Save the Scharping!
Der Verteidigungsminister muß im Amt bleiben!
Der ethische Horizont des Journalisten ist in aller Regel
niemals so weit wie seine investigativen Fähigkeiten es zulassen, sondern
so eng wie der Unterschied zwischen einem Portemonnaie aus Zwiebelleder, bei
dessen Anblick ihm die Augen aufgrund der gähnenden inneren Leere
desselben tränen, und einem proppevollem Bankkonto. Und das ist keine
Frage der Sichtweise wie bei einem halbvollen oder halbleeren Glas, sondern ein
gesellschaftlicher Unterschied ums Ganze. Der verantwortungsvolle Umgang mit
Informationen ist also bei ihm immer materialistisch geerdet: (Geld-)Schein
bestimmt das journalistische Bewußtsein.
Die effektvolle statt effektive Hascherei nach Sensationen ist unter diesen
objektiven Vorzeichen auch die Moral von der Geschicht, die sich bis zum 11.
September des Terrors in den USA ungefähr zwei Wochen lang in Deutschland
um den Mann drehte, den man hinterrücks die bikende Ziege
nannte, als er noch nicht in Amt und Würden des
Bundesverteidigungsministers war. Rudolf der Eroberer Scharping,
der Mann mit der dumpfen Gießkannenstimme (Spiegel),
wurde zum Objekt einer sich wie immer in der Mediendemokratie
(Zeit) eigendynamisierenden Begierde nach einer Ware namens Information.
Kurz gesagt, die vierte Staatsgewalt warf einem Vertreter der drei anderen
quasi vor, daß er nichts falsches nicht getan hätte und das aber
wäre wirklich äußerst bedenklich bei einem mit so viel
Verantwortung. Übereifrig (taz) und ohne
Taktgefühl (FAZ) geriet die Affäre der
Witzfigur (Leipziger Volkszeitung, LVZ) Scharping mit einer
Kristina Gräfin Pilati-Borggreve aus Frankfurt/Main zu einer mit doppeltem
Boden sie wurde zur Staats-Affäre. Nach 349 Flügen der
amtlichen Flugbereitschaft und einer Scharpingschen Pressemitteilung, daß
zwar alle Wege nach Rom führten, für den Marschbefehl der Bundeswehr
aber nur zwei nach Mazedonien, belegte die Demokratie wieder einmal, daß
sie frei nach Andreas Dorau ihr Versprechen hält, niemals
langweilig zu werden: der verteidigungspolitische Sprecher der
CDU/CSU-Opposition, Breuer, einer der aufmerksamen Wächter der
Demokratieschule, brach sofort statt einer Lanze den Stab über
Hormonbomber (Wiglaf Droste) Scharping: Daß er für
acht Stunden nach Mallorca geflogen ist, ist nicht zu rechtfertigen und
daß er die Marschroute der Bundeswehr ausplaudere, sei schlicht
Geheimnisverrat, posaunte er via der Illustrierten Bunten in
die erschütterte deutsche Welt. Nur einige Tage später stand
Scharping fünf Stunden im Kreuzverhör wegen der Vorwürfe
um Liebes-Flüge (Bild) vor dem Verteidigungsausschuß:
Alle Flüge mit der Flugbereitschaft waren dienstlicher Natur. Mein
Amtsvorgänger war häufiger unterwegs als ich. Ich habe mich strikt
nach den Vorschriften verhalten. Es ist alles gesagt.
Politik insgesamt, so weiß die Zeit, ist wieder
einmal beschädigt worden. Und dabei bestünde Scharpings
Problem doch nur in der richtigen Handhabung symbolischer
Politikformen, ergänzt die taz.
Die Skandalisierung des Nichts, die den Medien hier mal wieder gelang, ist die
Möglichkeit, im Kapitalismus aus Scheiße Gold zu machen. Denn
investigativer Journalismus ist neben der Grenze zum Komischen
(FAZ) wie hier im Falle Scharping, nicht etwa eine Art
Forschungsgesellschaft für Flucht und Migration von
Verteidigungsministern, sondern eine schnöde Form des
Geldverdienenmüssens. Das manipulative Element der medialen
Öffentlichkeit, deren Überbetonung durch die Linken nur auf die
Projektion eines eigenen strukturellen Theoriegebäudes der
Verschwörung verweist, entspringt im wesentlichen der vorgegeben
materiellen Realität und nicht ihrem Geschreibe und Gesende: man haut im
Kapitalismus nicht auf die Pauke, weil man seine Lust befriedigt, sondern weil
man Zaster braucht, um überhaupt leben zu können. Da geht es den
Medien wie dem einfachen Manne da unten vonne Straße.
Scharping, der Mann, der im Sommer 2001 dem Elend einen Namen gab
(LVZ), verkörpert nicht etwa das politische Elend, sondern das
Elend der Politik. Wer an die Ehrlichkeit echter Politik glaubt, macht sich zum
Apologeten der Lüge. Die Inszenierung der eigenen Handlungs- und
Gestaltungsmöglichkeit in der Politik ist so verlogen wie die
Äußerung dumm, daß es eine Ehre (sei), öffentliche
Interessen zu vertreten (taz). Das allseitige Geschwafel von der
festgefahrenen Politik, die nur Verdrossenheit der Wähler hervorrufe und
nach Meinung der besonders schlauen Laberhälse regelrecht zu einer Form
direkterer Demokratie animieren könne, die als eine Mixtur aus mehr
direkter Bürgerbeteiligung, weniger Show, mehr Verständlichkeit und
weniger Kurzatmigkeit nur mal ausprobiert werden (LVZ)
müßte, ist in Wahrheit Ausdruck der schwindenden Gestaltungskraft
der Politik, die den Machtverlust belegt, und sie zum ideellen Subunternehmer
des Kapitals macht: nicht die Organisation der gesamten
Akkumulationsbedingungen, sondern die Verwaltung derselben obliegen dem
Souverän also der Politik.
Daß Rudolf Scharping, der Irre aus Lahnsdorf (Wiglaf Droste),
genügend echte wie symbolische Leichen im Keller hat, spielte in der
ganzen Medientragödie absolut keine Rolle. Darin besteht immerfort aufs
Neue das Problem dieser besinnungslosen Gesellschaft: weder seine Lügen
von KZs und Massakern der Serben im Kosovo oder die über die Uranmunition
noch der erlogene Hufeisenplan der Serben oder die Verantwortung für die
Nato-Bombardements kochten da gleichzeitig mit hoch. Stattdessen riß sich
eine Zeitung wie die taz zu folgender Unglaublichkeit hin: weil
Scharping übereifrig die Vorwürfe wegen der Fliegerei
abbügelte, erfülle er den Tatbstand des schlechten
Benehmens, und darum müsse er zurücktreten.
Weil man ihn aber genau deshalb und wegen nichts anderem im Volkszorn aus dem
Amt jagen wollte, ist es ein Glück, daß Rudolf trotz
Spießrutenlaufen (Bild) bleibt. Denn ein Abgang aus
den oben angeführten nicht vorhandenen Gründen machte letzlich alles
noch viel schlimmer als es ohnehin schon ist.
P.S.: Bekanntlich hat sich Minister Scharping vor einiger Zeit nicht gewagt,
juristisch gegen eine Sendung des WDR vorzugehen, die ihn seiner
propagandistischen Lügen und Märchen bezüglich der Vorgänge
in Restjugoslawien überführt. Indirekt bestätigte Scharping nun
vor einigen Wochen vor dem Verteidigungsausschuß, wie nah der WDR-Beitrag
der Wahrheit wohl kommen muß Bild berichtet:
(Scharping:) Mein Amtsvorgänger war häufiger unterwegs.
Ich bin sogar oft mit Linien-Maschinen geflogen, obwohl ich Anspruch auf die
Flugbereitschaft gehabt hätte. CDU-Breuer schimpft: Ein
großer Bluff! Da platzt es aus dem Minister heraus: Jetzt ist
die Grenze erreicht! Wenn mir unterstellt wird zu lügen, dann werde ich
dagegen vorgehen.
Was muß einer wohl zu verbergen haben, der bei einer solchen Nichtigkeit
kräftig mit der Waffe des Rechtsstaates fuchtelt, wenn man ihn aber als
einen waffentragenden Kriegstreiber, Lügner und Mörder
bloßstellt, wie das WDR-Team es getan hat, nicht anders reagiert als mit
Schweigen?
Der Mann in Den Haag, der mit Vornamen Slobodan heißt und gegen seinen
Willen dort weilt, der weiß da sicher Antwort.
Ralf
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