Ulrich Seidl : Hundstage, Österreich 2001
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Ein Film über kleinbürgerliche Normalitäten und Extravaganzen
Die Handlung, insofern es überhaupt eine gibt, spielt in einem Wiener Vorort, einem Siedlungsgebiet der typisch
bürgerlichen Mittelschicht. Während drückend heißer
Sommertage zeigen Durchschnittsmenschen, was Durchschnitt heißt und
präsentieren uns Absurditäten des Alltags. Absurd ist, was normal ist
und umgedreht. Fast möchte man lachen über mitgesungene
Radiowerbesongs, Sicherheitswahn und Beziehungshickhack, doch wer lacht schon
gern über die Realität, wenn sie derart ungeschminkt, jede daily soap
Lügen strafend, dargestellt wird. Nimm deinen Nachbarn, die Kassiererin im
Supermarkt und deinen Uni-Professor und stelle sie in einen Film. An allen wird
das zu Tage treten, was dieser Film zeigt die blanke bürgerliche
Existenz. Angst vorm Alleinsein, vor zu viel Nähe, davor sexuell zu kurz
zu kommen, vor Missbrauch, vor Verbrechen, Gewalt, Demütigung, Magersucht,
Fettleibigkeit und Alter hat jeder und jede, im Film von Ulrich Seidl, sowie im
Film der sich Realität nennt. Aber wer hat Angst vor Armut? Im Film
scheint diese wohl noch nicht angekommen zu sein daher sicher auch die
ganzen anderen Existenzprobleme.
Die spezifische Warenkenntnis ersetzt die nicht vorhandene Menschenkenntnis und
das ist das eigentlich schlimme im Film und nicht nur dort. Besonders deutlich
wird das an der Figur der kindlich naiven Anhalterin, welche wohl im
Familienduell (RTL) fett absahnen würde, weil sie eben jene
Warenkenntnis hat, wäre da nicht das Problem, dass ihr darüber hinaus
eher der Weg in die Klapse als in eine ordentlich funktionierende Familie offen
steht. Der Begriff Labertasche muss neu definiert werden! Großartig
anzuschauen ist auch der spießige Opa, der sich einen Vorratskeller mit
Lebensmitteln anlegt und ganz unverblümt das zu Hause nachgewogene Mehl
wegen ein paar Gramm unter angegebenem Bruttogewicht im Supermarkt zur
Reklamation bringt. Er ist der Prototyp deutscher Gründlichkeit. Viel
erschreckender hingegen ist das dargestellte Leid der Lehrerin, welche sich auf
demütigende Eskapaden mit zwei zwielichtigen Kleinkriminellen
einlässt, wobei einer davon wahrscheinlich ihr Liebhaber ist. Umso
erbärmlicher erscheint dann der für den Zuschauer sarkastisch
erscheinende Versuch des einen Assiprolls, die Frau aus ihrer
Unterdrückung zu befreien. Seine bahnbrechend metaphorische Erkenntnis:
Stellvertretend für alle Frauen hast du den Kot fressen müssen,
gestern wahrscheinlich., meinte er zaghaft nach der für die
Frau qualvollen Nacht, an der er selbst beteiligt war.
Es soll hier jedoch nicht zu viel verraten werden, denn dieser Film ist auf
jeden Fall sehenswert. Nichts wirkt irgendwie künstlich oder gespielt. Und
gerade das ist es, was so lustig und traurig zugleich ist. Aber vielleicht hab
ich ja nur einen verschwommenen Blick darauf und sollte demnächst herzhaft
lachen, wenn ein entrüsteter Bürger lediglich in der Lage ist, mir
die zu zahlende Strafsumme in Euro hinterher zu rufen, weil ich mit dem Fahrrad
auf dem Gehweg fahre. Oder sollte ich, statt auszurasten, wirklich mal daneben
stehen bleiben und grinsen, wenn unser Hausmeister (alias Blockwart) meinen
Müllsack zwecks ordnungsgemäßer Wertstofftrennung seziert?
Realität ist Kino, Kino ist Realität. Das trifft auch auf
Hundstage zu, der Film, der auf die Frage: Was ist deutsch?
zumindest antworten kann: Österreich zum Beispiel!
Roman
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