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In Leipzig gibt es ein vierzehntägig erscheinendes
Blättchen, das so vor sich hin dümpelt und den Anspruch erhebt,
Eine linke Zweiwochenzeitung zu sein. Es nennt sich Leipzigs
Neue und ist stets der Heimat zugewandt. So will man auch nicht abseits
stehen, wenn es in Connewitz mal wieder so richtig gerumst hat. Wie es sich
für ein linkes Blatt gehört, werden die wahren Schuldigen und die
Hintermänner ohne grosse Schnörkel benannt. Und dass der Wessi schuld
ist an den Krawallen, haben wir ja alle geahnt, aber auf Grund des
Westzonenterrors, der uns arme Zonis seit nunmehr zehn Jahren tagtäglich
heimsucht, niemals zu sagen gewagt. Der eifrige Leser von Leipzigs Neue,
ein Horst Blumenfeld, vermutlich so rein ostdeutsch wie die Knusperflocke von
der Firma Zetti, stellt fest: Am Connewitzer Kreuz war mal wieder Krieg. (...) Dass aber dann ein Polizeisprecher erklärt, man habe keine Hinweise im Vorfeld gehabt, ist für mich ein Skandal. (...) Es gab Zeiten, da hätten Polizeianwärter gewusst, dass zu bestimmen Zeiten an bestimmten Orten die Sicherheit verstärkt werden muss. Aber die sprachen alle noch sächsisch. Und aßen keine Döner oder Pizza oder son scheiss. Sie benutzten nur Mondos von H-Punkt-Kästner aus Dresden, rauchten nur Karo oder so, tranken nur Kristall-Wodka oder Stoni, sahen regelmässig Aussenseiter-Spitzenreiter und waren perfekt im Denunzieren nach Art des Blockwartes von einst. Und das alles nur, weil die wirklich alle noch sächsisch sprachen. Warum auch sonst. Der Anti-Wessi-ismus taugt perfekt zum Welterklärungsmodell. Denn diese Welt reicht von Kap Arkona bis zum Fichtelberg von der Oder bis zum Brocken. 40 Jahre machtens möglich. Bleiben wir beim Thema. Die Autorin Kerstin Decker stellt fest: Schnitzler in die Muppetshow! stand auf den Plakaten. Oder Grossmutter, warum hast du so grosse Zähne? Daneben ein Porträt von Egon Krenz. Mit Kopftuch. Gab es je eine revolutionäre Demonstration mit so viel Ironie und Gelassenheit wie jene, (...) vor zehn Jahren, mitten in Berlin? Ohne Hass. Hass verstanden die alten Männer der DDR. Was jetzt passierte, verstanden sie nicht. Es machte sie wehrlos. So verschied die DDR, eine Untote schon zu Lebzeiten, ohne letztes Gefecht. Es sollte nicht nur den Psychologen jenseits der Gefühlsstau-Duselei überlassen bleiben, die Psyche der Spezies Bürgerrechtler in der DDR mal näher unter die Lupe zu nehmen. Mit ihren Kitsch-getränkten Rotzbremsen, als Bärte getarnt, brachte sie einen ganzen Staat zu Fall. Wie konnte das nur geschehen? Gab es je einen Staat, der sich mit so viel Ironie und Gelassenheit hat um die Ecke bringen lassen? Wohl kaum. Was das über den Charakter ein solchen aussagen würde, würde das mal ernshaft untersucht, nicht auszudenken, in welche Relationen da alles abglitte. Man versuche einmal, einen kapitalistischen Staat mit derlei Mitteln zu Fall zu bringen. Den Staat höbe das nicht mal im geringsten an. Der Markt regelte das auf der Stelle und liesse diese ellenbogenlose Ironie und Gelassenheit gnadenlos untergehen. Und was heisst das nun? Tatsächlich, die Stärke des Realsoz. war also seine Schwäche. Wer hätte das zu Lebzeiten gedacht. Wegen des Lübecker Brandanschlages auf ein Flüchtlingsheim, bei dem zehn Menschen ums Leben kamen, fand sich Safwan Eid zum wiederholten Mal als Angeklagter vor Gericht. Wieder wurde er frei gesprochen. Die mehr als hinreichend Tatverdächtigen einer jugendlichen Nazi-Clique liess man bis heute völlig unbehelligt. Die taz spekuliert ein bisschen, wie alles mit allem zusammenhängen könnte. Und kommt verständlicherweise nicht all zu weit: Bleibt die Frage: Wer hatte Interesse daran, dass der Tod von zehn Menschen mit der Intensität eines Bagatelldelikts verfolgt wurde? Doch um das herauszufinden, bräuchte es Ermittler, die wissbegierig und nicht gleichgültig sind. So, so, also alles nur eine Frage des Diensteifers. Ist ja auch verständlich: eine Regierungszeitung wie die taz hat sich schliesslich durch makellosen Ethos und Tugendhaftigkeit auszuzeichnen. Wo käm wa sonst auch hin! Ralf |