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In Uniform und in Zivil


Das gute Deutschland hat die Unterscheidung von Innen- und Außenpolitik begriffen. Nach außen tritt man mit Uniform auf, die Bundeswehr schafft Ordnung in der Welt, demnächst auch in Israel. Nach innen gibt man sich hingegen zivil, die Zivilgesellschaft demonstriert gegen die Nazis, die mit ihren Bomberjacken die Hausordnung immer noch nicht gelernt haben. Die Nazis sind der Zivilgesellschaft nicht zu deutsch, sondern zu wenig deutsch: Sie kennen nicht den Unterschied von Haus- und Straßenschuhen, rufen uns somit in Erinnerung, auf welchen gewalttätigen Grundlagen unser ach so beschauliches Leben beruht. Und überhaupt: „Es ist ein Unding, wenn Leute, die nicht mal ihre Ordner benennen können, einen halben Tag lang die Stadt lahm legen“ lamentiert in der Leipziger Volkszeitung (LVZ, 09.04.2002) ein Mike Dallmann, der sicher im Dritten Reich noch erleben durfte, wie Zucht und Ordnung hergestellt wird. Die linken Freunde der Zivilgesellschaft gaben auf der Veranstaltung vom Bündnis gegen Rechts „Ausschlafen gegen Rechts“ am 09.04.2002 unfreiwillig zu, seit 10 Jahren keine Zeitschrift mehr gelesen zu haben. Deswegen aus aktuellem Anlass eine kleine Zeitungsschau.

Zivilgesellschaft sind Menschen. Wir wollen einige vorstellen. Fangen wir mit den linken Vertretern an, besser gesagt: jenen, die aus der linken Szene kommen, inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angelangt sind, sich jedoch immer noch für subversiv halten.

Erstens: Michael Fischer-Art – seines Zeichens Künstler; Zögling des pleite gegangenen Immobilien-Schneiders. Er ist einer der „Acht
06.04.2002 Leipzig, 28.1k
Karneval in rot-grün
Prominenten“, die zur Aktion „Leipzig lacht – über den Karneval in Braun“ (LVZ 25.03.2002) aufgerufen hatten. „Denn nichts vertragen Diktaturen so schlecht wie das Lachen der Untertanen“ (Anzeigenblatt Hallo, 06.04.2002) – das Dritte Reich ist am Judenwitz zugrunde gegangen und die DDR an den lustigen Biermann-Liedern. Die neue revolutionäre Avantgarde trifft sich hingegen „aller zwei Wochen, immer dienstags 20 Uhr, in der Stötteritzer Thiemstraße 6“: Der Leipziger Lachclub. „Ein Tagesseminar zur Heilkraft des Yoga-Lachens mit Deutschlands Lachclub-Gründerin Gudula Steiner-Junker findet am 20. April statt. Der Teilnahmepreis beträgt einschließlich der Seminarunterlagen, der Getränke und des Mittagessens 55 Euro.“ (Leipziger Rundschau 10.04.2002). Lachen zum Geburtstag von Hitler – er würd’ sich im Grabe wälzen.
Der Michael wird die 55 Euro dafür locker berappen können, schließlich hat er für seinen letzten Auftrag mehrere zehntausend Euro eingesackt. Er durfte in Sebnitz ein Haus mit seinem „marktwirtschaftlichem Realismus“ (so nennt er seinen Stil) verzieren. Warum gerade dort? Die Zeitung verrät es: „Hauptziel war es, das durch den Fall Joseph angekratzte Image der früheren Kreisstadt aufzubessern.“ (LVZ 30.04.2002) So wie die zivile Volksgemeinschaft in Sebnitz zusammenhielt, als es darum ging, den Nazimord zu vertuschen, so hält sie in Leipzig zusammen, um den Nazis beizubringen, dass die Ausländer – natürlich nur aus ästhetischen Gründen – durch Soldaten im Ausland abzuschlachten sind und nicht im Inland.

Zweitens: Volly Tanner – seines Zeichens Lebenskünstler; Social-Beat-Autor mit Auftritten im Conne Island und als Pressesprecher des Leipziger Betriebes für Beschäftigungsförderung. Er ist einer derjenigen Künstler, die auf der Bühne des Aktionsbündnisses „Jugend ist bunt“ (Jusos, Gewerkschaften) auftraten (LVZ 08.04.2002). Er findet an den Nazis sicher sympathisch, dass sie keine unvorbestraften Ordner aufstellen konnten. Schließlich hat auch Volly schon einiges auf dem Kerbholz, z.B. Völlerei und Volltrunkenheit am Steuer sowie völlige Verblödung beim Schreiben. Nicht so gut an den Nazis findet er deren Heimatbegriff. Denn seiner, befragt von der LVZ für die Serie „Was ist für mich Heimat?“ sieht so aus: „Leipzig ist die Heimat, für dich ich mich bewusst entschieden habe. Diese Stadt hat einfach durch ihr vieles Grün und die entspannte Mentalität der Menschen eine große Lebensqualität für mich (...) Meine Freundin, unsere Katze und ich fühlen uns hier wohl. Ich kenne die Nachbarn, bin gern und viel im Clara-Park und treffe meine Freunde in der Kneipe im Viertel.“ (CEE IEH #77/2001)

Drittens: Peter Wasem – seines Zeichens Jurist; PDS-Mitglied mit Gastauftritten beim Bündnis gegen Rechts, inoffizieller Polizeizuträger und unerschrockener Streiter für den Feuerlager-Platz auf dem Focke-Berg. Er ist einer derjenigen Leserbriefschreiber, der die neue Taktik der Stadtverwaltung zur Verhinderung von Naziaufmärschen vorbereitete. Ein Verbot per Polizeinotstand fand er schon deswegen schlecht, weil dies „eine Unverschämtheit gegenüber den Polizeibeamten darstellte, denen man damit Unfähigkeit zur Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrages unterstellte“. Er empfiehlt der Stadtverwaltung vielmehr, strengere Auflagen gegen die Naziaufmärsche zu erteilen bzw. die Verbote besser zu begründen: „Der zuständige Beigeordnete Tschense sollte einmal das Versammlungsgesetz lesen und sich dann zwei kreative Stunden gönnen. (...) Dass mittlerweile selbst die Schlapphüte vom Sächsischen Verfassungsschutz mehr versammlungsrechtliche Originalität als die Stadtverwaltung Leipzig unter Beweis stellen, setzt Tschenses Versagen in ein bezeichnendes Licht. Die Richter des Oberverwaltungsgerichts können nur über das urteilen, was ihnen von der Verwaltung angeboten wird. Eine neue Rechtsprechung bräuchte demnach zunächst eine erneuerte Verwaltungspraxis“ (LVZ 21.02.2002). Nachdem Wasem so geschickt seinen Berufsstand, der von Leipziger Pfaffen schon als „Steigbügelhalter der Nazis“ (LVZ 06.04.2002) bezeichnet wurde, gerettet hatte, konnte die PDS nach dem Aufmarsch die wahren Helden der Demokratie würdigen, nämlich die Polizei, die „erheblich mehr Phantasie bewiesen hat als die Verwaltungsrichter.“ (LVZ 09.04.2002)

Da die Linke ein gar zu trauriges Bild abgibt, wollen wir uns nun den Demokraten zuwenden.

Erstens: Wolfgang Tiefensee – seines Zeichens Bürgermeister; der selbst vor Rechtsbruch nicht zurückschreckt, wenn es gegen „Feinde der Demokratie“ geht. Nachdem er zweimal mit dem Demoverbot gescheitert ist, ist er für den Auflagenkatalog gegen den dritten Nazi-Aufmarsch in Leipzig verantwortlich. Mit Hilfe von 20 Auflagen, von denen 16 vor Gericht Bestand hatten (LVZ 30.03.2002), sollte der Aufmarsch faktisch verhindert werden. Das letzte Mal stellte er sich den Nazis unerschrocken in den Weg. Das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen Tiefensee wurde inzwischen wegen Geringfügigkeit eingestellt, allerdings drohte der Oberstaatsanwalt Röger für den Wiederholungsfall: „Wer eine genehmigte Demonstration dauerhaft blockiert, macht sich strafbar“ (LVZ 23.02.2002). Es bleibt zu hoffen, dass Worch den Tiefensee diesmal hinter Gitter bringt. Weitere einmalige Ideen aus dem Hause Tiefensee sind die Patentierung des Spruches „Wir sind das Volk“ (das Demo-Motto der Nazis, die nicht begriffen haben, dass sie es wirklich nicht mehr sind, sondern nur noch Projektionsfläche für den kollektiven Volkszorn) und die Privatisierung des Platzes vor dem Völkerschlachtdenkmal, damit die Nazis dort nicht mehr demonstrieren können (LVZ 02.02.2002).

Zweitens: Pfarrer Führer – seines Zeichens das gute Gewissens Leipzigs; der, der die Wende gemacht hat und zu noch größeren Schand- und Straftaten als Tiefensee bereit ist. „Rechtsradikales Gedankengut ist Gewalt“ lautete ein Aufruf der Kirchen, den 15.791 Leipziger unterschrieben (LVZ 19.02.2002). Diese Gesinnungsjustiz scheint dem Pfarrer, der seinem Namen alle Ehre macht, aber nicht weiter zu stören. Ihm geht es um das Image der Weltstadt Leipzig. Die Nazis sollen nicht marschieren, weil das zu viel Trubel verursacht, z.B. erscheinen dann die „raufboldigen“ Linken (Hallo 23.03.2002), denen man als Führer über einen Lautsprecherwagen der Polizei klar machen muss: „Wir wollen doch die Polizei nicht in Schwierigkeiten bringen“. Schwierig war es nämlich geworden, dass nicht nur Führer und Fischer-Art die Nazis dort mit Konfetti auslachen wollten, wo sie gar nicht waren, sondern auch noch 800 weitere Leute. Viel lieber will Führer gesittet mit den Nazis palavern: „Vielleicht laden wir Worch ja zum Dialog ins Gewandhausfoyer ein“ (LVZ 08.04.2002) – um mal so von Führer zu Führer Tacheles zu reden.

Drittens: Die Leipziger Bürger – ihres Zeichens Wahlvolk; was von PDS über SPD, FDP, CDU bis hin zur Schill-Partei oder NPD alle jenen Parteien ihre Stimme geben wird, die sich diesmal gegen den ruf- und geschäftsschädigenden Aufmarsch in ihrer Stadt ausgesprochen haben. „Ich bin stolz auf die Leipziger“ erklärt Tiefensee in der LVZ (08.04.2002) und er weiß auch warum: „Leipzig hat gewonnen. Ebenfalls möchte ich mich bei der Polizei bedanken, die ihre Aufgabe zum Schutz der Bevölkerung zum ersten Mal konsequent und weitsichtig ausgeführt hat. Leipzig ist wieder eine Heldenstadt. (...) Für mich hat die Polizei versagt. Sie sollte doch die Bürger schützen. (...) Man sollte den Veranstaltern die Millionen in Rechnung stellen. (...) Alle diese Herren (CDU-Politiker und Richter, die sich gegen Verbote und für Ignoranz gegenüber den Nazis ausgesprochen hatten – Anm. des Autors) haben bei der Übernahme ihrer Funktion den Eid geschworen, alle Entscheidungen im Namen des Volkes zu treffen und Schaden vom Volke abzuwenden. Ob sie sich bei ihren Entscheidungen ‘pro Naziaufmarsch’ bewusst sind, dass sie gegen die Interessen der breiten Masse des deutschen Volkes entscheiden? (...) Fast alle rechtsradikalen Teilnehmer einschließlich des Veranstalters des genehmigten Demonstrationszuges haben ihren Hauptwohnsitz in den alten Bundesländern. Warum demonstrieren diese Subjekte denn nicht dort? (...) Da radeln sechs Jugendliche im FDJ-Hemd Richtung Grimma für den Frieden. Die Polizei schreitet ein. Da marschieren in Leipzig Hunderte Neonazis auf. Sie bekommen Polizeischutz. Wer hat denn in diesem Land zu bestimmen?“ (Leserbriefe in der LVZ 11.04.2002)

Die Verschwörungstheorien machen die Runde: Nazis aus dem Westen bekommen Polizeischutz, Juristen, ebenfalls aus dem Westen, die wenigstens noch ansatzweise das Grundgesetz kennen, werden als Unterstützer der Nazis diffamiert, die LVZ macht am 04.04.2002 mit der Schlagzeile „Neonazi-Aufmarsch kostet dem Steuerzahler ein Millionen-Vermögen“ auf und listet vom Hotel, über Technik und Verpflegung bis hin zum Dixie-Klo alle Ausgaben so akribisch auf, dass man sich an die Asylbetrüger-Berichte erinnert fühlt. Der Bahnhofs-Promenaden-Chef, wahrscheinlich ebenfalls aus dem Westen, der das Kostenargument umdreht, und 30% Umsatzeinbußen durch die unverhältnismäßigen Gegenaktionen beklagt (LVZ 08.04.2002), gilt als herzlos und unmenschlich. Ihm wird empfohlen: „Um uns nicht dem Vorwurf auszuliefern, dass wir des schnöden Mammons wegen den Ruf unserer Stadt ohne Widerspruch beschädigen lassen, schlage ich dem Promenaden-Chef und allen City-Händlern vor, zu gegebenen Anlässen einen Antrag zu stellen, damit die Geschäfte an den betreffenden Sonnabenden geschlossen und dafür am Sonntag geöffnet werden dürfen.“ (LVZ 11.04.2002)

So pragmatische Vorschläge machen wenige. Der Wahn, den die verfolgte Unschuld umtreibt, äußert sich schnell im Antisemitismus. Auf den
06.04.2002 Leipzig, 24.5k
Nazis oder Antifas?
Seiten der Nazis und der Gegendemonstranten zieren die Pali-Tücher die Hälse, der Ruf „Freiheit für Palästina“ erschallt überall und die wenigen, die Pro-Israel-Flugblätter verteilen, werden wütend vom antifaschistischen Mob zur Rede gestellt und schließlich von der Polizei festgenommen, da das ViSdP fehlen würde – ein Sachverhalt, den die Polizei in Leipzig noch nie beanstandete.

Alle Linken sollten sich demnächst fragen, ob sie Teil eines Events sein wollen, der ganz treffend so beschrieben wurde: „Die 89er Demo-Tugenden – friedlich, ideenreich und beharrlich – haben auch am Sonnabend Zeichen gesetzt: Den braunen Horden, dass sie mit ihren Parolen mehr als unerwünscht sind, den Chaoten aus der autonomen Szene, dass man sie als gewaltsame Gegendemonstranten weder braucht noch will, dem gesamten Land, dass der Osten weder radikal noch unpolitisch ist.“ (LVZ 08.04.2002) Und dem oft kritisierten Bündnis gegen Rechts, welches nichts mehr gegen Rechts unternimmt und schon gar nicht im Bündnis mit der Zivilgesellschaft, wäre maximal anzulasten, dass es diesmal nichts gegen die Zivilgesellschaft unternommen hat.
Die Zivilgesellschaft ist natürlich gegenüber den Nazis zu verteidigen. Denn sie hat entgegen der Meinung eines Vertreters der Antinationalen Gruppe Leipzig (ANG) bei der BGR-Veranstaltung 09.04.2002) mehr demokratisches Bewusstsein als die Nazis und nicht weniger. Auch die ANG verteidigt gerade verzweifelt die amerikanische und israelische Zivilgesellschaft gegen deutsche und islamistische Barbarei. Ohne die Analyse der ANG teilen zu müssen, steht doch fest, dass es in Ostdeutschland erstens keine Zivilgesellschaft gibt (diese von oben inszenierten Massenaufmärsche des dumpfen Volksempfindens als solche zu bezeichnen ist eine Verhöhnung der „richtigen“ Zivilgesellschaft) und zweitens: Selbst wenn es sie gäbe, wäre sie gegenüber den Nazis stark genug, als dass man ihr Schützenhilfe leisten müsste. Eine Linke, die, wie schon in Leipzig geschehen, den Kritikern der Zivilgesellschaft ihre Infrastruktur (Ermittlungsausschuss, Lichtwirtschaft) mit dem blöden Argument, selbst Zivilgesellschaft zu sein, enthalten will, sollte, bevor sie sich wieder so nennen darf, erst mal wieder konkret, LVZ oder auch nur das Anzeigenblatt Hallo lesen, um zu merken, dass links und Zivilgesellschaft sich gegenseitig ausschließen.
Bernhard Löser

Das am 06.04. verteilte BGR-Flugblatt findet sich unter: www.left-action.de/archiv/0203291337.htm

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last modified: 28.3.2007