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Ehrliche Betrügerei.

Manfred Kanther schlägt vor, den Zivildienst auch bei den Bullen ableisten zu können. Wenn das so kommt, dann nichts wie hin zur Polizei.

Mit ein wenig Geschick läßt es sich als junger deutscher Mann so einrichten, daß der staatlich verordnete Zivildienst dazu taugt, dem Leben mehr abzuringen, als acht Stunden täglich knuffen zu gehen – natürlich gegen den eigentlichen Zweck des Zivildienstes als Ausprägung individuellen Gemeinsinnes. Notwendig ist dafür nur die rechtzeitige Suche nach der mellowsten Zivistelle. Diese erst einmal gefunden und den Dienst angetreten, gelingt es oft, dem Leben ein paar nette Seiten abzuringen: mehr Zeit ohne Arbeit, weil Arbeit ohnehin scheiße ist.
aus focus, 8.7k
„ideelle Gemeinschaftstölpel“ – Diskussion im Focus 47/97
Dem Zivildienstjahr als Zwangsdienst gebührt trotz dieser potentiell sonnigeren Lebensseite eine grundsätzliche Kritik. Gegen die Staatskonformität zu rebellieren, in dem das Zivijahr als Einstieg in den Bruch mit dem geordneten Arbeitsleben verstanden wird, setzt voraus, dem Staat – als ideellen Gemeinschaftstölpel – nichts zu geben, da er sowieso alles nimmt, was man ihm nicht vorenthält. An diesem wichtigen konstitutiven Gegensatz zwischen Gemeinschaftsgeist und ehrlicher Betrügerei festzuhalten, empfiehlt sich allenthalben auch in Zeiten angeblicher Deregulierung und Verschlankungsdiäten von Staats wegen. Daß die Rente im Ergebnis dessen wohl minimal ausfallen wird, darf einen dabei nicht stören. Arbeiten um quasi zu sterben entspricht dem Lebenscredo, dem sich Abermillionen in diesem Lande unterwerfen. Den Allerwenigsten wird bewußt, wie sehr man innerhalb einer Warengesellschaft so oder so nur als Ware zählt. Die schlaueren, konvertierten Ex-Gesellschaftskritiker nennen das den unumgänglichen Sachzwang, dem man unterworfen wird. Der allumfassende Arbeitsfetisch hat sich seit Bestehen des Kapitalismus bisher so gut wie jeden kritischen Ansatz Waren-produktiv einverleibt. Die Wenigen, die dem widerstanden, sind entweder in Richtung Wälder und Wüsten entschwunden, Esoteriker geworden oder beides zusammen.
Nichts treibt die Gesellschaft derzeit mehr um als der Sicherheitswahn. Keineswegs jedoch ist das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerungsmasse von oben manipuliert, wie linke Schlauberger allenthalben vom Stapel lassen. Die law and order - Allianz ist eine allumfassende, die dem Einschwören auf nationalistische Standortpolitk von oben explizit zuarbeitet, weil sie von unten so oder so niemals in Frage gestellt wurde und wird. Erst durch diese Konstellation gelingt es, der Renationalisierung über das subsidiäre Regionalisierungsmodell jene Bedeutung zu geben, die ihren Ausdruck nicht zuletzt in der Kampagne zur Inneren Sicherheit findet. Im Gegensatz zu der schon immer rassistisch aufgeladenen Projektion von unten, ist die von oben erst seit dem Ende der Systemauseinandersetzung zum erwünschten Vehikel vor-ökonomistischer „Zugriffssicherung“ (Stefan Eggerdinger) geworden.
Nun hat Innenminister Kanther anfang November den „brillianten“ (Die Woche) Vorschlag gemacht, „Zivildienstleistende bei der Polizei sinnvolle Aufgaben übernehmen“ zu lassen. Getrieben von der zero tolerance gegenüber der „angeblichen Bagatellkriminalität – z. B. Ladendiebstahl, Graffiti-Schmiererei, Schwarzfahren“ – strickt Kanther an dem „Sicherheitsnetz im Kampf gegen das Verbrechen“. Er tut es ohne heiße Nadel. Den Einsatz von „Kanthers Zivibullen“, wie die taz den Vorschlag umschreibt, will der Innenminister, „um mehr Kräfte für die Verbrechensbekämpfung und die allgemeine Präsenz in der Öffentlichkeit frei zu haben“.
Kanthers Schnellschuß-Vorschlag stieß allenthalben sofort auf „heftige Kritik“ (Die Welt). Der omnipräsente Vorsitzende der Polizeigewerkschaft (GdP), Hermann Lutz, plädiert dann auch entsprechend für die weitere Aufblähung des Polizeiapparates: „Wenn Personalbedarf bei der Polizei erkannt wird, muß die Polizei verstärkt werden“. Schließlich sei die Polizei kein „Taubenschlag“. Die Berliner Zeitung ergänzt: Kanther „diskreditiert die Arbeit der Beamten, wenn er ungelernte Hilfskräfte für hinreichend qualifiziert zu deren effektiver Entlastung erachtet“.
Dabei ist das, was Kanther da abläßt, mit linker Brille betrachtet gar nicht mal so ablehnenswert, wie es auf den ersten Blick zu vermuten steht. Einen neuerlichen Beweis dafür, daß die FAZ wirklich in jeden linken Briefkasten gehört, lieferte die „Zeitung für Deutschland“ mit ihrem Kommentar zum Thema. Für Manfred K., so das Blatt, spiele „der hoheitliche Charakter der Polizeiarbeit keine wichtige Rolle“. Und die Zeitung konstatiert bei Kanther „eine merkwürdige Nonchalance in Rechtsfragen“. Jetzt mal ehrlich, welcher Linke – wenn man mal von Gremliza und Elsässer absieht – hätte das tatsächlich so analysiert? „Die bürgerliche Presse – inklusive taz – gegen den Strich zu lesen“ (Günther Jacob), birgt tatsächlich den Bruch mit dem ach so schweren konstruktiven Politikgeplänkel linker Etikettierung in sich. Nur daraus kann eine den Verhältnissen angemessene Form von Subversivität erwachsen, die im Gegensatz zur verbal-hippen „Kommunikations-Guerilla“ und deren Handbüchern den Symbolismus politischer Praxis nicht nur einkalkuliert und damit zur linken Antwort auf das bürgerliche l’art pour l’art macht, sondern tatsächlich die Gesellschaft als solche zerstörerisch unterminieren will.
Wäre also linker Rat teuer, so müßte er lauten: Zividienst bei der Polizei sofort! Und beim BGS noch dazu!
Aber, wie gesagt, den Haken linker Minorität erfährt man wiederum aus der bürgerlichen Presse. Diesmal gar aus der Provinz – der Leipziger Volkszeitung: „Denn welcher Zivi käme ernsthaft auf den Gedanken, nachdem er den Dienst an der Waffe abgelehnt hat, sich von sich aus zu Polizeihilfsdiensten zu verpflichten?“
„Sich von sich aus“ – das gehört zwar gut und gerne in die Rubrik „Das Letzte“ diese Heftes, doch immerhin steht dort das Problem schwarz auf weiß. Denn, wie selbst der GdP-Chef Lutz weiß: „Bei der Polizei werden schließlich keine Kartons gefaltet“. Und auch ich weiß: Nicht die Kartons sind das Problem, sondern die, die sie falten. Ralf

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last modified: 28.3.2007