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"Die Jugendlichen müssen sich den Strukturen anpassen."(BM Pausch)
Wie im KlaroFix 2/95 gemeldet, überfielen am 21. Januar 1995 ca. 40 Faschisten in Wurzen ein Haus. Entgegen ersten Meldungen handelte es sich dabei aber nicht um die Villa "Kunterbunt", sondern ein Wohnhaus in der Berggasse, das jetzt unbewohnbar ist. In dem Haus lebten mehrere Jugendliche, die in Wurzen dem "linken" Spektrum zugeordnet werden. Ein Bewohner schildert den Überfall so: "Die von innen verriegelte Tür wurde im Handumdrehen eingetreten, Scheiben eingeschlagen. An die 40 rechte Jugendliche waren mit Baseballschlägern bewaffnet, den Weg eines Projektils kann man heute noch sehen durch Spuren in der Wand. Die zehn Leute, die sich im Haus aufhielten, versuchten, sich über das Dach zu retten oder aus dem Fenster zu springen. Die es nicht schafften, wurden zusammengeschlagen. Aus Zorn über die Zerstörung und die Gewalt gegen zwei Mädchen gingen einige von uns danach zur Baracke und schlugen Scheiben ein. So war das." (LVZ 25.1.95) In einem Flugblatt heißt es weiter: "Bei dem Überfall drangen die Täter in das Wohnhaus ein, zerschlugen das gesamte Mobiliar und gingen mit äußerster Brutalität gegen die Bewohner und deren Gäste vor, unter ihnen auch zwei 15-jährige Mädchen, die mit Messern und Baseballschlägern traktiert wurden. Zum Glück konnten sich einige vor den angreifenden Neonazis über die Dächer retten." Am 24.1.95 berichtete das Wurzener Tageblatt (das WT ist eine Fusion aus der früheren Muldentalzeitung und dem LVZ-Ableger WT) unter Berufung auf das LKA Dresden, die Gewalt sei von "Linken" ausgegangen. Diese hätten in der Baracke "eine Randale provoziert". Von Zerstörungen oder Drohungen, gegen die "Sozialarbeiterinnen", wie sie in dem Brief eines Faschisten, dessen Name der Redaktion des WT bekannt ist, und seines Ghostwriters Tilo Finger beschrieben werden, ist aber nicht die Rede. Vielmehr wird von militanten Aktionen von "Linksradikalen" erst nach dem Überfall berichtet. Die "Provokation" liest sich in der Darstellung der Opfer etwas anders: Es hatte schon im Vorfeld des 21.1.95 Gerüchte gegeben, die Faschisten wollten das Haus in der Berggasse überfallen. Als zwei Bewohner deshalb am Abend bei der "Baracke" vorbeischauten, wurden sie mit einer kleinen Schlägerei "begrüßt". Dabei trugen sie "blaue Flecken" davon. Aber soetwas gehörte für sie seit zwei Jahren zu ihrem alltäglichen Leben in Wurzen. Trotz des Einsatzes von scharfen Schußwaffen hat die SoKo Rex kein Interesse an den Ermittlungen. Der Fall wurde an die Polizeidirektion Grimma, also die Wurzener Beamten zurückverwiesen. Eine Entscheidung, die um so fragwürdiger ist, als es sich zumindest bei einem Beamten um den Vater von Marcus Müller, eines Anführers der Täter, handelt. Hinzu kommt noch, das sich die Wurzener Polizei, obwohl sie von den Vorgängen informiert war, nicht zum Eingreifen entschließen konnte. Dafür spendeten die Beamten nach dem Überfall mit den Worten: "Geht doch ins Obdachlosenheim, ein schönes Wochenende noch!", den Opfern Trost. Die Presse sprach in ihren Berichten immer wieder davon, daß keine Anzeigen erstattet worden sein. Dem entgegen stehen die Aussagen der Opfer und Uwe Schimmels vom Jugendselbsthilfezentrum Wurzen, gegen die z.T. namentlich bekannten Täter Anzeige erstattet zu haben. (LVZ 25.3.95 und Flugblatt) Die "Baracke", von der in dem Bericht die Rede ist, steht hinter dem Wurzener Landratsamt und wurde eine Woche zuvor eröffnet. Mit ihr wollte die Stadt Wurzen billig mit der Gewalt der Faschisten fertig werden, die in der Nacht vom 15. zum 16.10.95 mehrere schlafende Bauarbeiter aus Portugal überfallen hatten. Nach Polizeiangaben hatte ein Beschuldigter 60(!) Namen von Beteiligten an dem damaligen Überfall genannt. Aber auch sonst gab es in den vergangenen Jahren kontinuierlich Übergriffe von Faschisten. Eine Woche vor dem Überfall auf die Berggasse brannte der Zaun der Villa "Kunterbunt". Im 23. und 24.8.1991 war die Wurzener Sammlunterkunft für Menschen, die Asyl beantragten, eine der ersten die von Faschisten überfallen wurde. Damals gab es zahlreiche Verletzte, von denen vier ins Krankenhaus eingeliefert werden mußten. Nicht die Täter wurden damals bestraft, sondern die, die den Flüchtlingen halfen, nach Hessen zu entkommen. In der Nacht vom 27./28.8.94 gab es eine Bombendrohung und anschließend einen Überfall von ca. 40 Faschisten auf ein besetztes Haus in der Dresdener Straße. Dieser Überfall konnte durch aktive Gegenwehr zurückgeschlagen werden. Die Polizei kam, wie immer zu spät. Für Wurzens Bürgermeister Anton Pausch gab es am 30.8.94 in seiner Stadt keine Rechtsradikalen (MoPo Leipzig). Daran hat sich für ihn bis heute nichts geändert. So verwundert es auch nicht, daß er am 23.1.95 die Täter und Opfer der "Randale" nicht auseinander halten kann. Aber diese Blindheit für den wachsenden Rechtsradikalismus in Wurzen, hat schon lange Zeit verheerende Folgen. So wurde die "Baracke" den Faschisten einfach zur Nutzung überlassen. Diese organisieren sich schon seit längerem im sogenannten "Jungsturm", dem gute Verbindungen zur inzwischen verbotenen Wiking Jugend (WJ) nachgesagt werden. Auch die WJ war in Wurzen und Umgebung in den letzten Jahren sehr aktiv. Es wurden so massiv an Schulen Mitglieder geworben, daß sogar die MTZ darauf auf merksam wurde. (MTZ 30.8.94) In der Jugenherberge "Schloß Mutzschen" in Mutzschen fand zu Sylvester 1993 ein Treffen mit Fahnenappell, Uniformen und Umzug statt, bei dem die Polizei keinen Handlungsbedarf sah. Die WJ Wurzen war für die Parteiarbeit im gesamten Kreis Torgau verantwortlich. Vor die Wahl gestellt Sozialarbeiter oder Hausmeister fiel die Entscheidung für zwei technische Hilfskräfte, die von ABM-Geldern bezahlt werden. Damit kostet die "Baracke" Wurzen keinen Pfennig und das ist es, was der Stadtrat für wesentlich erachtet. Bürgermeister, CDU und FDP weisen nämlich unisono darauf hin: "Die Stadt kann nicht Träger der Jugendarbeit sein. Träger können Vereine, Wohlfahrtsverbände, Selbsthilfegruppen sein. Eine organisatorische Struktur muß sich außerhalb von Stadtverwaltung und -parlament bilden." (z.B. LVZ 12./13.11.94) Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) vertritt in seinem §11 eine andere Meinung. Aber von diesem Gesetzestext, der auch die Pflichten der Kommune regeln, hat in Wurzens Regierung scheinbar noch niemand gehört. So wurde in einer Stadt, für die es wegen fehlendem Kreistag auch keinen Jugendhilfeausschuß (JHA) gibt, eine Förderrichtline für 1995, an allen Betroffenen bewußt vorbei, von der nicht legitimierten Stadtverordnetenversammlung beschlossen. Gefördert werden dort: Projekte der Jugendsozialarbeit, Aufklärung im Bereich Jugendschutz nach KJHG §14 und es gibt einmalige Zuwendungen für Vereinsarbeit. Der ebenfalls gesetzlich geforderte und von Wurzens Jugend über alle Grenzen der politischen Einstellung hinweg eingeklagte Bereich Jugendfreizeit fehlt einfach. Da kann der Punkt 5 der Förderrichtlinie: "Sie (die Förderrichtlinie - d. Red.) ist gemäß aktueller Entwicklungen oder sich ändernder gesetzlicher Grundlagen zu überarbeiten und zu ändern", nur als Scherz betrachtet werden. Die Jugendarbeit wird in Wurzen entsprechend von Einzelpersonen getragen, von deren zufälligem Know-How es abhängt, wie erfolgreich ihre Projekte sind. Über die Jahre ergibt sich eine traurige Bilanz. Nach dem Überfall auf die Sammelunterkunft will die "Glatzenmutter" Katarina Kämpfe helfen. Sie veruntreut Geld zu dem sie als Heimleiterin des Behindertenheimes in Hohburg Zugang hat, um den Glatzen Geschenke zu machen. Sammelte mit Faschos für Rumänien. Anlaß: die Sammelunterkunft ist jetzt mit Sinti und Roma belegt. Es gibt zwei Reisen nach Rumänien, um die Spenden zu verteilen. Bei der zweiten stellt sich endgültig heraus, daß das Projekt gescheitert ist. Die Faschisten waren zu Hitlers Geburtstag faschistische Parolen gröhlend in einem rumänischen Dorf von Haus zu Haus gezogen. Dieses Fiasko des Erlebnisurlaubs war zwar schon am Anfang der Reise abzusehen, aber die gezahlten Fördermittel hatten die konzeptionslose Frau Kämpfe dazu bewogen, weiter zu machen. Katarina Kämpfe, die mit ihren Aussagen einige Faschos vor dem Knast bewahrte, begeht einen Selbstmordversuch, nachdem sie ihren Job als Heimleiterin und das Amt als Kreisrätin der CDU verlor. Ein weiteres gescheitertes Projekt ist das Jugendhaus "Goldenes Tälchen", das 1991 aus einer Besetzung hervorging. Ursprünglich von der gesamten Wurzener Jugend genutzt, kam es bald dazu, daß Punkbands von Faschos bedroht wurden. Das linke Spektrum zog aus und fand seine neue Heimat in der Villa "Kunterbunt". Ein Initiator des "Goldenen Tälchens war Tilo Finger. Der seitdem immer wieder durch Engagement für Wurzens Jugend auffällt. Nachdem das "Goldene Tälchen" von den "Linken" gemieden wurde, war es auf Dauer nicht zu halten und mußte aufgegeben werden. (Endgültiger Crash Anfang 94) Da die "Linken" mit der Villa ein neues Domizil gefunden hatten, richtete Tilo Finger seinen Tatendrang auf die faschistische Szene. Inzwischen ist er dort eine zentrale Figur, zumindest was den Umgang mit der Stadt betrifft. Aber auch Rechtsberatung macht der Jurastudenten für seine Freunde. Derzeit ist er Praktikant bei Rechtsanwältin Dorothea Stöckchen, Dietrichring 16 in Leipzig. Da Praktikanten Zugang zu den Akten haben, sollte dort kein rechtlicher Beistand gesucht werden. Tilo Finger muß, obwohl kein klassischer Kaderfaschist, wegen seiner Position in Wurzen als besonders gefährlich betrachtet werden. Das einzige Ergebnis, das aus dem Überfall auf die Berggasse bisher folgte, war ein runder Tisch mit Bürgermeister Pausch am 7.2.95. Eingeladen waren fünf "Linke". Als die zu dem Gespräch erschienen, sahen sie sich nicht nur fünf Faschisten gegenüber, sondern zusätzlich 60 von deren Kameraden beim Jungsturm. Die wenigsten aus Wurzen. Anwesend war auf jeden Fall die Kameradschaft Grimma. Dazu kamen noch ca. 100 Eltern und anderes Publikum, Stadträte und mitten drin Tilo Finger. Sachliche Fragen, die u.a. den Verbleib von 500 Tausend DM für die Villa "Kunterbunt", deren Kauf Pausch am 25.4.94 noch als Jugendarbeit der Stadt herausstrich (MTZ 25.4.94) wurden nicht beantwortet. Der Kauf wurde auch von den Fraktionen der CDU und FDP Mitte November noch einmal betont (LVZ 12./13.11.94). Jetzt behauptet Pausch, ein Kauf käme wegen Restitution nicht in Frage. Dem entgegen hatte das WT am 23.2.94 berichtet, die Stadt hätte den Zuschlag für das Gelände (Flst. 40/1 Teilgrundstück Altwerk Wasserglas) auf dem die Villa steht erhalten. Weiter heißt es: "Die erforderlichen Vertragsverhandlungen werden nach Vorlage des aktuellen Verkehrswertgutachtens aufgenommen." Stattdessen kam von Bürgermeister und Stadtverordneten die alte Leier: Die Jugend muß sich benehmen, sonst passiert gar nichts. Jugendarbeit muß in Wurzen in ein Haus, auch wenn niemand das will. Die Stadt kann kein Träger der Jugendarbeit sein und überhaupt hat Wurzen mit Sportclubs und einer Schwimmhalle "alles was junge Menschen brauchen." So Pausch. Außerdem ließ er sich zu der Bemerkung hinreißen: "Ich bezahle nicht mehrere Clubs, wenn ich dort zwei Aufpasser (meint SozialarbeiterInnen - d.Red.) hinstellen muß." Der Großteil der Debatte war aber bei weitem nicht so konstruktiv. Viel lieber, als auf Fragen zu antworten, gab Pausch das Wort an die Faschisten des Jungsturm. Diese erzählten dann, daß ihre kleine Schwester sich wegen der Kommunisten abends nicht mehr auf die Straße traue und ähnliche Geschichten. Bester Redner dieser Fraktion war Thomas Jurich mit seiner Bemerkung: "Der Kampf geht nicht zwischen links und rechte sondern zwischen oben und unten." Wenn er nur begriffe, was er sagte. Für Aufregung sorgte eine Leipziger Sozialarbeiterin, die den Leuten von der Villa zur Seite stand und die Pausch am liebsten mit den Worten: "Sie gehören in die Zuständigkeit von Lehmann-Grube", nach Hause geschickt hätte. Beendet wurde die Veranstaltung von Bürgermeister Pausch, der sich, nachdem er vom Jungsturm darauf hingewiesen wurde, dieser könne bei weiteren Treffen erst zwischen 18 und 19Uhr, an die VertreterInnen der "Linken" wand und sprach: "Der nächste Termin wäre also auch ein Freitag. Wieder nach 18Uhr, weil wir arbeiten ja." Zwei Tage später, am 9.2.95, wurde die Villa von der Polizei morgens 6Uhr gestürmt. Die gesamte Schutzbewaffnung wurde beschlagnahmt und ein neues Schloß eingebaut. Zwei minderjährige Punks (14 und 15) wurden verhaftet. Den beiden Kurden gefälschte Aussageprotokolle einer Villamitarbeiterin vorgelegt, um sie zur Aussage zu bewegen. Nach diesen Ereignissen waren die "Linken" zu "Friedensgesprächen" bereit. Offiziell als "Runder Tisch der Jugend der Stadt Wurzen" bezeichnet, gab es hier fünf zu fünf Gespräche. Von Seiten der Faschisten waren anwesend Tilo Finger, Thomas Jurich und die Cousins Marcus und Rocco Müller sowie ein Kamerad des Jungsturms zum Bierholen. Ziel der Faschisten war es, gegen die Stadt zusammenzuarbeiten. Ziel der "Linken", eine Atempause nach zwei Jahren Terror. In Folge des Treffens wurde der zweite runde Tisch mit Pausch fallengelassen, da von dort ohnehin keine Ergebnisse zu erwarten waren. Auf einem zweiten Treffen in der von Faschisten häufig frequentierten Kneipe "Wartburg", wurde deutlich, was die Faschisten wirklich wollten: Hilfe bei der Beschaffung eines neuen Objekts, da die Baracke spätestens im Mai wieder abgegeben werden muß. Sowie eine Lobby über einen Sitz für Tilo Finger Im Stadtjugendring. Inzwischen gibt es aber auch in den Regionen um Wurzen ein reges Interesse der Antifa an den Vorgängen dort. Aufgeschreckt von den letzten Meldungen wurde bemerkt, daß sich um Wurzen ein Faschistenmob von bis zu 150 Leuten gebildet hat (darunter Kameradschaften in Grimma und Gerichshain). Die Entscheidungen bleiben jetzt nicht mehr auf Wurzen beschränkt. Dies und die Überlegungen, daß mit Gesprächen mit organisierten Faschisten, diese gestärkt die Wurzener "Linke" aber gespalten wird, haben zu der Einschätzung geführt, daß die bisherigen Gespräche ein Fehler waren und weitere nicht stattfinden werden. Die Verbindungen der Wurzener Faschisten gehen auch nach Leipzig. Der bekannte Faschistenführer Dirk Zimmermann ist seit Jahren sehr häufig in Wurzen zu Besuch. So auch am 28.1.95, also eine Woche nach dem Überfall auf die Berggasse. An diesem Wochenende war der Überfall auf ein Konzert angekündigt. Die Stadt war aber diese und die zwei folgenden Wochen voll mit Polizisten. Ein weiterer bekannter Faschist aus Leipzig, der in Wurzen eine wesentliche Rolle spielt, ist der kleine Späthe, der in Leipzig u.a. durch Überfälle auf besetzte Häuser in der Leopoldstraße auffällig wurde. Aktuelle Informationen sind über das Offene Antifaschistische Plenum Leipzig zu beziehen. |