Aufruf zur NATO-Sicherheitskonferenz in München. Aufruf zum
internationalen Block am Samstag, den 2. Februar 2002
Wenn die euro-atlantische Sicherheitsstruktur neu verhandelt wird
Alle Jahre wieder versammelt sich in München eine kleine, aber gut
ausgewählte Truppe von hochrangigen Ministern, Militärs,
Parlamentariern, Journalisten und Experten aus aller Herren Länder. Zur
Debatte steht nun auch nicht irgend etwas, sondern neue Strategien zur
Sicherheitsstruktur des euro-atlantischen Raums. Und die Sicherheit und
Stabilität dieses Raumes kann eigentlich durch alles betroffen werden, was
sonst noch so auf der Welt passiert. Dies ergibt sich allein aus den
selbstdefinierten Bedrohungsszenarien, die von der Verbreitung von ABC-Waffen
und deren Trägertechnologie über die Störung des ungehinderten
Transportes lebenswichtiger Rohstoffe bis zu unkontrollierten
Migrationsbewegungen reichen. Die Münchner Konferenz für
Sicherheitspolitik ist das Forum, in dem militärpolitische Konzepte
diskutiert werden sollen, um den neuen Herausforderungen entsprechend begegnen
zu können. Nicht ohne Grund bezeichnet die Ausrichterin, die BMW-eigene
Herbert Quandt-Stiftung, die Konferenz als das Davos
der Sicherheitspolitik. Zentrale Säule dieser Sicherheitsstruktur ist seit
52 Jahren die Nato. Während des Kalten Krieges als
Verteidigungsbündnis gegründet, wurde diese mit dem Abkommen von
Washington als Allianz für das 21. Jahrhundert für ihre
neuen Aufgaben fit gemacht. Dass die Möglichkeit der militärischen
Krisenintervention außerhalb des Bündnisgebiets und bereits vor den
Beschlüssen von Washington bestand und auch wahrgenommen wurde, hatte die
Nato mit dem Angriffskrieg auf Jugoslawien unter Beweis gestellt. In Washington
wurde aber nicht nur dieser Krieg im nachhinein zumindest auf die Grundlage des
Natovertragswerkes gehievt, sondern vor allem die Möglichkeit geschaffen,
bei allen Krisen, die die euro-atlantische Stabilität gefährden
und die Sicherheit von Bündnismitgliedern berühren
könnten, militärisch zu intervenieren. Dass dies nichts mehr
mit Verteidigung zu tun hat, erscheint so nur, wenn Verteidigung auf den
Begriff der militärischen Auseinandersetzung reduziert wird. Aus dem
Verständnis einer kapitalistisch globalisierten Welt betrachtet, ist
Stabilität und Sicherheit allerdings durch fast jede unkalkulierbare
Verschiebung von Machtverhältnissen gefährdet und natürlich auch
durch die empfindliche Störung der notwendigen Verkehrssicherheit im
kapitalistischen Warenaustausch. Diese Weltordnung zu stabilisieren und zu
verteidigen, haben die Nato-Mitgliedsstaaten in Washington als ihr Ziel
formuliert. Dass ein solches Verständnis von einem
Verteidigungsbündnis keine Rücksicht mehr auf die UN
nehmen kann und will, welche in ihrer jetzigen Form als Relikt des Kalten
Krieges begriffen werden muss, ergibt sich zwangsläufig und spiegelt sich
in der Praxis während des Jugoslawien-Krieges wider. Dass die Nato die
bisherigen völkerrechtlichen Grundlagen verlassen hat, ist nicht
überraschend. Es liegt in der Notwendigkeit, sich der aktuellen
Entwicklung anzupassen. Dass dabei alte Strukturen weiterentwickelt
werden müssen, seien sie auch noch so heilig, da juristische, versteht
sich von selbst. Das Ende des Kalten Krieges hat die Nato nicht unter
Rechtfertigungsdruck gebracht. Im Gegenteil: es hat diesem Bündnis den
Raum gegeben, sich zu modernisieren. Die Reform vom Verteidigungsbündnis
der Westmächte hin zum Verteidigungsbündnis der kapitalistischen
Weltordnung ist ohne größeren Widerstand vollzogen worden. Auch die
im Aufbau befindliche europäische Interventionsarmee, an deren Spitze
Deutschland steht, ist Teil dieser Verteidigung und steht nicht im Widerspruch
zu der neuen Rolle der Nato, genauso wenig wie der militärische Alleingang
der USA und Großbritanniens in Afghanistan. Wer aus dem Aufbau von
Parallelstrukturen und der Nichtbeteiligung der Nato an militärischen
Operationen eine Schwächung oder gar Unwichtigkeit des Bündnisses
ableitet, begeht einen großen Fehler - die Reduzierung dieses
Bündnis auf die direkte militärische Intervention. Hat dieses doch
bis jetzt erst ein einziges Mal in seiner Geschichte mit einem Angriffskrieg
interveniert und erst einmal den Bündnisfall nach Artikel 5 ausgerufen.
Und doch kann die Geschichte nach dem 2. Weltkrieg nicht ohne die
militärisch mächtigste Organisation aller Zeiten gedacht und
begriffen werden.
ESVP: Schlüsselprojekt der europäischen Einigung
Eine eigenständige europäische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik (ESVP) aufzubauen, ist wohl das am rasantesten
fortschreitende Projekt der europäischen Politik. Erst 1999 beschlossen,
soll eine 60.000 Soldaten starke Eingreiftruppe schon 2003 einsatzfähig
sein. Deutschland stellt dabei den größten Anteil, voraussichtlich
18.000 Soldaten, Frankreich und GB folgen mit je 12.000. Dass die EU damit die
Fähigkeit zu autonomem Handeln erlangt, wie von deren VertreterInnen immer
wieder betont wird, ist allerdings nicht der Fall. Obwohl es gerade darum geht,
handeln zu können, wenn die Nato nicht als Ganzes beteiligt ist. Denn der
Rückgriff auf die Kapazitäten der Nato bleibt bisher bei jedem
potentiellen Einsatz notwendig, da keine eigenen Planungs- und
Informationssysteme existieren und sich auch nicht im Aufbau befinden. Und bei
einer Nutzung von Nato-Einrichtungen muss mit der Nato in Konsultation getreten
werden. Eine militärpolitische Stärkung der europäischen
Mitglieder ist trotzdem ausdrücklich gewünscht, auch jenseits des
Atlantiks. So fordert die USA seit mehreren Jahren eine stärkere
militärische Verantwortung Europas und unterstützt dabei den Aufbau
der ESVP. Das wurde unter anderem an der direkten diplomatischen Intervention
in der Türkei, um diese als letztes Nato-Mitglied auf ESVP-Kurs zu
bringen, deutlich. Europa soll selbst in der Lage sein, den eigenen Hinterhof
sauber zu halten, natürlich nur nach vorheriger Zustimmung der USA.
Hauptziel ist es, Sicherheit und Fortschritt in Europa und der Welt zu
fördern, was die nicht nur regionale Einsatzmöglichkeit dieser
Truppe verdeutlicht. Und was nichts anderes bedeutet, als die heutigen
Ausbeutungsmechanismen militärisch weltweit abzusichern und auszubauen.
Dass Deutschland dabei endlich wieder mitmischen darf und endlich eigene bzw.
europäische Interessen in einer Führungsposition auch
militärisch untermauern darf, wird nun mit der weltpolitischen
Verantwortung Europas und im speziellen Deutschlands unterstrichen. Für
die EU gibt es aber noch eine weitere Komponente, die eine europäische
Interventionstruppe erfüllen soll. Die europäische Außenpolitik
ist trotz aller Hohen Vertreter keine gemeinsame, von einer einheitlichen kann
nicht gesprochen werden. Bildet sich mit der Außenpolitik, dem
Herantreten an jemanden außerhalb des Kollektives, doch noch immer am
stärksten die eigene Identität der nationalen Volksgemeinschaft.
Diese ist weiterhin eins der wichtigsten identitätsstiftenden Momente der
modernen, auf Nationen beruhenden Weltordnung. Die EU sucht krampfhaft nach
einer ähnlichen Form von Identifikation der Bevölkerung mit diesem
Staatenverbund. Der EURO ist dabei nur ein Schritt, aber er reicht nicht aus.
Wenn also schon keine gemeinsame Außenpolitik eine solche Identifizierung
schaffen kann, so wird es ein europäischer Kriegseinsatz allemal. Im
Rahmen der Nato wird dieses Projekt dann auch Europäische
Sicherheits- und Verteidigungsidentität (ECVI) genannt.
Unser Krieg gegen den Terrorismus beginnt mit der al Qaida, aber er wird
da nicht enden.
Kaum ein anderer Satz macht deutlicher, wie sich die Weltordnung mit dem 11.
September verändert hat. So deutlich, wie sich in diesem Satz
widerspiegelt, dass es ein langer und gründlicher Krieg werden wird,
enthält er doch eine Lüge. Der Krieg beginnt nicht mit der al Qaida,
dieser Krieg hat keinen starting point. Der Beginn, die Durchsetzung des
imperialistischen Machtanspruches einer oder mehrerer Nationen, kann nicht
zeitlich verortet werden. Ob es nun um einen Vergeltungsfeldzug geht,
geostrategische Interessen oder ganz direkt um Ölquellen, ist dafür
egal. Die Besonderheit der jetzigen Situation liegt nicht in dem kriegerischen
Akt selbst, sondern in seiner Legitimation. Nicht in der Legitimation der
Vergeltung der Ereignisse des 11. September, sondern in der Legitimation, dass
Super- bzw. Großmächte ab sofort nicht mehr nur mit
geheimdienstlichen, wirtschaftlichen oder politischen Mitteln jederzeit ihre
Interessen weltweit durchsetzen dürfen, sondern auch militärisch. Die
Resolutionen 1368 und 1373 des UN-Sicherheitsrates geben die weltweite
Intervention dort frei, wo sich etwas der jetzigen Weltordnung widerstrebendes
entwickelt oder existiert. Diese Resolutionen legen gemeinsam mit der Praxis
der imperialistischen Staaten die neue Weltkriegsordnung fest. Dass in diesem
Gremium fast alle Großmächte vertreten sind, lässt ahnen,
welcher Grad der Militarisierung und Brutalisierung den jeweils sich nicht
beugenden Kräften ins Haus steht. Diese Entwicklung kann nun nicht den USA
vorgeworfen werden, weil sie wegen der aktuellen Betroffenheit die ersten
Nutznießer sind. Praktizierte dies doch die Nato schon in Jugoslawien und
befand sich das Nato-Konzept auch schon auf einem entsprechenden Weg,
sicherlich im Interesse aller Nato-Mitglieder. Die Möglichkeiten der
militärischen Konditionierung von Staaten und Regionen, die bisher vor
allem auf ökonomischer Ebene durch IWF und Weltbank stattgefunden hat,
wird den geostrategischen Interessen und Ambitionen einen neuen Schub
verleihen. Dass die Möglichkeit, unproblematischer militärisch
intervenieren zu können, eine neue Aufwertung von Staatlichkeit und deren
grundlegenden Instrumenten nach sich zieht, verdeutlicht, dass Staatlichkeit
der Globalisierung nicht widerspricht, im Gegenteil notwendig ist für die
Durchsetzung und Stabilisierung dieser. Die Hoffnung eines Teils der
Antiglobalisierungsbewegung, im Nationalstaat einen Verbündeten gegen die
Globalisierung zu finden, muss diese vor dessen Brutalität erschrecken
lassen.
No one here gets out alive!
Stand bisher im Zentrum der Kritik vom oben genannten Teil der Bewegung der
Neoliberalismus, auch Kapitalismus pur genannt, entfesselte
Finanzmärkte oder ähnliches, enthielt diese Kritik damit immer eine
Möglichkeit der Besserung innerhalb des Systems. Nun entpuppt sich aber
der potentielle Heilsbringer, die regulierende und die zur Sozialstaatlichkeit
fähige Nation als nächster Bösewicht. Die Forderung nach der
Tobinsteuer oder ähnlichen regulierenden Maßnahmen, die die
Finanzmärkte wieder zu Investitionen ins schaffende Kapital
treiben sollten, könnte nun real zu Investitionen in die
Rüstungsindustrie führen, im Augenblick auf jeden Fall höchst
profitabel. Oder sie könnte die Tabaksteuer für die Innere
Sicherheit unnötig machen oder die Umstrukturierung der Bundeswehr
finanzieren. Die Suche nach der Alternative, nach einer humaneren Gesellschaft
und deren Ansätzen innerhalb der bestehenden Nationalstaaten, muss selbst
ohne tiefergehende Analyse als haarsträubend erscheinen. Die
Gegenüberstellung von Staat und Kapital, von Raubtier- und rheinischem
Kapitalismus, Elend und Verderben durch Umstrukturierung oder durch Bomben,
erscheint nicht nur in der Wertung als kaum abwägbarer Unterschied, er
darf auch nicht als solcher gesehen werden, sondern es sind zwei Seiten
derselben Medaille. Welche Rolle die Nationalstaaten trotz
globalisierter Weltwirtschaft spielen, spiegelt nicht nur die
Außen- sondern auch die Innenpolitik wider, und selbst dies bleibt eine
unzureichende Reduzierung. Das permanente Bedrohungsszenario, welches weltweit
herauf beschworen wird, wird letztlich zur Militarisierung der Inneren
Sicherheit genutzt. Mit der Figur des Schläfers, seit
Anthraxbriefen, der Enthüllung der amerikanischen Talibankämpfer oder
des FBI-Doppelagenten, der aller Wahrscheinlichkeit nach das sog.
Handbuch des Terrors verfasst hat, bleibt es nicht reduziert auf
den Araber, jetzt ist jede und jeder verdächtig. Dass dabei nicht nur
islamistische Terroristen ins Fadenkreuz geraten, wird deutlich, wenn die sog.
GlobalisierungsgegnerInnen als die größte Bedrohung für die
Innere Sicherheit aufgeführt werden, wie in Genua und jetzt
auch wieder vor München. Dass Deutschland dabei abermals der sonstigen
westlichen Wertegemeinschaft voranschreitet verwundert kaum. Dass die
rot-grüne Bundesregierung dabei nicht nur auf Altbewährtes
zurückgreift, wie Rasterfahndung und Kronzeugenregelung oder den Zugriff
auf das Ausländerzentralregister zu Fahndungszwecken erlaubt, sondern auch
den Rest seiner Bevölkerung gleich biometrisch katalogisiert, zeigt, dass
sie nicht nur deutsche Außenpolitik fortführt, sondern auch im
Hinblick auf die Innere Sicherheit den Schills und Kanthers einen
Schritt voraus ist.
What to do?
Die Aktionen gegen die Münchener Konferenz für
Sicherheitspolitik sind aus dieser Perspektive eine notwendige
Erweiterung der Konfrontatiotionslinie der sogenannten
Antiglobalisierungsbewegung. Die bisherige Konzentration auf vor allem
wirtschafts- und finanzpolitische Gipfel wird um die Miliärpolitik und
deren Träger, die Nationalstaaten, ergänzt. Gerade nach dem 11.
September und dessen Folgen, gehört die Militärpolitik der
imperialistischen Staaten wieder zurück ins Zentrum der Kritik einer
linksradikalen Bewegung gerückt. Der Konstituierung der neuen
Weltkriegsordnung entsprechend, ist aus unserer Sicht die praktische und
theoretische Kritik am Nationalstaat notwendig, als Träger der zivilen und
militärischen Innen- und Außenpolitik, als notwendiger Teil der
Durchsetzung kapitalistischer Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen.
Diese Kritik zu artikulieren, so dass sie einen linksradikalen Ausdruck hat,
der nicht mehr als systemimmanent vereinnahmt werden kann, darum geht es in
München. Bei den letzten Gipfeln gab es den praktischen Ausdruck in Form
des black block. Eine inhaltliche Positionierung darüber hinaus gab es
nicht. Diesen Mangel zu überwinden, wird eine Aufgabe sein, der sich die
radikale Linke in München zu stellen hat - und nicht nur dort.
Während eine gemeinsame radikale Praxis gefunden scheint, kann die
Differenz in der inhaltlichen Ausrichtung nicht einmal diskutiert werden,
mangels gemeinsamer Bezugspunkte und Strukturen, von einem Sprachrohr oder
ähnlichem ganz zu schweigen. München steht nicht nur in der
Kontinuität anderer Gipfel, auch nicht nur als einfache Erweiterung der
Themenfelder, sondern ist ein Punkt, an die gemeinsame Praxis anzuknüpfen
im Kampf gegen Staat, Nation und Kapital. Gleichzeitig Gelegenheit, die
inhaltliche Auseinandersetzung wieder aufzunehmen.
Gemeinsam gehört uns die Zukunft!
No Nato! No Nation! Fight Capitalism!
Autonome Antifa [M] Göttingen
|