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Man stelle sich mal vor, es findet eine Hip Hop Party statt, die von der Leipziger Wohnungsbaugesellschaft (LWB) gesponsert wird. Jener LWB, die dutzende Hip Hopper vor Gericht bringt, weil diese angeblich das Eigentum der LWB „beschädigt“ hätten. Man stelle sich mal vor, es findet eine Hip Hop Party statt, die von genau den Leipziger Verkehrsbetrieben unterstützt wird, die dutzende Hip Hopper vor Gericht bringt und die dort zu horrenden Geld- und Freiheitsstrafen verknackt werden. Man stelle sich mal vor, das Battle of the Year, das größte Treffen der Hip Hopper aus aller Welt, findet dieses Jahr im Rahmen der Expo in Hannover statt. Im Rahmen jener Weltausstellung, die Deutschlands Städte noch penibler sauber und steriler präsentieren soll als sie es ohnehin schon sind, und in dem die Verfolgung von Graffitisprayern eine neue Dimension angenommen hat.
Nun, wie sollte man all dies finden, zumal es nicht Fiktion, sondern Realität ist. Muss man sich als ewiggestriger Nörgler bezeichnen lassen, wenn man all die oben genannten Sachen und noch viel mehr untragbar findet?
Die moralische Grenze des guten Geschmacks ist hinsichtlich symbolischer Verweigerung zur gleichen Zeit eingestürzt wie die Mauer in Berlin. Es gilt mittlerweile als regelrecht verpönt, sich nicht sponsern zu lassen bzw. dort überhaupt noch Grenzen ziehen zu wollen.
Dass Geld ja nicht stinke, wird zunehmend zum alles einnehmenden Kultur-Credo.
Brechts Feststellung, dass erst das Fressen komme und dann die Moral bedeutet heute zweierlei: Es bedeutet zum einen, dass das Drängen an den Futtertrögen der öffentlichen Hand zu einer tendenziell verpönten Schmarotzerei umgedeutet wird. Zum anderen stellt es Kultur im Kapitalismus als direkt-abhängiges Luxusgut bloss, dessen moralische Kategorien im entscheidenden Masse von der Fülle der vorhandenen Kohle geprägt werden.
Kultur als politisch formbare Grösse entzieht sich immer stärker der gesellschaftlichen Deutungsmacht. Hat dies einst die unsägliche Hochkultur vom Sockel gestossen, ist der scheinbare Preis dafür die sukzessive Veränderung des kulturpolitischen Denkens unter dem direkten ökonomischen Diktat des Kapitals, dem sich immer mehr immer freiwilliger unterwerfen. Auf die Symbolhaftigkeit der moralischen Entsagung wird so zusehends verzichtet. Wenn letztlich aber alles erlaubt und nichts verpönt erscheint, dann gibt es keine Orientierungshilfe mehr im Kapitalismus, die noch das Element des Widerstandes ausbilden könnte – oder auch nur anbieten. So werden die Widersprüche immer weniger sichtbar und damit auch unaufhebbarer.
Um nicht missverstanden zu werden: Die kulturelle Apokalypse steht mit Sicherheit nicht ins Haus. Worum es letztlich geht ist die Frage, woran – an Hand wovon – Gesellschaftskritik überhaupt noch vermittelt werden kann, wenn die – siehe Textanfang – Gegner gleichzeitig zu Gönnern und Förderern werden...
Ralf


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last modified: 28.3.2007