#301, Februar 2025
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Als Lichtgestalt, Filmgott, Vaterfigur, Lebenssinn und dergleichen mehr wurde der kürzlich verstorbene Regisseur David Lynch in zahlreichen Beiträgen und Kommentaren auf Instagram stilisiert. Darin drückt sich aus, dass Lynchs filmisches Werk Kultstatus erlangt hat. Der Regisseur war bekannt für seine ästhetisch anspruchsvollen und symbolreichen Filme.
Doch dass einer der alten weißen Hollywood-Männer derart zum Helden gemacht und betrauert wird, könnte auch stutzig machen. Lynch mag kunstvolle Filme gemacht haben. Und freilich war er mit seinen skurrilen Figuren, den (Alb-)Traumwelten und vielen weiteren Emanationen des Unheimlichen ein Meister des Grotesken und Abgründigen. Seine teils kryptischen Werke haben Bücher und Interseiten mit Versuchen der Interpretation gefüllt.
Filme von David Lynch – das heißt auch und vor allem Gewalt gegen Frauen. In einigen seiner Filmen besteht die Kunst also vor allem in der »art to lynch women«. Lynch schien fasziniert von diesen Themen. Die Frage ist, wie er sie in seinen Werken verhandelte. Lob und Kritik, darunter Vorwürfe der Misogynie, finden sich zugleich. Nach der Kritik muss man aber unter den vielen wohlwollenden Interpretationen etwas mehr suchen. Auf die problematische Rolle, die Frauen und die Gewalt an ihnen in Twin Peaks einnehmen, habe ich im Artikel »There’s a sort of evil out there« in Ausgabe 237 des CEE IEH hingewiesen.
Lynchs Filme zeichnen sich nicht durch den Mangel an weiblichen Hauptrollen aus – im Gegenteil. Doch die typische weibliche Hauptfigur bei Lynch ist vor allem eines: Opfer von Gewalt. Eine andere Frage ist, ob seine Werke auch eine weibliche Perspektive einnehmen. Ich selbst kann diese Frage nicht beantworten, aber es lohnt sich vielleicht, seine Filme unter diesem Aspekt wieder anzuschauen. Man könnte Lynch jedenfalls mit dem Argument verteidigen, dass er die real vorhandene Gewalt schonungslos aufzeige und das übernehmen auch viele seiner Fans.
»Mulholland Drive« wird zum Beispiel für seinen Blick auf die sexuelle Ausbeutung aufstrebender Schauspielerinnen in Hollywood gelobt und die Filmwissenschaftlerin Frida Beckman sieht Lynchs Verarbeitung des Motivs der femme fatale in seinen Filmen als progressiv an. Auch Dierk Saathoff stieß in seinem Nachruf auf den Regisseur in der Jungle World in dieses Horn. »Twin Peaks« erzähle mit unerwartetem Realismus und insbesondere »Mulholland Drive« unterlaufe den »männlichen Blick«. Realismus ist die Fähigkeit der Kunst, die äußere Realität unverfälscht darstellen zu können, was, nebenbei bemerkt, an sich wohl schon eine illusorische Annahme ist.
War Lynch also besonders sensibilisiert für Misogynie und sexuelle Gewalt? Dann hätte er wohl kaum 2009 eine Petition unterzeichnet, in der die Freilassung von Roman Polanski gefordert wurde, der 1977 wegen der Vergewaltigung einer 13-jährigen angeklagt und Jahre später in Frankreich (erneut) festgenommen wurde. To be fair, sollte man die traumatische Familiengeschichte des Holocaustüberlebenden Polanskis, dessen schwangere Ehefrau 1969 ermordet wurde, nicht komplett verschweigen.
Jedenfalls kam danach #metoo und eine solche Petition wäre undenkbar gewesen. Neben einer überragenden Mehrheit von männlichen Mitgliedern der Filmbranche haben auch weibliche Stars wie Tilda Swinton und Natalie Portman die Petition unterschrieben. Immerhin hat letztere ihre Unterschrift später öffentlich als Fehler eingeräumt und bereut.
Und was soll man eigentlich damit anfangen, dass Isabella Rossellini verstörenderweise erzählt hat, wie Lynch beim Dreh der Vergewaltigungsszenen für Blue Velvet ständig gelacht hat? Gleichzeitig hat sie ihren Ex-Partner Lynch an anderer Stelle vor Vorwürfen durch den Filmkritiker Roger Ebert, sie als junge Schauspielerin ausgebeutet zu haben, in Schutz genommen. Sie sei eine erwachsene Frau gewesen und habe frei entscheiden können.
Lynch jedenfalls hat sich wiederholt gegen jede Interpretation seiner Werke gewehrt, da sie das Werk letztlich zerstörten. »I do not think about it so much as feel it«, gestand er in der Dokumentation »Pretty as a picture«. Wenn Lynch also feministisch informierte Filme machte, dann wohl nur unbewusst. Dass er dem Unbewussten und dem Unheimlichen in seinen Werken Ausdruck verlieh, bedarf vermutlich keiner weiteren Erläuterung. Dieses Unheimliche kann in aller Regel nur psychoanalytisch erklärt werden. Wolfgang M. Schmitt hat das beispielhaft für »Blue Velvet« geleistet, wo es ganz zentral um männliches Begehren, Kastrationsangst, Fetisch etc. geht, die am weiblichen Objekt Dorothy ausagiert werden.
Muss ein Film erklären, was gut und was böse ist? Nicht unbedingt. Er sollte aber vielleicht aufzeigen können, was Motive des Handelns sind oder zumindest zum Nachdenken darüber anregen, statt lediglich das Publikum voyeuristisch zu Zuschauern einer Gewalt zu machen, die sie nicht verstehen oder die, wie eben in Twin Peaks, in übernatürlichen Mächten aufgelöst wird: »There’s a sort of evil out there,« heißt es an zentraler Stelle in der Serie, in der Lynch lieber ein komplexes und schwer verständliches Gebilde aus traumhaften Zwischenwelten und unerklärlichen Mächten aufbaut, als der Quelle der Gewalt von Männern auf den Grund zu gehen. »Blue Velvet« war also in dieser Hinsicht wohl schon etwas weiter. Wie schon im CEE IEH-Artikel von 2015 ausgeführt wurde, wirft es einige Fragen auf, dass die vielen Darstellungen von Frauenmord, allen voran »Twin Peaks«, Kultstatus unter Filmfans erlangen und das sagt wohl auch etwas über ihr begeistertes Publikum aus. Die überschwengliche positive Bezug- und Anteilnahme lässt sich also zumindest skeptisch sehen. Auch Dierk Saathoff hatte in der jungle world kein kritisches Wort für Lynch übrig. Ich weiß nicht, was ich mir aus solchen Elogen machen soll, außer im Zweifel der Devise treu zu bleiben: don’t believe the hype.
Marlon