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review-corner, 2.7k

Fahnenwörter und rote Fahnen

Fast jegliche Totalitarismustheorie ist vehement abzulehnen.
Der Bezug auf geschichtliche Symbole, wie er in letzter Zeit auch in Leipzig wieder „modern“ wird, bedarf jedoch einer kritischen Auseinandersetzung mit linker Geschichte. Und auch mit der Frage, wo sich Berührungspunkte zwischen linker und rechter Ideologien ergeben (haben). Das Buch „Die Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfwortes“ von Dietz Bering leistet einen kleinen, aber feinen Beitrag dazu.
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Buchtitel, 2.9k

Dietz Bering:

Die Intellektuellen.

Geschichte eines Schimpfwortes

Klett-Cotta, Stuttgart: 1978, 488 S.

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„Wehrlos der ‘Gefahr’ ausgeliefert bleibt jeder, der sich auf dem Feld des politischen Wortkampfs kein festgefügtes Arsenal von Fahnenwörtern mit ebenso festgefügten Konnotationen aufbauen kann, Wörter also, in denen die Wertschätzungen einer politischen Gruppierung beschlossen und so als Identifikationsangebote bereitliegen.“ konstatiert der Autor Dietz Bering im letzten Satz seiner Studie. Fahnenwörter transportieren genauso wie die in Leipzig „beliebten“ roten Fahnen Bedeutungen. Die Frage ist nur welche.
Die Autonome Antifa (M), die über sich selbst sagt: „Wir sind ja bekannt dafür, daß wir oftmals plakative und agit-propmäßige Politik betreiben und wir denken, daß dies derzeit unsere einzige Verbindung in die Gesellschaft ist.“, fordert, daß zur linken Ideologiebildung heute „ein eindeutiger Geschichtsbezug (gehört), der darin resultiert, daß man sich mit den Ideen beschäftigt, woraus heute ein linkes Selbstverständnis resultiert und zwar mit allen Fehlern, Widersprüchen usw.“(1)
Bei Durchsicht der einschlägigen Veröffentlichungen muß jedoch festgestellt werden, daß der eingeforderte Geschichtsbezug nur sehr oberflächlich und schon gar nicht kritisch stattfindet. Die wenigen linksradikalen Publikationen mit bundesweiter Bedeutung wiederum, die sich mit diesen Fragen genauer beschäftigen, wie z.B. die jungle World und konkret(2), haben den Bezug zu praktischen Politikansätzen verloren, was deutlich wird, wenn mensch sich vor Augen hält, wie sie sich über jede Form organisierter Politik entweder belustigen oder sie verächtlich machen. Diesem Manko kann mensch nur entgegenhalten, daß die Verknüpfung von Theorie und Praxis Grundlage aller linker Politik ist. An dieser Stelle soll es – schließlich handelt es sich um eine Buchbesprechung – mehr um ersteres gehen.
Dietz Bering untersucht in seinem Buch die Entstehung des Begriffes „Intellektueller“ Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich, die Übernahme des Wortes als Schimpfwort durch die Nationalsozialisten und die Marxisten in Deutschland. Am Ende beleuchtet er die Reaktion der Intellektuellen auf die Angriffe von links und rechts. Er verläßt bei seiner Analyse selten den linguistischen Blickwinkel – sein wissenschaftliches Instrumentarium, die Textanalyse und Quellenauswahl, erläutert er ausführlich und einleuchtend zu Anfang –, nur da, wo es notwendig erscheint, geht er auf die politischen Ereignisse, die den Hintergrund für die Deutungen des Begriffes abgeben, ein. Inhaltlich spannend, liest es sich jedoch aufgrund der wissenschaftlichen Sprache etwas zäh – für Aufheiterung sorgt nur das „Hieb- und Stichwortverzeichnis“ am Ende.
Substantivierte Ableitungen von Adjektiven (intellektuell, intelligent) sind nicht ungewöhnlich, das Wort „Intellektuelle“ jedoch hat nur eine kurze und einschlägige Geschichte. Bis zur Dreyfus-Affäre in Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts verwendeten nur einige „junge Verächter der politischen Welt“ in „kleinen literarischen Zeitschriften“ diesen Begriff als Selbstbezeichnung – er hatte jedoch keinerlei allgemeine Bedeutung und tauchte in Wörterbüchern oder Lexikas nicht auf.
Im Zuge der Dreyfus-Affäre – der jüdische Hauptmann im Generalstab Alfred Dreyfus wird in einer antisemitischen Kampagne bezichtigt, Staatsgeheimnisse an die Deutschen verraten zu haben und 1894 zu lebenslanger Verbannung verurteilt – bezeichnen sich diejenigen, die sich für eine Revision des Urteils zugunsten Dreyfus’ einsetzen als „les intellectuels“. In langen Unterschriftenlisten, die in liberalen Tageszeitungen veröffentlicht werden, setzen sich die „Intellektuellen“, was sie im heutigen Wortsinne gar nicht mal alle waren, für die Freilassung von Dreyfus ein. Der Begriff steht als Sammelbezeichung für demokratische, politische, wissenschaftlich denkende Menschen mit einem Gewissen – kurzum: für moderne Menschen. Die Gegner einer Revision aus dem konservativen und rechten Spektrum verwenden den Begriff Intellektuelle ebenfalls, jedoch als Schimpfort. Sie assozieren damit: abstrakt, instinktlos, jüdisch, antinational, dekadent und inkompetent. Maurice Barrès, der Vordenker des französischen Nationalismus, schrieb 1902 über die Intellektuellen: „Welch dünne Schicht auf unserer Oberfläche ist doch unsere Intelligenz. Bestimmend für unser Sein ist doch das Gefühl (...) Die Juden haben kein Vaterland in dem Sinne wie wir es verstehen. (...) Ihre ‘Intellektuellen’ kommen so zu ihrer berühmten Definition: ‘Das Vaterland ist eine Idee’ (...) daß jemand Mitglied ist in einer Akademie, bedeutet keinerlei fachliche Autorität, um die Arbeiten eines Kriegsgerichtes zu überprüfen.“

Marinetti 1909 im „Futuristischen Manifest“:

„4. Wir erklären, daß sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen, dessen Karosserie mächtige Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen (...), ein aufheulendes Auto, das unter Machinengewehrbeschuß zu rasen scheint (...)

Futuristisches Gemälde, 12.7k

Gemälde des Futuristen Luigi Russolo: „Dynamismus eines Automobils“ (1911)

9. Wir wollen den Krieg verherrlichen – die einzige Hygiene der Welt –, den Militarismus, den Patriotismus, die zerstörerische Tat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.

10. Wir wollen die Museen, Bibliotheken und Akademien jeder Art vernichten und gegen den Moralismus, den Feminismus und jede Feigheit kämpfen (...)

11. Wir werden die großen Menschenmengen besingen, (...) die vielfarbige, vielstimmige Flut der Revolutionen (...) und den klatschenden Beifall begeisterter Massen“

zit. nach: Zeev Sternhell: Die Entstehung der faschistischen Ideologie. Von Sorel zu Mussolini, Hamburg: 1999, S. 19 f.
Die Rechten wollten jedoch nicht als die Dummen dastehen. Da sie das Wort „Intellektuelle“ als Schimpfwort für die Gegenseite verwendeten, waren sie im Erklärungsnotstand, was sie selbst betraf. Unbeholfen schrieben sie Intellektuelle in Anführungsstrichen, setzten abwertende Begriffe wie „Pseudo-“, „Halb-“, „sogenannte“ u.ä. voran bzw. betonten, daß intellektuell und intelligent zwei verschiedene Sachen bzw. sie selbst die echten Intellektuellen wären. Aber all das half nichts. 1899 wurde Dreyfus begnadigt und die für ihn gekämpft hatten, hatten auch – zumindest vorerst – den Sprachkampf gewonnen. Intellektuell zu sein, war etwas löbliches.

Über Frankreich gelangte das Wort nach Deutschland. Hier fehlten aber die gesellschaftlichen Kräfte, die sich für eine positive Bestimmung des Wortes stark machten. Vielmehr diente das Wort allen politischen Richtungen – Rechten, Linken und Liberalen – als negativer Kampfbegriff in der politischen Auseinandersetzung, losgelöst von der eigentlichen Bedeutung: „Ein Typus des Intellektuellen scheint sich überhaupt nur im Medium der Vorwürfe zu konturieren, die gegen ihn erhoben werden.“ Den Anfang machte August Bebel auf dem Dresdner Parteitag der SPD im Jahre 1903: „Seht Euch jeden Parteigenossen an, aber wenn es ein Akademiker ist oder ein Intellektueller, dann seht ihn Euch doppelt und dreifach an.“ Das Protokoll vermerkt nach diesem Satz „Stürmischen Beifall“ der Delegierten. Während der Intellektuellen-Debatte auf dem Parteitag wurde den Intellektuellen der Vorwurf gemacht, sie würden in bürgerlichen Institutionen arbeiten, revisionistische Positionen vertreten und die autodidaktischen Arbeiter in der Partei durch ihr Wissen diskriminieren. Im ersten Weltkrieg diente intellektuell als Schimpfwort für die Kriegsbefürworter, die Kriegsgegner und untereinander.
Während in der Weimarer Republik die Anhänger der Konservativen Revolution für sich Intelligenz reklamierten, um gegen die Intellektuellen zu polemisieren, hetzten die Nationalsozialisten gegen alles, was nur den Anschein machte, intellektuell zu sein. „Das Wunder eines Volkes liegt nie im Hirn, immer im Blut.“ (Goebels, 1929) Die Nazis setzten dem Intellekt den „Charakter“, „Instinkt“ oder „gesunden Menschenverstand“ entgegen; für die eigene Intelligenz erfanden sie Wörter wie „Arbeiter der Stirn“, „arteigene, völkische Intelligenz“, „geistige Arbeiter“. Wie schon die Rechten in Frankreich verbanden sie mit intellektuell solche Begriffe wie abstrakt, instinktlos, unkünstlerich, charakterlos, blutleer, unfruchtbar, steril, verbildet, jüdisch, bolschewistisch, zersetzend, krank, wurzellos, großstädtisch, undeutsch, negierend. Alle diese Worte wurden in enger Verbindung mit intellektuell gebraucht, dienten ihm zur Erklärung oder ersetzten es sogar. Das Schimpfwort Intellektueller erhielt mehrere Geschwister: Intellektbestie, Intellektualist, Intelligenzler, Intellektuaille – alle mit unterschiedlich stark ausgeprägtem Beleidigungscharakter. Selbst innerparteiliche Konflikte lösten die Nationalsozialisten mit dem Vorwurf der Intellektualität: Otto Strasser, die meuternde Berliner SA im Jahre 1931, Ernst Röhm, die Offiziere des 20. Juli 1944 und der Generalstab der Wehrmacht im Jahre 1945 wurden als Intellektuelle tituliert.

Bei den Marxisten mag die Intellektuellfeindschaft zunächst verblüffen. Die ideologische Gegnerschaft zu den Rechten und der wissenschaftliche Anspruch der eigenen Theorie, der kritische Materialismus, der sich deutlich von der nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Mystik abhebt, sollte eine positive Bezugnahme auf Intellektualität nach sich ziehen. Bering versucht jedoch darzulegen, daß gerade die marxistische Klassentheorie Schuld an der Intellektuellenphobie hatte, schließlich vermag sie nie zu klären, ob es neben der Bourgeoisie und dem Proletariat eine dritte Klasse geben könne oder ob die Intellektuellen, Handwerker etc. nur eine Schicht bilden würden bzw. einer der beiden Klassen zuzuordnen wären oder sogar teilweise der einen und teilweise der anderen, je nach Selbstverortung und politischer Situation. Diese Ausgangslage führte dazu, daß den Intellektuellen immer der Vorwurf gemacht wurde, sie wären unsichere Bündnispartner, opportunistisch jeweils der stärkeren Seite zugeneigt. Diese Erklärung ist jedoch nicht ausreichend, schließlich betont Bering selbst, daß Intellektuelle auch bei den Marxisten nicht als negativer, aber soziologisch begründeter Klassenkampfbegriff gebraucht wurde, sondern als mit allen irrationalen Vorwürfen aufgeladenes Schimpfwort. Das ging soweit, daß in der „Aktion“ aus dem Jahre 1920 folgendes Gedicht zu lesen war: „Wer sind die größten Feinde des Proletariats? / Wer sind die besten Hüter des bürgerlichen Staats? / Wer schützt das hohe Kapital / Und predigt Frieden überall? / Das sind die Bourgeoisknechte, die Intellektuellen! / (...) Der Intellektuellen gewaltig großer Zahl / erwehrt euch täglich, stündlich: An den Laternenpfahl! / Laß baumeln sie und hängen lang, / Laß tönen laut und froh den Sang: / Hinweg ihr Bourgeoisknechte, ihre Intellektuellen!!“
Die Paralellen zu den Nazis sind erschreckend: Intellektuelle diente bei den Kommunisten als willkürlicher Kampfbegriff gegen innerparteiliche („Trotzki ist der Typus des mit der Arbeiterklasse nicht verschmolzenen Intellektuellen. Trotzki ist Individualist.“) und äußere Feinde, es wurden analog zu den Nazibegriffen Worte wie „geistiger Arbeiter“ für die eigene Intelligenz geschaffen. Intellektuelle gelten als dekadent, hysterisch, halbverfault, wurzellos, krank, schwankend, disziplinlos, individualistisch, instinktlos – zum großen Teil biologistische Begriffe. Die Arbeiter dagegen haben einen gesunden Instinkt: „Alles natürliche Geschehen in der Menschheitsentwicklung ist instinktiv, niemals intellektuell. (...) die Masse fühlt nur. (...) Das Gefühl der Masse äußert sich in seinem instinktiven natürlichen Handeln.“ Eine kleinere linke Partei nahm keine Intellektuellen in die eigenen Reihen auf, weil sie „ihre überlegene Bildung dazu benutzen, das Proletariat zum Tummelplatz und Spielball ihrer eigenen Gedanken und Interessen zu machen.“ Die Formulierungen der Linken ähneln der faschistischen Sprache in Wort und Inhalt: „Man ist entsetzt über die äußerst aktive Rolle, welche die Intellektuellen als Erreger völkischer Krankheiten spielen und zu Tode bestürzt über die kläglich passive Haltung, sie sie beim Genesungsprozeß der Völker observieren.“ (Die Aktion: 1919)
Da mag es überraschen, daß Clara Zetkin den Intellektuellen auch noch den Faschismus in die Schuhe schieben will: „Der stärkste Ausdruck der Politisierung der Intellektuellen ist der Faschismus (...) Intellektuelle sind auch zumeist die Schöpfer seiner Ideologie.“ Die meisten Intellektuellenvorwürfe wurden aber innerhalb der kommunistischen Gruppen hin- und hergereicht: der KPD wurde vorgeworfen, als Kaderpartei mit ihren Führern, die als Intellektuelle beschimpft wurden, das Proletariat zu verführen; diese gab den Vorwurf an die linksradikalen oder anarchistischen Sekten zurück: daß sie keine Massenbasis haben, beweise nur, daß da nur intellektuelle Spinner herumtheoretisieren. Erst nach 1933 wurden in der Emigration Intellektuelle Bündnispartner für die Kommunisten und das Schimpfwort verliert bei letzteren an Wirkungskraft.

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Demokratie als antisemitisches Stereotyp, 10.1k

„Es handelt sich um die Politisierung, Literarisierung, Intellektualisierung, Radikalisierung Deutschlands, es gilt seine ‘Vermenschlichung’ im lateinisch-politischen Sinne und seine Enthumanisierung in deutschem, es gilt, nun das Lieblingswort, den Kriegs- und Jubelruf der Zivilisationsliteraten zu brauchen, die Demokratisierung Deutschlands, oder, um alles zusammenzufassen und auf den Generalnenner zu bringen: es gilt seine Entdeutschung.“

Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen (1918)

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Demokratie und Großstadt – zwei antisemitische Stereotypen, die eng mit dem Feindbild „Intellektuelle“ verknüpft sind. Die Bilder stammen aus: „Das Buch Isidor“ von Joseph Goebbels (Berlin: 1928). Sie wurden dem Buch „Bilder der Judenfeindschaft. Antisemitismus, Vorurteile und Mythen“ von Julius H. Schoeps und Joachim Schlör, Augsburg: 1999, entnommen.

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Großstadt als antisemitisches Stereotyp, 14.6k

„Die Weltstadt begann ihre rassevernichtende Arbeit. Die Nachtkaffees des Asphaltmenschen wurden zu Ateliers, theoretische, bastardische Dialektik wurde zum Begleitgebet neuer ‘Richtungen’. Das Rassenchaos aus Deutschen, Juden, naturentfremdeten Straßengeschlechtern ging um.“

Alfred Rosenberg: Der Mythos des 20. Jahrhunderts (1933)

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Zum Schluß seien noch drei Mängel des Buches benannt:
Da das Buch auf der sprachwissenschaftlichen Analyse verharrt, werden die Auswirkungen der untersuchten Sachverhalte auf die Politik nicht sichtbar. Nur an einer Stelle vermerkt Bering unvermittelt – und bezieht sich dabei auf einen Augenzeugenbericht –, daß Brillenträger als vermeintliche Intellektuelle im Konzentrationslager ein Selektionskriterium der Nazis erfüllten. Diese vereinfachende Darstellung offenbart das Manko des Buches, daß sich nämlich die Intellektuellenfeindschaft in Verlautbarungen und Publikationen als isoliertes Phänomen gut analysieren läßt, in der Realpolitik dann jedoch viel mehr ideologische Momente zum Tragen kommen. So läßt sich einerseits weder das Selektionskriterium Brille ausschließlich auf das Feindbild Intellektuelle zurückführen, noch wird im Buch geklärt, ob die Kommunisten genauso rabiat gegen Intellektuelle vorgingen wie die Nationalsozialisten, oder ob im Einzelfall jemand als Intellektueller denunziert oder verfolgt wurde, weil es einer war und dadurch den Haß auf sich zog oder ob nicht die politische, ideologische Feindschaft nach Schimpfworten suchen ließ, von denen dann Intellektueller eines von vielen war.
Die Abneigung gegen Intellektuelle bei Linken und Rechten wird in dem Buch isoliert voneinander behandelt. D.h. es findet keine Analyse statt, inwieweit die Nazis von den Kommunisten Argumentationsmuster übernommen haben und andersherum. Dies liegt jedoch bei der auffallenden Ähnlichkeit dieser Muster auf der Hand. Die verschiedene Entstehungsgeschichte des Schimpfwortes bei Linken und Rechten – wie im Buch dargelegt – suggeriert dagegen, daß es diese Berührungspunkte kaum gegeben habe. So wird es versäumt zu untersuchen, inwieweit das Schimpfwort „Intellektuelle“ auch bei den Linken antisemitisch aufgeladen war. Die Geschichte des Antisemitismus in der Sowjetunion, die Schauprozesse gegen jüdische Intellektuelle(3), läßt diese Vermutung nicht so abwegig erscheinen.
Bering grenzt sich in seinem Buch – was jedoch gerade bei diesem Thema wichtig gewesen wäre – nicht deutlich genug von Totalitarismustheorien ab. Er vermerkt zwar zu Beginn des Kapitels über die Marxisten: „Die Verwandtschaft linker und rechter Denksysteme ist immer wieder beschrieben und nicht weniger energisch bestritten worden – mit den besseren Gründen übrigens.“, an anderer Stelle läßt er es jedoch an Klarheit vermissen, vor allem da, wo er betont, daß die Weimarer Republik im Würgegriff von rechts und links zu Grunde gegangen ist. In seinem Kapitel über die „bürgerlich-demokratischen Humanisten“, die – sich selbst als Intellektuelle begreifend – den Begriff hätten verteidigen müssen, bezieht er sich u.a. ausführlich auf Ernst R. Curtius und sein Buch „Deutscher Geist in Gefahr“ (1932) und wirft ihm nur sein elitäres Denken vor, wodurch seine Stellungnahmen gegen die Nazis ungehört verhallten. Dagegen betont Ingeborg Nordmann in ihrem Beitrag über antisemitische Klichees „‘Der Intellektuelle’. Ein Phantasma“(4), daß gerade Ernst R. Curtius mit seinem Buch für das negativ besetzte, universelle Wort intellektuell die „positive“ Ersetzung „Deutscher Geist“ schuf: „Der deutsche Geist, aufgeladen mit allen Merkmalen, die als Errungenschaften der deutschen Kultur galten: Musik, Metaphysik, Seele, Leben, faustische Tiefe und Georgescher Tiefsinn, entwickelte sich zu einer Fundamental-Metapher, die sich mit allen politischen Richtungen verbinden ließ und verbunden hat. Sie sollte die wesentliche Andersheit des Deutschseins zum Ausdruck bringen und zugleich gegen das Abstrakte, Oberflächliche, die kalte Rationaliät und das ‘stählerne Gehäuse’ der kapitalistischen Zivilisation protestieren.“

Intellektuelle und alle, die es werden wollen! Die Mitgliedschaft in der Arbeiterklasse steht euch offen. Johannes R. Becher hat erläutert, wie: „Der Intellektuelle, der zum Proletariat kommt, muß den größten Teil dessen, was er seiner bürgerlichen Abstammung verdankt, verbrennen, bevor er in Reih und Glied mit der proletarischen Kampfarmee mitmarschieren kann. Es erscheint beinahe so, daß er alles verbrennen muß, was er früher verehrte, alles verehren muß, was er früher verbrannte. Er muß auf seine Individualität, auf seinen Bildungsdünkel verzichten, er muß eine Unmenge falscher Theorien, falscher Vorstellungen aufgeben, die ihm seine Herkunft, seine Hochschule eingeprägt haben. Er muß von vorne anfangen.“ (25.11.1928, Rote Fahne). Da verwundert es nicht, wie der DDR-Witz entstanden ist, daß jemand, dessen Eltern studieren durften, Arbeiter wird, die Kinder aber wiederum studieren sollten...

Buchrückseite, 3.3k

Anmerkung:
Das besprochene Buch gibt es im Infoladen Leipzig zum Ausleihen, die anderen erwähnten Bücher (Rotbuch. Stalin und die Juden; Bilder der Judenfeindschaft; Die Entstehung der faschistischen Ideologie) im Antifa-Presse-Archiv Leipzig.

Fußnoten:
(1)beide Zitate aus dem Referat bzw. Diskussionsbeitrag der Autonomen Antifa (M) auf dem Verstärkerkongreß zum Thema „Wie baue ich eine Jugendbewegung?“, zu finden unter: http://www.nadir.org/verstaerker
(2)Erinnert sei an die in beiden Zeitschriften veröffentlichten Diskussionsbeiträge und Renzension des Buches „Die Entstehung der faschistischen Ideologie. Von Sorel zu Mussolini“ von Zeev Sternhell, welches „die Bedeutung revolutionärer Ideologie für die Entstehung des Faschismus“ beleuchtet (siehe auch: http://www.jungle-world.com). Dieses Buch soll an dieser Stelle in nächster Zeit besprochen werden.
(3)siehe dazu: ROTBUCH: Stalin und die Juden. Die tragische Geschichte des Jüdischen Antifaschistischen Komitees und der sowjetischen Juden, Arno Lustiger, Berlin: 1998
(4)in: Bilder der Judenfeindschaft. Antisemitismus, Vorurteile und Mythen, Julius H. Schoeps/Joachim Schlör (Hrsg.), Augsburg: 1999, S. 252-259



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last modified: 28.3.2007