Das Vor- und das Nachspiel (Austragungsort: Sebnitz)
Sieben Monate, nachdem im brandenburgischen Eberswalde
ein Punk einen Nazi wegen einer Hakenkreuztätowierung anmachte und dieser
daraufhin jenen mit tödlichem Ausgang vor ein Taxi stieß,
erklärte die Richterin in ihrem Urteilsspruch zur Verurteilung wegen
Körperverletzung mit Todesfolge (viereinhalb Jahre Knast), daß es
Zivilcourage sei und keine Provokation, den Nazi
angesprochen (taz) zu haben.
Zeitgleich, als in Köln gegen einen Aufmarsch von 120 Nazis 30 000
Menschen Nazis, haut ab! forderten, hatte ein 15jähriger
Junge, dessen Eltern aus Vietnam stammen, den Kanal voll. Als auf dem
allerwertesten Deuschländerfest, dem örtlichen Weihnachtsmarkt im
ostsächsischen Bernsdorf, Nazis rumpöbelten und den Klamotten-Stand
seiner Eltern zerlegten, griff der Junge zum Messer und stach zwei der Nazis ab
einen tödlich und einen verletzte er schwer. Wenn der Junge
immer wieder gereizt worden sei, würde sich das
natürlich strafmildernd auswirken, so die zuständige
Staatsanwaltschaft. Gerüchte schwirrten durch die Luft,
vermerkt die taz, von Handy zu Handy, von Disco zu Disco: Schon
gehört? Skins haben einen Fidschi umgebracht! Erst langsam wurde klar,
daß es anders war. Wer hatte damit gerechnet?
Wenige Tage nach dem Ereignis flohen fast alle vietnamesischen Deutschen und
Vietnamesen aus Angst vor Naziterror aus dem Ort. Der Polizei, die zu ihrem
Schutz vorbeugend anwesend ist, vertrauen sie nicht. Warum? Wer die deutschen
Bullen seit Jahren erlebt hat, weiß ganz sicher, warum man sich auf die
in solchen Fallen nicht verlassen sollte.
Am 7. Dezember nahm die Polizei im Falle des Anschlages auf die
Düsseldorfer Synagoge vom dritten Oktober, bekanntlich dem Tag der
deutschen Einheit, zwei dringend Tatverdächtige fest einen
Deutschen aus Marokko und einen Palästinenser, die damit im Wahn
antisemitischer Weltverschwörung gegen Israel vorzugehen glaubten. Die
FAZ konstatiert angesichts dessen: Ausländer sind nicht immer
nur Opfer; auch Ausländer bringen unakzeptable politische Vorstellungen
(...) mit.
Einen Tag zuvor, am 6. Dezember, hob die Bundesregierung das seit 1997
bestehende Arbeitsverbot für Asylbewerber unter der Regelung auf,
daß Arbeitsplätze zuerst für Deutsche, dann für
EU-Bürger und dann für die Asylbewerber zur Verfügung zu stehen
haben. Mit nur wenigen Ausnahmen, so Sachsens Innenminister Hardraht, wurde
diese Verbotsaufhebung allenthalben begrüßt.
Daß in Deutschland mittlerweile alle ernsthaft gegen Nazis sind,
außer den Verrückten, von denen es noch eine ganze Menge gibt,
können nur diejenigen ignorieren, die um ihre politische Identität
fürchten, die sich jahrelang daran aufgerichtet hat, daß man im
Deutschland der Wiedervereinigung gegen Nazis sein konnte, und damit schon als
Systemopponent galt. Diese Grüppchen, die sich als resistent
gegenüber einer Identitätskritik zu erweisen scheinen, sind nicht
etwa die original kommunistischen Antideutschen um die Zeitschrift
Bahamas oder Jürgen Elsässer, sondern ihre sekundären
Jünger und Pappenheimer in den örtlichen subkulturellen Antifa- und
Autonomen-Milieus. Sie sind es, die auf Grund der ausschließlichen Kritik
an der Erscheinung (konkret wie abstrakt) den (neuen) Charakter deutschen
Innenlebens verkennen und so der neuen Großmacht Deutschland
Flankenschutz (J. Elsässer) gewähren.
Die dem meinungspluralistischen Allerlei verhaftete Wochenzeitung Jungle
World, die scheinbar nichts will als genau das zu sein, kann da nur
folgerichtig zu dem blödsinnigen Schluß kommen, daß der
kurze Sommer der Antifa (...) schneller vorbei (war), als man es sich
träumen ließ.
Daß es eben genau so nicht ist, bewies der Fall Sebnitz grandios. Die
Voraussetzungen aller linken Strafexpeditionen der Vergangenheit, ob nun in
Grevesmühlen, Dolgenbrodt, Babenhausen oder Gollwitz sind im Falle Sebnitz
nicht erfüllt. Und das ist immerhin ein Unterschied ums Ganze. Diese
Voraussetzungen bestanden insbesondere darin, daß die Öffentlichkeit
explizit nazistische bzw. rassistische und antisemitische Motive in der
großen Mehrheit leugnete. Explizit wollte man vor Ort gegen den
deutschen Konsens, den deutschen Mob demonstrieren und
so die tatsächlichen Hintergründe für die Motive der Taten
benennen.
Im Stadtrat, so erklärte die PDS-Abgeordnete Hannelore Zuschke
aus Bernsdorf dort also, wo die Nazis abgestochen wurden ,
haben wir nach Sebnitz gerade erst über Rechtsextreme gesprochen und
erleichtert festgestellt, daß das hier nur eine Randerscheinung
ist. In dem selbstgefälligen Alarmzustand, in den sich die
Gesellschaft von Staats wegen versetzen ließ, darf ein Anständiger
nicht mehr unaufgeregt sein, konstatierte die FAZ. Auf Sebnitz, so
der Politologe Hajo Funke, der der Familie von Klein-Joseph solidarisch vor Ort
zur Hand ging, hätten von Stoiber bis Bundeskanzler Schröder
(...) alle (...) reagiert.
Was im Deutschland der 90er tatsächlich noch unvorstellbar schien, brach
sich in Sebnitz bahn auch wenn, wie der Spiegel konstatiert,
die Balance auch 50 Jahre nach dem katastrophalen Ende des letzen Krieges
immer noch fehle.
Die vielen Gerechten in Deutschland fragen die Fälle Sebnitz
und Düsseldorf zeigen es nicht länger danach, ob etwas
tatsächlich so war, wie es in einer kollektiven Furcht erscheint. Es
reicht vielmehr die Bejahung der Frage, ob es so hätte sein können.
Daß viele sich vorstellen können, daß ein Junge unter den
Augen einer Stadt von einer Horde Rechtsextremer ertränkt wird, wird dann
als unwiderlegbarer Beweis dafür genommen, welch ungeheurliches
Ausmaß rechtsextremistische Ausländerfeindlichkeit in Deutschland
schon angenommen hat. (FAZ)
Wollten wir radikalen Linken je etwas anderes? Ist das nicht genau jenes
gesellschaftliche zivilisierte Denken, dem wir ein Gutteil unserer Feindschaft
zu Deutschland verdanken? Wie war das doch mit Lübeck und
Dolgenbrodt? Wer hat da mit aller Vehemenz die Anerkennung des rassistischen
Hintergrundes als Tatmotiv eingefordert?
Ab Sebnitz gilt: Das ist unglaublich. Das wurde geglaubt.
(Spiegel) Dazu gehört ebenso die Tatsache, daß über den
Fall Bernsdorf außer die taz einfach niemand großartig
berichtete.
Hätte es eine Demo von Links in Sebnitz gegeben, so wäre diese
automatisch zur Strafexpedition verkommen und zwar zur sophistischen,
sprich: kontextlosen Farce. Das wiederum heißt, daß all jene, die
von einer Demonstration nur deshalb abgesehen haben, weil sich zu viele
kriminologische Widersprüche auftaten, einzig und allein davon getrieben
sind, ihr Über-Ich, das politische Gewissen, zu beruhigen. Diese
praxisgetriebene Moralscheiße ist es, die den Blick insbesondere vieler
Antifa-Linker auf die deutschen Verhältnisse verkleistert.
Daß das alles für antinationale, antideutsche Antifa-Linke harter
Tobak ist und schwer verdaulich, sei jedem einzeln individuell unbenommen. Es
jedoch zu ignorieren und bei der Kritik an Deutschland nicht zu
berücksichtigen, hätte ein Abdanken zur Folge und vielleicht
ja einen Sonnen-Platz im Gefolge der Jungle World. Jenes Blatt
entblödete sich nicht, aus Sebnitz ein Fazit des Weiter-wie-gehabt zu
ziehen: Die Nazis sind wieder unsere braven Jungs, die zwar dumme
Fußballieder singen, aber ansonsten keiner Fliege was zu Leide tun. Und
der Fernsehzuschauer lehnt sich beruhigt zurück, wenn es mal wieder
irgendwo brennt. Waren wahrscheinlich sowieso die Ausländer selbst, die
gezündelt haben.
Dieses Wunschbild fern der charakteristischen deutschen Realität wurde von
Links allerdings noch von den trüben Zonentassen der jungen Welt
getoppt. Was man eigentlich in Satire-Blättern wie der Titanic
vermuten sollte, meinen die scheinbar wirklich ernst. In Sachsen,
so schreibt der scheidende Feuilletonchef Arnold Schölzel wutentbrannt,
betätigen sich die Westseilschaften besonders ungehemmt noch
der Bürgermeister von Sebnitz schwätzt badisch, und der
zuständige Polizeichef war aus Hannover. (...) Nirgends ist das
Blockwartsystem wer nicht Markenware kauft und kein deutsches Auto
fährt, muß ein Linker sein so perfekt eingeführt
worden wie an Elbe und Erzgebirge. Der sekundäre Antisemit des
Blattes, der Kommentator Werner Pirker, legte da erwartungsgemäß
nach und klagte unisono mit Kurt Biedenkopf, der im Sachsen-Land der ersten
Nachwendepogrome von Leisnig, Wurzen und dem Fanal von Hoyerswerda nichts
mitbekommen haben will, daß die Botschaft, die man aus Sebnitz zu
vernehmen weiß, nur die sei: westdeutsche Gutmenschen gegen
ostdeutsche Schlechtmenschen.
Das moralische Klima der Nachwendezeit im Osten beschreibt die FAZ
durchaus scharfsinnig so: es werde dort seit Jahren (...) das
Selbstmitleid, das Opfergehabe, die Ressentiments und der Neid (...)
gepflegt. Diese Ansichten treiben wiederum die junge Welt und
ihren Schölzel auf die Spitze des eigenen verzapften Misthaufens. Es
handele sich um notorischen Blödsinn, weiß
Schölzel, mit dem Spiegel-, FAZ- und
taz-Redakteure sozialisiert wurden und den sie seit zehn Jahren zu einer
Art Rassenlehre über inferiores Menschentum entwickelt haben.
Weil es um die Zone geht, darf hier auch die PDS nicht fehlen. Ihre historische
Funktion ist von der radikalen Linken über die Jahre kaum zur Kenntnis
genommen worden. Fast ausschließlich ihr ist es zu verdanken, daß
das Völkische im Osten nicht als Lawine durchbrechen konnte. Sie allein
hat die Völkischen als ihr Klientel, ihre Wählerschaft an sich
gebunden. Diese historische Rolle hat die PDS bisher mit Bravour gemeistert.
Der alleinige Zweck der PDS als authentischer Fluchthelfer über die
Mauer in den Köpfen, um die Zonis in die EU-Festung den
europäischen Westen zu schleusen und dabei die Zivilisierung
Deutschlands zu befördern, wird auch die PDS so in Deuschland ankommen
lassen, daß man sagen kann, daß adäquat der Geschichte
der Grünen die Ossis für die PDS jene neue soziale Bewegung
sind, wie für die Grünen die Friedens und Anti-AKW-Bewegung.
Die PDS wird es solange geben müssen, wie das Nachfolgende in Deutschland
inzwischen zum zutreffenden Allgemeingut des gesellschaftlichen
Problembewußteins geworden gehört: Ein trauriges Fazit
der Sebnitz-Angelegenheit ist (...), daß Ossis und
Wessis einander wieder einmal in den eigenen Vorurteilen
identifizieren durften. (FAZ) Es gibt nahezu tagtäglich
rechtsradikale Übergriffe, Menschenjagden, Bedrohungen von jüdischen
Gemeinden. (taz)
Ralf
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