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Das Theater mit „dem“ Juden.

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Zu Faßbinders „Der Müll, die Stadt und der Tod“

Das Berliner Maxim Gorki Theater hat mit relativ geringem Aufwand erreicht, wozu andere weit mehr vollbringen müssen: Durch die Ankündigung, das als antisemitisch zu lesende Stück „Die Stadt, der Müll und der Tod“ im Juni nächsten Jahres auf den Spielplan zu setzen und damit den einzigen Theaterskandal der alten BRD zu recyclen, beschäftigte es mehrere Tage die Feuilletons. Selbst mit der kurze Zeit später, nach Protesten der jüdischen Gemeinde und einiger Berliner Kulturpolitiker erfolgten Meldung, das Stück doch nicht zur deutschen Uraufführung kommen zu lassen, hatte das 2. Klasse-Theater einen recht hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Der alte Trick: Ein bißchen am vermeintlichen Tabu gerüttelt, laut den guten Zweck verkündet, die Freiheit der Kunst verteidigt und schon kann das Feuilleton nicht umhin, sich zu positionieren. Daß das Stück nun doch nicht inszeniert wird, tut der Sache keinen Abbruch, die mediale Resonanz ist erreicht, der Intendant verkündet lauthals, er lese das Stück „nach wie vor nicht anders“.
Interessanterweise war, anders als bei der Printveröffentlichung des Stücks 1976 durch den Suhrcampverlag (die erste Auflage wurde komplett wieder eingestampft) und dem Versuch, das Stück 1985 in Frankfurt uraufzuführen, jetzt das Hauptargument, man wolle von der Debatte verschont werden, was damals von Gegnern und Befürwortern vorgetragen wurde, sei bekannt, ein neuer Aufguß bringe keine weitere Erkenntnis. Die Welt zitiert Marx mit dem Satz von der Wiederholung der Geschichte als Farce, Augstein zitiert sich selbst aus einem damaligen Kommentar mit den Sätzen, die heute wie damals gut gemeint, dennoch schlicht an den deutschen Zuständen vorbeigehen: „Das heißt doch aber nicht, daß wir die Opfer von Auschwitz, daß wir deren Kinder und Kindeskinder durch ein mittelmäßiges Stück beleidigen dürfen. Soweit sind wir noch lange nicht, soweit werden wir in vierzig oder achtzig Jahren nicht sein. Vielleicht nie.“ (Der Spiegel 38/98). Einig sind sich die meisten Kritiker mit der Behauptung, daß das Stück „grausam schlecht“ (FAZ, 14.10.), „eines der schlechtesten Stücke der Gegenwartsliteratur“ (taz, 1.9.) usw. sei. Es ist das verlogenste Argument, einen Judenwitz damit abzutun, daß er kein guter Witz sei (im Bezug auf die Pointe versteht sich). Die Frage nach dem antisemitischen Gehalt bleibt dabei unbeantwortet.
Faßbinders Stück ist nach wie vor als ein antisemitisches zu lesen, wenn auch nicht durchweg. Als Vorlage diente RWF der Roman „Die Erde ist so unbewohnbar wie der Mond“ von Gerhard Zwerenz, der seinen Text im urbanen Milieu von Frankfurt ansiedelt und in einer Art psycho-logischen Realismus den Konflikt der jüdischen Protagonisten zwischen einer linken aufgeklärten Position und einer traditionellen austragen läßt. Der Roman kann getrost als nicht antisemitisch bezeichnet werden. Die Hauptfigur Abraham findet sich in „Die Stadt, der Müll und der Tod“ als „Der reiche Jude“ wieder, namenlos, nur durch seine religiöse Zugehörigkeit definiert, die in der Wahrnehmung der Antisemiten, das Adjektiv „reich“ schon impliziert. Allerdings reicht diese Tatsache nicht, den Text als antisemitisch zu dissen, da die Namensgebung nicht die eigene, sondern die der anderen Darsteller ist (in einer späteren Ausgabe des Stücks im Suhrcampverlag ist auf Wunsch Faßbinders hin im Personenverzeichnis der Jude mit „A., genannt DER REICHE JUDE“ aufgeführt). Erst die Konstellation der handelnden Personen im Stück lassen es als antisemitisches begreifen. Dem „reichen Juden“ ist eine Prostituierte namens Roma gegenübergestellt, die das Gute dieser Welt verkörpert, allerdings an dem Schlechten derselben zugrunde geht, da ihre Wünsche und Triebe in der feindlichen Umwelt, dem urbanen Raum unerfüllt bleiben. Sie opfert sich in christlicher Manier: „Ich danke ab, Gott. Ziehe Leine. Ich werde einen Finden, der mich glücklich macht“. Sie findet den „reichen Juden“, der sie ohne Zögern erwürgt. Verurteilt wird Franz, der Mann und Zuhälter der Ermordeten, der sich wiederum nicht nur durch die Kälte und Allmacht des Juden, sondern insbesondere durch Potenz bedroht wähnt.
ROMA B.: „Sein Schwanz ist sehr groß“
FRANZ B.: „Na endlich, wie groß?“
ROMA B.: „Zwanzig Zentimeter vielleicht. Eher mehr.“
(....)
FRANZ B.: „Wie dick?“
ROMA B.: „Wie eine Bierflasche. Eher noch dicker.“

In einer Replik, die RWF 1976 auf eine Kritik in der FAZ hin geschrieben, allerdings nie veröffentlicht hat, heißt es: „Die Stadt läßt die vermeintlich notwendige Drecksarbeit von einem, und das ist besonders infam, tabuisierten Juden tun, und die Juden sind seit 1945 in Deutschland tabuisiert, was am Ende zurückschlagen muß, denn Tabus, darüber sind sich doch wohl alle einig, führen dazu, daß das Tabuisierte, Dunkle, Geheimnisvolle Angst macht und endlich Gegner findet.“ Faßbinder stellt die damalige Situation in Frankfurt/Main (auf die sein Stück Bezug nimmt) so dar, als wären die jüdischen Bauunternehmer bei der Umstrukturierung des bürgerlichen Westendviertels zum Bankenviertel nicht Käufer wie andere auch gewesen, sondern eingesetzt von den Herrschenden, die „Drecksarbeit“ auszuführen, die der Bevölkerung so leicht nicht zu vermitteln sei, aber beim „Juden“ müssen sie eben das Maul halten. Schon die antisemitischen Töne, die von den Bürgerinitiativen (ein wertkonservatives Bündnis aus Bewohnern und Besetzern des Viertels, spätere Mitbegründer der GRÜNEN) in Flugblättern und Redebeiträgen angeschlagen wurden und die zu der Zeit einsetzende Palästinasolidarität zeigen, wie weit es mit Faßbinders „Tabus“ her ist.
Möglicherweise kann man „Die Stadt, der Müll und der Tod“ auch als antisemitische Projektion, als Lehrstück im Brechtschen Sinne, ein Stück über Antisemitismus eben, begreifen. Doch diese Lesart kollidiert mit der christlichen Dramaturgie ebenso wie mit der Ungebrochenheit der Hauptfigur, die nahezu das personifizierte, kalte Kapitalinteresse selbst ist: „Es muß mir egal sein, ob Kinder weinen, ob Alte, Gebrechliche leiden. Es muß mir egal sein. Und das Wutgeheul mancher, das überhör ich ganz einfach.“
Nur an einer Stelle scheint eine Art Selbstreflexion des antisemitischen Denkens einzusetzen (ein Widerspruch in sich), wenn der ausgewiesene Antisemit Hans von Gluck im Stück sagt: „Und Schuld hat der Jud, weil er uns schuldig macht, denn er ist da. Wär er geblieben, wo er herkam, oder hätten sie ihn vergast, ich könnte heute besser schlafen. Das ist kein Witz, so denkt es in mir.“ So funktioniert Antisemitismus nach und wegen Auschwitz, als Prinzip der Schuldumkehr.
Das Gorki Theater kam im Rahmen der Debatte auf die abstruse Idee, ein Tel Aviver Theater mit einer hebräischen Inszenierung von „Die Stadt, der Müll und der Tod“ nach Berlin einzuladen, nach dem Motto: wenn „die“ dürfen, können wir auch. Eben nicht! Wenn ein Jude in Deutschland nicht über den Kudamm laufen kann, ohne angespuckt und getreten zu werden; die Landsleute ihm unmißverständlich klarmachen, daß er hier nichts verloren habe, ist offensichtlich, daß die Landsleute gewillt sind, jedes vermeintliche Tabu zu brechen, ob das Theater dabei vorneweg geht oder hinterherschleicht, bleibt sich letztlich gleich.
heike



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last modified: 28.3.2007