der Region“ durch einen Militärschlag gegen den Irak fehl. Denn es kann gar nicht um die Destabilisierung einer Region gehen, die gerade wegen ihrer Instabilität am Scheidepunkt steht.
Die Rede von der Destabilisierung ist eine typisch deutsche: Weil aus einem schlimmen Zustand einem Naturgesetz gleich nur die Hinwendung zum völkischen Stammesbewußtsein und zum Tribalismus folgen könne, müsse man sich in sein Schicksal fügen und den Status Quo aufrechterhalten. Eine solche Haltung ist nichts anderes als kolportierte Lüge vom Ende der Geschichte.
Die Alternative zum Sturz von Saddam Hussein ist auf kurz oder lang die völlige internationale Rehabilitierung des irakischen Regimes. Was man in Deutschland gar nicht gerne hört: Nicht die USA haben die Embargo-Katastrophe herbeigeführt, sondern die UNO mit ihren Resolutionen. Der Fehler der USA liegt darin, sich 1991 daran gehalten und Saddam Hussein nicht entmachtet zu haben. Die Hauptverantwortung dafür, daß die Embargopolitik für die irakische Bevölkerung zur Katastrophe wurde, trägt somit die UNO und die weltweite Friedensbewegung, die die Sanktionen als Alternative zum Krieg einforderte. Tatsächlich gibt es nur zwei Möglichkeiten, die katastrophalen materiellen Bedingungen für die irakische Bevölkerung zu verbessern: der Friedensschluß mit dem Irak oder die Entmachtung des Baath-Regimes durch militärische Intervention.
Angesichts des Fehlers von 1991 tun die USA gut daran, auf eine militärische Lösung zu drängen. Daß sie dies nach dem 11. September verstärkt machen, liegt weniger an der unklaren Verbindung des Irak zu den Islamisten, sondern an der symbolischen Bedeutung des Irak als Trutzburg gegen den „Zionismus und US-Imperialismus“. Das bedachte US-amerikanische Vorgehen in Afghanistan, die intensiven Kontakte zur irakischen Opposition und das genaue Abwägen von Für und Wider eines militärischen Vorgehens sind Anzeichen, die dafür sprechen, daß die USA im Irak nicht auf die völkische deutsche Karte setzen wie im Falle des Nato-Bombardements gegen Jugoslawien, sondern auf ihr Konzept des „Nation-Building“ nach dem antivölkischen Territorialprinzip. Allerdings steht diese Frage gar nicht an erster Stelle: das Vorgehen der USA bestimmt sich nicht an sich selbst, sondern daran, wogegen vorgegangen wird. Es gilt zu konstatieren, daß nach dem 11. September die USA nicht angetreten sind, eine multilaterale „Neue Weltordnung“ zu errichten, sondern eine neue Weltunordnung zu verhindern. Eine Weltunordnung, die sich aus der noch nie dagewesenen globalen Krise des Kapitals ergibt und die den „Ruf nach einer Entwestlichung der Welt“ (Bassam Tibi) immer lauter und brutaler ertönen läßt.
Es ist das Problem aller Revolutionstheo-rien nach Marx, daß sie keine konsequent negativen Theorien sind, in denen ein zentraler Platz für die folgende Feststellung Walter Benjamins ist: „Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotive der Weltgeschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse.“ Diesen Sätzen kommt in der jetzigen Weltsituation die Bedeutung eines kategorischen Imperativs zu. Denn sie verweisen darauf, daß man konsequent von der dem Kapital entspringenden Krisenlösung aus denken muß. Tatsächlich hat niemand eine endgültige Antwort auf die Frage, wohin die Reise im Falle einer Irak-Intervention geht. Nur ist das kein Einwand dagegen, die barbarischen Tendenzen, die aus der Krise des Kapitals entspringen, bekämpfen zu müssen. So ist mit Nachdruck der Zusammenhang von globaler Krise des Kapitals und Krisenlösung zu betonen: Die Krise maßloser Verwertung erzeugt das Bedürfnis nach maßloser Vernichtung. Daß die USA im Falle des Irak im bürgerlichem Sinne erstens rational und zweitens nicht völkisch handeln, ist der Maßstab dafür, ob man ihr Vorgehen gegen den irrationalen Wahn begrüßen kann oder nicht.
Es ist weder Hypostasierung der Vernunft noch teleologische Geschichtsmetaphysik, wenn man gegen die negative Aufhebung des neuzeitlichen Subjekt-Objekt-Denkens – und damit von individuellem Selbstbewußtsein und individueller Selbstreflexion – kämpft, die der Islamismus verkörpert. Denn Aufklärung im besten bürgerlichen Sinne ist die Möglichkeit, durch Selbstzweifel gegen seine eigene Existenzweise und Identität denken zu können. Daraus folgt logisch nicht automatisch das Richtige. Im Sinne der Religionskritik von Marx aber, daß Bedingungen für Kritik der Religion die Voraussetzung aller Kritik ist, läßt sich ergänzend festhalten: die Voraussetzung aller Kritik ist der Kampf gegen die Verdrängung individueller Todesangst. Die sich ausbreitende kollektive Todessehnsucht in der Gestalt des Islamismus ist nichts anderes als der Wiedergänger des deutschen nationalsozialistischen Weges in globaler internationalistischer Dimension. Wir haben es dabei mit einer sich immer stärker universalisierenden Ideologie zu tun, die sich nicht mehr an den „eigenen“ nationalen Machthabern abarbeitet, sondern an Israel und den USA als Personifikation der „bösen“ Globalisierung. In diesem Sinne ist auch zu beobachten, wie sich das Völker- und Menschenrechtsarsenal als völkische Waffensammlung gegen die USA und Israel harmonisiert, auf das man deshalb in seiner institutionalisierten Form keinen Pfifferling geben sollte.

Vorstehender Text ist ein Auftragstext für die Discoseite der Wochenzeitung Jungle World. Trotzdem wurde er ohne weitere Kommentierung oder Erläuterung seitens der Jungle World-Redaktion abgelehnt.


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last modified: 28.3.2007