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das Erste, 0.9k

Schneckchen, Zecken, Technoschwuchteln


Geschmacksprobleme allerorten. Beispiele der laufenden Verwirrung:

Mobaction-Shirt, 21.7k
Punky-Schneckchen und kerlige Jungs?
Intelligente Menschen, süße Jungs stehen vor mir und fickrigen Auges agitieren sie im Dienste dessen, was sie für Emanzipation halten: Sie stampfen trotzig mit dem Fuß auf und wollen: auch im Kommunismus Auto fahren, McDonalds-Fraß schlingen, Fred Perry anziehen.
Alle, alle, die das adornitische Bilderverbot geradezu gepachtet haben, sind eins-zwei-fix zur Stelle, wenn es gilt, die negative Utopie auszumalen: Im Kommunismus wollen wir auf Markenklamotten, schnelle Autos und Fitnessstudios nicht verzichten – ansonsten: „Ohne uns!“
Wozu der ganze Scheiß? Wäre es nicht fetziger, irgendwie schön von A nach B zu kommen, statt dafür 1000 Kilo Metall bewegen zu müssen? Wäre es nicht emanzipatorisch, sich ums Essen ein paar Gedanken mehr zu machen (Verfeinerung! Vorgeschmack auf die Einlösung des bürgerlichen Glücksversprechens!)? Sollte man sich nicht genau darüber und zwar genau jetzt Gedanken machen? Sieht nicht so aus. Denn: Erst wenn ihr den letzten Horkheimer-Aphorismus auswendig könnt, die letzte Bemerkung Adornos über das Nicht-Identische begriffen habt und das letzte Detail aus dem Leben Walter Benjamins wisst, werdet ihr merken, dass man Kritische Theorie nicht essen kann.
Apropos essen: Kilo um Kilo schaufelt man Fleisch in sich hinein und bezeugt seinen Ekel vor jedem Salat – Fleischfressen als Aufgabe im Kampf gegen die Scheiss-Zecken; statt Fleisch zu essen, weil es lecker ist, wird es NUR gegessen, weil man es angeblich bei den Szenis nicht darf. Strukturell (und nur so gemeint) etwas sehr Deutsches. Diese Tabubrecher-Attitüde („Aber man kann doch nicht...“, „Da könnte man ja gleich...“, „Man wird doch wohl noch...“) kannte man bislang vor allem von Möllemann und Walser, kleinen Spatzen, die längst die Mehrheit sind und sich verfolgt fühlen von denen, die längst Minderheit sind.
Und schließlich gibt’s da diese Sweat-Shirts mit dem Stern-Aufdruck einer unsäglich peinlichen new-economy-Klamottenbude, die nach eigenem Bekunden (= früher auf deren Webseite zu lesen) allen die Möglichkeit geben will, schick auszusehen und nicht auf Opas alte Lumpen zurückgreifen zu müssen. Zuerst denkt man ja an eine Parodie von ausgeflippten Kulturwixern, irgendwelchen schwer kritischen Studenten, die beim Bier einen lustigen Einfall hatten und sich fragten, welchen Unsinn das, was als linke Szene bekannt ist, noch so bereit ist, mitzumachen. Woche für Woche wird klarer: Das ist nicht „Versteckte Kamera“ auf links, das ist alles so gemeint, wie herausposaunt. Schlimm: Man kennt nur nette Leute, die diesen Dreck mitmachen und lässt sich verleiten, sich diese Webseite genauer anzusehen. Punky-Schneckchen und kerlige Jungs (im richtigen Leben mögen auch sie nette Menschen sein) schauen markenorientiert in die Kamera (die Kerle furchterregend und ziemlich lecker, die Schneckchen unschuldig-süß und ein wenig beschränkt – mit einer Ausnahme). Man begreift es nicht und schiebt’s auf sein Alter. Vermutlich ist es bald soweit, dass man Nazis an ihrem zerlumpten Aussehen erkennen wird.
Gießerstraße – Dreck, Hunde, Keime, Veganerzwang, Ökofaschismus. Man hat’s ganz gemütlich mit diesem Bild im Kopf. Der Verdacht, dass das Publikum dort nicht den ganzen Adorno im Kopf hat, ist begründet und macht es sympathisch. (Weniger sympathisch ist die Pali-Tuch-Deko.) Überhaupt keine Probleme (weder mit Deko, noch mit Lektüre) haben da die Discomäuschen in der Technonacht. Selbst, dass es in Plagwitz nicht ganz so sauber ist, wie in ihrer Dorfdisse oder in Leipzigs Schwulenlokalen, die sie bevölkern, ist ihnen wurscht – wenn sie nur unter Leuten sein können, die dieselbe scheiss Musik hören und ähnlich panne aussehen wie sie (Wie? Na so, wie in jedem ostzonalen Schwuppenclub – „ich kann mir Ferré nicht leisten, dafür gieße ich einen halben Liter CK One über mich“).
Und der verwirrte Mausebär fragt sich beim Vorbeifahren, ob er wirklich auf der Welt ist, um tolerant zu sein.
Manchmal, aber nur manchmal verstehe ich den Ekel unserer Post-Popantifas, denn „punky“ ist schwer im Kommen. Spätestens seit David Beckham (vgl.: http://www.etuxx.com/diskussionen/foo049.php3) schneidet sich jeder Hanswurst eine, nun ja, „gewagte“ Frisur mit vielen, dreiecksartig aufgestiezelten Haaren in der Mitte und wenigen an der Seite. Mackerschwule sagten vor einiger Zeit abfällig „Tunten-Iro“ dazu.
Leute, die bislang weder durch Vorliebe zu lauter Gitarrenmusik, noch durch den Hang zu etwas ausgedehnterem Alkoholkonsum aufgefallen sind, lassen sich von Götz Ponater diesen Beckham-Iro verpassen (vermutlich schon ab 49,90 Oi) und geben sich schwer rebellisch. In der Tat: Sie sind genauso wohlanständige Berufstätige wie vorher, reden dieselbe Gülle, stinken immer noch nach CK One und sehen nach wie vor auf arbeitsscheue Mausebären herab.
Nicht dass Tuntchen-Flott Mausebär was gegen schicke Haartracht hätte, von Lederjacken, fetzigen Boots und besoffenen Jünglingen überhaupt ja mal ganz abgesehen, aber es wäre nett, wenn sich die Party-Spießerchen in Zukunft so benehmen könnten, als wären sie Macker, also wirklich die puscheligen Prollsäue, als die sie sich verkleiden und keine tuckigen Kreativ-Designer, Theaterregisseure und Kommunikationswissenschaftler. Schon mal Danke im voraus.
Nicht wirklich wohl fühlte man sich auch bei der Wahlkampf-Veranstaltung von Scheitel-Edmund auf dem Leipziger Marktplatz, doch weniger wegen dem üblichen Bellen des blonden Fallbeils, als vielmehr wegen der allzu großen Ordnung im Kopf der gegendemonstrierenden Hippies mit „A“ auf dem Rucksack. Tatsächlich setzen mir zwei von ihnen weitschweifig auseinander: Sie hätten zwar nix gegen Arbeitsscheue, doch schließlich könne man nicht gegen alles sein. Euch sei gesagt: „Geht kacken, oder besser noch – arbeiten!“ Aber das macht ihr ja schon.
Keinen Deut besser auch die Gymnasiasten-Punks, deren Gesellschaftskritik darin besteht, im Laufen Bier zu trinken und in Handys zu rülpsen, die sie so schnell zücken können, wie jeder hochwichtige Anlageberater auch, also wie die Hollywood-Killer der einschlägigen Filme. In ca. acht Jahren werden sie nicht mehr rülpsen, sondern anweisen: „Verkaufen!“
Was haben sie dem Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber vorzuwerfen? Stoiber erläutert, dass er zur Not die Bundesbank-Gewinne für die Flutopferhilfe einsetzen will.
Punker 1: „Dann verschulden wir uns noch mehr, du Arsch!“
Eddi: „... Deutschland wieder nach vorne zu bringen“.
Punker 2: „Das schaffen wir auch ohne dich!“
Von dieser engagierten und konstruktiven Jugend behaupten bürgerbewegte Menschen einer antifaschistischen Initiative in ihrem Namen, sie sei „bunt“. Da es den Farbenblinden nicht aufgefallen ist, muss die Klarstellung von mir kommen: Jugend ist schwarz-weiss, Kapital ist bunt.
Trillerpfeifentechno-Rebellion. Fleischfressen für den Kommunismus. Markenklamotten gegen Arbeitszwang. Punker für Deutschland. In diesen verrückten Zeiten werden konservative Eltern in no-name-Anzug und Kostüm zu natürlichen Verbündeten der Emanzipation. Und da soll man nicht von finaler Krise reden?!

Mausebär

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last modified: 28.3.2007