Das "neue TV-Phänomen": Die Quizshows um Millionen
Die dritten Programme des öffentlich-rechtlichen
Mediums Fernsehen waren zu Zeiten der alten BRD liberale Feigenblätter und
Versuchslabore der spinnerten Ideen, auf deren Markt der Möglichkeiten
sich auch so manche linke Sau austoben durfte. Die dritten Programme der Zone,
namentlich der MDR und der ORB, durften diese Zeiten nicht mehr erleben
was solls. So kennt die große Macherschar beider genannter Sender auch
nichts anderes als das tolerant-rassistische Heimatformat in unendlicher Folge,
als dessen ungekrönter jahrzehntelanger Pilotfilm das Dritte des
Bayerischen Rundfunks gelten kann.
Nun, ORB wie MDR haben seit geraumer Zeit, nur um wenige Sequenzen
zeitversetzt, deutsche Nachrichtensendungen im Programm, die zehn Jahre auf den
jeweiligen Tag genau alt sind.
Das heißt, bis zum 03. Oktober 1990, als der gesamtdeutsche
Rundfunkstaatsvertrag den damals alten neuen Deutschen Fernsehfunk (DFF) als
Vor- und Nachgänger des DDR-Fernsehens meuchelte, existierten jeweils auf
dem Ersten Ost wie auf dem Ersten West Nachrichtensendungen (Aktuelle Kamera
und Tagesschau), die im gegenseitigen direkten Vergleich eine Ahnung davon
preisgaben, was unter einer Medienvielfalt zu verstehen sein könnte, von
der die meinungsfreie bürgerlich-demokratische Öffentlichkeit
angeblich ja abgrundtief überzeugt ist.
Seit dem 04.Oktober 2000 zeigen ORB und MDR nur noch die Tagesschau von vor
zehn Jahren. Und seitdem galt gesamtdeutsch das öffentlich-rechtliche
Wort, das sich vom privaten nicht zu unterscheiden vermochte.
Anschaulicher und beispielhafter läßt sich eine gleichgeschaltete
Medienlandschaft nicht erfassen, bei der tagespolitische TV-Sender wie Euronews
oder CNN, um beim Medium Fernsehen zu bleiben, schon fast etwas
oppositionell-systemgegnerhaftes in ihrer Berichterstattung ungewollter Weise
aufblitzen lassen.
Der Gleichschaltung der Medien geht die Gleichschaltung der Bedürfnisse
der Menschen voraus. So einfach könnte man das meinen. Vergessen ist dabei
längst, daß der Gleichschaltung der Bedürfnisse der Menschen
seit über zweihundert Jahren die Gleichstellung der privaten Produzenten
zueinander vorausgeht, die sich im zwanghaft gewollten Warentausch der
Warenbesitzer herstellt und als Endlosschleife immer wieder aufs neue
wiederholen muß.
Daß dieser kapitalistische Urschleim die Grundbedingung jeglicher
Bedürfnisweckung wie Befriedigung ist, ist den Leuten in aller Regel so
was von scheiß egal. Es ist ihnen maximal als ein naturhafter Geist von
Interesse, in dem sie ihre eigene Individualität gespiegelt zu entdecken
glauben.
Auch einer wie Michel Focault, dem solcherlei panoptische
Individualität ein Graus, fragt nicht mehr nach den Ursachen, sondern nur
noch nach der Differenz, die dieses Individuum der gesellschaftlichen Struktur
nach ent-individualisieren könnte. Ihm ist die Kontrolle alles
und aller Macht Unheil die Ursache aber soll gar nicht mehr geistig
hintergangen werden, selbst wenn sie sich in der Dämmerung abzuzeichnen
vermochte. Ein als solch differenztheoretisch-strukturalistisches
Individualitätsprinzip erstmal erkanntes, strebt nach der Distinktion am
laufenden Band und findet alles höchst interessant und
diskussionswürdig, sei es nun Rassismus, Geschlecht, Kultur,
Überwachungs- und Kontrollgesellschaft oder das Cultural Studies-Seminar.
Man versteht sich in diesen Kreisen, weil die Bedürfnisse sich miteinander
identisch setzen. Man schwätzt miteinander rücksichtsvoll und
harmonisch über Gott und die Welt, ohne sich weh zu tun und weh tun zu
wollen.
Jene gesellschaftlich strebsamen bürgerlichen Persönlichkeiten sind
es nicht, auf die ein neues TV-Phänomen (Georg Seeßlen)
zugeschnitten wurde, das so populäre Züge annahm, wie es selbst der
naivste bzw. berechnendste TV-Intendant es sich nicht vorzustellen vermochte:
die Quizshows um Millionen.
Ob nun Günther Jauch oder Ulla Kock am Brink die Pendants des
Postfordismus zu Fuchsberger, Kuhlenkampf, Thoelke und Co. darstellen und ob
der Jauch selber nicht weiß, wie Georg Seeßlen feststellt, ob
er einen ewigen linkischen Schüler gibt, in dem eine echte Mediensau
verborgen ist, oder umgekehrt und warum Kock am Brink eine Million als
die erotischste Zahl der Welt ansieht, diese Gedanken sollen
meinetwegen andere fortführen. Tatsache ist: das Familienschaufenster Quiz
ist mal wieder da, weil in der nachindustriellen Marktwirtschaft Totgesagte
nicht nur länger leben, sondern immer wieder auferstehen wenn auch
schon von Geburt an als Zombies, also als Totgeburten, das heißt: ohne
jemals richtiges Leben im Falschen, versteht sich.
Das Format ist eine reine Geschmackssache. Das bewies der gescheiterte Versuch
von RTL, mit der Show Ich heirate einen Millionär eine andere
Form des Äquivalententausches einführen zu wollen, die an die Stelle
der im Millionär-Show-Quiz erfolgreichen Ware (also
Bildung)-Geld-Beziehung (W-G) die Ware (Bildung und Frau)-Ware
(Millionär)-Geld Beziehung (W-W-G) anbot.
Man könnte nun im oben benannten differenztheoretischen Sinne über
diese Geschmackssache des Formats fortlaufend palavern ohne Ende (z.B., ob das
mit dem Heiraten eines Millionärs mal nicht wieder zu weit
ging oder so). Man könnte zu ergründen versuchen, was denn den
Unterschied die Differenz zwischen W-G und W-W-G ausmacht. Und,
jawoll, das könnte man nicht nur, man tut es auch ohne Ende von
Bild bis konkret, vom Stammtisch bis zur Uni.
Diese kleine aber feine Differenz, um beim strukturalistischen Jargon zu
bleiben, als einen ohnehin gesellschaftlich vermittelten Schein-baren
Unterschied zu benennen, wäre der Unterschied ums Ganze. Der Unterschied
also, der das Rumgesülze der Form entkleidet, in der es erscheint.
Woran nun knüpft sich der Erfolg der neuen Millionär-Quiz-Shows?
Die bürgerliche Familienfreundlichkeit der zu reproduzierenden Ware
Arbeitskraft, die hier als unbewußte Romantik der langsamen Gelassenheit
gegen den Turbo-Kapitalismus der maximierten Schnellebigkeit auf
den Schirm tritt, ist der eigentliche Garant für den Massenerfolg und die
daran geknüpfte ursächliche Massenkompatibilität: Nur wenn
genügend Zeit zur Kommunikation über Richtig und Falsch von A:
..., B: ..., C: ... oder D. ... inklusive mehrerer Joker
verbleibt, tritt der soziale Effekt der Fessellung mittels Bannfluch Fernsehen
ein, der den unmittelbaren Sprung der Show in die Primetime zur Folge hat
eine schnelle Frage-Antwort-Show (inzwischen) herkömmlicher Art
kann da nur als unsozial erscheinen.
Bei dem neuen TV-Phänomen haben wir es also mit einem
romantizistischen Massenerfolg zu tun, hinter dem sich die Sehnsucht nach einem
geordneten Herrschaftsverhältnis von Herrschern (Jauch, Kock
am Bring) und Beherrschten (die Zielgruppe Familie) verbürgt und
verdinglicht zugleich. Diese konservative Sehnsucht steht auch hier gegen das
als unhinterfragtes Chaos begriffene Gemeinwesen Gesellschaft, als
dessen Ausdruck z.B. das ständige Kommen und Gehen von BSE-Ministern und
anderen Politikern verstanden wird. Sollte die sagen wir
Zielgruppe Familie jedoch einmal versucht sein, das Chaos
Gesellschaft ernsthaft zu hinterfragen, so lauert unter diesen Vorzeichen schon
in den Fragestellungen nicht der Kommunismus, sondern da gnade uns dann
Gott die Barbarei.
Jener wird sich dann mal wieder ein Stück weiter angenähert werden,
wenn zutrifft, was der Visionär Georg Seeßlen prognostiziert:
Jede Renaissance des Quizformats endet mit einem Betrugsskandal.
Dann nämlich bekommt der Affe wieder jenen Zucker als Schlagzeile frei
Haus geliefert, der ihn niemals auf die Idee kommen läßt, die
richtigen Fragen der (vorgeschichtlichen) Menschwerdung überhaupt erst zu
stellen.
Solange der Schein das Bewußtsein bestimmt, solange kann das Kapital um
den Erdball gejagt werden wie Rumpelstilzchen um das Feuer hampeln: Ach
wie gut, daß niemand weiß, daß ich Kapitalismus
heiß.
Ralf |