Sie schieben uns Christen stets beiseite, sie
drücken uns an die Wand, sie nehmen uns die Luft. Vom getauften Minister
bis zum polnischen Schnorrer bilden sie eine Kette.
(Glagau, Otto(1))
Bei den deutschen Christen blieb von der Religion der Liebe nichts
übrig als der Antisemitismus.
(Adorno, Horkheimer: Dialektik der Aufklärung)
Antimosaische Sezession
Bis zu der Epoche der Aufklärung begründete sich das
Verständnis von Mensch, Geschichte und Welt in Europa religiös.
Der gesamte Lebenszusammenhang wurde als ein von Gott geschaffener und
befohlener begriffen. In einem solchen religiösen Verständnis
ordneten sich die Menschen ein. Begriffe wie Rasse, Nation oder ethnische
Zugehörigkeit spielten im Verständnis keinerlei Rolle, da es sie
weder in der Wirklichkeit und somit auch nicht als deren begriffliche
Widerspiegelung gab. Entscheidend war die religiöse Zugehörigkeit. So
gab es zwar Unterschiede zwischen Christen und Christen, gemeint ist hier die
Stellung in der Gemeinschaft, aber auch diese wurden religiös
gerechtfertigt. Das Christentum entwickelte sich während des Zerfalls des
römischen Imperiums zur herrschenden gesellschaftlichen Kraft in Europa.
Unter Papst Gregor dem Großen (590-604) wurde mit der Errichtung einer
weltlichen Machtbasis des Papsttums auf italienischen Boden ein Grundstein
für einen Kirchenstaat gelegt, welcher der westlichen Kirche Mittel und
Wege ermöglichte, um aktiv in die abendländische Epoche der
Weltgeschichte einzugreifen. Aber auch in den ost- und
südeuropäischen Gebieten gewann die Kirche enormen Einfluss, da im
Kaiser geistige und weltliche Macht vereinigt waren. Auch hier gab es also
keine Trennung zwischen Staat und Religion.
Angefangen hatte das Christentum als eine antimosaische Sezession, in dem sie
das Gesetzeswerk Moses und die darauf basierende Bibel, das Buch der Juden,
ablehnten und die Erwartung einer allgemein-menschlichen Weltkatastrophe am
Ende der Zeiten verkündeten. Jesus als Erscheinung des Messias zeugte
davon. Das Evangelium Jesu Christi löste die irdischen, d.h. sozialen und
irdischen Erlösungshoffnungen zu Gunsten einer abstrakten
Diesseitshoffnung ab.
Aus dieser religiösen Abspaltung entstand der Hass der Christen gegen die
Juden. Hier ist für das Verständnis noch sehr wichtig, dass die Juden
seit der Vertreibung aus ihrem heiligen Land Zion durch die Römer im 1.
Jh. ihr Leben in der Diaspora (gr.: Zerstreuung) verbrachten. Dadurch gab es
keine räumliche Trennung zwischen Juden und Christen. Die Juden lebten
innerhalb des christlichen Europas, aber nicht nur dort, als Minderheit. Die
religiöse Zugehörigkeit legte aber die sozialen Grenzen streng fest,
da, wie am Anfang des Textes beschrieben, Religionen den Menschen zu dieser
Zeit in seinem Denken und Handeln konstituierten.
Im neuen Testament trat auch schon eine relativ offene Feindschaft gegen Juden
zu Tage, wenn im Johannesevangelium die Juden als Kinder des
Teufels beschimpft werden (Joh 8,44). In der christlichen Geisteslehre wurde
Jesus zum Christen und Judas, der Ungläubige, zum Juden gemacht. Mit
dieser durchweg negativen Sicht auf das Judentum wurde von den Christen schnell
und effektiv die eigene Herkunftsgeschichte so zurechtgebogen, dass nicht mehr
ersichtlich war, dass das Christentum ohne Judentum nicht denkbar wäre.
Der besonders starke Hass der Christen auf die Juden gründet sich aus der
Abspaltung der Christen von der jüdischen Religion. Die
Anhänger der Vaterreligion werden von denen des Sohnes gehasst als die,
welche es besser wissen. (Adorno, Horkheimer: Dialektik der
Aufklärung) Die Juden waren die stille unweigerliche Mahnung an das
Christentum, nicht eigenständig und nicht ewig, sondern als Abspaltung zu
existieren. Die Juden waren das schlechte Gewissen einer Religion, die in
großen Gebieten eine unhinterfragte und lebensbegründende Tatsache
war. Dieses Verhältnis von Judentum und Christentum wurde in den Vorwurf
an die Juden, die Mörder Jesus zu sein und Ritualmorde an Christen zu
begehen, umgekehrt. Der Jude wurde zum Inbegriff des religiösen Verrats.
Somit wurde aus der leibhaftigen Mahnung an den eigenen Ursprung die
Personifikation des Anderen, des Teuflischen, des Gegenprinzips des
Christentums. Dieses Prinzip des Bösen wurde verstärkt, weil die
Verstreuung der Juden eine Verortung der Gegenmacht erschwerte und als
konspirative Infiltration erschien.
Antijudaismus im Mittelalter
Politisch äußerte sich dies in einer Berufsdekretierung, die den
Juden verbot, im bodenständigen Gewerbe tätig zu sein. Statt dessen
wurden ihnen die als teuflisch und unchristlich verschrieenen Bereiche des
Geldwesens und des Handels erlaubt. Außerdem wurde ihnen in vielen
Städten und Gemeinden die Niederlassung verboten, und wenn, dann in
separaten Gebieten, worauf sich der Begriff des Ghettos begründete. Und
alle Juden mussten im Heiligen römischen Reich deutscher
Nationen seit 1342 eine sogenannte Judensteuer bezahlen. Zwischen 1348
und 1350 wurden im Reich insgesamt 300 jüdische Gemeinden
zerstört, da den Juden vorgeworfen wurde durch Brunnen- und
Quellenvergiftung die Pest hervorgerufen zu haben. Diese
Verschwörungstheorien tradierten sich später im Antisemitismus
fort.
Nun implizierte ein christliches Weltbild auch, dass die Religion ein Glauben
ist, den es zu verbreiten galt, und daher für die Juden die
Möglichkeit bestand, durch die Taufe Christen zu werden. Ohne diesen
Zwang, der demzufolge die einzige Möglichkeit war, sich einigermaßen
in die hegemoniale christliche Kultur zu integrieren, so hieß es für
die Juden nicht selten Taufe oder Tod, positiv bewerten zu wollen,
stellte er doch eine Ausflucht aus einem bitteren Minderheitsstatus dar. Dies
wurde in Spanien erstmals verwehrt. Nachdem dort im 13. und 14. Jahrhundert
Pogrome gegen Juden stattgefunden hatten, obwohl zuvor die Juden über
Jahrhunderte in Spanien sehr geschätzt wurden und keinerlei Sanktionen zu
erleiden hatten, waren viele Juden zum Christentum übergetreten. Diese als
Conversos (Neuchristen) bezeichneten Leute entgingen der Hatz auf sie
trotz der Taufe nicht und wurden allesamt 1492 von Königin Isabella
wegen ihrer schweren Bedrohung für die Christen des reinen
Blutes ausgewiesen. Hier wurde erstmals eine rassistische Argumentation
gegen die Juden angewandt, indem von der zu verteidigenden
Limpezza (Reinblütigkeit) gefaselt wurde. Die Juden Spaniens
sind nach Nordafrika und Mitteleuropa geflohen. Doch auch hier wütete Hass
gegen sie.
1543 erscheint Martin Luthers Schrift Von den Juden und ihren
Lügen. Sie gab jahrhundertealte antijüdische Mythen wieder,
pries die Judenverfolgungen, setzte die Juden dem Teufel gleich und empfohl
Maßnahmen gegen die Juden. Er verstieg sich zu der Forderung, die
Synagogen abzubrennen, die Wohnungen der Juden zu zerstören, den Rabbinern
das Lehren zu verbieten, den Juden auf jede erdenkliche Weise das Leben schwer
zu machen und wünschte den Juden, in der Hölle zu schmoren, wobei
für Luther Hölle kein metaphorischer Begriff, sondern
eine reale Begebenheit war. Somit wurden die Ressentiments gegen die Juden in
den protestantischen Glauben übertragen. Martin Luther, der sich zum
Beginn seiner geistigen Laufbahn sehr positiv auf jüdische Geistlichkeit
berief, schien nicht so recht verkraftet zu haben, dass die Juden auf seine
protestantischen Lehren nicht so positiv reagierten, wie er es sich erhofft
hatte, denn letztendlich vertrat auch er die These, dass sich Juden taufen
müssten, oder Kinder des Teufels bleiben würden.
Mit Luther begann der deutsche Sonderweg des Judenhasses. Denn während
andere reformatorische christliche Ansätze den Juden positiver
entgegentraten als die ursprüngliche Lehren, übertraf Luther mit
seinem obszönen Judenhass die zuvor gewesene Feindschaft und konservierte
sie in der deutschen Geistesgeschichte. Doch auch die katholische Kirche machte
den Juden das Leben weiterhin schwer, so wurden die Juden aus Bayern vertrieben
und in anderen Städten wurden die Ghettos auf Empfehlung von Papst Paul IV
durch Mauern von der restlichen Stadt getrennt. Doch eine umgekehrte
Entwicklung setzte in Handelsmetropolen wie den norddeutschen Hansestädten
ein. Dort erhielten Juden wegen ihrer Beziehungen und Kenntnisse im Handel
Niederlassungsgenehmigungen. Nach dem Ende des dreißigjährigen
Krieges setzte ein Umdenken ein. Religiöser Eifer und Machteinfluss wurden
schwächer und Herrschaft bekam weltlichere Züge. Dies führte zu
einer zweckgerichteten Anerkennung der Juden, die als Handelspartner und
Finanzberater an den Fürstenhöfen akzeptiert waren.
Bürgerliche Epoche
Mitte des 18. Jahrhunderts setzte die Periode der Aufklärung ein, die
stark bürgerliche Werte verbreitete, zu denen auch die Toleranz unter den
Religionen zu zählen ist, was sich unter anderem darin zeigte, dass Denker
unterschiedlichen Glaubens die gleiche Philosophie vertraten oder sich in der
Ringparabel in Nathan der Weise von G. E. Lessing
literarisch niederschlug. Politisch wirkte die Aufklärung in Deutschland
kurzzeitig in der Besetzung westrheinischer Gebiete durch Napoleon, wobei den
Juden unter eben jenem erstmals die Emanzipation gewährt wurde. 1812 hatte
es in Preußen Gesetze zur Judenemanzipation gegeben, welche aber in den
folgenden Jahren rückgängig gemacht wurden. Gleichzeitig kam es
verstärkt zu antijüdischen Pogromen, die sich gegen den sozialen
Aufstieg der Juden richteten. Das 19. Jahrhundert war geprägt von
politischen Kämpfen zwischen feudalen, bürgerlichen und vermehrt auch
sozialistischen Kräften. Diese Kämpfe jedoch waren Ausdruck der sich
durchsetzenden Moderne, beziehungsweise der kapitalistischen
Vergesellschaftung. Dieser gewaltige Protest formierte ein völlig anderes
Leben, religiöse Gemeinschaften wurden zerstört, das
Ordnungsgefüge der Großfamilie wurde obsolet, es setzte einhergehend
mit der Industrialisierung eine Urbanisierung und Proletarisierung ein, die
Subsistenzwirtschaften und agrarisch dominierte Wirtschaftsformen hinwegfegte,
die Feudalstrukturen sind gesetzlich zerschlagen wurden, in dem die
Leibeigenschaft verboten und die freie Wahl des Arbeits- und Wohnplatzes jeder
Person erlaubt wurde, ohne Geld ging nun nichts mehr und ehemals wirksamer
gesellschaftlicher Stand war nur noch Schall und Rauch, da die bürgerliche
Gesellschaft keine festen Stände mehr kannte. Die Rolle der Bourgeoisie,
der dritte Stand, der die bürgerliche Gesellschaft politisch
erkämpfte, wurde im Kommunistischen Manifest beschrieben: Die
Bourgeoisie hat in der Geschichte eine höchst revolutionäre Rolle
gespielt. Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen,
patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die
buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen
Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band
zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die
gefühllose bare Zahlung. Sie hat die heiligen Schauer der
frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der
spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer
Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den
Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und
wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt.
(K.Marx, F.Engels)
Die Nation
Eine wichtige neue Institution der Moderne war die Nation, die den politischen
Rahmen bildete. Sowohl innerhalb der Nation als auch zwischen den Nationen
regelte sich der politische Verkehr. Innerhalb der Nationen wurden
Verhältnisse hergestellt, die gegenüber der feudalen Politik einen
Fortschritt darstellten und Grundbedingungen für eine kapitalistische
Produktionsweise waren. Alle Menschen wurden gleich gestellt (zumindest in
Etappen), damit allen einerseits politische Mitbestimmung und Verantwortung
für die Nation möglich war und andererseits ihre Arbeitskraft in eine
freie Konkurrenz zueinander treten konnte. Der Staat hat innerhalb der Nation
die Aufgabe, die Interessen der Bürger widerzuspiegeln, die
wirtschaftliche Konkurrenz der Bürger und die politische Konkurrenz der
Klassen zu bändigen und die nötige Infrastruktur herzustellen, um
eine wirtschaftliche und soziale Funktionalität auf der Höhe der Zeit
zu garantieren. Die Nation als praktischer Vollzug der Emanzipation bedurfte
einer neuen Konstruktion des Politischen. Den sie, die Nation, trat neu auf die
Weltbühne und musste sich ja in den Köpfen der Menschen als
Ordnungsprinzip legitimieren. Es musste klar werden, dass eine Nation was
natürliches sei. Damit musste das Eigene (Identische) und das Fremde
(Differente) definiert werden. Mit der Verfestigung des Identischen geschah
dies auch mit dem Differenten und umgekehrt. In diesem Prozess hat sich
natürlich keine Clique daran gemacht diese Definition zu bringen, sondern
dies geschah durch alle Köpfe hindurch. Die Nation, die sich quasi als
Ergebnis und Bedingung eines bestimmten Stadiums kapitalistischer
Vergesellschaftung erwies, musste sich als eine solche auch in den Köpfen
wiederfinden. Ursprünglich war der Nationalismus auch
Emanzipationsbewegung des dritten Standes, durch welche die ständische
Gesellschaft angegriffen wurde. Doch Aufgrund der Notwendigkeit, das Nationale
füllen zu müssen, entstand daraus zunehmend eine
anti-emanzipatorische Bewegung, die für viele sozial verunsicherten
Gruppen Halt bot und eine pseudo-religiöse Funktion einnahm. Der
Nationalismus offenbarte in diesem Prozeß zunehmend seine Tendenz zum
Antisemitismus. Der religiöse Gegensatz zwischen Christentum und Judentum
tradierte sich in der Nation, die Handlungs- und Bewusstseinskategorie wurde,
zu einer national orientierten Differenz. Somit bedeutete der Bruch der
Aufklärung mit der Religion keinen Bruch mit dem Judenhass, sondern war
vielmehr eine Abrechnung mit den mosaischen Traditionen des Christentums. Mit
der Tradierung des Judenhasses entwickelte sich ein anderer
Begründungszusammenhang, der letztendlich den Begriff des Antisemitismus
als differenten Begriff zum Antijudaismus notwendig macht.
Das Volk
Der Antisemitismus ist rassistisch. Die Juden werden nicht mehr als
Religionsgemeinschaft, sondern als Rasse begriffen(2). Der Begriff der
Rasse selber ist einer, der erst mit der Aufklärung wissenschaftlich
hoffähig wurde, da in der Aufklärung die Tendenz zur
wissenschaftlichen Kategorisierung angelegt ist. Während es in
religiös dominierten Weltbildern eine eschatologische Ehrfurcht gibt und
das Leben als göttlich und somit nicht als wissenschaftlicher Gegenstand
begriffen wird, durchfurcht die aus der Aufklärung hervorgegangene
Wissenschaft alles und macht sich die Welt zum Untertan. Die Wissenschaft vom
Menschen, die Anthropologie, hat eine Menge Instrumente in die Welt gesetzt,
mit denen völkische Weltbilder untermauert werden konnten. Alles wurde
klassifizierbar und die Natur wurde auf ihre Gesetzmäßigkeit hin
überprüft. Die Physiognomie und die Sprachwissenschaft halfen
kräftig mit bei der Konstruktion von Rassen. Blut, Gesichts-,
Körperbau- und Sprachtypen wurden zu Kriterien von Rassen. Auch war dies
die Zeit der Kolonialisation, in der den Menschen die Unterschiede
verschiedener Lebens- und Aussehensweisen vor Augen geführt wurden. Der
Begriff der Rasse wurde zu einer physische und psychische Eigenschaften
umfassenden Determinante, mit der sich die Welt ziemlich einfach erklären
lies und die wie gesagt auch nötig war, um die eigene Nation
als Gebilde legitim zu finden. Trotzdem würde man der Aufklärung
Unrecht tun, würde man ihr die Schuld geben. Denn sie gebar zwar die
Mittel, doch der Zweck des Antisemitismus stand den propagierten Idealen der
Aufklärung entgegen. Seine ideellen Momente gewann der Antisemitismus eher
durch die Aufwärmung romantischer Weltanschauungen, die sich durch ihre
Hinwendung zum Biologisch-Kreatürlichem auszeichneten. Der Pietismus, von
dem Herder sehr angetan war, entstand während der Aufklärung und
propagierte das Volk als religiöse Gemeinschaft mit einer gemeinsamen
(Rassen)Seele, die in ihrer Reinheit bewahrt werden müsse. Die Nation als
künstliches Gebilde wurde als Rahmen der Volksgemeinschaft zu einer
natürlichen beziehungsweise gottgewollten Gegebenheit. Typisch romantisch
ist der Pietismus, weil er den künstlichen Gemeinschaften der Moderne
angeblich organisch gewachsene natürliche Gemeinschaften entgegensetzte.
Herder zum Beispiel bemühte den Vergleich der Volksgemeinschaft mit einem
Baum. Dieser wächst empor, seine Lebensringe bilden eine Einheit und
spiegeln Geschichte wider, seine Kraft nimmt der Baum aus dem Boden, jeder Teil
des Baumes gehört zum Ganzen und hat seinen speziellen Platz. Diese
Analogie sollte aufzeigen, dass das Volk ein ganzheitlicher Organismus ist und
in der Dekadenz der Moderne seinen Platz behaupten muss. In der Mythologie
offenbart der Volksgeist seine Kraft und bewahrt seinen Ursprung. Herder, ein
Kind der Aufklärung, gehörte zu jener Denkerschicht, die in der
Volksgemeinschaft die Rettung gegen die dekadente Moderne sahen.
Dass gerade in Europa und insbesondere Deutschland der Antisemitismus Fuß
fasste, hat damit zu tun, dass eben hier, im Gegensatz zu den USA, die Nation
nicht nur als politischer Zusammenschluss erfahren werden konnte, sondern die
Konstruktion eines Identischen durch eine gemeinsame Sprachzugehörigkeit
und gemeinsame Geschichte ermöglicht wurde. Die Nation konnte konkret
bestimmt werden, während die Juden eben jene waren, die sich politisch
emanzipieren mussten, um Staatsbürger zu werden, weil sie konkret nirgends
dazu gehörten. Sie wurden so als Abstraktheit erfasst, die sämtlichen
Nationen künstlich angehörte. Die Juden wurden nicht nur in
Deutschland als wurzellos, international und abstrakt angesehen.
Nicht zu unterschätzen ist der Darwinismus, der im ausgehenden 19.
Jahrhundert sehr bekannt wurde und gerade von Strömungen aufgegriffen
wurde, die das Natürliche im Menschen suchten, anstatt den Menschen als
gesellschaftliches Wesen zu begreifen.
Das antibürgerliche Unbehagen
In ihrem Unbehagen gegenüber der Moderne sind sich rechte und linke
Strömungen schon immer sehr nahe gewesen, was dann fatal wird, wenn
gleiche Schlussfolgerungen und Lösungsformeln gefunden werden. Bakunin und
Tolstoi haben mit rechter Kulturkritik zum Beispiel die Verherrlichung des
Bauernstandes, der im Angesicht seines Schweißes arbeitet,
gemeinsam(3). Mit dieser Verehrung des ärmlichen
schaffenden Lebens geht meistens eine Ablehnung des reichen
raffenden Lebens einher. Während die bürgerlichen
Ideologen Aktien, Geld etc., welche die Erscheinungsformen der abstrakten Seite
des Kapitalismus, der abstrakten Arbeit sind, als Naturgesetze des menschlichen
Zusammenlebens hypostasieren, verewigen romantische antibürgerliche
Ideologen, also rechte und viele linke Kulturkritiker, die konkrete
Seite der Erscheinungswelt im Kapitalismus, die sich im Gebrauch der Waren und
in der konkreten Tätigkeit darstellen(4). Diese Erscheinungen
werden als natürlich ausgewiesen, während die Geldsphäre als die
kapitalistische definiert wird. Dabei befindet sich eine solche Analyse
innerhalb der kapitalistischen Warengesellschaft und verewigen eine bestimmende
Seite der kapitalistischen Warengesellschaft, wobei gerade die Arbeit die
Substanz des Geldes ist. Doch bei der Hypostasierung der konkreten Seite wird
nicht stehen geblieben, da die abstrakte Seite ebenfalls konkretisiert wird.
Die abstrakte Seite des Kapitalismus wird als Unheimliches abgelehnt. Sie wird
nicht in ihrer vollständigen Abstraktheit erkannt, sondern z.B. in
Spekulanten und WTC verortet(5). Dass besonders in Europa die Wahl der
Konkretisierung des Abstrakten auf die Juden abzielte, war innerhalb des
europäischen Kontextes kein Zufall.
Mit der Bestimmung des Identischen der Nation, also dem Volk, der Rasse,
bestimmt sich auch das Differente als Rasse. Im Begriff des Antisemitismus
taucht dieses rassistische Prinzip auf, da die Juden nicht mehr als
jüdische Religionsgemeinschaft bestimmt sind, sondern als Semiten. Somit
zeichnet sich der Antisemitismus durch die Irreversibilität des in ihm
gefassten Judeseins aus. Dem Juden wird keine Möglichkeit mehr in Aussicht
gestellt, seinem vorgeblichen Wesen zu entkommen. Die negativen Stereotype, die
sich an die Juden koppelten, wurden neu untermauert. Dabei wurden die Juden
insbesondere mit den Eigenschaften in Verbindung gebracht, welche die Moderne
als negativ empfundene mit sich brachte. In diesem Sinne stimmt es nicht ganz,
dass Semiten als Juden galten, sondern eher, dass diejenigen Juden waren, die
als wurzellos und eben jüdisch erschienen(6). Sie wurden zu
Sündenböcken der Moderne: Zerstörung sozialer Gefüge,
Technik-Triumph, Arbeitslosigkeit(7), Abschaffung der
Subsistenzwirtschaft, Naturentfremdung, Werteverlust, Proletarisierung,
Urbanisierung, Bevölkerungszuwachs(8), Geld, Industrialisierung,
Säkularisierung, Habgier, Einzelinteresse, Gerissenheit, Morallosigkeit,
etc. Gerade die assimilierten Juden wurden als Individuen angesehen, die das
Prinzip ihres Wesens, wurzellos zu sein, umsetzten. Diese Juden wurden als
Wölfe im Schafspelz angesehen, die ohne Heimat und doch aus dem
Schoße ihres Volkes kommend das fremde Volk versauten. Die Rolle des
Juden als Teufel blieb bestehen, galt er früher als Gottesmörder, war
er nun Zerstörer der sozialen Ordnung.
Die Assoziation der Juden mit der Moderne entsprang einerseits der
Unfähigkeit, die abstrakte Seite des Kapitalismus zu verstehen, und
andererseits einer wahnhaften Übertreibung. So gab es eine Schicht von
Juden, die wegen der Berufsdekretierung des Mittelalters gezwungen waren, in
der Geld- und Handelssphäre zu arbeiten, was sich mit der Durchsetzung des
Kapitalismus als günstig erwies, da diese Sphären
boomten. Außerdem waren die Juden durch die Diaspora relativ flexibel und
waren durch die Tradition des Talmud-Studiums alphabetisiert, was auch
vorteilhaft war. Doch auf die Ostjuden beispielsweise, die wegen heftiger
Pogrome in Russland ins westliche Europa und nach Amerika emigrierten, trifft
dies überhaupt nicht zu, da diese eine proletarische Schicht bildeten. Das
war den antisemitischen Subjekten egal. So hieß es dann bei einem
anerkannten deutschen Historiker 1879 über die Ostjuden: (...)
über unsere Ostgrenzen aber dringt Jahr für Jahr aus der
unerschöpflichen polnischen Wiege eine Schar strebsamer hosenverkaufender
Jünglinge herein, deren Kinder und Kindeskinder dereinst Deutschlands
Börsen und Zeitungen beherrschen sollen. (von Treitschke,
Heinrich)
Der Stereotyp des Parasiten verstärkte sich zusehends, was auch mit dem
feudalen Ethos des Bodens und der Handarbeit zu tun hatte. Alle Arbeiten, die
augenscheinlich nicht damit zu tun hatten, im Feld herumzustochern oder
Gegenstände herzustellen, erschienen als unproduktiv und wurden als
parasitär empfunden.(9) In den deutschen Feudalstaaten war es
üblich, die Gemeinschaft durch geschlossene Zünfte abzudichten. Mit
der Auflösung dieser Zünfte durch die liberale Gesetzesgebungen war
es nun auch anderen Menschen möglich, Manufakturen, kleine
Handwerksläden und ähnliches zu eröffnen. Dies geschah durch
Juden, Holländer, Hugenotten, Italiener und viele andere. Diese hatten
mehr Ahnung, wie eine moderne Betriebswirtschaft auszusehen hatte und stellten
eine gewaltige Konkurrenz für die deutschen Handwerker und Bauern dar. Die
Antisemiten verwechselten Präsentation mit Macht. Soweit es stimmt, dass
ihnen durch Juden und andere des Handels erfahrene Menschen in der
kapitalistischen Konkurrenz das Wasser abgegraben wurde, so ist der Glaube, die
Juden hätten die Macht über die Moderne (Geldwirtschaft etc.), eine
Projektion(10). Besonders Zeitungen, Börse und Banken wurden,
weil sie Ausdrücke der bürgerlichen Gesellschaft waren, als Horte der
Juden gesehen. Liberalismus und Kapitalismus wurden als jüdische
Instrumente zur Machtbereicherung angesehen. Der Kapitalismus an sich
funktioniert ohne direkte Herrschaft und ist in seiner Expansionstendenz
machtvoll. Dazu bedarf er nicht der Herrschaft von Menschen über Menschen,
sondern wirkt durch alle Menschen hindurch als gesellschaftliches
Verhältnis (subjektlose Herrschaft). Da die Macht des Kapitalismus keine
ist, die sich dadurch auszeichnet, dass eine bestimmte Personengruppe
zielgerichtete Macht ausübe, ist die Personifizierung des abstrakten
Vergesellschaftungsvorgangs wahnhafte. Das Unbehagen im Kapitalismus schafft
sich im Antisemitismus ein Ventil, wodurch alle Unzufriedenheit auf die Juden
entladen wird(11).
Es ergab sich in Folge dieses Wahns ein unheilvolles Bündnis von zu kurz
gekommenen. Dazu gehörten Proletarier, Mittelständische, Pfarrer,
Adelige, kleine Beamte und Angestellte. Der Antisemitismus bot all diesen
Leuten eine Erklärung, wer an der unbehaglichen Moderne Schuld trägt
und dafür verantwortlich zu machen ist. Der Antisemitismus taugt zu jeder
Argumentation. Ob es gegen den Liberalismus, die bürgerliche Gesellschaft
oder den Sozialismus ging, ob es liberale, bürgerliche oder sozialistische
Antisemiten waren, die Juden waren der Feind.
Leben oder Tod
Das Prinzip von Gott und Teufel, Christen und Juden tradierte zu dem Prinzip
Leben oder Tod(12). Der Antisemitismus ist im Gegensatz zum Judenhass
nicht Teil oder Ergebnis eines Weltverständnisses, sondern eine
Welterklärung selber, aus der heraus sich unterschiedliche Formen
entwickeln und die unbedingt und sich selbst Zweck ist. Der Antisemitismus ist
ein geschlossenes Weltbild mit einem missionarischem Impetus, welches der
festen Überzeugung ist, die Welt mit der Beseitigung der Juden von allem
Übel auf immer und ewig zu befreien. Der Hass auf die Juden bildet den
Mittelpunkt des Denkens antisemitischer Subjekte.
Während Judenfeindschaft bedeutet, dass bestimmte negative Eigenschaften
von Menschen auf die Juden projiziert werden, überträgt der
Antisemitismus Eigenschaften auf eine Menschengruppe, die auf niemanden
zutreffen, weil sie Ausdruck eines gesellschaftlichen Verhältnisses und in
ihrem Wesen abstrakt sind. Diese Ideologie, die ein abstraktes
gesellschaftliches Verhältnis auf Menschen projiziert, wird sich selbst
nur dann gerecht, wenn es permanent vernichtet. Der Antisemitismus kennt kein
Ende seines Vernichtungswillens, da das Ziel seiner Angriffe ein wahnhaft
erdachtes ist und die Ursache des Wahns fortbesteht.
Wichtig ist, dass Antisemitismus weder Bewusstseinsmanipulation noch
zweckrationale Herrschaftsform, sondern eine umfassende Ideologie ist. Der
Traditionsmarxismus hat den Antisemitismus meist als Herrschaftsmittel der
Großindustrie angesehen, genau wie er Hitler als Diktator (oder als
Marionette des Monopolkapitals) begriffen hat. Daraus entstand in der DDR ein
Antifaschismus, der verordnete, dass alle Menschen nun in der DDR automatisch
von der Schuld, Faschisten gewesen zu sein, befreit sind, weil das an sich
ehrliche Volk unter der nationalsozialistischen Diktatur zu leiden hatte. Im
Basis-Überbau-Schema der Traditionsmarxisten ist Ideologie die
unmittelbare rationale Folge ökonomischer Interessen. Dass ist Quatsch und
auch nicht in die Tradition von Marx zu stellen, der durch die Begrifflichkeit
des Fetischs aufgezeigt hat, dass die Basis der ökonomischen
Verhältnisse nicht in ihrem Wesen, sondern als Erscheinungen
widergespiegelt werden. Gesellschaftliche Vermittlung, die in ihrem Wesen
abstrakt ist, erscheint verdinglicht in Geld. Diese Verdinglichung spiegelt
sich auch im Denken wieder, verschleiert das eigentliche gesellschaftliche
Verhältnis der Menschen untereinander und gewinnt ein Eigenleben, indem
eine zweite Natur gebildet wird, in der sich Zwänge und
Herrschaft als natürlich konstituieren und wobei Wahrnehmungen und
Erkenntnisse in den Erscheinungsformen des Kapitalismus befangen bleiben. Und
der Antisemitismus ist ein fetischistisches Denken und verwirklicht keine
wirtschaftlichen Interessen. Eben darum wird der Antisemitismus sich selbst
Zweck und deportiert auch dann noch Juden, wenn es schon rational sinnvoller
wäre, die Züge zum Transport von Kriegsmitteln zu verwenden, um die
Sowjetarmee aufzuhalten. Auch in den heutigen Lehrbüchern wird der
Antisemitismus nicht als Ideologie, die durchs Volk getragen wurde, und
aufgrund derer Hitler an die Macht gekommen ist, sondern als Ergebnis der
nationalsozialistischen Machtergreifung begriffen.
Antisemitismus und Antijudaismus haben die Vorstellung einer jüdischen
Macht gemeinsam: die Macht Gott zu töten, die Pest auszulösen, oder
im Falle des Antisemitismus, die dekadente bürgerliche Gesellschaft zu
verursachen. Der Antisemitismus unterscheidet sich vom Rassismus bezüglich
der zugeschriebenen Macht. Während der Rassismus auf Menschen abzielt,
deren Macht konkret und kontrollierbar scheint, wird den Juden durch den
Antisemitismus eine abstrakte, konspirative und allgemeine und damit schwer zu
kontrollierende Macht unterstellt(13). Diese Verschwörungstheorie
ist sattelfest, weil sie von einer konspirativen Gegenmacht redet, die somit
keiner konkreten Beweise bedarf und keine Gegenargumente akzeptiert. Eine
wahnhafte Konstruktion kennt keine Gegenbeispiele, da sie sich in ihrem Wahn
immer wieder selbst gerecht wird.
Typische Bilder einer antisemitischen Ideologie sind die, wo Marionetten von
reichen Herren geführt werden, um das Volk zu
bändigen.(14)
Besonders nach der Jahrhundertwende verstärkte sich der Antisemitismus
fortfolgend. In dieser Zeit setzten in Folge eines größer werdenden
Kulturpessimismus eine Suchbewegung ein, die anstatt eines sozial-politischen
Diskurses einen kulturkritischen Diskurs forcierte, in dem Kultur anstatt
Zivilisation gefordert wurde, was in dieser Trennung natürlich schon
Quatsch ist. Ein Angebot innerhalb dieser Strömung war die neue Rechte,
die sich durch einen aggressiven Antiliberalismus und sozialdarwinistischen
Nationalismus kenntlich machte, wobei völkisches, rassistisches und
antisemitisches Gedankengut breit und offen über Klassengrenzen hinweg
propagiert und zu einem Bindemittel wurde(15). 1919 gründete sich
eine der ersten antisemitischen Massenpartein in Deutschland, der
Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund, dem 200 000 Mitglieder
angehörten. Auch gründete sich in diesem Jahr die Deutsche
Arbeiterpartei, der später A. Hitler beitreten sollte und die
schließlich in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
umbenannt wurde.
An diesem Punkt soll der Exkurs abgebrochen werden. Es sollte gezeigt werden,
dass der Antisemitismus kein plötzliches Phänomen war, welches 1933
in die Welt trat, sondern eine lange Geschichte hatte und, worauf hier nicht
eingegangen wird, immer noch hat. Bei dem Vortrag am 8. März im
Tomorrow-Theorie-Café wird eine Annäherung an die Ideologien
Antijudaismus und Antisemitismus ähnlich wie in diesem Artikel referiert
und explizit auf den Aufsatz von Moishe Postone (Nationalsozialismus und
Antisemitismus), der das Verhältnis von Kapitalismus und Antisemitismus
zum Thema hat, eingegangen.
Hannes
Fussnoten:
(1) Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin, in:
Gartenlaube (Familien-Illustrierte), Leipzig 1876, Auflage: 375 000
(2) Aber es ist gar nicht nötig, dass der Jude
vorschriftsmäßig im Kaftan, mit den Peies, dem Kastor und den hohen
Stulpen erscheint, das sind Äußerlichkeiten der Kleidung, die er
ablegen kann und in Deutschland wohl meist abgelegt hat. Aber seine
körperlichen natürlichen Anlagen! Wie er sich in den Hüften
wiegt, wie er mit den Armen gestikuliert, vorgebeugten Hauptes voraneilt
... (Endners, Wilhelm: 1880)
(3) Jeder echte Deutsche ist Arbeiter. Das gehört zum Stil
seines Lebens. (Sprengler, Oswald: Preußentum und Sozialismus,
München, 1920)
(4) Die konkrete Seite entspringt selber aber einem kapitalistischen
Formzusammenhang. Ebenso wie Tausch- und Gebrauchswert sich gegenseitig
bedingen, bedingen sich auch konkrete und abstrakte Arbeit.
(5) Der antikapitalistische Angriff bleibt jedoch
nicht bei der Attacke auf das Abstrakte als Abstraktem stehen. Selbst die
abstrakte Seite erscheint vergegenständlicht. Auf der Ebene des
Kapitalfetischs wird nicht nur die konkrete Seite naturalisiert und
biologisiert, sondern auch die erscheinende abstrakte Seite, die nun in Gestalt
von Juden wahrgenommen wird. So wird der Gegensatz von stofflich Konkretem und
Abstraktem zum rassischen Gegensatz von Arier und Jude. (Moishe Postone,
Nationalsozialismus und Antisemitismus, in: Dan Diner, Zivilisationsbruch)
(6) Ahasver: eine typische Bezeichnung biblischen Ursprungs, die einen
wurzellosen ungebundenen Menschen bezeichnet. Der Prototyp des kosmopolitischen
Judens.
(7) Allein in Preußen suchten, nachdem 1807 die Leibeigenschaft
aufgehoben wurde, 100 000 Bauern als ArbeiterInnen Beschäftigung
(8) 1700 gab es auf dem Gebiet der späteren deutschen Reiches 15
Mio. Einwohner, 1900 waren es 56 Mio.
(9) Reichtum der Juden ist Resultat der losesten und
verächtlichsten Wucherkünste. Reichtum die Frucht eines
gleichmäßig unterhaltenen produktiven Fleißes. Der Jude
hat im Gegensatz zum Christen auch nicht den schwächsten Antrieb ihn
zum Bestand des Ganzen anzulegen. (Friedrich Buchholz, 1803)
(10) Besonders in Krisenzeiten ging der verbale Antisemitismus in die
Tat über. In Folge der Gründerkrise titelte 1875 die auflagenstarke
Zeitschrift Germania Kauft nicht bei Juden!.
(11) Richard Wagner meinte 1880, er hätte eine
instinktmäßige Abneigung gegen Juden, diese seien der
plastische Dämon des Verfalls der Menschheit. G. Fichte, der
deutsche Philosoph glaubt, man müsste den Juden in einer Nacht ...
allen die Köpfe abschneiden und andere aufsetzen.
(12) Der Hofprediger Adolf Stoecker (Christlich Soziale Partei) meinte
1885 bezüglich der Notwendigkeit eines Kampfes gegen die Juden: Sein
oder Nichtsein (...) einen Gegensatz an dem Völker zugrunde gehen
können, wenn sie ihn nicht auskämpfen.
(13) Wobei die Unterscheidung hier auf dem Papier zwar klar zu
vollziehen ist, treten in der Wirklichkeit aber antisemitische und rassistische
Phänomene verquickt auf. Dies gilt bezüglich der Motivation der
Täter, als auch in der Wahl der Opfer. So beispielsweise im Ressentiment
gegen die Zigarettenmafia, in dem sowohl rassistische als auch antisemitische
Stereotypen enthalten sind.
(14) Für die Bonzen steht ihr da, Marionetten ha, ha,
ha., Hinter dem Faschismus steht das Kapital, der Kampf um
Befreiung ist international. (Beim zweiten dieser Demosprüche ist
mit Kapital nicht die Einheit von Produktions- und Zirkulationssphäre,
sondern sind Banker und Spekulanten gemeint)
(15) Diese Fremdlinge pflegen durch ihre geschäftliche
Unmoral schnell zu Wohlstand zu gelangen, (...) hier muss schonungslos
durchgegriffen werden, wenn das deutsche Volk von dieser Landplage befreit
werden soll. (Nov. 1919, Rhein- und Ruhrzeitung)
Für uns besteht nicht der geringste Zweifel an der überaus
großen Gefährlichkeit dieser Elemente. Da sie es bei ihrem
Raffinement, bei ihren Verbindungen untereinander und mit Dritten und bei ihrer
Geschicklichkeit, Ausnahmebestimmungen auszunutzen, anscheinend sehr gut
verstehen, die gesetzlichen Vorschriften zu umgehen, so ist trotz aller hie und
da verhängten Strafen und sonstigen Nachteilen gegen das Unwesen ein
durchgreifender Erfolg kaum zu erhoffen, wenn es sich nicht ermöglichen
lässt, die unerwünschten ausländischen Gäste, deren
Anwesenheit für uns auch aus politischen wie aus Ernährungs- und
Wohnungsrücksichten nicht gerade von Vorteil sein dürfte, von
Deutschland fernzuhalten. (1.2.1919, Schreiben des Reichsbankdirektoriums
an den Reichsminister des Inneren, anfangs werden geeignete
Maßnahmen gegen die galizischen und polnischen Juden im
Berliner Scheunenviertel gefordert)
Die Erfahrung des Berliner Polizeipräsidiums und vieler anderer
Dienststellen ergeben, dass sich unter ihnen zahlreiche, zu ungesetzlichen
Handeln neigende Elemente befinden, die der inländischen Bevölkerung
nicht nur durch Inanspruchnahme der ohnehin knappen Wohnräume und
Nahrungsmittel zur Last fallen, sondern als Schädlinge im deutschen
Wirtschaftsleben zu bezeichnen sind. (...) Dazu kommen die schweren
Missstände in unserem Wirtschafts- und Erwerbsleben, die durch Wucher,
Hehlerei, Schiebergeschäfte und andere Arten des ungesetzlichen Handelns
hervorgerufen werden. Auch diese Missstände werden durch die
ostjüdische Einwanderung verschärft, da erfahrungsgemäß
ein großer Teil der Ostjuden zu unlauterem geschäftlichen Vorgehen
neigt. (1.11.1919, Schreiben des Reichsinnenministers an sämtliche
preußische Minister)
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