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Libertäre Kinderkrankheit

Daß die Februar-Ausgabe des Leipziger linken Szene-Blattes Klarofix im Conne Island nicht verkauft wurde (siehe die im Heft dokumentierte Erklärung des Conne Island-Plenums), wirft endlich mal aktuell die Frage nach dem Verständnis von Meinungsfreiheit in der sogenannten Szene auf.

Das ambivalente Verhältnis der Bewegungslinken zu Meinungspluralismus und Zensur ist schon immer vom Geschwafel darüber abhängig gewesen, welche Verkehrsform nun wann, wo und vor allem wie sich „untereinander“ schickt und welche nicht. Wird die erkannte Allmacht von allen möglichen und unmöglichen Herrschaftsverhältnissen „um uns rum“ und „in uns selbst drin“ (remember die zahlreichen Oppression-Theorien X zu 1) ersteinmal zum Leitfaden eines wirklichen richtigen Lebens, dann Gnade all jenen Gott, die als „Stalinisten“ und „autoritär“ ausgemacht sind. Das libertäre Kuscheln als berufsjugendliche Sünde, als Lebenscredo, vergrault so noch den gutwilligsten aufgeschlossenen Linken.
Der libertäre Konformitätszwang, der schon ganze Generationen zu gutmenschelnden Schaumsprechern verhunzt hat, bedarf einer längst überfälligen Graswurzel-Behandlung. „Der Drang zur Verhäßlichung und Verhüllung“ (Bahamas), dessen Ausdruck z.B. die rückenrubbelnde Kitschigkeit ist, erzeugt seit Jahren einen pauschalen Gegenreflex von Körperkult und Männerwitz, der sich innerhalb der post-bewegten Linken nur aus diesem Kontext heraus erklären läßt: Der Witz über den „FrauenLesbenzusammenhang“ oder die Abwendung vom „Wursthaarträger“ (Dreadlocke) ist so gesehen eine Art Rebelliönchen gegen die wahrlich obsolet gewordene libertäre Kinderkrankheit des Richtigen im Falschen – behaftet mit einer inzwischen über 30 Jahre langen Geschichte von Kitsch und Schmodder in der Linken.
Das Gemeinschaftsgefühl der Bewegungslinken zieht heutzutage in erster Linie Miesmuscheln und gscheiterte Existenzen an. Das war zu Zeiten, als „die Bewegung“ eine Eigendynamik als automatisches Rotationsprinzip der Schnellebigkeit von Ausschluß- und Einschlußkriterien entfaltete, (zuweilen) anders. Coolness und Attraktivität für das rebellisch und erlebnisorientierte junge Fußvolk sind schon länger abwesend. Beide Adjektivierungen dümpeln zumeist beim Hip Hop oder Drogenkonsum vor sich hin. (Dies zu konstatieren, verlangt im übrigen, sich vor Bewegungs-Nostalgie zu hüten.)
An jeder Scheiße in der Gesellschaft etwas besonders interessant zu finden und darüber unbedingt schwätzen zu müssen, ist längst zum Dauerbrenner der heimelichen Laberrunden der Bewegungslinken (und darüberhinaus) geworden. Dieses Bedürfnis nach Kommunikation der Kommunikation wegen erfüllt den Tatbestand der Vorspiegelung falscher Tatsachen: nicht weil gegen blödelnde Kommunikation etwas einzuwenden wäre – im Gegenteil –, sondern weil sie hier permanent sich radikal etikettiert. Dieser Etikettenschwindel ist die ausgelebte Harmoniesucht, die längst den Frieden mit den Verhältnissen gemacht hat, ohne es zu ahnen.
Auf dieser Basis erscheint nun seit etlichen Jahren schon allmonatlich das Leipziger Szeneblatt Klarofix – herausgegeben von der Druck-Gruppe als Redaktions-ähnliche Anhäufung von Leipziger linksalternativen Szenies aller Coleur. Frei nach dem Motto, daß nur wer’s Maul aufmacht, auch die Szene zeigen könne(1), fühlt man sich insbesondere der pluralen Erscheinung namens Leipziger linke und Alternativ-Szene verpflichtet – also ausschließlich, gewissensmäßig, nur sich selbst, so wie es z.B. der bürgerliche Parlamentarismus seinen Abgeordneten aufbürden kann, weil dieses angebliche freie Gewissen ein ohnehin gesellschaftlich zwanghaftes ist. Für die nicht einfältige, sondern – schlimmer – bunt-fältige Szene will man da sein. So steht es auch im Impressum des Klarofix: Man „bietet Gruppen, Personen und Organisationen ein monatliches Podium, um Informationen, Standpunkte und Diskussonsbeiträge zum politischen Geschehen in Stadt und Region über Themen (...) jenseits der Kommerz- und Yuppiekultur“ nahe zu bringen. Selbstredend begreift man sich eben nicht als „Zentralorgan einer konkreten politischen Gruppierung oder Organisation“, sondern setzt darauf, daß „Klarofix seinen Leser/innen Spaß macht und Ansätze aufzeigt, um die Entwicklungen, die uns wichtig sind, selbst mitzubestimmen“. Nun, alles klar? Auch ohne größere Sprachforschung sind alleine die paar Zeilen mit allem gespickt, was der links-immanente Kitsch und Schmodder seit Jahren immer wieder und wieder reproduziert: ganz vorne weg, wie immer in solchen Fällen, das Ressentiment gegen die vedrängte eigene Libido („jenseits der Kommerz- und Yuppiekultur“ und für „Spaß“) und der devote und traumatisierte Wunsch als imaginierte Rückversicherung, doch – trotz allem Unbehagen – zur Gesellschaft gehören zu wollen („mitzubestimmen“).
Die potentiell geneigte linke Leserschaft, die sich erfolgeich von solcherart therapieähnlicher Selbstaufklärungsprojekte emanzipieren konnte, tut bekanntlich gut daran, in aller Regel solche Publikationen gleich in die Tonne zu drücken. Sich dafür zu motivieren, reicht allein die oberflächliche Kenntnisnahme des verwendeten Vokabulars als symbiotische Einheit von Form und Inhalt.
Langzeitstudien sprachlicher linker Fehlleistungen könnten belegen, wie die Bewegungs-linke Forderung nach Einfach- und Schlichtheit zur Selbstentsagung des kritischen Denkens führt. Die ungeheurliche anmaßende Selbstzurichtung, nur so schreiben und formulieren zu wollen, wie man denkt die anderen für doof verkaufen zu können, ist das Warm Up zum Wieder-Einstieg in den gesellschaftlichen Mainstream. Die zum Denkersatz mißbrauchte gutbürgerliche, weil rein egoistische, Forderung an die anderen als eine nur an sich selbst – die Ersatzandlung als verlogenes Für-andere-da-sein-wollen – erreicht ihren Höhepunkt immer dann, wenn das linke Szene-Gericht glaubt, zu „verständlicher“ und „einfacher“ Schreibe und Formulierungen verurteilen zu können. Die daraufhin als notwendig erachtete Urteilsverkündung – wenn man schon mal Gericht spielt –, gemeinhin an den Adressaten zugestellt durch die „Szene-Zusammenhänge“, enthält so auch die notorische Begründung, nicht „solidarisch“ zu sein und auch nicht „konstruktiv“ zu kritisieren.
Quadratisch, praktisch, gut, so soll es sein das Szene-Leben. Quadratisch als Mogelpackung halluzinierter „Selbstbestimmung“, praktisch als notorische Dünnbrettbohrerei und Ressentiment gegen das eigene Denken und gut als plurales linkes Gemeinwesen („Szene“ genannt) – dem Staat im Staate.
Der vertretene linke Meinungspluralismus, der sich zu all dem bündelt (hier vergegenständlicht am „monatlichen Podium“ Klarofix), was die heile Welt der Szenies als so lebenswert begreift, offenbart sich als kollektive Drückerkolonne linker Debatten erster Güte. Diese Offenbarung erfährt allerdings nur, wer sich dieser zwanghaften Anti-Autorität – dem „Szene-Zusamenhang“ – zwingend äußerlich macht und vor allem machen will. Besagte Zwanghaftigkeit legitimiert auch noch die größte „eigen“-produzierte Scheiße als hinnehmbar, wenn sie sich der Frage nach dem Wie, der Form, bereitwillig und vorauseilend unterwirft. Ignoriert man diese aber oder stellt sie auch nur hinter die Frage nach dem Was, dem Inhalt also, zurück, so trifft einen die harte und gerechte Strafe des gesamten Szene-Volkes. Daraus entspringt die in der Szene so beliebte verruchte Doppelmoral als Gralshüterei des auserkorenen bürgerlichen Rechts eigener „Meinungsfreiheit“. Diese Selbstbemächtigung tiefbürgerlicher Freiheits-Ideale erhält durch die Awendung für „die Linke“ erst jene logische Willkür, die sonst als Gesinnungsjustiz „der Herrschenden“ überall bejammert wird. Labern wie einem der Schnabel gewachsen ist, dürfen so nur die, welche sich der Szene-Gegen-Macht und ihrer Gesetzgebung unterwerfen. Genau das ist die Szene-Vorstellung von Emanzipation: wer die Macht hat, sitzt auf dem Thron! (Wie war das noch? Keine Macht für niemand? Man muß also auch noch die Oldie-Rockgruppe Ton Steine Scherben gegen ihre eigenen Anhänger verteidigen. Wahrlich, armes Deutschland!)
Ralf

zähne, 4.8k (1) Für Spätgeborene: Das einstmals für die autonome Bewegung wichtige Zeitungsprojekt radikal bediente sich zu Werbungszwecken des Auspruches: „Nur wer’s Maul aufmacht, kann die Zähne zeigen!“ Insofern soll diese sprachliche Analogie allein schon für sich sprechen.


  • Erklärung des Conne Island-Plenums aus CEE IEH #75

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last modified: 28.3.2007