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Neue deutsche Welle


Nur anfänglich wurde sie einmal genannt, die mögliche Ursache der „Jahrhundertflut“. Als sie „von Tschechien herüberkam“, wie ein weinerlicher Radiokommentator wußte, war es bereits zu spät. Wie einst die Soldaten der Roten Armee, Hitlers bewaffnete, sich immer noch nicht ergebende Horden vor sich hertreibend, über das Erzgebirge und entlang der Elbe vorwärtstürmend, während alliierte Bomber den militärstrategischen Knotenpunkt Dresden plattmachten, kann nur noch eine „Naturkatastrophe“ die Deutschen erschüttern, und das immer gemeinsam.
Oder wird hier gar die Naturkatastrophe – weltweit gesehen eher ein Naturereignis minderer Dimension – einer gesellschaftlichen Situation gleichgesetzt? Oder noch einmal gekehrt – die verfluchte Fähigkeit deutschen Denkens alles stimmig zu verkehren – wird die mörderische Folge des Wirkens der Nazideutschen hier gar zum Naturereignis relativiert? Jeden Falles Momente der Ausprägung deutschen Bewusstseins, der deutschen solidarischen Kollektivität? Wenn das passiert, oh Karl-Heinz, Karl-Heinz ... wenn Deutsche leiden, müssen alle mit ihnen leiden, und nicht für sich.
„Deutsche zuerst ...“ – vorstellbarer Impetus bei der Verteilung der „Solidaritätsspenden“ für demolierte Jugendklubs – während „fremde“ Menschen, die schon vor dem Hochwasser in Massenunterkünften mit beschränkten, fast gar keinen kulturellen Möglichkeiten, nun wohl auch diese entbehren müssen. Und wenn diese Menschen in die Kämpfe zur Verteilung der Spenden geraten, vom deutschen Kollektiv zum Beispiel „existentielle Mittel für den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur in den Hochwassergebieten“ gar ebenso für sich beanspruchen?
„Auch noch Ansprüche stellen ...? Wo gibt’s denn so was?“ Solche Frage jedenfalls nur in Deutschland, möchte man entgegenhalten. Und nachdem sich die deutsche Linke allerhöchstens und nur zeitweilig schadenfroh, besinnungslos des Umstandes, wer im Besonderen betroffen sei, sofort wieder dem Politisieren um die Wahlen zugewandt, bleibt es nun am Adressaten Karl-Heinz sich zu verhalten. Den Blick doch wieder auf deutsche Zustände zu focussieren. „Vier Millionen von der Flutkatastrophe betroffene Deutsche“ – wenigstens sollte man bedenken, an der Labe (für Deutsche: Elbe) wohnen nicht nur Deutsche – ob Wahlvolk für die politisch repräsentative Charaktermaske des Kapitals, die unter dem Etikett Kanzler firmiert, oder seinen erklärten Gegenpart; als Kollektiv von Betroffenen sind sie potentiell gefährlich.
Wie das funktioniert? Ganz einfach!
Man nehme den Sprachgebrauch. Aus der Flutkatastrophe wurde zunächst das „Jahrhunderthochwasser“. Das war noch nachvollziehbar, hatte es mit der Meteorologie und ihrer dokumentierten Wetterbeobachtung eine Grundlage. Als jedoch für die Region, in der die Überschwemmungen geschahen, in den letzten zweihundert Jahren nichts gleiches belegbar erschien, wurde aus dem Jahrhundert- das „Jahrtausendhochwasser“. Mit der Tausend habens die Deutschen nämlich seit 1933 kollektiv. Der durch soziale Ausgrenzung zum Verbleib in Dresden gezwungene Victor Klemperer, hätte seinen Verdacht an der „LTI“, der „Sprache des dritten Reiches“, bestätigt.
Dresden, die einstige Residenz des Nazigauleiters für Sachsen, dem Mutzschmann, war, durch solche nazitypische Übertreibung im Sprachgebrauch schon mit dem einmaligen Schicksal belegt, als einem Reporter des MDR sogar einfiel, einen Vergleich mit dem Resultat von etwas anderem zu ziehen, welches tausend Jahre währen sollte, als gleichermaßen den Dresdener Opferstatus belegendes. Im politischen, im medialen, im alltäglich deutschen Sprechen, wird alles beliebig relativierend eingesetzt, was eigene Betroffenheit belegen könnte.
Wie funktioniert das auch noch? Ebenso einfach!
„Weißt du, was ich eigentlich unverschämt finde, daß Bush nicht einmal seine Solidarität mit den Flutopfern geäußert hat! Schließlich hat er doch nach dem 11. September aus aller Welt Solidarität erhalten!“, sprach da wer.
Also an der gemeinsamen Kritik der mangelnden Solidarität konstituiert sich jetzt das deutsche Kollektiv? Weil die Deutschen wissen was Solidarität ist!
Nicht erst seit Heidegger hat für sie ja alles einen einenden Sinn zu haben, den natürlich, also von der Natur ihres Bauches her, die deutsche Empfindung bestimmet, ihn definieret, weil sie die Definitionsrechte, momentan aber leider nicht die Macht haben. Doch wie kommt Bush zur Überschwemmung in Deutschland, welche ausgedachten Phänomene sind da kognitiv angelegt?
Mein Assoziationsvermögen versagt da. Das sind Meisterleistungen deutscher Abstraktionswut, in Begriffen wie „Solidarität“, „Katastrophe“, „Opfer“, „Betroffene“ und ähnlichem, nur zum kritisch-kritizistischem, freischwebendem Gebrauch verwandten, festgelegt.
Oh, da war noch das „Klima“! Jetzt ist Bush wirklich schuld! Ganz wirklich!
Das deutsche Projekt Ökologie – soll da am deutschen (Umwelt-)Wesen gar wieder die Welt genesen – mit seinem Gipfel in Kyoto, die Weltrettungstat an sich, an der eigenen Seele, der Balsam für die besinnungslosen Neo-Deutschen (resistent allen Fakten, außer sie hätten sie sich selbst erlogen und ressentimentgeladen wie anno dunnemal); von Bush imperial sabotiert, mangels Unterschrift.
Lieber George W., hättest du nur unterschrieben, uns wäre einiges erspart geblieben. Gott hätte seine Tränen getrocknet und lieber später „Frau Holle“ mit romantischem Bettenausschütteln über „Arzgebirch wie biste schiie“ beauftragt, was bei entsprechender, sprich klimaregulierter Verteilung, deutschlich-weihnachtliche Harmonie erbracht hätte. George W., du hast uns unsre „weiße Weihnacht“ geklaut.
Und wer bekommt denn nun am 22. September die vier Millionen Stimmen der „Opfer der Flutkatastrophe“ als Blancovollmacht für vier weitere Jahre Deutschland? Die Politischen unterscheiden sich in der Anbiederung an die Deutschen genausowenig, wie im Vergessen der im Besonderen Betroffenen.
Ganz nebenher, ganz unbemerkt so scheints, durchaus aber kollektiv bewußt, wird aus dem deutschen Großmaul, wieder ein großdeutsches Maul, das als Schröder oder sonstwer (warum wohl fallen mir hier Brutus und Talleyrand ein die Mörder und Verräter an Cäsar und Napoleon), geschminkt, als Kanzler dem absoluten Imperator Bush nicht länger dienen mag. Ein Kleingeist, dessen Imagepflege in der permanenten Anrufung seines toten Weltkriegsvaters, seiner Trümmermutter, seines Abiturs auf dem zweiten Bildungsweg, seines „trotzdem“ absolvierten Jurastudiums besteht; und all dies als wahrgenommene Chance Bundeskanzler und „zufrieden mit den Ergebnissen der letzten vier Jahre“ zu sein.
Kein Devotismus vor dem Despotismus mehr. Schließlich haben wir erfolgreich siebenundfünfzig Jahre Demokratie gespielt nach „fremder“ Regie und Drehbuch. Ob Wahlkampf oder nicht, die Neo-Rhetorik ist die Neue Deutsche Welle. Nach einstmals barbarischer Entäußerung, sozusagen als Insider, wissen die Deutschen natürlich (schon wieder natürlich?) genau, wann ein Baath-Sozialist zum antisemitischen Diktator wird und wie er gegebenenfalls ruhig zu stellen sei. Und aus dem Schröderschen Achtungszeigefinger, dem zurückgebildeten preußischen Rohrstock wird ganz schnell jener, der verweist, der hindeutet, im deutschen Denken der, der identifiziert, die eigentlich Schuldigen am Weltunglück.
Und wenn auf die USA gezeigt wird, ist Israel im Meer der Solidarität mit allen humanitär, wahlweise auch von Unterdrückung und Leid Betroffenen vergessen.
Es ist nur noch zum Kotzen, aber selbst das relativieren sozialpädagogische Hobbypsychologen noch als krankhafte Kotzsucht. Aber warum selber Kotzen?
Gilt es nicht eher „die Menschen gegen sich selbst zu mobilisieren. Oder besser gegen ihre Form des bürgerlichen Subjektes aufzuwiegeln, in die sie historisch und individuell gepreßt wurden. (...) Menschen dazu bringen, dass es sie ankotzt und anwidert, Staatsbürger, Deutsche, Männer, Frauen, Homos oder Heteros, Käufer oder Verkäufer, Arbeitende oder Unternehmer zu sein.“ (Danke Martin D.!), einfach nicht mehr mitzumachen?

Shalom Andreas

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last modified: 28.3.2007