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Kultur-Report, 1.7k

Zur Kritik der deutschen Volkskultur


Es mag eigentümlich erscheinen, eine Fernsehsendung, deren Anspruch es ist, die klügsten Männer Deutschlands zu präsentieren, zum Gegenstand des Kulturreports anstatt zu dem der Hochkulturrubrik werden zu lassen. Aber das Quartett, was sich als das Philosophische bezeichnet, ist nichts anderes als die intellektuelle Erhöhung dessen, was sich auch an Stammtischen in Connewitz, Grünau und anderen deutschen Orten zusammenbraut.
Das was da im Zweiten Deutschem Fernsehen als Philosophisches Quartett (Im Glashaus) am 25. März 2002 zum dritten Mal erstrahlte, setzt der leidenschaftlich–heiteren Extrovertiertheit Marcel Reich-Ranickis im Literarischen Quartett eine deutschchauvinistische Introvertiertheit entgegen, deren Umschlag in eine Expressivität derzeit glücklicherweise durch die geostrategische Weltlage vereitelt wird (Späterer Einsatz: Nun war aber eben durch die Nachrichten zu erfahren, daß die Möglichkeit einer deutschen Truppenentsendung nach Israel diskutiert wird, was die Normalisierung der deutschen Geschichte an einen unerträglichen Punkt gelangen lässt. In diesem Sinne ist dieser Text gegen genau das gerichtet, was ihm so eben eine neue bittere Aktualität verliehen hat). In dem hier zum Gegenstand der Kritik gewordenen Quartett, welches unter dem Motto „Das Imperium schlägt zurück“ stand, fielen Peter Sloterdijk, der Kopf der Sendung, und der Gast Claus Peymann, der ‘größte Theatermann Deutschlands’, durch besonders antiamerikanische Bockgesänge auf. Rüdiger Safrinski und der andere Gast Hans Ulrich Gumbrecht hielten klug, aber leider nur so stark dagegen, wie es eine Männerfreundschaft bei deutschen Intellektuellen erlaubt.

Für Deutschland ist die Kritik der eigenen Geschichte beendet. Doch die Kritik der deutschen Geschichte ist die Vorraussetzung aller Kritik. Diejenigen Deutschen, die mit der Kritik der eigenen Geschichte noch nicht abgeschlossen haben, wissen darum, daß ihr eigener Widerschein nur darin und nicht in der Gegenwart anderer wiederzufinden ist. In der eigenen Geschichte liegt das Unmenschliche, was als Mahnung verhindert, sich wieder zum Übermenschen zu machen und den Wahnsinn des Geschehenen nicht anzuerkennen.
Die Verdrängung der eigenen Geschichte ist das Selbstbewusstsein der Deutschen, das sich entweder noch nicht erkannt oder schon wieder verdrängt hat. Die Kritik der deutschen Geschichte ist der Kampf gegen jene Welt, deren deutscher Ausdruck Auschwitz war. Die kommunistische Hoffnung nach der positiven Aufhebung der Verhältnisse ist die Forderung zur Aufhebung der deutschen Geschichte als der Praktizierung deutscher Ideologie. Die Kritik der deutschen Verhältnisse ist der Kern der Kritik des Jammertals, dessen tiefster Punkt Auschwitz war.
Die Kritik muss die deutsche Geschichte visieren, damit das Licht der Deutschtümelei als der Brand gezeigt wird, in dem jede Menschlichkeit verloren ging. Die Kritik der deutschen Geschichte enttäuscht den Menschen über die Wirklichkeit, die in schlechter Tradierung der Hegelschen und Marxschen Geschichtsphilosophie als „das Ende der Geschichte“ ausgerufen wurde.
Doch für das selbsterstarkte Deutschland der Gegenwart ist die Kritik der eigenen Geschichte beendet. Nicht in der Überwindung der deutschen Geschichte, sondern in ihrer Fortführung wird der Kritik ein Ende gesetzt. Die Deutschen entwinden sich aus der Schule der Geschichte, welche den Deutschen ans Herz, und nicht, wie es die Trauer um Dresden will, als Schlinge um den Hals gelegt wurde. Und nun wehrt sich der deutsche Volkskörper gegen seine gutmütigen Lehrer, in dem er sie zu Henkern und sich zum Lehrer verkehrt.
Der Kopf ist dabei die sensible Voraussetzung deutschtaumelnder Leidenschaft, der als Philosophisches Quartett feingeistig reden kann und dabei von dem Anstoß seines Korpus zur brachialen Bewegung ahnt. Gutmütige Enthusiasten, Deutschtümler von Blut und Freisinnige von Reflexion suchen als Philosophisches Quartett die Freiheit jenseits menschlicher Geschichte in den Annalen des deutschen Geistes, wo dort doch nur ihr Gegenteil verborgen liegt. Peter Sloterdijk, der durch Das Philosophische Quartett endlich als der große Philosoph anerkannt werden will, der er glaubt zu sein, möchte auf die historische Fülle vertrauend, welche die deutsche entgegen der traditionslosen amerikanischen Kultur besitzt, daß Deutschland den Amerikanischen Freunden als Lehrer gegenübertritt. Denn wir Deutschen wissen, daß man Menschen und Völker nicht demütigen darf. Wir müssen die USA belehren, die derzeit als Kreuzritter und Tempelherr ihre hässlichen Fratze zeigen.
Die Kritik der deutschen Vergangenheit muss angesichts dieser Aussprüche zugleich ein Kampf gegen die deutsche Gegenwart und deren intellektuelle Triebkräfte, die sich als deutsche Philosophen in einer humanistischen Tradition baden, sein. Daß die deutschen Philosophen sich ihrer begünstigten Lage, zugleich Kritiker und Beschützte Amerikas zu sein, dadurch bewusst werden, indem sie trauern, Vasallen eines neuen Roms zu sein, das Dresden und jetzt auch Afghanistan platt gemacht hat und uns derzeit an den Rande eines Vierten Weltkriegs bringt, nachdem es den Dritten als Kalten mit den Kommunisten ausgetragen hat (Claus Peymann), zeigt auf, zu was die Deutschen fähig sein werden, wenn die ungeheuer und unfassbar große Kraft der USA (Rüdiger Safranski) versiegt, da jedes Imperium irgendwann ein Ende findet (Peymann).
Ob die Tragödie sich wiederholt und zur Farce wird, hängt von denjenigen ab, die mitspielen und zuschauen. Wenn die Kritik zu wahrhaft menschlichen Problemen sich erhebt, dann wird der Tragödie und der Farce ein Ende gesetzt. Doch solange die Deutschen das Böse in der monopolaren Existenz der USA (Sloterdijk) und deren 150 000 McDonalds weltweit, zu denen jede halbe Stunde ein weiteres hinzukommt (Peymann), und nicht in der eigenen Geschichte verorten und froh sind, nicht Amis sondern Europäer zu sein (Peymann), gilt: Krieg den deutschen Zuständen!
Und daß im deutschen Fernsehen von anerkannten Intellektuellen, die sich wie Friedenstauben fühlen, behauptet wird, die USA würde uns gerade ein neues Mittelalter bringen und mit Bush und Sharon sei die Finsternis gekommen (Peymann), lässt über die Zustände das Schlimmste erahnen. Die Deutschen – oder besser gesagt deren Gegner – müssen nicht nur die kapitalistischen Verhältnisse, sondern auch noch deren Regression, welche die deutsche Gegenwart wieder durchherrscht, bekämpfen. Gegen den Niedergang der bürgerlichen Subjektivität müssen erst mal die falschen Verhältnisse als die besseren gerettet werden, um die Möglichkeit der Aufhebung dieser fatalen Ganzheit möglich zu machen. Der Imperativ, Auschwitz und ähnliches zu verhindern, stellt den Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein geknechtetes Wesen ist und deren Tiefpunkt Auschwitz wurde, in den Schatten. Der Imperativ gegen das Besondere – Auschwitz –, welches nicht ohne das Allgemeine zu denken ist, stellt sich notwendig über den Imperativ gegen das Allgemeine. Das ist die groteske Aufgabe, welche die deutsche Geschichte der Geschichte gestellt hat und immer wieder auf’s Neue vor Augen hält.
Wenn die Deutschen davon reden, daß der Antiamerikanismus einer realen Demütigung entspringt (Sloterdijk) und meinen, es müsse doch einen wahrhaftigen Grund geben, daß alle Welt die Amis hasst (Peymann), so meinen sie, gegen das Böse zu kämpfen und wiederholen dann jenen Ausfall der Reflexion, dessen Ergebnis antisemitischer und rassistischer Wahn war. Die Deutschen, deren Vergangenheit der Menschheit den antifaschistischen Imperativ bis in alle Gegenwart aufgegeben hat, entledigen sich dieser Aufgabe derzeit nicht durch die konsequent-kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte – was deren Ende und den Kommunismus zum Ziel hätte –, sondern durch einen so unbewusst wie regressiven Marsch in eben jene Geschichte zurück.
Wieder ist es der deutsche Philosoph, in dessen Hirn die deutsche Revolution beginnt, wobei der alte Ballast in das Feindbild USA und Israel entsorgt wird. Und der deutsche Philosoph schmiedet im ZDF an der besseren Zukunft Deutschlands, währenddessen die Glatzen in Bomberjacken als offensichtliche Adepten der Vergangenheit die unverbesserlichen Faschisten abgeben. In dieser Konstellation verfängt sich dann auch eine deutsche Linke in deutsche Stricke, wenn der Kampf gegen Nazis als antifaschistischer Schein leuchtet, währenddessen sich in die deutschintellektuelle Allianz gegen das böse Imperium in Friedensengelmanier eingereiht wird.
Schien im 19. Jahrhundert das Problem darin zu bestehen, daß die deutschen Verhältnisse und damit auch deren politische Kräfte rückständig waren, so geschah im letzten Jahrhundert schreckliches, indem die Deutschen bei der negativen Aufhebung am schnellsten und weitesten fortschritten. Und nun im 21. Jahrhundert schreiten die Deutschen bei der Relativierung ihrer Geschichte schnellstmöglich fort, um an dieser endlich wieder anschließen zu können. Denn wenn deutsche Intellektuelle herauspoltern, dass Bush Hitler dadurch übertroffen hätte, indem er die olympische Eröffnungsformel mißbilligte (Peymann), dann ist die Mittelstufe der Emanzipation von der Last der eigenen Geschichte erklommen. Und die Emanzipation von der Last wird die Emanzipation für den befreiten Lauf auf alten Wegen. Die Mittelstufe der Emanzipation ist eine Zwischenstufe zur universellen Emanzipation. Und die universelle Emanzipation ist dem Deutschen die Unterordnung in das deutsche Kollektiv, welches von allen widrigen Umständen befreit werden muss. Und wie die Philosophie im Volk ihre materiellen, so findet das Volk in der Philosophie seine geistigen Waffen. Was im Zweiten Deutschen Fernsehen breit zugänglich war, ist die Gefahr, die droht, als Blitz in den bereiteten Volksboden einzuschlagen.
Um die Bedingungen für emanzipatorische Entwicklungen aufrecht zu erhalten, bedarf es, auch wenn es nicht behagt, derzeit dem Schmettern des texanischen Sheriffs.
Hannes


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last modified: 28.3.2007