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Im Folgenden dokumentieren wir den Aufruf der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) zur diesjährigen ersten Mai-Demonstration in Berlin.

1. Mai, die beste Demo aller Zeiten. Muss ich hingehen!

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Halt, keine Gewalt!
Der Kapitalismus scheint sich aller bedeutenden Konflikte entledigt zu haben, so dass nur eins bleibt, was das bunte Treiben demokratisch verfasster Marktwirtschaften noch stören kann: Gewalt. Amokläufer, Nazis, Räuber und Mörder aller coleur, Vergewaltiger, Kinderschänder, Gangmitglieder und viele andere Gestalten der Zeitgeschichte lassen sich auf den gemeinsamen Nenner der Gewalttäterschaft herunterbrechen. Daher hat sich um jede der genannten Gruppen eine eigene außerpolizeiliche Bewegung gebildet, die Werbung gegen sie macht.
Auch die radikale Linke hat sich dem Kampf gegen Gewalt verschrieben, allerdings gegen die Gewalt der Herrschenden bzw. der herrschenden Verhältnisse (strukturelle Gewalt). Sie hat zu recht darauf bestanden, dass die Gesellschaft, besonders da wo sie besonders zivilisiert erscheint, auf Gewalt beruht. Allerdings nicht ohne Gewalt zum größten Problem des Kapitalismus aufzublähen; groß genug um selbst gewalttätig zu werden oder zumindest darüber zu diskutieren.
Weil sie den bürgerlichen Verkehrsformen als ihr Anderes gegenübersteht, also die Grenzen dessen kennzeichnet, was als normal, formal, erlaubt und richtig gilt, wird Gewalt von „Bürgern“ als „außerordentliches“ Geschehen wahrgenommen. Trotz ihrer Denunziation der Gewalt kapitalistischer Verhältnisse hat die bei ihrer Kritik dieser Gesellschaft deren legitimatorische Struktur unbewusst reproduziert. Jahrelange Debatten militanter Aktivistinnen und Aktivisten über Formen und Ziele (Personen oder Sachen) von Gewalt wurden stets doppelt legitimiert, mit der Schuldigkeit des Angegriffenen und mit dem Versprechen, letzten Endes für ein Ende der Gewalt einzustehen. Dabei haben sie oft guten Geschmack bewiesen und sind zweifelsohne nicht selten die moralischen SiegerInnen gewesen. Dass sie aber dennoch wie der bewaffnete Arm der Sozialdemokratie wirken, erklärt sich durch einen völlig unreflektierten Umgang mit Bestimmung und Bedeutung von Gewalt.
Was Gewalt ist, bestimmt sich in Recht und Moral. Gewalt wie ihr Ausschluss und ihre Unterdrückung sind somit gleichursprüngliche Momente der bürgerlichen Gesellschaft. Im blinden (und gewaltsamen) Kampf gegen die Gewalt hat die militante Linke die bürgerliche Gesellschaft verdoppelt, sie hat sich als die kleine Schwester der Zivilgesellschaft erwiesen.

Zivilgesellschaftlicher Totalitarismus
Im Kampf gegen Gewalt offenbart die Zivilgesellschaft – Hoffnungsträgerin und Spielwiese sozial- und bürgerrechtsbewegter Demokratiefanatiker zugleich – ihre totalitären Züge. Gewaltverzicht fungiert hier als Glaubensbekenntnis, als Eintrittskarte zu den höchstoffiziellen Stellen der Gesellschaft. Gewalt wird dabei stets als körperliche Gewalt, nie als strukturelle Gewalt begriffen – als ob gesellschaftliche Zwangsstrukturen wie Lohnarbeit oder Wehrdienst nicht Formen der Gewalt wären. Das zivilgesellschaftliche Kollektiv konstituiert sich im Verzicht auf diejenigen Formen von Gewalt, die ihm als unnütz oder gefährlich erscheinen, also gerade nicht durch einen reflektierten Umgang mit Gewalt- und Zwangsverhältnissen. Sein Versprechen auf weitestgehende Gewaltfreiheit besteht gerade in der Drohung, diese jederzeit anwenden zu können. Dies zeigt sich an der monatelangen Debatte über Fischers Haltung zur Gewalt; darüber, ob und wie Joschka sich mit einem Polizisten prügelt, während seine Verantwortung für die Kriegsverbrechen an der jugoslawischen Bevölkerung im Frankfurter Molli-Nebel verschwinden.
Dabei wiederholt sich eine tausendfach geführte Debatte an einem nicht mal neuen Gegenstand, indem nach totalitarismustheoretischer Manier Gewalt als das schlechthin mit Demokratie und Rechtsstaat unvereinbare verstanden und verurteilt wird.
Wenn sie nicht gerade in den Fotoalben ihrer rebellischen Tage blättern, brüskieren die Akteure der bundesdeutschen Zivilgesellschaft sich derzeit mit Vorliebe über Rechtsradikale. Dabei sind sie, wie gewohnt, gründlich, fest entschlossen und nicht zimperlich – geht es doch gegen (rechte, eigentlich aber „jegliche“) Gewalt und für die Toleranz. Hinter dieser Aktivität verbirgt sich ein Denken, das sich kaum vom Menschenbild des bekämpften Rassisten unterscheidet. Toleranz kann nur demjenigen gewährt werden, der nicht gleichgestellt ist, sie ist eine großzügige Geste des Herrenmenschen, dessen Artgenossen seit 12 Jahren in Ostdeutschland für Furore sorgen. Im Antifa-Sommer steht offensichtlich weniger die Sorge um die Opfer der Nazis als Ärger über die offen und stolz zur Schau getragene Asozialität ihrer Mörder im Zentrum der neuen Mitbürgerlichkeit. Ausbleibende moralische Empörung über Ausländergesetze, Abschiebung und die brutale Sicherung der deutsch-polnischen Grenze sind nicht als Heuchelei oder Doppelmoral zu verstehen, sie sind der konsequente Rahmen der Staatsantifa und zeigen deutlich an, was Zivilgesellschaft ist.
Demokratisches Selbstverständnis schließt seine eigene Gewalttätigkeit immer aus, um sie am anderen wahrnehmen zu können. Wo Gewalt auftritt, ebnet sie alle spezifischen Differenzen ihres Erscheinens ein; sie wird abstrakt als irrational und unmoralisch aufgefasst. Dabei ist es mit der Gewaltlosigkeit der Demokratie nicht weit her, da gerade sie auf Gewalt rückverwiesen ist. Es ist diese uneingestandene konstitutive Verwiesenheit von Gewaltfreiheit und Gewaltausübung, die in exzessiver Konzentration auf Vorfälle der Delinquenz und Überschreitung kulminiert.

Kapital und Gewalt
Entgegen aller Verlautbarungen der Apologeten „unserer Demokratie“, sind es gerade die Demokratie und die kapitalistische Gesellschaft im allgemeinen, die durch Gewalt bedingt sind und sie ständig hervorbringen. Nicht nur lagen die historischen Wurzeln des Kapitals u.a. darin, große Teile der Bevölkerung in die Fabrikdisziplin zu prügeln. Auch im Inneren seiner demokratischen Variante finden sich Zwang und Gewalt keineswegs nur als Versehen oder Ausnahme. So konstituiert sich alle öffentliche Ordnung durch gewaltgesetzte Grenzen, überwindet damit aber nicht einmal die Möglichkeit von offenem Terror und Krieg im und durch den legal bestimmten Raum, wie an Faschismus und Krieg, den Krisenoptionen bürgerlicher Gesellschaft, erkennbar ist. Beide stehen nur formell im Gegensatz zur Demokratie, sind aber deshalb nicht inkompatibel mit kapitalistischer Gesellschaft.
Die Gewaltfreiheit des demokratischen Bürgers ist nicht die reflektierte Gewaltlosigkeit einer emanzipierten Gesellschaft, sondern konstitutives Element der Rechtsform des Warenbesitzers. Kapitalistischer Betrieb bedarf eben nicht des – ständig eingeforderten – Verzichts auf „jede Gewalt“. Er verträgt lediglich diejenige Gewalt nicht, die seine Verkehrsformen beeinträchtigen, während er sich notwendig auf andere stützt. Gewalt erscheint als das ausgeschlossene der bürgerlichen Gesellschaft, als zivilisationsfeindlich und ordnungszerstörend. Sie erscheint aber nur daher als das andere der demokratischen Gesellschaft, weil sie als Naturgegebenheit des „Krieges Aller gegen Alle“ ausgelagert wird, die von bürgerlichen Rechtsformen zu bändigen sei.
Gewaltverzicht ist nur deshalb vernünftig und moralisch zwingend, weil Vernunft und Moral Ausdrucksweisen kapitalistischer Gesellschaft sind. Er ist daher notwendig aufs Individuum beschränkt und nicht Wesensmerkmal der Gesellschaft. Im Gegenteil; die Gewaltlosigkeit richtet sich genau nach den Kategorien kapitalistischer Vergesellschaftung, in der Gewalt an anderer Stelle mit Notwendigkeit alltäglich ist. Das Gewaltmonopol des Staates garantiert nicht das Ende von Gewalt, sondern bestimmt lediglich deren Grenzen und sanktioniert disfunktionales und destruktives Verhalten.
Die Einheit von Repression und Toleranz, von Demokratie und Gewalt, von Freiheit und Herrschaft in Gesellschaften westlicher Prägung ist schon 68 treffend als „repressive Toleranz“ charakterisiert worden. Die Freiheit, alles zu tun und zu lassen, was man will, solange es keinem anderem schadet, ist in Herrschaft und Ausbeutung eingebettet. Gewaltfreiheit ist nur die individuelle Pflicht innerhalb einer gewalttätigen Gesellschaft.
Bürgerliche Demokratien verfügen per definitionem über ein vergleichsweise großes Spektrum individueller Persönlichkeitsrechte. An ihnen ist daher auch nicht ein zu wenig an Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit zu bemängeln – kritisiert werden muss, dass die „Freiheit, die wir meinen“ doch immer nur als eine andere Spielart der gleichen, bereits vorhandenen Freiheit denkbar ist, der des individuellen Warenbesitzers.

Spektakel und Kritik
Gewalt ist Spektakel. Nicht nur, weil sie aus der normativen Realität bürgerlicher Langeweile hervorsticht, sondern gerade diese an ihre uneingestandenen Voraussetzungen erinnert. Gewalt in bürgerlichen Gesellschaften ist idealiter nur in wohldosierter Form von definierten Exekutivkräften als staatliches Gewaltmonopol anzutreffen (z.B. Polizeigewalt, strukturelle Gewalt). Der Exzess, die Überschreitung oder die unkontrollierte, scheinbar nicht zielgerichtete Gewalt wird jenseits durchaus vorhandener moralisch-politischer Wertungen als Spektakel wahrgenommen. Die gängigen Verurteilungen oder Legitimationsversuche tun dem Spektakulären an Gewaltausbrüchen keinen Abbruch. Anstatt Papier oder Sendezeit durch hilflose wie naive Aufrufe gegen Gewalt zu verschwenden, wäre zu konstatieren, dass ihr, nur deshalb derart pathologische Aufmerksamkeit zukommt, weil sie trotz ihrer Alltäglichkeit als das Gegenteil von allem Guten und Schönen in bürgerlichen Gesellschaften wahrgenommen wird. Gerade weil Gewalt immer als Tat des anderen wahrgenommen wird und die Thematisierung der eigenen Verstricktheit in Gewalt unterbleibt, erfährt sie dies spektakuläre Interesse.
Der 1. Mai sollte in seiner Gewalttätigkeit nicht als „revolutionär“ verklärt werden; er ist ein Spektakel, das durch die diskursive Fokussierung auf Gewalt erst erzeugt wird. Revolutionär kann bloß die Einsicht in diese Tatsache und der Umgang mit diesem Spektakel sein. Dieser Umgang heißt konkret, die Gewaltdiskussion um den ersten Mai zum Anlass zu nehmen, grundsätzlich zu fragen, was an Gewalt denn von Interesse ist, nach ihren uneingestandenen Ursachen zu fragen. Die offensichtliche Sinn- und Ziellosigkeit der Gewalt im Zusammenhang mit dem Fehlen eines konkreten Ziels oder Programms prädestiniert den 1. Mai zu einem Event radikaler Kritik. Praxis, die dem Begriff der Kritik gerecht würde, sucht nicht nach (individuellen) Auswegen, nicht nach besserer Repräsentation klassenspezifischer Interessen, sondern kritisiert den Kapitalismus an sich selbst.
Es mag unbefriedigend sein, zu wissen, dass Kritik negativ ist und bleiben muss, dass sie nicht unmittelbar in Praxis eingehen kann. Dies ist jedoch unbedingt auszuhalten, wenn man sich nicht in blindem Wiederholungszwang an die Reorganisation längst gescheiterter Projekte begeben will. Im Gegensatz zu aller „ernsthaften“ Politik ist der 1. Mai gerade das nicht, was ihm von revolutionären bis reformistischen Politemphatikern unterstellt wird. Er ist kein unreflektiertes Ritual zwischen Hooliganismus und Love-Parade. Der 1. Mai ist negativ und somit kritisch im besten Sinne.

Affirmative und radikale Kritik
Als radikale Kritik richtet sich der 1. Mai nicht (nur) gegen Auswüchse staatlicher Gewalt, sondern gegen den gewaltfreien Sektor, gegen die „natürlichen“ Grundlagen von Mensch und Gesellschaft. So sehr wir auch der Meinung sind, dass Gewalt, die sich gegen die herrschenden Verhältnisse richtet, sich moralisch rechtfertigen lässt, so sehr wir auch der Überzeugung sind, dass die Sprengung eines Abschiebeknasts gegenüber der Errichtung eines solchen das weit geringere Verbrechen ist, so ist es doch nicht unsere Aufgabe, die Gewaltdiskussion in dieser Weise zu füttern. Wenn gezeigt wird, dass die bürgerliche Gesellschaft ihre eigene Gewalt ausschließt, um sie beim anderen wahrzunehmen, dann nicht, um unsererseits zu versichern, dass Gewalt nur im Kommunismus ihr Ende finden wird, sondern um den Gewaltdiskurs als Element bürgerlicher Ideologie zu kritisieren.
Aufgabe der radikalen Linken kann es nur sein, Kapitalismus als Ganzen zu kritisieren und nicht seine immanente Gewalt zu verurteilen, um ihr eine bessere entgegenzustellen. Solche Kritik zerstört den Schein der Vernünftigkeit staatlicher Ordnung, von Recht und Moral. Dazu erfindet sie keinen besseren Staat, sie zeigt seine inneren Widersprüche auf, indem sie die Verbindung von Gewalt und Gewaltlosigkeit in Recht und Moral denunziert. Sie fasst und verwirft die kapitalistische Gesellschaft als historisch gewordenes System, setzt diesem aber keine Entwürfe eines anderen, besseren Lebens entgegen, sondern kritisiert gerade, dass alle konkrete Utopie sich stets nach den Maßgaben kapitalistischer Rationalität richtet.
Kritik verweigert sich jeglicher konstruktiver Mitarbeit und hält statt dessen an der Perspektive der revolutionären Überwindung des Kapitalverhältnisses fest.

Für den Kommunismus!
Antifaschistische Aktion Berlin (AAB)



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last modified: 28.3.2007