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sports, 1.2k

Fremd im eigenen Land


Der Bayern-Star Stefan „Cheffe“ Effenberg hat sich vom FC Bayern München verabschiedet. Ein Nachruf.



Stefan „Cheffe“ Effenberg, 24.0k Effes trauriger Abschied“ titelte mit leidig Bild anfang Mai, obwohl man kurz zuvor gegen Stefan Effenbergs Äußerungen im Playboy-Interview noch ganz andere Geschütze aufgefahren hatte und ihn des Verrats am kleinen Mann zieh. Am letzten Spieltag der Bundesliga-Saison sagte der „Rebell“ und „Reizfigur“ (Bild) vom FC Bayern München adieu zu Klub und Fans. „Ich werden Euch nie vergessen. Alle meine Träume haben sich erfüllt. Es war eine wunderbare Zeit“, so die Worte des 33jährigen nach 160 Spielen für die Bayern. Der „Abschied ohne große Emotionen“ (FAZ) beendete eine vierjährige Saison, unter der die Bayern „wieder zu einer Macht in Europa wurden“ (FAZ): immerhin Champions-League, Weltpokal, drei deutsche Meisterschaften und der DFB-Pokal wurden nach München geholt.
Den „merkwürdigen“ und „unemotionalen“ Abschied (taz) nahm die FAZ zum Anlaß, „mal festzuhalten, was man an ihm hatte.“ Und das Blatt kam zu dem Schluß, dass ein Loblied auf den „fähigen Stinkstiefel“ und „unbeirrten Kotzbrocken“ wegen der Einwände gegen seine „Integrierbarkeit, Umgangsformen (und) sozialpolitischen Ansichten“ hierzulande „nicht mehrheitsfähig“ sei. Deshalb auch hätte er nie ein Chance gehabt, in Deutschland Fußballer des Jahres „zu werden“, obwohl er erst 2001 zu Europas bestem Fußballer gekrönt wurde.
Weil Effenberg es „immer allen leicht gemacht (hat), ihn nicht zu mögen“ (FAZ) scheint es auch nicht so weit hergeholt, seine Aussagen über Arbeitslose im Playboy als eine Art Beitrag zum Bundeswahlkampf zu deuten. Zumindest könnte man das meinen, wenn man die Äußerungen des – sportlich betrachtet – Bayern-Linksaußen im Playboy-Interview interpretiert. Stefan Effenberg gab dort neben seinem traditionellen Paul Breitner-Bashing, einem patriotischen Bekenntnis zu Deutschland als „gut organisiertes Land“, in dem er allerdings immerhin „56 Prozent Steuern“ zu zahlen habe, zum Besten, daß er denen, die „keine Lust haben, morgens früh aufzustehen und bis in die Abendstunden zu buckeln“, ganz gerne die „Stütze auf ein Minimum herabsetzen“ würde – „so daß jeder arbeiten müßte“. Ganz in der Diktion eines Gerhard Schröders, der vor geraumer Zeit klarstellte, daß es „kein Recht auf Faulheit“ in Deutschland zu geben hat, liessen sich die Äußerungen Effenbergs, der „Führungspersönlichkeit mit großem Namen“ (Bild), als Wahlkampfhilfe für die Wiederwahl des SPD-Kanzlers einordnen. Denn tatsächlich zollt Effenberg in besagtem Interview dem Kanzler vollsten Respekt: „Er vertritt meiner Meinung nach Deutschland in der Welt außergewöhnlich gut“, meint Effe. Vielleicht erklärt sich so auch der prompte Protest von Kanzlerkonkurrent Stoiber, der zusammen mit Gewerkschaften, Sozialverbänden, Grünen-Chefin Roth und ungezählten Bürgern Volks-Front machte und einen Sturm der Entrüstung über Effes „Arbeitslosen-Affäre“ (Bild) losbrach. „Unanständig und unverfroren“, so das einhellige Urteil, seien die Äußerungen von Effenberg, denn er hätte „Millionen ohne Job beleidigt“. Im Gegenzug bekam der „Fußball Millionär“ (Bild) Unterstützung unter anderem aus der Wirtschaft, so daß Bild konstatierte, daß man in „ganz Deutschland“ über Effenbergs Äußerungen „diskutiert“.
Warum nur, so läßt sich fragen, spaltet der „Antidiplomat des deutschen Fußballs“ (Bild) nicht nur die deutsche Fußballnation, sondern gleich ganz Deutschland? Nun, Stefan Effenberg ist ohnehin ein gebranntes Kind hierzulande, seit er 1994 den deutschen Fans bei der WM den, wie es so schön heißt, „Stinkefinger“ zeigte, und daraufhin vom damaligen Trainer Kaiser Beckenbauer mit WM-Verbot belegt wurde. Seitdem hat Effenberg keinen Bock mehr, auch nur den kleinen Zeh für die deutsche Nationalmannschaft zu rühren, wofür er im Vorfeld der EM im Jahre 2000 öffentlich ordentlich angegiftet wurde. Sein „feiges Nein zur Nationalmannschaft“, tobte Bild, sei nicht hinzunehmen. „Wenn andere den Karren aus dem Dreck ziehen, bleibt er lieber zu Hause und zählt seine Millionen. Schade, daß man Spieler nicht einfach sperren kann, die sich vor der Verantwortung drücken.“
Seit längerem ist Effenberg sozusagen fremd im eigenen Land, denn zum einen hat man ihm seinen Vaterlandsverrat nie so richtig verziehen und zum anderen hält sich Effenberg tatsächlich nicht an deutsche Spiel(er)regeln.
Es gehört zum ideologischen Grundstandard hierzulande, daß man nicht öffentlich kundtut, daß der Zweck des bezahlten Fußballs als Ware nun mal nicht im Fußballspielen besteht, sondern im Geldverdienen. Wer so etwas in Deutschland ausspricht und so auf die kapitalistische Banalität seines persönlichen Tauschwerts rekurriert, wird abgestraft. Weil man in Deutschland so etwas nicht sagen darf, ist die Reaktion auf Effenbergs Arbeitslosen-Äußerungen eine, die es wohl nirgends sonst auf der Welt in dieser Form geben würde. Wer die bittere Wahrheit des Kapitalismus ausspricht, daß es kein Naturgesetz ist, dem Staat auf der Tasche zu liegen, gilt als unsozial. Denn Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe gibt es hierzulande nur als autoritäre Vergötzung des Sozialstaates.
Schaut man sich einmal genauer an, was die Leute an der Äußerung Effenbergs, die staatliche Stütze denen zu kürzen, die sich ohne staatliche Beihilfe als Ware Arbeitskraft verdingen können, empört, dann ist es die Wut darüber, daß jemand eine seit Bismarck als deutsche Selbstverständlichkeit begriffene autoritäre Staatsgläubigkeit in Frage stellt. Nach Auschwitz allerdings kann eine Gesellschaftskritik ihren Ausgangspunkt nur wie folgt haben: Der deutsche Sozialstaat ist nicht die Antwort auf die soziale Frage, sondern überhaupt deren implizites Problem. So begriffen ist Kritik der Sozialstaatsgläubigkeit auch kein neoliberales Gebrabbel, wie Linke in nah und fern nicht müde werden zu behaupten, sondern radikale Konsequenz der besonders fatalen Konstellation des spezifisch deutschen Verhältnisses von Staat und Kapital, welches den Nationalsozialismus hervorbrachte.
„Ich stehe voll dazu“, bekräftigt Effenberg seine Äußerungen mit Nachdruck. Denn „jeder muß für sich sein Leben leben, im sportlichen wie im privaten.“ Das klingt verdammt undeutsch nach der amerikanischen Maxime eines Strebens nach Glück. So etwas kommt traditionell von Links bis Rechts, von Jürgen Elsässer bis Gerhard Frey, in Deutschland nicht gut an. Effenberg scheint das zu wissen. Und so ist für ihn längst klar, daß er sich in spätestens zwei Jahren endgültig nach Florida verpißt, wo er in kleinfamiliärer Eintracht alt zu werden gedenkt.
Seit dem vierten Mai, dem Ende der Saison 2001/2002, ist Effenberg nun „einfach fort“ (taz). Und die FAZ meint gar: „Ohne ihn wird Deutschland ärmer.“ Dem lässt sich zweifelsohne zustimmen.
Sören Pünjer


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last modified: 28.3.2007